Samstag, August 27, 2011

Muslimbrüder eröffnen Bildungszentren

So lautete gestern eine Nachricht auf dem online Portal von Youm7.

Ägyptische Haushalte geben im Durchschnitt ein Drittel ihrer Ausgaben im Bereich Bildung für Privatstunden und ein weiteres Drittel für Nachhilfeunterricht aus. Zusammen mit den Ausgaben für Transport kommen somit 80% der Ausgaben für Leistungen zusammen, die eigentlich schon vom Staat gedeckt sind. Man mag daraus seine Schlüsse ziehen.

Umso cleverer sehe ich den Schachzug von den Muslimbrüdern, in allen Gouvernements ihre eigenen Bildungszentren einzurichten: die minderbemittelten Familien werden finanziell entlastet und nehmen das Angebot dankbar an. Gleichzeitig können die Muslimbrüder ihre Philosophie unter einem sozialen Deckmäntelchen weiter verbreiten.

Neue Strassenschilder

Neue Strassenschilder! Ich habe gestern früh nicht schlecht gestaunt, als ein Kran mitten in der Strasse stand. Die zweispurige Fahrbahn war gesperrt, eine Umleitung war nicht angezeigt. Mit dem Rennvelo war das kein Problem. Auswärtige Autofahrer blieben aber zuerst irritiert stehen, fuhren dann über den Mittelstreifen auf die entgegengesetzte Fahrbahn und von dort wieder korrekt in den Kreisel. Beweis: es geht auch ohne Umleitung.


alt und neu in Eintracht



Ehrlich gesagt wünsche ich mir, dass weitere Umstände erneuert würden, als bloss Strassenschilder – auch wenn die richtig professionell und grossstädtisch aussehen.

Samstag, August 20, 2011

Bumerang

Was sich da in den vergangenen zwei Tagen auf dem Sinai zwischen Ägypten und Israel abgespielt hat, erinnert mich – ohne die Tragweite der Ereignisse verniedlichen zu wollen - an einen Bumerang.

Wer auch immer auf die ägyptischen Grenzwächter geschossen hat (Israel oder Terroristen) – das Problem hat Ägypten. Die lasche Sicherheitslage im ganzen Land, besonders auf dem Sinai lädt Terroristen und Verbrecher ja geradezu ein, sich da niederzulassen und ihren Geschäften nachzugehen! Die Spatzen haben es schon seit Monaten von den Dächern gepfiffen, dass sich im Sinai Terroristen, Al-Qaida-Ableger und „gewöhnliche“ Verbrecher aufhalten. Die dortigen Beduinen sind dem ägyptischen Staat auch nicht besonders freundlich gesinnt, denn sie wurden von diesem völlig vernachlässigt. Es gibt kaum Infrastruktur, keine Industrie, nur ein paar wenige Arbeitsplätze im Tauchtourismus. Hat der Sinai Ägypten nur als Bollwerk gedient?

Jetzt rächt sich die Vernachlässigung des Sinais mehrfach: der Friedensvertrag steht auf dem Spiel, was die westliche politische Welt wachgerüttelt hat. Ägypten muss sich nun zu all seinen riesigen Problemen um diesen wackeligen Frieden kümmern. Und gleichzeitig endlich dazu stehen, dass die Sicherheit im Land schwer gefährdet ist und ernsthafte Bemühungen unternehmen, diese wieder herzustellen.

Das ägyptische Volk ist nie hinter diesem Frieden mit Israel gestanden – wegen den Palästinensern – und hat nun einen guten Grund, erneut gegen Israel zu protestieren, was es unüberhörbar tut. Ägypten hat selbst Feuer ins Öl gegossen!

Ägypten, jetzt brennt es an vielen Stellen! Beeil Dich, sonst schlägt der Bumerang zurück!


Freitag, August 19, 2011

Der Sammler

Es ist noch nicht heiss, die Sonne steht erst knapp über dem Horizont. Die meisten Leute schlafen noch.

Er ist vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt. Vielleicht auch jünger. Der Junge ist nicht gross, hager. Seine kinnlangen, von der Sonne ausgebleichten Haare hängen ihm wirr ums Gesicht. Er trägt einen schäbigen, dunkelblauen Sweater und ausgebeulte, löchrige Hosen, die früher vielleicht mal grün waren. Oder grau. Oder blau. Im morgendlichen Schatten lässt der Junge seine Augen suchend über den Boden, in Mulden, in Gräben, in Baustellen wandern. Seine rechte Hand zieht einen riesigen, weissen, reissfesten Plastiksack neben sich her, während seine Füsse behende über all die Unebenheiten gleiten, welche die Konsumgesellschaft abgelegt hat. Zerbrochene Ziegelsteine, zerquetschte Büchsen, Kartonfetzen, Bierverschlüsse, Glassplitter, Zigarettenschachteln, Plastikrohre, Fruchtsaftpackungen, Pet-Flaschen, Metallstifte… und natürlich Sand und Steine.

Der Junge verschwindet zwischen den Mauern, weiss wo er findet, was er sucht, was bei den Abfallverwertern Bares bringt.

Eineinhalb Stunden später bewegt sich ein weisses, rundes Ungetüm auf dem Gehsteig am Strassenrand in Richtung Barriere, wo im Schatten ein Eselskarren wartet. Der Junge ist kaum mehr zu sehen: mit beiden Händen hält er das Sammelgut über dem Kopf zusammen, sein Rücken ist so tief gebeugt, dass sein Kopf fast auf Höhe der Knie ist. Sein Blick gilt den nächsten 50cm Asphalt. Die Last ist schwer, er kriecht fast auf allen Vieren, würde er, wenn er die Hände nicht bräuchte, um die Last zu halten. Wenige Meter noch, aber er fällt um und bleibt einen Moment auf dem heissen Asphalt liegen um zu atmen. Dann rappelt er sich hoch, trägt seine Last weiter, hin zu seinem Vater, der im Schatten des Eselkarrens wartet.

Montag, August 15, 2011

Kein TV Spektakel mehr

Heute ist die Gerichtsverhandlung gegen Ex-Präsident Hosni Mubarak und seine Söhne fortgesetzt worden und gleich wieder vertagt worden. So wird's wohl weitergehen...

Die Verhandlung fand nochmals vor laufenden Kameras statt – zum letzten Mal. Das erniedrigende Spektakel hat ein Ende, der Richter hat es so entschieden.

Das ist recht so, wenn Recht wirklich angewendet wird.

Was weniger recht ist, ist dass heute wieder eine Aktivistin vor das Militär zitiert worden ist, weil sie sich angeblich negativ über das Militär geäussert habe. Gegen Kaution wurde sie wieder frei gelassen. Während den vergangenen Monaten wurden immer wieder Aktivisten unter eben diesem Vorwand festgenommen. Die Zensur lebt weiter, freie Meinungsäusserung ist in Ägypten nach wie vor nicht gewährleistet.

Nachtrag 19. August: Die Anklage gegen die Aktivistin wegen Beschimpfung des Militärs wurde fallen gelassen. Gründe wurden nicht genannt...


Samstag, August 13, 2011

Sprache und was daraus wird

Vor mir sitzt ein sympathischer junger Mann. Er will demnächst in ein privates College eintreten und möchte deshalb noch seine Englisch-Kenntnisse aufpolieren.

Um ihn reden zu lassen, frage ich ihn nach seinen Hobbies. Wie so viele junge Leute heutzutage, nennt auch er „chatten mit Freunden im Internet.“ Ob er dabei Englisch brauche, frage ich. Er antwortet mit verzogenem Grinsen, er verwende „Franco-Arab“. Ich verstand, was er meinte, kannte aber den Ausdruck nicht.

Bei „Franco-Arab“ oder auch „Arabish“ werden lateinische Buchstaben verwendet, man drückt sich aber in Arabisch aus. Dabei fehlen natürlich verschiedenste Laute, die es in der lateinischen Sprache nicht gibt (z.B. ع). Diese Laute werden mit Ziffern dargestellt (z.B. 3). Das sieht für nicht Arabisch Sprechende ziemlich seltsam aus (z.B.
ana raye7 el gam3a el sa3a 3 el 3asr; Quelle: Wikipedia). Oft werden aber auch einzelne oder mehrere Wörter in Englisch geschrieben. Ähnlich geht es im ägyptischen Fernsehen zu: es wird oft mitten im Satz zwischen Englisch und Arabisch hin und her gewechselt.

Die Ägypter waren natürlich wiedermal die Ersten, die aus der Not eine Tugend machten. Die aus dem Westen stammende Technologie für Kommunikation über Internet und Mobiltelefone liess keine anderen Zeichen als jene der lateinischen Sprachen zu. Arabisch, Farsi, Hindi u.s.w. waren somit vorerst von dieser Erfindung ausgeschlossen.

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Sonntag, August 07, 2011

Sonne

Einfach Sonne. Blauer Himmel, Wind, Sonne. Mehr nicht. Keine Wolken, kein Nebel, kein Regen, kein Temperatursturz.

So ist es hier. Praktisch jeden Tag.

Nach einem Monat Ferien in meiner Heimat ist mir wieder bewusst geworden, wie wichtig Sonne fürs Gemüt, fürs Wohlbefinden, für mich ist. Die zweite Hälfte meiner Ferien ertrank im Nass, im Grau und in der sommerlichen Kälte. Die Menschen um mich herum wurden zunehmend frustrierter und ich natürlich auch.

Man mag über Ägypten die Nase rümpfen, denn vieles ist nicht wie in unserer perfekt durchorganisierten und durchgestylten Ersten Welt. Auch mir passt nicht alles. Zum Beispiel gab es in den vergangenen Tagen mehrstündige Stromunterbrüche in Teilen Hurghadas (ich blieb davon wunderbarerweise verschont). Das macht bei fast vierzig Grad im Schatten nicht viel Spass, in der Wohnung bleiben ist unmöglich, schlafen ebenfalls und Lebensmittel in Kühl- und Gefrierschrank können vernichtet werden.

Aber: am Morgen aufstehen… und draussen scheint die Sonne von einem makellos blauen Himmel! Stellt Euch das mal vor! Es tut so gut! Es tut so wohl!

Ich schicke all jenen, denen die Sonne momentan fehlt, ganz viel

im Herzen!

Mittwoch, August 03, 2011

Ägyptens Ramadan 2011

Es ist mein vierter Ramadan in Ägypten, habe ich mir heute ausgerechnet. Im Fernsehen werden alljährlich seichte Unterhaltungen angeboten.

Dieses Jahr läuft jedoch ein viel spannenderes Programm: Ex-Präsident Hosni Mubarak, seine zwei Söhne, der ehemalige Innenminister Al Adly und weitere stehen gemeinsam vor Gericht. Die Gerichtsverhandlung wird live im Fernsehen ausgestrahlt!
In Hurghada, wie in ganz Ägypten, sitzen die Leute vor den Fernsehern, als ob die beiden Fussballteams Zamalek und Ahly gegeneinander spielten; jene, die nicht fernsehen können, drehen den Radio auf. In Kairo wird das Geschehen live auf Grossleinwänden übertragen. Unglaublich!
Ehrlich gesagt, habe ich bis gestern Abend nicht daran geglaubt, dass Mubarak nach Kairo gebracht wird und diese Gerichtsverhandlung jemals stattfinden würde. Sie wurde mehrmals verschoben. Gestern wurde die Autobahn zwischen Kairo und Sharm El Sheik blockiert und in Kairo rauften und raufen erneut Unterstützer und Gegner Mubaraks miteinander. Doch jetzt läuft dieses von Millionen von Menschen erträumte, erhoffte, erwünschte Spektakel im Fernsehen. Es ist ein schmachvoller Anblick: Ex-Präsident Mubarak auf einer Liege, alt und zerfallen, seine bleichgesichtigen Söhne in weissen Gefängniskitteln stehen schützend vor ihrem Vater im Käfig. Ja, im Käfig! Wie Tiere… oder wie Schwerverbrecher…

Die Bilder rufen jene an die Gerichtsverhandlung über Saddam Hussein in Erinnerung und viele Mubarak-Anhänger wollten genau dies verhindern.

Ich erinnere mich an die vielen Stunden vor dem Fernseher Ende Januar und Februar und die seither andauernden Schreckensnachrichten in diesem Land. Damals ging eine riesige Welle von Energie durch Ägypten – sechs Monate später ist das Land wirtschaftlich am Boden, kämpft noch immer gegen Reste des alten Regimes und ist langsam dabei aufzuräumen. Dass diese Gerichtsverhandlung jetzt stattfindet, ist meines Erachtens ein riesiger, historischer Schritt für Ägypten. Nile TV titelt die Live-Übertragung als „Jahrhundertverhandlung“. Ich glaube, diesen Ramadan werden die Ägypter nie mehr vergessen.


Montag, August 01, 2011

Marhaban – Willkommen

Der heisse Wind umfasst mich, verwirbelt meine Haare, lupft meinen Faltenrock frech hoch. Um mich herum Wüste, die Bergkette im Hintergrund ist in der flirrenden, sandigen Luft nur zu erahnen. Es riecht nach Sand und Meer, ein schwerfälliger Geruch, der mir immer auffällt, wenn ich ans Rote Meer zurückkehre, sei es auch nur vom Nil.

Ich bin wieder in Hurghada. Es fiel mir diesmal sehr schwer, meine ursprüngliche Heimat zu verlassen – die Zeit dort war zu kurz für alles, was ich tun wollte und für alle, die ich sehen wollte. Doch Hurghada hat es mir leicht gemacht, hat mich einfach wieder aufgenommen.

Meine Wohnung war intakt – kein Einbruch, kein Wasserschaden oder sonstiges Ungemach. Die Klimaanlage läuft brav, aus den Wasserhähnen und aus der Dusche fliesst lauwarmes Wasser. Schon am Flughafen zeigte sich: Hurghada ist voller Touristen, geschäftig, chaotisch, etwas hektisch wie immer… oder besser gesagt: wie es sein sollte und einige Monate nicht mehr war. Kairo und seine Demos sind weit weg und zeigen sich äusserlich nur im Fernsehen, Internet und in der Zeitung.

Heute ist der erste Tag des Ramadans und irgendwie wirkt es feierlich auf mich. Abends schmücken Girlanden und Tausende von Lichtern Strassen, Moscheen und Häuser. Die Leute wünschen sich gegenseitig Ramadan kariim (grosszügiger Ramadan) und Arme und Bedürftige werden beschenkt.

Mit einem meiner heissgeliebten [sic] Minibusse bin ich zum Markt gefahren, um mich mit frischen Früchten und Gemüse einzudecken. Unterwegs hielt der Fahrer an, um zu sehen, weshalb am Strassenrand eine Gruppe von Männern beieinander stand: in ihrer Mitte lag ein Mann auf dem Boden. Nach einem Augenschein ging die Fahrt durch den chaotischen Abendverkehr vor dem Ramadanbeginn weiter. Kein einziger der Businsassen meckerte – das wäre in der Schweiz wohl etwas anders.

Der Markt quillt von Mangos und Trauben, Melonen und anderem über – inmitten des üblichen niedrigen Hygieneniveaus und einem lästigen Gedränge und Schieben der Kaufenden und dem alles übertönenden Geschrei der Verkäufer.

Spätestens jetzt bin ich mir wieder bewusst: ich bin wieder in Ägypten.