Sonntag, Oktober 30, 2011

Ungeliebte Jahreszeit

Herbst. Meine ungeliebte Jahreszeit. Plötzlich verzieren Wölkchen den seit Monaten makellos blauen Himmel. Die Schatten wachsen in die Länge und in die Breite, sie dehnen sich fast unverschämt aus, kennen kaum Grenzen.

Palmwedel rascheln aufgeregt im unsteten Wind. Der ist unangenehm geworden, lässt einen frieren, obwohl es noch immer warm ist. Bäume und Pflanzen erstaunen mit frischen Knospen und Blättern. Die gnadenlose Hitze ist gewichen und gibt Raum für Neues.

Das Meer ist unruhig, die Wellen tanzen heftiger als sonst und tragen stolz weisse Schaumkrönchen. Es gibt wieder einen Horizont: die goldgelben Inseln im Meer, die Bergkette im Landesinnern.

Ich streife eine Jacke über, erstmals seit über einem halben Jahr. Mich friert.

Dienstag, Oktober 25, 2011

Ägyptische Spezialitäten (I)

Oft sehe oder höre ich etwas, was bei mir ein Lächeln oder Staunen hervorruft. Ich will diese Erfahrungen mit Euch teilen und schreibe unter diesem Label künftig über Dinge, Situationen oder Sachverhalte, die überraschend, lustig oder einfach anders sind, als in unserer geordneten und geregelten westlichen Welt.


Wozu denn eine Windschutzscheibe, wenn es auch ohne geht?


Dienstag, Oktober 18, 2011

Stern in der Wüste

Heute Vormittag machte ich mal wieder eine längere Radtour. Längere Ausfahrt heisst für mich auch, viele Eindrücke und Überraschungen aufnehmen.

Da winkten mir Arbeiter, die an den Stützen der Starkstromleitungen arbeiteten – weit entfernt von Hurghada, mitten in der Wüste. Die Fahrer der Vierzig-Tönner Lastwagen hielten schön Abstand, hupten und winkten.

Noch etwas zog meine Aufmerksamkeit auf sich: fünf Meter vom Strassenrand entfernt stand da etwas Kleines, Ungewöhnliches  in der Wüste. Weisse Bänder flatterten im Wind… ich fuhr weiter, bremste aber nach wenigen Metern ab und kehrte um. Ich legte mein Rad auf den Boden und erreichte in wenigen Schritten das…


… Erinnerungsdenkmal. Jakob, 22 Jahre alt, war hier am 12.8.2010 bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Die im Wind flatternden Bänder trugen Abschiedsworte in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch auf sich. Ich war tief berührt.


Sonntag, Oktober 16, 2011

Meine heile Welt

Als ich ein Kind war, wollte ich nicht erwachsen werden. Mir gefiel einfach nicht, was die Erwachsenen machten. Sie redeten von Liebe und Freundschaft und dass wir Kinder nicht streiten sollten. Gleichzeitig sah ich aber, dass die Erwachsenen stritten, lügten und betrogen. Ich sah Krieg und Gewalt.

Ich lebte weiter in einer heilen Welt, in der die Menschen ehrlich waren und ihre Versprechen hielten. Irgendwann wurde ich trotz meines inneren Widerstandes erwachsen. Also stülpte ich eine dicke, durchsichtige Glasglocke über mich und gab vor, in einer heilen Welt zu leben.  Aber ach, mir fehlten die Macht und die Kraft, meine Welt zu verteidigen und immer wieder kam es vor, dass etwas von aussen durch die Glasglocke hereinbrach und meiner heilen Welt einen Sprung, einen Riss, eine Delle zufügte.

Ich las Bücher über Geschichte und Schicksale und Tragödien und konnte nicht fassen, dass all das möglich war. Ich sah Nachrichten, die das Unfassbare in Bildern zeigten. Dabei wollte ich viel lieber träumen von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Beschützt durch die Glasglocke zog ich hinaus in die Welt der Erwachsenen. Dorthin, wo es Streit, Lügen, Armut, Machtkämpfe und Kriege gab. Ich zog weiter, obwohl das, was ich sah, meine heile Welt anfing zu zerstören. Meine heile Welt wurde immer kleiner.

Irgendwann während der vergangenen Monate ist meine dicke, durchsichtige Glasglocke zersprungen. Meine heile Welt der Toleranz, des Respekts und der Akzeptanz ist auseinander gefallen. Nur ein winziges Körnchen ist mir übrig geblieben – ich bewahre es dort auf, wo es mir niemand wegnehmen kann.




Dienstag, Oktober 11, 2011

Ägyptens schwarze Nacht

Zwei Tage nach den furchtbaren Ereignissen in Kairo habe ich versucht, mir ein Bild davon zu machen. Es fällt mir schwer, Worte dafür zu finden und trotzdem möchte ich meine Leser informieren. Was Sonntagnacht geschah ist gleichzustellen mit den Angriffen auf Kopten in der Neujahrsnacht in Alexandria (siehe Ziel: Ägyptische Gotteshäuser) und den Massakern zu Beginn des Aufstands im Februar (siehe Blankes Entsetzen).

Es scheint, dass die westlichen Medien die Ereignisse als religiösen Konflikt zwischen Christen und Muslimen darstellen. Das ist oberflächlich. Das ägyptische Staatsfernsehen berichtete, dass Kopten das Militär angegriffen hätten und rief zum Bürgerkrieg auf!!!! TV Angestellte haben sich inzwischen von ihrem Arbeitgeber und ihren Aussagen distanziert. Zu spät, der Schaden ist angerichtet.

Ich habe zahlreiche Videos, Blogs und Berichte von Augenzeugen gelesen. Alle erzählen dasselbe: es gab Angriffe auf die Protestierenden von Männern in Zivil und das Militär hat mit aller Brutalität dreingeschlagen. Armeefahrzeuge sind in die Menschenmengen hineingefahren und haben sie zermalmt. Ein Video zeigt, wie ein einzelner Mann von mehreren Dutzend Soldaten zusammen geschlagen wird. Die Soldaten schleppen den leblosen Körper über die Strasse, bis ein weiterer zivil gekleideter Mann kommt, ihn aufnimmt und wegtragen will. Dabei schlagen die Soldaten mit Stöcken auch auf ihn ein. Auf einem anderen Video ist zu sehen, wie die Demonstranten sich sammeln und friedlich los ziehen. Nach wenigen Metern werden sie von einem Kordon bewaffneter Zivilisten empfangen und attackiert. Augenzeugen berichten, wie Gruppen von Soldaten angeführt werden und rufen „Wo seid Ihr Christen, hier ist Islam!“ Einige Tote sollen von Soldaten einfach in den Nil geworfen worden sein.

Der Oberste Armeerat hat eine Untersuchung angeordnet. Schön. Ein paar Schuldige werden sicher gefunden – meist Staatsdiener niederen Ranges, ein paar Kriminelle vielleicht auch noch – und der Rest vertuscht, verheimlicht.

Und wer steht dahinter? Die Geschichte wird es zeigen, doch bis dahin wird Ägypten noch vieles durchmachen müssen. Es ist für mich unglaublich, wie unfähig und hilflos dieses Land momentan reagiert wird und immer wieder frage ich mich (und nicht nur!), ob dies nicht doch alles willentlich geschieht.

Der von den Medien so hübsch „Arabischer Frühling“ genannte Aufstand hat sich zu einem finsteren Herbst gewandelt.

PS: Ich füge hier weder Videos noch Links ein, sie sind zahlreich in den online Medien zu finden. Wer mehr wissen will, kann mich kontaktieren.


Montag, Oktober 10, 2011

Wieder Kopten

Den ganzen Tag hatte ich keine Gelegenheit, Nachrichten zu lesen. Erst kurz vor Mitternacht sagte mir ein Freund, ob ich überhaupt wisse, was im Land vor sich gehe. Nein… ?

Al Masry Al-Youm hat einen Live-Ticker eingerichtet: gemäss Augenzeugen sind es wieder Verbrecher, die die Protestierenden (diesmal Kopten, die gegen die allgegenwärtige Unterdrückung und Benachteiligung sowie für den Wiederaufbau der kürzlich in Assuan zerstörten Kirche demonstrierten). Nach Mitternacht begannen sie auch damit, ein koptisches Krankenhaus in Kairo anzugreifen und Geschäfte von Kopten zu plündern und zu zerstören. Gemäss Augenzeugen wurde das Militär angegriffen, während sie versuchten, die Demonstranten zu beschützen. Das aus Kairo. Aber Ähnliches geschieht in Alexandria und weiteren Gouvernements.

Immerhin ist den Politikern klar: da ist jemand dahinter, der Chaos verbreiten will. Es erinnert nicht nur mich an die „Kamelschlacht“ vom Februar: Es ist ein Massaker. Ägypten soll auseinander brechen.

Und wieder, immer wieder und nochmals: wie ist das möglich? Warum ist weder die Polizei noch das Militär fähig, so eine Schlachterei zu verhindern? Oder sind sie nicht willens? Wer ist hinter den Angriffen? Die Kopten selbst? Die Überbleibsel des alten Regimes? Die Muslimbrüder? Die Islamisten? Weshalb erfährt der Geheimdienst von den geplanten Anschlägen nichts?

24 Tote und über 200 Verletzte (01.35h); ab 02.00h gilt eine Ausgangssperre. Bald sind Wahlen… auf was muss man sich da noch alles gefasst machen?

Donnerstag, Oktober 06, 2011

Warten

Warum hat es ausgerechnet heute so viel Verkehr? Um 10 Uhr morgens? Die Taxis und die Minibusse, die Lastwagen und die Privatwagen, alle durcheinander, elend langsam. Innerlich schreie ich den Taxifahrer an: schneller, schneller!

Ich hetze aus dem Taxi, überquere die verstopfte Strasse und merke erst jetzt, dass etwas nicht stimmt: Da stehen Busse quer in der Strasse. Wieso denn das?

Zwei Minibusse haben die Strasse blockiert, ein ohrenbetäubendes Hupkonzert und schreiende Männer überall. Ich suche in dem Chaos meinen Taxifahrer und drück ihm einen Geldschein in die Hand – es lohnt sich nicht zu warten, das wird länger dauern.

Eine Gruppe Männer steht im Schatten des ägyptischen Kaufhauses und diskutiert hitzköpfig und laut. Allmählich realisiere ich, was da los ist: die Minibusfahrer tun ihren Unmut kund. Ausgerechnet jetzt, wo ich… Sie beschweren sich über den miesen Lohn und ihren elenden Lebensstandard und anderes. Ein junger Mann versucht, den Verkehr an den querstehenden Minibussen vorbei zu schleusen, die Autofahrer sind verärgert. Die Minibusfahrer auch. Ein paar Polizisten hören sich die Klagen an. Die Menschentraube wächst zu einem grossen Knäuel an, verschiebt sich der Strasse entlang mal nach rechts, mal nach links, immer im Schatten des altmodischen, verstaubten Kaufhauses.

Samstag, Oktober 01, 2011

Mobiltelefonnummern ändern


Eigentlich wollte ich über dieses Thema nicht schreiben – zu uninteressant, fand ich. Aber in Ägypten wird alles so unendlich kompliziert gemacht, dass das einfachste Thema plötzlich erwähnenswert wird.

Hier gibt es 74 Millionen (gem. NTRA National TelecommunicationRegulatory Authority) Handy-Benützer. Die NTRA  hat nun beschlossen, den bestehenden Nummernplan zu ersetzen, weil die verfügbaren Nummern nicht mehr ausreichen.

Das ist einleuchtend. Das vorgestellte System kommt mir jedoch ziemlich kompliziert vor, die Kommunikation dazu verwirrend. Es gibt in Ägypten drei Anbieter für Mobilfunk: Vodafone, Etisalat und Mobinil. Sämtliche Vorwahl-Nummern erhalten eine zusätzliche Ziffer und ändern wie folgt:
 

Vodafone:
  • 010 wird zu 0100
  • 016 wird zu 0106
  • 019 wird zu 0109
  • 0151 wird zu 0101

Etisalat:
  • 011 wird zu 0111
  • 014 wird zu 0114
  • 0152 wird zu 0112
  • 0155 wird zu 0115

Mobinil:
  • 012 wird zu 0122
  • 017 wird zu 0127
  • 018 wird zu 0128
  • 0150 wird zu 0120

Die Nationale Regulierungsbehörde NTRA hat am 27.9.2011 eine Pressemitteilung veröffentlicht, wonach die Nummern ab 29.9.2011 (!) ändern würden. Eine Übergangsfrist von vier Monaten mit parallel gültigen Nummern ist vorgesehen. Zwei Tage später konnte man in der Presse lesen, dass der Beginn der Änderung auf 6.10.2011 verschoben wird. Die Kommunikationsbehörde hat ein Kommunikationsproblem…

Komischerweise finden es die Anbieter Vodafone, Etisalat und Mobinil nicht nötig, ihre Kunden per sms zu orientieren. Während Vodafone und Etisalat auf ihren Homepages auf die Änderung aufmerksam machen, hat das Mobinil bis heute nicht geschafft. Kommunikationsanbieter mit einem kleinen Kommunikationsproblem….

Liebe Leser, wenn Ihr Freunde und Bekannte in Ägypten habt, dann fangt nächste Woche an, die Nummern anzupassen, sonst erreicht Ihr Eure Lieben irgendwann nicht mehr!