Mittwoch, November 30, 2011

Muslimbrüder vorne?

Es scheint, dass nach der ersten von drei Etappen der Parlamentswahlen die Muslimbrüder die meisten Stimmen erhielten. Sicher ist, dass sie kräftig manipuliert haben – aber wohl nicht nur sie alleine. Die Ergebnisse werden offiziell morgen bekannt gegeben.


Es scheint…, denn es ist erst ein Drittel der Wahlen vorüber und in den kommenden zwei Monaten und an den nächsten zwei Wahl-Etappen kann noch viel geschehen. Die einen jubeln jetzt – vielleicht zu früh? Die anderen strengen sich nun vielleicht etwas mehr an – und jubeln zuletzt?


Eine Freundin rief heute verzweifelt aus: was soll ich denn machen, wenn ich mich plötzlich verschleiern soll???? Sie bezeichnet sich als „eigentlich wäre ich Muslimin“ – ist aber eine ganz normale, säkular eingestellte, moderne Ägypterin.


Spannend, wie es weiter geht. Aber ich bin viel zuversichtlicher als noch vor ein paar Wochen!



Sonntag, November 27, 2011

Kurz vor den Wahlen (V)

Kurz vor den Wahlen ist kurz nach den Wahlen. Oder wie oder was?


Obwohl die Wahlen erst morgen beginnen, gibt es bereits abgestempelte Wahlzettel! Ägypten schafft es wieder nicht, freie und faire Wahlen zu organisieren.


Auf diesem Link vom Guardian ist eine aufschlussreiche Darstellung vom aktuellen Parteiendschungel zu sehen. Eindrücklich. Doch was nützt es, wenn die Wahlen wieder gefälscht werden? Schade um den Einsatz all jener, die Ägypten wirklich weiterbringen wollen.

Freitag, November 25, 2011

Jetzt ist Revolution

Seit ich zum ersten Mal nach Ägypten gekommen bin, habe ich mich und die Ägypter gefragt: warum steht Ihr nicht auf? Warum wehrt Ihr Euch nicht? Habt Ihr keine Opposition im Untergrund oder im Ausland, die einen Aufstand organisieren kann?

Die Antwort lautete immer ähnlich: nein – wir haben die Muslimbrüder – Mubarak überwacht alles – wir sind geduldig. Laut über Ex-Präsident Mubarak zu reden, war lebensgefährlich: meine Gesprächspartner liessen den Blick jeweils ängstlich nach rechts und links schweifen und flüsterten nur noch. 30 Jahre Diktatur, 60 Jahr Militärmacht, kombiniert mit Unterdrückung, Einschüchterung und Armut, haben jegliche politische Entwicklung im Keim erstickt.

Wie anders ist es jetzt. Es sieht so aus, als ob die im Januar begonnene Revolution nun endlich durchgezogen wird. Die Forderungen sind klarer geworden, die Aktivisten, Gruppierungen und politischen Parteien haben dazu gelernt und sind reifer geworden. Heute finden in Kairo drei verschiedene Demonstrationen statt: jene gegen den Obersten Armeerat, dann demonstrieren relativ unbeachtet die Muslimbrüder und schlussendlich eine Gruppe, die sich „Schweigende Mehrheit“ nennt und für den Obersten Armeerat einsteht (und auch für Mubarak und das alte Regime).

Wie gross diese „Schweigende Mehrheit“ ist, weiss ich nicht. Einer meiner Bekannten gehört dazu und ich habe unzählige Stunden mit ihm diskutiert, gestritten und Tränen über seine unsäglich verwickelten Argumentationen vergossen. Diese Menschen klammern sich an eine Vergangenheit, die nicht mehr existiert und deren Verfallsdatum schon längst abgelaufen ist. In dieser gab es „Sicherheit“ (die Polizei stand ja an jeder Strassenecke!), jeden Tag sprach ihr „Vater Mubarak“ im Staatsfernsehen zu ihnen und „Mama Suzanne“ sorgte mit karitativen Werken für ihre „Kinder“. Es war klar, wie die Wahlen ausgehen würden: seit 30 Jahren gleich. Armut, Korruption, Diktatur, Folter, Zensur, Unterdrückung, Willkür und weitere Verbrechen an der Menschheit wurden ignoriert. Genauso ignorieren diese Menschen nun die heutige Situation. Kann man es ihnen verargen? Sie sehen die Gewaltübergriffe von Polizei und Armee. Sie wissen, dass Tausende von Verbrechern von Angehörigen des Regimes frei gelassen wurden, um Chaos und Angst zu verbreiten und Demonstranten anzugreifen. Sie lesen die Berichte über die unglaubliche Korruption im Land. Trotzdem wünschen sie sich die alten Zeiten zurück! Stehen sie unter Schock? Ein Abwehrreflex aus Angst vor einer unbekannten, bedrohlichen Zukunft? Ich glaube, für einen in einem liberalen Umfeld aufgewachsenen Menschen ist das unbegreiflich. Ich kenne aber auch viele Ägypter, die das nicht begreifen können.

Gestern hat mich eine weitere Aussage eines Bekannten entsetzt: auf dem Tahrir Platz wären nur Muslimbrüder und Hirnlose, die keine Arbeit hätten und sonst nichts zu tun hätten. Das sind die Worte des Staatsfernsehens. Dabei haben ja genau die Muslimbrüder nun ein riesiges Problem, weil sie eben nicht auf den Tahrir Platz gingen! Mein Arabischlehrer hat uns gestern eine sensationelle (Politik-)Lektion erteilt. Am Schluss meinte er, die Muslimbrüder hätten mit diesem Entscheid viel Wohlwollen verspielt.

Ich möchte betonen, dass solche Ansichten und Äusserungen quer durch alle Bevölkerungsschichten schwirren. Es ist völlig egal, ob jemand gebildet ist oder nicht! Das empfinde ich umso erschreckender!

Niemand hat eine Ahnung wie es weitergeht. Angeblich sollen die Wahlen am Montag beginnen (auch hier in Hurghada). Die Demonstranten haben unter Führung von El Baradei ihre eigene „Rettungsregierung“ aufgestellt und den vom Obersten Armeerat ernannten Premierminister (ein Gefährte Mubaraks) abgelehnt. Der Oberste Armeerat wird kaum noch weitere Eingeständnisse machen. Eine Pattsituation – scheint es. Gewalt ist (hoffentlich) keine Option mehr. Doch wie lange lässt die Lösung oder der Kompromiss auf sich warten? Inzwischen geht das Land nämlich wirtschaftlich noch weiter bachab…


Mittwoch, November 23, 2011

Eskalation

Obwohl der Oberste Armeerat gestern Zugeständnisse gemacht hat, obwohl eine Untersuchung der Ereignisse stattfindet und der Gesundheitsminister klar von scharfer Munition gegen Demonstranten spricht – geht das Massaker weiter. Die Polizei wird nicht zurück gepfiffen, im Gegenteil…

Es scheint, als ob die Demonstranten zermürbt oder entzweit werden sollten. Falsch kalkuliert. Das wird nicht geschehen.

So schlimm es in vielen Städten Ägyptens zugehen mag, ich kann meinen Lesern versichern: Hurghada ist ruhig, wie es sich für einen Ferienort gehört. Angeblich gab es Sympathiekundgebungen in Dahar – aber friedlich.




Macht des Volkes

Grauenhafte Szenen spielen sich überall in Ägypten ab, die Polizeigewalt ist unglaublich. Trotzdem sind Plätze und Strassen zum Bersten voll.

Inzwischen hat der Oberste Armeerat einige Zugeständnisse gemacht. Das Vorgehen und die Bilder gleichen sich mit jenen von Januar und Februar: das Volk fordert, die Führung gibt häppchenweise nach, macht Versprechungen, lügt, geht aber nicht auf die zentrale Forderung ein. Gleichzeitig werden die Demonstranten weiterhin brutal mit Tränengas (und angeblich Nervengas) und Gummigeschossen durch die Strassen gehetzt und schwerstens verprügelt. Der einzige Unterschied gegenüber Januar/Februar scheint zu sein, dass die Gewalt seitens der Polizei diesmal viel grösser ist. Und: die Soldaten sind verschwunden! Feldmarschall Tantawi sagte, die Armee habe nie auf einen Zivilisten geschossen und komme seiner Hauptaufgabe nach, das ägyptische Volk zu schützen - lässt aber die Sicherheitspolizei weiter wüten.

Die Menschen sind zornig und wollen nur noch eines: Tantawi soll gehen. Sie werden nicht aufgeben, genauso wenig wie sie es im Februar taten. Die Macht des Volkes ist gross, auch Tantawi wird sich ihr noch beugen müssen.

Inzwischen haben politische Parteien und Gruppierungen sich auf ein Vorgehen nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Essam Sharaf geeinigt. Irgendwie muss es ja weiter gehen, muss das Land endlich zur Ruhe kommen.

Vorhin rief mich eine Freundin schluchzend an, jetzt würde auch in den Tahrirplatz Tränengas geschossen (nein, es kommt aus den Seitenstrassen, wo die Schlachten stattfinden und womöglich aus den U-Bahn-Zugängen). Sie wäre gerne auf dem Tahrirplatz – aber ihr Mann ist schon in Kairo, das Risiko wäre zu gross, denn sie haben Kinder.

Ich würde gerne schlafen gehen, kann aber nicht. Es muss noch etwas geschehen… Die Armee hat völlig versagt und ihre Anerkennung und Verehrung durch das Volk komplett verloren. Und diese Abschlachterei kann doch nicht noch weitere vier Tage weitergehen!


Dienstag, November 22, 2011

Unterstützung für die Revolution

Einer meiner „Studenten“ hat den Unterricht abgesagt. Er ist Chirurg und fährt noch heute Abend nach Kairo, um die Ärzte dort zu unterstützen.

Von einem anderen Freund, von dem ich zu lange nichts mehr gehört habe, erhielt ich heute endlich die Nachricht, dass er schon seit einer Woche in Alexandria ist. Er bereitete das vor, was jetzt im Fernsehen zu sehen ist. Er ist auf der Strasse und sucht im Internet nach Möglichkeiten, wie sie sich gegen die fürchterliche Wirkung des Tränengases schützen können. Die Nachricht erreicht mich zu einem Zeitpunkt, wo ich mir Gedanken gemacht habe, was ich tun würde… Ganz bestimmt wäre ich als Ägypterin schon vor Jahren im Untergrund aktiv geworden, um die schreiende Ungerechtigkeiten des Regimes aufzudecken und bekannt zu machen.

Ich bin stolz auf alle, die für ihre Zukunft kämpfen.


Rückeroberung der gestohlenen Revolution

Eigentlich bin ich sprachlos. Zuviel Gewalt, zu viele schreckliche Nachrichten. Nach wenigen Stunden Schlaf weckte mich der Wecker, nur um ein SMS einer Ägypterin zu lesen: sie komme nicht zum Unterricht, sie habe die ganze Nacht die Ereignisse im Fernsehen verfolgt… Tja, was soll ich sagen?

Im gleichen Mass wie die Polizei brutal dreinschlägt, strömten den ganzen Tag weitere Demonstranten in den Städten zusammen, bereit, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Die Aktivisten und politischen Parteien formulieren klar ihre Forderungen. Feldlazarette sind eingerichtet worden. Die Demonstrationen nehmen wieder organisierte Formen an, so, wie im Januar und Februar. Für mich ist es tatsächlich der zweite Aufstand. Zehn Monate sind verloren, Ägypten hat bitter dafür bezahlt. Ich verstehe den Begriff „gestohlene Revolution“ immer besser. Aber ich glaube, die Ägypter holen sie sich zurück.

Angeblich hat das Kabinett geschlossen seinen Rücktritt eingereicht – welcher vom Obersten Armeerat jedoch zurückgewiesen wurde. Ich bin überzeugt, dass innerhalb der nächsten 36-48 Stunden die Weichen neu gestellt werden. Sorry, wenn ich mir Erlaube, Prophezeiungen zu formulieren – aber ich kann es mir nicht mehr verkneifen.




Montag, November 21, 2011

Weg von Ägypten

Gestern hatte ich einen neuen „Studenten“ (so nenne ich meine erwachsenen Kunden, die bei mir eine Sprache erlernen wollen). Ich kannte ihn von früher, er war einerseits mein Nachbar und andererseits schon einmal wegen Deutsch bei mir. Doch nun will er Französisch lernen.

Ausgerechnet Französisch? Er murmelte etwas von neuen Möglichkeiten, von veränderter Situation. Doch rasch wurde mir klar: er will wohl auch weg von Ägypten. Als er dann bei mir war, sagte er klipp und klar: ich will nach Québec, Kanada.

Ägypten biete keine Zukunft mehr. Was solle er noch in diesem Land? In den letzten Monaten habe sich alles nur noch verschlimmert. Seine Frau lerne nun in Ismailia Französisch und er hier bei mir. Er habe Verwandte in Québec, es sei ein gutes Land, biete gute  Möglichkeiten.

Er ist nicht der Erste und sicher nicht der Letzte aus meinem Bekanntenkreis. Ein anderer hat eine Schweizerin geheiratet, lernt eifrig Deutsch. Sein Ziel: Deutschland oder die Schweiz.

Ein weiterer Freund ist Libanesischer Abstammung – wo Christen auch verfolgt werden – und plant ebenfalls, nach Kanada auszuwandern. Seine Worte werde ich wohl nicht wieder vergessen: ich geh besser, bevor sie mich noch umbringen.

Die Jungen, gut Ausgebildeten versuchen, das Land auf legale Weise zu verlassen. Und dann gibt es noch jene, die es auf illegale Weise versuchen. Doch: was machen all die anderen, die nicht weg können? Jene, die zu alt sind, keine Fremdsprachen sprechen, Verpflichtungen haben oder es sich schlicht nicht leisten können?

Ägypter lieben ihr Land. Typisch südländisch, ist die Bindung an ihr Land und an ihre Familien enger als es wir Westeuropäer vielleicht empfinden. Wie ausweglos müssen sie sich denn fühlen, um all das hinter sich zu lassen.


Sonntag, November 20, 2011

Kurz vor den Wahlen (IV)

Die Demo wird Folgen haben, schrieb ich gestern spät. Sie ist heute weiter gegangen und wird nicht so rasch wieder abebben. Die von Polizei und Militärpolizei eingesetzte massive Gewalt gegenüber den Protestierenden ist unglaublich. Gleichzeitig heisst es von offizieller Seite, dass die Polizei sich grösstmöglich zurück gehalten hätte! Über Tausend Verletzte und mindestens sechs Tote innert 48 Stunden, zahlreiche Bilder und Videos in Internet und Fernsehen sprechen Bände. Riesige Mengen von Tränengas wird eingesetzt, das den Betroffenen Blut aus Nase und Mund rinnen lässt; manche sind dem Ersticken nahe. Das nennt man Zurückhaltung???

Landesweit sind die Menschen auf der Strasse: Alexandria, Port Suez, Ismailia, Minya, Tanta, Asiut, Qena… und überall die gleichen Bilder: Demonstranten fordern den Abgang der Militärjunta und Polizisten wenden brutale Gewalt an.

Wie weiter? Die Demonstranten fordern, dass Feldmarschall Tantawi abtritt und eine zivile Übergangsregierung eingesetzt wird, um die Forderungen der Revolution umzusetzen. Das ist momentan gar nicht möglich. Die Ägypter werden sich aber nicht mehr mit irgendwelchen Versprechen abfertigen lassen – sie warten schon zu lange auf Tatsachen. Die Demonstranten mit noch mehr Gewalt vertreiben? Ich glaube nicht, dass sie sich vertreiben lassen: sie sind entschlossen, endlich reinen Tisch zu machen.

Und die Wahlen? Ich kann’s mir nicht vorstellen…

Erdbeben

Ein, nein, zwei wirkliche Erdbeben. Gestern früh zitterte das Gebäude, in dem ich wohne, eine kleine Ewigkeit. Genug lange, um mir zu überlegen, was ich tun soll. Hinauslaufen? Auf den Balkon stehen – zu dumm. Ich dachte auch an jene Menschen, die viel stärkere Erdbeben erlebt haben und dabei alles, Hab und Gut und Familienmitglieder, verloren haben. Doch dann hörte das seltsame Scheppern und Zittern von allen sonst so stabil erscheinenden Gegenständen wieder auf.

Ich vergass es, denn die Ereignisse der vergangenen Nacht beschäftigten mich sehr.

Doch heute Morgen – ich lag noch im Bett – spürte ich erneut dieses bekannte Vibrieren; diesmal war es aber weniger stark und weniger lang. Trotzdem hielt ich einen Moment den Atem an… lauschte… spürte… würde es stärker werden?... würde es lange dauern?.... Nein.

Dafür ist die brutale Gewalt von Polizei und Militär gegenüber den Demonstranten wieder voll zutage getreten.


Samstag, November 19, 2011

Kurz vor den Wahlen (III)

Gestern Freitag fand in Kairo die grösste Demonstration seit Monaten statt. Unterstützt wurde sie in weiteren Städten des ganzen Landes. Gefordert wurde eine rasche Machtübergabe des Militärs an eine gewählte zivile Regierung und Präsidentenwahlen vor April 2012.

Zuerst waren die Islamisten präsent (direkt nach dem Freitagsgebet), dann gesellten sich aber alle möglichen Aktivisten, Zivilisten und politische Gruppierungen hinzu. Gegen Abend war die Menschenmasse auf 50‘000 angeschwollen.

Die meisten verliessen den Tahrir Platz in der Nacht, einige wenige Aktivisten blieben aber und campierten über Nacht.

Heute Samstag wurden sie im Laufe des Tages gewaltsam von der Polizei und der Spezialeinheit vertreiben. Als die Polizei weg war, strömten die Demonstranten von allen Seiten, von allen Gruppierungen zurück. Jetzt ist kurz vor Mitternacht und noch immer strömen Menschen zum Tahrir Platz. Gleiches geschieht in allen wichtigen Städten Ägyptens. Präsidentschaftskandidaten stossen zu den Demonstranten hinzu und unterstützen sie – bzw. nützen die Gunst der Stunde.

Die Polizei greift wie gewohnt brutal ein; mehrere Journalisten wurden schwer verletzt und ihrer Ausrüstung beraubt, einer hat sein Auge verloren. Die Zahl der Verletzten steigt von Minute zu Minute und wird nun mit fast 600 beziffert.

Es geht mir nicht aus dem Kopf… Ist das der zweite grosse Aufstand? Die Ägypter haben die Schnauze mehr als voll. Seit Mubarak zu Fall gebracht worden ist, ist alles schief gelaufen. Die Ziele des Aufstandes vom 25. Januar sind boykottiert worden… Stehen die Ägypter jetzt noch ein zweites Mal auf, Islamisten und Säkulare, um sich vereint zu wehren? Werden die Wahlen überhaupt stattfinden? Die heutige Demo wird Folgen haben…




Samstag, November 12, 2011

Kurz vor den Wahlen (II)

Jetzt wird’s interessant: Ein Verwaltungsgericht im Gouvernement Dakhaliya hat einen Gerichtsentscheid gefällt, wonach ehemalige NDP Mitglieder von den kommenden Parlamentswahlen ausgeschlossen sind. Anscheinend kann dieser Entscheid NICHT angefochten werden und kann aufs gesamte Land angewendet werden.

Wenn dem so ist, wird’s wirklich spannend. Die ex-NDPler werden sich mit Händen und Füssen wehren und alle ihnen verfügbaren (Druck-)Mittel einsetzen, um doch noch ins Parlament zu kommen. Noch zwei Wochen bis zu den Wahlen…
Update 14.11.2011:Der Oberste Verwaltungsgerichtshof hat den Entscheid wieder ausgesetzt. Niemand weiss, was als nächstes geschieht...

Mittwoch, November 09, 2011

Kurz vor den Wahlen

Ende Monat finden die ersten „freien“ Parlamentswahlen statt. Ob sie denn wirklich so frei sein werden, bezweifle ich.

Zweieinhalb Wochen vor den Wahlen versinkt Ägypten immer tiefer im Chaos. Die schlechten Nachrichten hören nicht mehr auf und drum mag ich manchmal gar nichts mehr auf meinem Blog schreiben.

Die Muslimbrüder haben die Feiertage (Opferfest) dafür genutzt, die grosse Masse der armen und ungebildeten Bevölkerung für sich zu gewinnen, in dem sie den Kindern Spielzeuge schenkten und den Menschen Nahrungsmittel, vor allem das für viele Familien unerschwingliche Fleisch, zum halben Preis verkauften.

Aktivisten haben schwarze Listen mit Namen von ehemaligen NDP-Mitgliedern publiziert, die sich wieder wählen lassen möchten. Nicht nur ehemalige, sondern auch Minister der jetzigen Übergangsregierung haben Ex-Präsident Mubarak Glückwünsche zum Opferfest überbracht. Der Begriff „schmeicheln“ ist zu wenig kräftig, um das zu beschreiben… Es ist inzwischen jedem klar geworden, dass erst der Kopf des alten Regimes entfernt wurde, der Körper lebt jedoch noch heftig um sich schlagend weiter.

Der Oberste Armeerat hat ein Papier dazu erlassen, wer die neue Verfassung ausarbeiten soll und was darin zu stehen hat. Quer über alle politischen Richtungen ging ein Aufschrei durchs Land, weil die Armee darin ihre Macht festigen will. Anklagen und Verurteilungen von Zivilisten durch das Militärgericht sind an der Tagesordnung. Einige Aktivisten verweigern die Aussage vor dem Militärgericht; einer von ihnen ist seit Monaten im Hungerstreik. Es wurde sogar versucht, ihn als psychisch krank in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Kopten werden willkürlich als Unruhestifter und Verursacher des Massakers vom 9.10.2011 festgenommen und verurteilt. Eine unabhängige Untersuchung gibt es nach wie vor nicht.

Inzwischen schlagen sich in Oberägypten die Menschen die Köpfe ein. Die Tradition der Blutrache hat Oberhand genommen – kein Wunder in einem Land ohne Recht und Ordnung. Ein Freund erzählte mir, dass sich die Leute gegenseitig umbringen wegen einem gestohlenen Huhn, wegen einem Esel, der am falschen Wegrand gefressen hat.

Ich wollte eigentlich zur Abwechslung ein paar Tage nach Luxor fahren, liess es jedoch sein. Freunde raten mir allein schon von der Busreise ab. Zudem herrscht auch dort Krieg zwischen Banden und Familien. In Gruppen reisende Touristen mögen in Sicherheit sein. Aber dorthin alleine zu reisen habe ich absolut keine Lust. Die historischen Stätten werden auch das überleben und auf mich warten…

Somit bleibe ich in Hurghada, geniesse die Sonne und das glasklare Meer und schreibe in der Marina sitzend über die schwierige und langwierige Zangengeburt eines arabischen Landes, das sich aufgemacht hat, eine Demokratie zu werden.