Sonntag, Mai 29, 2011

Im Strassengraben


Meine Rennradausfahrten lassen mich so manches erblicken, was anderen verborgen bleibt. So habe ich mich an alle möglichen Abfälle gewohnt (nicht vertilgter Reiseproviant bekannter Reiseunternehmen, Bauschutt, Reste bekannter Restaurants, Pflanzen, Beton), an Eselkarren auf der Autobahn, an halsbrecherische Überholmanöver und Unfallautos, an ärmliche Behausungen in abgeschiedener Gegend, überfahrene wilde Hunde. „Abgebrüht“, wie ich inzwischen bin, nehme ich die Ansichten zur Kenntnis, fahre weiter und studiere vielleicht ein Weilchen daran herum.

Kürzlich entdeckte ich aber ein Wrack, dessen Anblick mir in die Glieder fuhr und ich folglich vom Velo abstieg und Fotos mit der Handykamera aufnahm. Hier sind sie, ohne weitere Beschreibung, freigegeben zum Staunen:


Samstag, Mai 28, 2011

Polizeikontrollen: welcome back!


Ich mochte sie nie. Ich empfand sie als erniedrigend. Nicht für mich, sondern für die Ägypter. Die Polizeikontrollen. Das Land ist von einem dichten Netz von Checkpoints übersät. Auch innerhalb der Orte gab es mobile Kontrollen.

Nach Hurghada hineinzukommen war für einen Ägypter ohne gültige Papiere praktisch nicht möglich. Tagsüber, besonders aber nachts standen Polizisten in den Zufahrtsstrassen und mitten im Stadtzentrum. Hie und da erlebte ich, wie ein Fahrgast den Fahrer beim Anblick einer Kontrolle bat anzuhalten, damit er aussteigen und sich davon machen konnte. Nicht nur der Personalausweis sondern auch die gültige Arbeitsbewilligung mussten auf sich getragen werden. Vielleicht war der Aufenthalt noch nicht verlängert worden. Oder er hatte gar keine. Lieber den Problemen aus dem Weg gehen…

Mir war immer mulmig, wenn es um mich herum mucksmäuschenstill wurde, Busse, Taxis und Privatwagen zwischen blinkenden Polizeifahrzeugen, mobilen Abschrankungen und ernst drein blickenden Polizisten blockiert waren, jeder dem Polizisten seine Karte schweigend hinhielt und ohne aufzumucken der Obrigkeit folgte, wenn er aufgefordert wurde.

Seit den Aufständen sind mit der Polizei auch die Kontrollen verschwunden. Das hat besonders in touristischen Orten viel Gesindel und Verbrecher angelockt. Immer wieder drängen mich Freunde dazu, besonders vorsichtig und wachsam zu sein, nicht in einen leeren Bus zu steigen, nicht in diese oder jene Art von Taxis zu steigen, nicht zu spät alleine nach Hause zu gehen… Danke für den Rat, meine Lieben! Aber das ist halt nicht immer so einfach und ein Messer und einen Pfefferspray trag ich auch nicht mit mir herum.

Doch Überraschung: während der vergangenen Tage hat die Polizeipräsenz wieder zugenommen! Vor zehn Tagen staunte ich das erste Mal über eine mobile Kontrolle ausserhalb Hurghadas auf meinem Heimweg. Wenige Tage später war sie wieder da, am gleichen Ort, abends. Und ich freute mich! Ich freute mich wirklich über den Anblick der weiss gekleideten Polizisten, die da wieder ihren Dienst taten. Beruhigend zu sehen, dass wenigstens die Zufahrtsstrassen wieder kontrolliert werden und so weiteres Gesindel zurückgehalten wird.

Gestern Abend war die Präsenz der Polizei in der belebten Fussgängerpromenade besonders auffällig. Mit Ausnahme des Squash Turniers kann ich mich nicht erinnern, die Ordnungshüter während der vergangenen Monate so zahlreich gesehen zu haben.

Die Hoffnung steigt. Hoffnung, dass wieder Ruhe und Sicherheit zurückkehren. Hoffnung, dass die Angst vor Verbrechen unnötig wird. Hoffnung, dass die Menschen sich nicht mehr selber bewaffnen und verteidigen müssen. Hoffnung, dass Ägypten seinen Weg findet.


Dienstag, Mai 24, 2011

مصر النهاردة - Ägypten heute

Kürzlich bestand mein Arabischunterricht aus dem Lesen und Verstehen des nachfolgenden Textes. Er widerspiegelt wohl das Befinden vieler Ägypter, weshalb ich den Text aufschalte:

„Ägypten ist ein seltsames Land geworden.
Jeden Tag gibt es Sit-ins, Streiks und Demonstrationen.
Und überall lauern Wegelagerer. Es gibt keine Sicherheit mehr. Die Polizei unternimmt nichts.

Und jetzt gibt es auch noch religiöse Zusammenstösse.
Die meisten Ägypter tragen jetzt eine Waffe mit sich und sie sind bereit, diese zu jeder Zeit und aus jedwelchem Grund einzusetzen.
All dies hat natürlich Einfluss auf die Wirtschaft, auf den Tourismus und auf die Produktion.
Lange haben wir von einer Revolution geträumt, doch aus der Revolution ist Chaos geworden. Mir kommt vor, ich sei in einem Alptraum und weiss nicht, wie ich daraus erwachen soll.“


Montag, Mai 23, 2011

Orientalischer Traum: Sahl Hasheesh

Es gibt da einen traumhaften Ort, nicht weit von Hurghada entfernt. Bisher bin ich jeweils mit dem Rennrad hingefahren.

Allein schon der Name hört sich verführerisch an: Sahl Hasheesh. Der Ort liegt an einer lang gezogenen, sandigen Bucht mit kristallklarem Wasser. Im Rücken erheben sich Hügel und dahinter erstreckt sich eine Hochebene bis zu den Bergen der Östlichen Wüste.

Sahl Hasheesh ist ein mehrere Quadratkilometer umfassendes Stück Land, auf dem jetzt schon traumhafte Hotel-Bauten und Appartementhäuser stehen. Ein Luxus-Resort, von dessen Plänen erst ein kleiner Teil vollendet ist.

Seit ein paar Monaten ist die zweite von drei Zufahrtsstrassen geteert. Das ermöglicht mir, von der Landstrasse zwischen Hurghada und Safaga nach Sahl Hasheesh hinein zu fahren und über die Küstenstrasse wieder zu verlassen.

Doch was ist es, das mich dorthin zieht? Es sind natürlich die Hügel, die mit dem Rennrad einfach viel mehr Spass machen. Es sind diese wunderschönen, im orientalischen Stil gehaltenen Bauten. Der grösste Anziehungspunkt ist für mich jedoch die „Alhambra“. Ich nenne sie so, weil sie mich an die echte Alhambra in Granada in Spaniens Sierra Nevada erinnert. Es ist ein orientalischer Bau mit luftigen, schattigen Arkaden und wunderschönen Wasserspielen. Der Bau liegt im Herzen Sahl Hasheeshs und die Palmen gesäumte Strasse führt vom Hügel hinab Richtung Bucht, direkt hierher. Das Spiel zwischen Sonne und Schatten, das Weiss und Blau der Kacheln in den Wasserbecken, das Plätschern der Wasserfontänen, die weite Bucht mit dem in der Morgensonne glitzernden Meer…. all dies hat eine beruhigende, friedliche Wirkung auf mich. Es ist ein Ort zum Auftanken, zum Abschalten, zum Träumen.

Ein leiser Schock durchfuhr mich letztes Mal, als mir bewusst wurde: Sahl Hasheesh ist leer, die Strände sind leer, die Hotels sind leer – ich sah nur ganz wenige Touristen. Allein an der zu Ende gehenden Hochsaison liegt das leider nicht.

Hier einige Bilder:






Freitag, Mai 20, 2011

Squash: Weltklasse in Hurghada

Weltklasse-Squash in Hurghada! Jedes Jahr wollte ich das Turnier besuchen, hatte aber entweder keinen Platz mehr auf der Tribüne bekommen oder hatte den Anlass verpasst.

Dieses Jahr war es aber anders: ich wusste früh genug davon und Platz hatte es in Hülle und Fülle. Während den Vorrunden und noch während der Halbfinals war die Tribüne nicht mal zur Hälfte besetzt.

Was es ebenfalls in Hülle und Fülle gab, war Polizei und Armee. Vor den Spielen machte ein Gerücht die Runde, wonach Überbleibsel der NDP den Anlass stören und Angst und Schrecken verbreiten wollten - mitten in die Livekameras der europäischen Sportsender. Das Sicherheitsaufgebot war riesig, das Gelände war mehrfach abgeriegelt, Militär mit einem Wasserwerfer und Panzern stand da, ebenso zahlreich und unübersehbar war die weiss uniformierte Polizei. Allerdings hatte ich mehr den Eindruck, sie langweilten sich… Komisch anzusehen war eine Truppe von Polizeirekruten, die zwanzig Mann hoch im Gänsemarsch quer durch die Promenade defilierte. Die hinteren Mannen konnten den vorgegebenen Rhythmus nicht einhalten – es war zu witzig, denen zuzusehen.

Doch zurück zum Anlass selbst. Ausländer waren praktisch keine zu sehen, weder auf der Tribüne, noch an den liebevoll hergerichteten Ständen mit ägyptischem Kunsthandwerk, noch an der Fotoausstellung über Ägypten und Kairo wie es einst war.

Ich sah mir Viertel-, Halbfinal und das Final der Männer an. Absolute Weltklasse! Was die Weltnummern zwei und drei, Ramy Ashour und Karim Darwish, beides Ägypter, beim Final boten, war atemberaubend! Spitzensquash mit unendlich langen, spannenden und blitzschnellen Ballwechseln, die oft in „Let“ endeten statt mit einem Punkt. Zwischen den Spielen wurde ägyptische Musik gespielt, getanzt und geklatscht. Über der ganzen Szenerie wehte ein leichter, warmer Wind und ein knallgelber Vollmond klebte am Nachthimmel.

Momente, Augenblicke und Stunden, wie ich sie liebe und den Alltag weit in die Ferne rücken.

Finale: Ramy Ashour vs. Karim Darwish
fern des Alltags

Gewonnen hat das mit USD 77‘500 prämierte Turnier Ramy Ashour im fünften Satz. Mir wäre Karim Darwish lieber gewesen – sein Spiel war ruhig, konzentriert und beherrscht. Ramy hingegen schimpfte häufig und war mit den Entscheiden des Schiedsrichters nicht immer einverstanden…

Donnerstag, Mai 19, 2011

Eine Portion Abenteuer

Ich stehe am Strassenrand und warte. Ein Fahrzeug kommt in rasendem Tempo entgegen und blinkt mir auf… oranges Autoschild… ein Kleinbus. Ich strecke meinen Arm aus um dem Fahrer anzudeuten, dass er anhalten und mich mitnehmen soll.

Meistens besteige  ich einen Kleinbus, wenn ich innerhalb Hurghadas wohin muss. Die sind günstig und zahlreich zu finden. Sie sind auch unsicher und unbequem.

Es sind meist Toyota-Busse in unterschiedlichem Zustand. Einige fallen fast auseinander und man weiss nie so genau, ob sie noch rechtzeitig bremsen können oder ob sie es noch schaffen, den nächsten Gang einzulegen. Sitze und Innenverkleidung sind zerfleddert, manchmal fehlt eine Rückenlehne, oft sitzt man auf einem Sitz ohne Polsterung. Das ist unbequem. Aber unbequem ist es sowieso, weil diese Busse weder für Langbeiner noch für füllige Körpermassen konstruiert wurden. Also ist es egal, ob die Polsterung gut ist oder nicht.

Manch einer der Busse ist aber innen liebevoll dekoriert: exotische Landschaften als Innenverkleidung, gehäkelte Bordüren über den Fensterkanten, weiche, gewobene Wollteppiche über den Sitzen und seitlicher Sonnenschutz am Fahrer- und Beifahrerfenster. So ein Bus ist meist auch sehr sauber.

Ebenso unterschiedlich wie die Busse sind auch die Fahrer und ihr Fahrstil. Viele fahren schlichtweg idiotisch und ruppig. Oft wird angefahren, noch bevor die Schiebetüre geschlossen, der Fahrgast auf dem Sitz Platz genommen hat. Das gibt blaue Flecken und böse Blicke. Einmal flog ein Koffer vom Dach…. Ägyptische Popmusik oder Koran-Rezitationen in voller Lautstärke begleiten die Fahrten.

Hie und da sind auch Gentlemen am Lenkrad anzutreffen: sie fahren sanft an, lassen waghalsige Überholmanöver und Geschwindigkeitswettbewerbe in radarfreien Zonen sein, sie kündigen laut und deutlich jede bekannte Strasse, jeden bekannteren Stopp an: „Had nasil chery?“ – Will jemand bei der Chery-Strasse aussteigen? Sie warten, bis man ein- und ausgestiegen ist, sie grüssen freundlich und verabschieden einen gleichfalls.

Fahrkarten oder so etwas Ähnliches gibt es nicht, obwohl der Fahrpreis fixiert ist (ausser für unwissende Touristen: sie zahlen willkürlich festgesetzte Preise). Das Fahrgeld wird dem Vordermann mit der Bemerkung des Zielortes und der Anzahl Zahlender weitergereicht, bis dieses beim Fahrer landet. Oft übernimmt ein einzelner Fahrgast ganz selbstverständlich das Einsammeln all des Kleingeldes, gibt Rückgeld, zählt nach und reicht es dem Fahrer weiter.

Was mir besonders gefällt, ist der Gemeinschaftssinn und der allgegenwärtige Humor der Ägypter. Einmal erlebte ich, wie die Jungs in der hinteren Sitzreihe um Halt beim Bankenviertel baten. Die Musik im Bus war so laut, dass es der Fahrer nicht hören konnte. Die Jungs riefen lauter und alle Männer im Bus stimmten in die Rufe ein. Der Bus hielt unter grossem Gelächter der Fahrgäste an. Als ich kurz darauf mit lauter Stimme rief „Ala gamb, lausamaht“, lachten die verbliebenen Männer im Bus und meinten, dass ich das vorbildlich mache und ich ein gutes Beispiel für die Jungs von vorher wäre. Ich entstieg dem Bus mit einem breiten Grinsen.

Solche und andere Erlebnisse lassen die Fahrten kurzweilig werden – Unbequemlichkeit hin oder her, sie gehören dazu. Und manchmal habe ich ja auch Glück und erwische einen nigelnagelneuen, blitzblanken und bequemen Bus – das geniesse ich dann umso mehr. Auf alle Fälle habe ich mit den „fliegenden Särgen“ weniger Ärger als mit den Taxifahrern!

Donnerstag, Mai 12, 2011

Ein unanständiges Angebot, mal zwei

Noch besser passt der englische Titel eines bekannten Films zu diesem Erlebnis: "an undecent proposal".

Der Herr ist Mitte vierzig, gut gekleidet, etwas zu füllig, höflich. Wir fahren mit dem Taxi in sein Büro. Er zeigt mir Pläne von Überbauungen, die zwar schön sind, mich aber nicht interessieren.

Ich suche eine Wohnung zur Miete, evtl. zum Kauf und deshalb hat mich Amgad angerufen. Ich unterzeichne ein Auftragspapier. Amgad will mir damit beweisen, wie seriös er arbeitet. Anschliessend gesellt sich sein Bruder Ashraf zu uns, der für uns Chauffeur spielt. Ashraf arbeitet sein halbes Leben bei Egypt Air und ist äusserlich das Gegenstück zu Amgad: schmuddelig von oben bis unten.

Während Stunden und Tagen zeigt mir Amgad alle möglichen Objekte, die für mich alle nicht in Frage kommen. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er in London und in Hurghada lebt, aus Luxor stammt, dass er verheiratet ist, und ich weiss nicht mehr wie viele Kinder hat. Irgendwann entdecken wir, dass ich mit einem seiner Cousins in der Schweiz bekannt bin.

Das ist für mich ein beruhigender Hinweis, weil Ägypter Freunde ihrer Freunde oder Familie auch zu ihren Freunden zählen. Als naives Landei denke ich mir, dass ich ihm umso eher vertrauen darf. Wir besichtigen weitere Wohnungen in allen möglichen Bauphasen, aber nichts spricht mich wirklich an. Sein Bruder ist immer unser Chauffeur und auch er erzählt mir von einem Objekt in El Ahiya, wo er wohnt.

Ich willige zu, dieses mit ihm anzusehen, sofern er mich umgehend wieder zurück fährt. Sein Bruder Amgad verabschiedet sich von mir, weil er anderntags nach London fliegen wird. Doch bevor er geht, fragt er mich allen Ernstes, ob ich ihm bei seiner Rückkehr das freie Zimmer in meiner Wohnung vermiete! Mir bleibt die Antwort im Hals stecken ob dieser Unverschämtheit!

Gereizt steige ich zu Ashraf ins Auto und der trödelt herum: holt unterwegs noch Öl fürs Auto und lädt mich zuerst in sein Haus ein, wo er anfängt den Swimmingpool zu reinigen. Ich frage mich innerlich, was das soll, denn ich bin müde, verschwitzt, es ist vier Uhr Nachmittags und ich habe seit dem Frühstück nichts gegessen. Ashraf meint, ich könne doch im Pool schwimmen; ich übergehe das, weil der Pool dreckig und unappetitlich ist und ich ganz sicher nicht als Frau bei einem alleinstehenden Mann in den Pool mit oder ohne Kleider stehe. Auch nicht in der Badehose! Immer noch versuche ich höflich zu bleiben und dränge sanft darauf, dass er mir die genannte Wohnung zeigt, damit ich wieder gehen kann. Ashraf entgegnet, dass der Mann, der die Schlüssel habe, nicht da sei. Stattdessen zeigt er mir ein Objekt einer Deutschen, die für ihre perfekt durchgestylten Wohnungen bekannt ist. Doch das interessiert mich auch nicht. Ich verliere die Geduld und bitte Ashraf, mich wenigstens an die Hauptstrasse zu bringen, damit ich mit dem Bus nach Hause fahren kann. Das tut er und gibt mir als Begleitung einen seiner Söhne mit. Nicht bevor er mich aufgefordert hat, über sein Angebot nachzudenken: seine Partnerin zu werden. Er brauche eine Frau, die im Alter auf ihn sehe und er habe noch ein Stück Land von Egypt Air, da könnte er ein neues Haus bauen und seine Söhne seien nun alt genug und… und…

Mir wird schlecht. Zuviel Unverschämtheit. Zuviel Dreistigkeit auf einmal. Weil ich eine alleinstehende Europäerin bin, bin ich für die beiden Freiwild – nicht mal meine Freundschaft zu ihrem Cousin in der Schweiz wird respektiert.

Das Erlebte liegt gut ein halbes Jahr zurück und wenn ich daran denke, ekelt es mich beinahe noch. Amgad’s Büro verschwand bald darauf – nun kämpft dort ein Schuhverkäufer ums Überleben.

Mittwoch, Mai 11, 2011

Aggression - Tendenz steigend

Der etwa fünfunddreissig Jährige Fahrer ist etwas beleibt, trägt einen oliv-bräunlichen Kaftan, ist höflich und fährt angenehm. Ich habe mich auf den freien Beifahrersitz gesetzt. Da sitze ich am liebsten, denn da sehe ich, was auf der Strasse läuft und muss nicht damit rechnen, dass ein Mann zu nahe an mich heranrückt.

Die Idylle dauert nur fünfzehn Minuten.

Die hinter uns sitzenden Fahrgäste fangen an zu reklamieren. Sie verlangen Rückgeld. Sie behaupten, die Strecke koste nur eineinhalb Pfund. Der Fahrer erklärt, dass es von X nach Y so und so viel kostet und von X nach Z so und so viel. Die Fahrgäste bestreiten das. Der Fahrer rechtfertigt sich – schliesslich fährt er die Strecke tagtäglich mehrmals. Doch das genügt nicht.

Die Stimmen werden lauter. Plötzlich beugt sich einer der Männer von hinten über den Sitz zum Fahrer und fuchtelt mit dem rechten Arm herum, schreit. Ich berühre seinen Arm und bitte ihn, aufzuhören – in Englisch, damit er wach wird. Sinnlos. Ich sehe in eines dieser zahlreichen ungebildeten, schlecht bezahlten, zahnlosen, hitzköpfigen und hirnlosen Gesichter, die wegen jeder Kleinigkeit Streit anfangen. Und tatsächlich: es geht hier – es ist wirklich kaum zu glauben – um 50 Piaster! Ein halbes Pfund. Dafür kann man eine Handvoll subventionierte Brotfladen kaufen, mehr nicht, nicht mal eine kleine Wasserflasche ist dafür erhältlich.

Der Streit artet aus. Wir sind inzwischen in der belebten und stark befahrenen Sheraton Strasse angelangt – es ist Abenddämmerung, Touristen flanieren – und der Fahrer fährt den Bus rechts ran. Die Männer steigen aus – offenbar ist es eine Gruppe von vier oder fünf Männern, die zusammen gehören. Sie sehen ungeheuerlich aus. Ich fliehe aus dem Bus, eile einige Meter vom Bus weg und winke den nächsten Bus heran. Fort, so schnell wie möglich. Ich zittere innerlich, muss mich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.

Ich kann keinen Streit sehen und ertrage keine lauten Stimmen.

Doch die Gesichter der Männer erinnerten mich an andere Ereignisse, z.B. dieses: ein Freund wartete nach dem Freitagsgebet auf einen Bus – doch keiner kam. Hingegen hielt ein Taxi und obwohl bereits drei Typen drin sassen, wurde er aufgefordert dazu zu steigen. Er müsse nichts bezahlen. Die Typen sahen aber furchteinflössend aus und mein Bekannter war sicher, dass es sich um jenes Gesindel handelt, das zurzeit ganz Ägypten unsicher macht. Wäre er zugestiegen, wäre er vielleicht nicht mehr am Leben. Ich meinte eher, dass er vielleicht ohne Handy und Brieftasche im Strassengraben gelandet wäre.

Oder z.B. dieses: als während den Demonstrationen Im Januar und Februar plötzlich Schläger und Verbrecher auftauchten, sagten Freunde: ich weiss nicht, was das für Menschen sind, sie sehen nicht aus wie Ägypter.

In Hurghada tummeln sich Leute, die Streit suchen, Schlägereien anzetteln, Kleinverbrechen begehen. Ziel: Zwist und Angst säen, das Land entzweien. Ich werde immer wieder von Freunden aufgefordert mich zu beherrschen, mich nicht provozieren zu lassen, nicht zu spät in der Nacht ausser Haus zu sein.

Heute las ich, dass der Oberste Armeerat Informationen hat, dass Überbleibsel des Regimes (der NDP) hinter den religiösen Angriffen und den überall auftretenden Verbrechern stehen. Ob es sich auch um solche bei dem von mir heute erlebten Zwischenfall handelt, weiss ich  nicht. Sie sahen jedenfalls nicht wie jene Ägypter aus, die mir seit zwei Jahren Tag für Tag begegnen.

Ägypten wohin steuerst du?

Sonntag, Mai 08, 2011

Religiöse Zusammenstösse - wann ist genug?

In Imbaba, einem ärmlichen, überbevölkerten Stadtteil Kairos, ist gestern Krieg ausgebrochen. 12 Tote und über 200 Verletzte wurden bis jetzt gezählt. Zwei Kirchen brannten.

Einmal mehr ist Zwietracht zwischen Muslimen und Kopten die Ursache. Das Muster ist inzwischen bekannt: aufgrund von Gerüchten (eine zum Islam konvertierte Koptin soll wider ihren Willen in einer Kirche zurück gehalten werden) stürmen Muslime (angeblich wieder Salafisten) eine Kirche. Die Kopten wehren sich, die Muslime werden aggressiv, die Kopten werden aggressiv, Steine fliegen, Knüppel und Messer werden eingesetzt, Schüsse fallen, Molotowcocktails fliegen. Es brennt. Bis Polizei und Militär vor Ort sind, ist der Streit in einen Krieg ausgeartet.

Ein ähnliches Gerücht wurde erst gestern widerlegt: eine ebenfalls angeblich zum Islam konvertierte Koptin sei monatelang in einem Kloster gefangen gehalten worden und Muslime forderten ihre Freigabe. Gestern erklärte die betroffene Frau im Fernsehen, sie sei nach wie vor Christin und frei.

Vielen Ägyptern ist allmählich klar, dass es hier nicht nur um Religion geht, sondern darum, das Land in völlige Instabilität, Chaos und schlussendlich in die Segregation zu treiben. Es ist auch längst kein Geheimnis mehr, dass die Muslimbrüder (in obigem Fall für einmal nicht involviert) von Katar und die Salafisten von Saudi Arabien finanziert sind. Weder das Königreich Saudi Arabien noch die Golfstaaten haben Interesse an einem demokratischen Ägypten.

Nur leider hat das die grosse Masse der Ungebildeten nicht kapiert. Wenn ein „Bärtiger“ etwas sagt, wird ihm gehorcht, auch wenn es darum geht, eigene Landsleute zu massakrieren. Anstatt in diesen wirtschaftlich und politisch heiklen Zeit zusammen zu halten, lassen sie sich von religiösen Gerüchten ins Verderben führen. „Klugerweise“ werden auch immer Verbrecher angeheuert, die mit roher Gewalt und Waffen die Zusammenstösse anheizen. Beides – Verbrecher und Waffen – sind seit Februar leicht zu erhalten.

Regierung und Militär haben angekündigt, harte Massnahmen gegen weitere religiös begründete Ausschreitungen anzuwenden. Es wurden über 190 Leute verhaftet – alle sollen vor das Militärgericht gestellt werden. Ein klares Signal: Abschreckung. Über den Stadtteil wurde eine Ausgangssperre bis morgen Mittag verhängt, Internet und Mobiltelefone teilweise gekappt.

Die Nachricht ist erschreckend und überdeckt viele kleinere Verbrechen, Raubüberfälle und Übergriffe, die zurzeit in diesem Land an der Tagesordnung sind. Die Polizei ist noch immer zu wenig präsent. Verschwörungsanhänger haben nun überhand und eine weitere Bestätigung ihrer Theorie: die Revolution wurde vom Ausland gesteuert, mit dem Ziel, Ägypten zu destabilisieren und einen islamischen Staat einzurichten.

Bleibt zu hoffen, dass der Oberste Armeerat und die Regierung endlich aufgewacht sind, weitere Destabilisierungsversuche im Keim ersticken und wieder Sicherheit ins Land bringen. Gelingt das nicht bald, werden Touristen und Investoren dem Land für Jahre den Rücken kehren. Die Folge für Ägyptens Wirtschaft wäre katastrophal.


Donnerstag, Mai 05, 2011

Mittwoch, Mai 04, 2011

Aktive Französinnen

In Kairo und in Alexandria sind die Ausländer gut organisiert. Es gibt Vereinigungen, welche die jeweiligen Nationalitäten gegenüber ihren Konsulaten vertreten, Informationen austauschen und Ausflüge und Events organisieren, Filmabende und Sprachunterricht anbieten. Es gibt einen Schweizer Club, es gibt dasselbe für Deutsche, Franzosen, Italiener und andere Nationalitäten.

In Hurghada gibt es: nichts.

Das wird nun anders: zwei Französinnen haben die Initiative ergriffen und sind dabei, eine Vereinigung namens „Hurghada Accueil“ für Angehörige frankophoner Länder einzurichten. Dank meinem Kontakt zu den Frauen von „La Gazette“ durfte ich beim ersten Treffen dabei sein. Vertreten war da schon nicht nur Frankreich, sondern Belgien, die Schweiz und Liechtenstein. Liechtenstein ist zwar kein frankophones Land, aber dank meiner Arbeit für „La Gazette“ bin ich dazu eingeladen worden.

Vorerst treffen wir uns einmal pro Monat sonntags. Ideen und Vorschläge sind willkommen, auch eine Homepage wird eingerichtet. Ich hatte grossen Spass mit den Frauen: die meisten leben schon länger hier, sind mit einem Ägypter verheiratet, stehen mit beiden Beinen auf dem Boden und leben ein ganz normales Leben – nicht so, wie man immer in den weit verbreiteten Horrormärchen lesen darf. Dass ich mein Französisch dabei aufmöbeln kann, ist ein sehr willkommener Nebeneffekt und ich freue mich auf das, was folgt.

NATO und Libyen

Stellen wir uns mal folgendes vor:

Eines unserer Nachbarländer, sagen wir die Schweiz, ist in einen Bürgerkrieg geraten, weil – rein imaginär – die Westschweizer die Nase voll vom ewigen Nein der Deutschschweizer in Volksabstimmungen haben. Über den „Röstigraben“ hinweg bekriegen sich Deutsch- und Westschweizer. Die Tessiner halten sich raus und nehmen Flüchtlinge auf, schicken Medikamente und Lebensmittel in die bekriegten Landesteile.

Der Bürgerkrieg eskaliert hässlich und schweres Geschütz wird aufgefahren. Das Ausland diskutiert über eine „No-Fly-Zone“ über der Schweiz. Sie wird eingerichtet. Doch gleichzeitig kommt die Arabische Liga und fängt an, auf einen der beiden kriegerischen Landesteile Bomben abzuwerfen, Geheimdienste zu infiltrieren, die Kriegsparteien mit Waffen und Logistik zu unterstützen, usw. usw.

Wir in den Nachbarländern sitzen vor den Fernsehern und sehen mit Entsetzen zu, was die Fremden da anrichten. Verwandte und Freunde rufen uns angsterfüllt und verzweifelt an, wir zittern um sie. Wir erfahren, wie Mütter auf dem Weg zum Einkauf in einem Kugelhagel umkommen, wie Kindergärten und Schulen explodieren. Dann verlieren wir unsere Arbeitsstellen, wir bekommen Angst. Angst um unsere Sicherheit, unsere Zukunft. Und Wut. Was geht es die Arabische Liga an, wenn unsere Nachbarn streiten und einen Bürgerkrieg anzetteln? Wir haben sie nicht gerufen!

Ein Phantasieszenario, ja, natürlich. Aber es erlaubt besser nachzuvollziehen, wie ein Araber jetzt denken und fühlen muss. Mit welchem Recht bombardiert die NATO Libyen? Es war nach einer Flugverbotszone gerufen worden und diese wurde eingerichtet. Einen Eingriff in den Bürgerkrieg hat niemand gefordert.

Doch genau das geschieht nun. Millionen von Gastarbeitern von armen Ländern haben durch den Krieg in Libyen ihre Arbeit und damit ihr Einkommen verloren. Mit diesem Einkommen haben sie weitere Millionen von Menschen – ihre Familien - in ihrer Heimat am Leben erhalten. Das war, bevor die NATO eingriff. Inzwischen kommen aber unbeteiligte Zivilisten um. Und das Schlimme an allem ist: es ist – einmal mehr – der Westen, der sich in eine arabische Angelegenheit einmischt. Der Westen, der sich seiner Demokratie rühmt.

Mit welchem Recht mischt sich die NATO in Libyen ein? Mit welchem Recht schicken Frankreich, Grossbritannien und die USA Kampfflugzeuge und greifen Gaddafi-Getreue an?

Hat der Westen aus Irak nichts gelernt?

Ich kenne die Antworten nicht. Ich erlebe einfach, wie Araber wieder Gründe haben, den Westen zu hassen. Allein die Geschehnisse in den einzelnen arabischen Ländern sind schwer für die hiesige Bevölkerung zu tragen. Ägyptens Wirtschaft ist am Boden. Religiöse Fanatiker kämpfen gegen Säkularisten. Der Oberste Armeerat handelt zu langsam, ist nicht willens oder fähig, klare Ziele zu formulieren und umzusetzen. Es gibt keine klare politische Linie. Das Land droht auseinander zu brechen. Das ist Ägypten heute. Da sind aber auch noch Tunesien, Marokko, Syrien, Bahrein, die mit ähnlichem zu kämpfen haben. Und dann kommt der „arrogante“ Westen und wirft Bomben auf ein Nachbarland, ein Bruderland, egal wie gut oder schlecht dessen Regierung war.

Wir Bürger in den Nachbarländern der Schweiz würden uns auch mit den Schweizern solidarisieren und Wut und womöglich Hass auf die „arroganten Araber“ entwickeln. Verständlich, oder?

„Um besser zu sehen, muss man manchmal aufstehen oder seine Position verändern“, hat mal ein Coach zu mir gesagt. Ich sehe den Westen aus einer anderen Optik seit ich hier in Ägypten lebe. Und was ich sehe, beschämt mich manchmal.
 

Sonntag, Mai 01, 2011

Professionelle Arbeit

„Wir arbeiten sehr professionell. Unsere Mieter sind alles Europäer.“ So prustete sich mein derzeitiger Vermieter, als er mir seine in ganz Magawish verstreuten Wohnungen zeigte.

Mustafa ist nett und freundlich. Er sieht aus wie ein übergrosses, aufgeblasenes Baby: pausbäckig und mit einem so grossen Bauch, dass er hinter dem Lenkrad seines Jeeps kaum Platz hat. Für jeden hat er ein freundliches Wort, doch das täuscht: er ist durch und durch Geschäftsmann.

Kürzlich kam er vorbei, um meine Fahrradpumpe auszuleihen: er war zu faul, Kinderspielzeuge für sein vier Monate altes Baby selber aufzublasen – dabei hätte ihm etwas Anstrengung gut getan.

Professionelle Arbeit sieht in Ägypten zum Beispiel so aus: eine Türglocke ist zwar vorhanden, aber sie funktioniert nicht. An zahlreichen Stellen an Wänden, in Ecken und bei den Fensterabschlüssen sind Faustgrosse, hässliche Flecken, die schon längst verputzt gehörten. Die Stuckaturen in den Ecken sind abgebrochen oder nie sauber abgeschlossen worden. Eine Moskitoschutz-Türe springt immer aus der Schiene. Die Fussplatten sind an den Balkontüren nicht sauber verkittet – Sand sammelt sich darin. Die Marmorabdeckung in der Küche hat einen Zentimeter grossen Spalt. Einige Lampen flackern immer, was besonders nachts stört. Andere Glühbirnen funktionieren überhaupt nicht. Neben der Toilette ist eine hübsche Brause befestigt – sie rinnt aber, also verwende ich sie nicht. Das Silikon der Duschtüre fällt heraus.

Das Bügelbrett ist von so billigem Material (eine hauchdünne Spanplatte), sodass es mir heute beim Bügeln abgebrochen ist! Selbstverständlich muss ich das selber ersetzen, denn die Wohnung ist ja komplett eingerichtet. Von Qualität spricht man nicht.

Das Scharnier einer Klappe über dem Kühlschrank ist ausgerissen. Es wurde so schlecht repariert, dass es beim dritten Öffnen wieder ausriss. Der Schreiner liess auf sich warten, inzwischen steht die Klappe am Fussboden und der Schreiner lässt weiter auf sich warten.

Soll ich noch weiter aufzählen? Lieber nicht! Trotzdem habe ich Glück mit meinem Vermieter, denn es gibt noch viel schlimmere Typen und ich habe auch schon noch schlimmere Erfahrungen gemacht. Es gilt auch hier: abwägen, Prioritäten setzen, das wirklich Wichtige herauspicken.

Also ärgere ich mich zwischendurch und übe mich dann wieder in Gelassenheit. Ohne die ist ein Überleben hier unmöglich!