Freitag, Juli 27, 2012

Wieder ein Velo-Gspänli

In aller Frühe überquere ich die Strasse nach dem Marschieren und Joggen in der Wüste und sehe – oh! – einen anderen Rennvelofahrer! Doch zu spät, ihm zu rufen: er fährt schon die Strasse hinab und ich sehe nur noch einen Helm, ein blaues Trikot und zwei Trinkflaschen hinter dem Sattel, so wie es Triathleten haben. Das war vor ein paar Wochen.
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In aller Frühe fahre ich auf der Inneren Ringstrasse und ein Auto hält vor mir an, deutet an, dass ich daneben anhalten soll. Wie immer fahre ich weiter, denn ich schätze die Anpöbeleien der Ägypter nicht, die versuchen, eine Ausländerin aufzugabeln oder ein Foto machen wollen (wie es letztes Jahr im Ramadan geschah). Doch der Wagen fährt neben mir her und ein junger Mann fragt mich höflich, ob ich regelmässig morgens Rad fahre. Ich bejahe und er erklärt, er fahre auch regelmässig. Er schlägt vor, dass wir uns am folgenden Freitag für eine gemeinsame Ausfahrt treffen. Doch bevor ich zusage, stelle ich ihm ein paar Fragen über sein Rad und sein Trikot – und mir ist klar, dass er derjenige ist, den ich kürzlich gesehen habe. Das war vor rund drei Wochen.
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In aller Frühe heute Morgen machten wir schon unsere zweite Ausfahrt, gemeinsam dem Gegenwind die Stirn bietend und gemeinsam den Rückenwind geniessend, voller Freude, nicht allein in den morgendlich verlassenen Strassen radeln zu müssen. Nach über einem Jahr, seit Sussie Ägypten verlassen hat, habe ich wieder einen Rad-Gefährten gefunden und wir hoffen auf weitere in Hurghada. In der sommerlichen Bruthitze starten wir morgens um 6 Uhr. Wer kommt mit?


Sonntag, Juli 22, 2012

Trinkwassermangel

Es werden immer mehr. Die Alltagsprobleme meine ich.

Seit fünf Monaten ist stundenlanges Anstehen an Tankstellen normal. Bis morgens um drei oder vier warten Busse, Lastwagen, Taxis und PWs auf den begehrten Treibstoff.

Wie jedes Jahr leidet Ägypten auch diesen Sommer unter Stromunterbrüchen, die von wenigen Minuten bis zu vielen Stunden dauern können. Manchmal sind es auch“ bloss“ Stromschwankungen. Bloss ist sarkastisch gemeint, denn nicht nur Lebensmittel in Kühlschrank und Gefrierfach werden ungeniessbar, sondern elektrische Geräte können damit nicht umgehen und geben bald mal den Geist auf. Das kann teuer werden.

Seit ein paar Tagen nun gibt es nicht mehr überall Trinkwasser zu kaufen. Zuerst fehlten die 6- und 7-Liter-Flaschen und ich begnügte mich mit den 1,5 Liter-Flaschen. Die sind teurer und jede Flasche bedeutet mehr Abfall, auch wenn PET-Sammler sie einsammeln. Seit vorgestern gibt es diese 1,5 Liter-Flaschen in meinem Supermarkt auch nicht mehr. Nicht alle Stadtteile sind gleich betroffen. Ich male mir schon aus, dass ich meine „Schüler“ bitten muss, selbst Wasser mitzubringen und ich für mich Wasser abkoche.

Heute stand mir ausnahmsweise ein Wagen mit Chauffeur zur Verfügung und so kaufte ich in einem anderen Stadtteil einen Vorrat von 35 Litern Wasser ein. Ich hoffe, dass nach deren Verbrauch wieder  sorgenloser Nachschub aufzutreiben ist. Und sonst koche ich halt wirklich Wasser ab. Man lernt in Ägypten, sich zu helfen.

Warum Trinkwassermangel? Angeblich wegen dem Treibstoffmangel. Und warum Treibstoffmangel? Und warum Stromunterbrüche? Und warum? Und warum?

Gestern Abend unterhielt ich mich mit einem Freund (ein Ägypter) über viele dieser Warums, auf die es in Ägypten scheinbar keine Antworten gibt. Logisch gibt es die. Aber niemand fragt ernsthaft danach. Warum? Weil die Ägypter sich mit allem abfinden, alles von Gott gegeben akzeptieren, nichts hinterfragen, nichts kritisieren. Man muss nur mal ein paar Stunden auf einem Bahnhof verbringen, um das mitzuerleben: auch wenn ein Zug mehrere Stunden verspätet ist, meckert niemand. Mein Freund meinte, dass sich die Ägypter seit Jahrhunderten nicht geändert hätten. Schon Napoleon hätte die Ägypter als überaus duldsam, geduldig und fatalistisch beschrieben. Mit Ägyptern kann man beinahe alles machen.

Manchmal könnt ich darüber verzweifeln.

Donnerstag, Juli 19, 2012

Omar Suleiman gestorben

Omar Suleiman ist heute Morgen in den USA gestorben. Er verliess Ägypten sofort nach den Präsidentschaftswahlen. Er wollte kandidieren, wurde ausgeschlossen, focht den Ausschluss an, hatte aber keine Chance, obwohl er ein „Felul“ – ein Vertreter des alten Regimes - war.

Die Nachricht seines Hinschieds ist heute überall in den Nachrichten zu lesen.

Ich erfuhr davon auf unerwartete Weise. Mein „Schüler“ las eine Textnachricht und fragte mich, ob ich Omar Suleiman kenne. Ja, natürlich – wenn auch nicht persönlich. „Er ist heute in den USA gestorben… Ich bin mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn sehr eng befreundet. Ich mochte den Kerl… Ich bin zutiefst betroffen.“

Irgendwie war ich irritiert. Omar Suleiman hatte Freunde, er wurde gemocht, er wurde respektiert. Daran habe ich nie gedacht. Ich sah ihn als den Ex-Geheimdienstchef, als den Ex-Vizepräsidenten Mubaraks und vieles mehr – aber nicht als Menschen. Was für ein Irrtum! Doch: wie kann ein Mensch zulassen, dass Zehntausende unschuldig gefoltert werden, dabei umkommen oder lebenslang gesundheitlich oder psychisch geschädigt bleiben?

Ich brachte keine Beileidsworte über die Lippen, ich fragte A. nur, ob wir den Unterricht abbrechen sollten. Er verneinte und wir übten weiter.

Meine Irritation bleibt.

Sonntag, Juli 15, 2012

Gaumenfreunden

Wunderbare, süsse, rote Kirschen: zuerst fand ich sie im grossen Einkaufszentrum Spinney’s und dann zu meiner Überraschung auch bei ein oder zwei Händlern im Gemüse- und Früchtemarkt in Dahar. Die Kirschen kommen aus Alexandria – hiess es in Spinney’s.

Das ist neu. In früheren Jahren gab es allenfalls importierte Kirschen in einem der anderen Supermärkte. Ich sah sie mir an und träumte von den dicken, fleischigen, fast schwarzen Kirschen in Südfrankreich, in Italien und zuhause. Ich kaufte sie nicht, denn sie waren sozusagen überreif. Umso grösser ist meine Freude jetzt über die Kirschen und sogar der Preis stimmt.

Seit sich Spinney’s in der Senzo Mall niedergelassen hat, ist einkaufen etwas einfacher geworden. Die Auswahl ist vielfältiger geworden und die Preise sind attraktiver als in den anderen Geschäften. Auch gefrorenen Produkten trau ich hier mehr, während bei den anderen Geschäften immer damit gerechnet werden muss, dass die Kühlkette unterbrochen worden ist. Das merkt man spätestens dann, wenn man nach dem Verzehr der Speisen Bauchweh bekommt; das ist nicht wirklich lustig. Was Spinney’s jedoch nicht im Griff hat – die anderen aber auch nicht – ist der lückenlose Nachschub. Immer wieder fehlen genau jene Produkte, die ich brauche.

Aber zurück zu den Gaumenfreuden. Hie und da gibt’s wirklich tolle Überraschungen: z.B. ein 18 Monate gelagerter Emmentaler Käse oder ein echter Gruyère – keine Imitationen! Es gibt nämlich auch ägyptischen (wie auch französischen) Emmentaler. Mein verwöhnter Gaumen liebt die Emmi-Produkte zwar nicht besonders, aber besser als die ewigen Gouda-Produkte sind sie allemal. Regelmässig finden sich seit einiger Zeit auch echter Parmigiano Reggiano und Grano Padano.

Zu meinem Entzücken entdeckte ich vergangene Wochen diverse französische Spezialitäten, wie einen Reblochon aus Savoien, einen Tomme de Chèvre, einen Bûche de Chèvre neben Brie und Camembert.

In Hurghada gibt es eine aktive Italiener-Gemeinschaft und wo Italiener sind, gibt es auch italienische Speisen. Eine Familie aus Milano stellt frischen Büffel-Mozarella, Taleggio und andere Käsespezialitäten nach herkömmlichen Rezepten und ohne künstliche Zusatzstoffe her. Auch frische Focaccia und Salami sind dort zu finden. Woanders gibt es inzwischen frische Pasta zu kaufen. Frisches italienisches Eis, Espresso und Pizzas sind bei den Italienern einfach am besten. Dank der Italiener-Präsenz gibt es in den Supermärkten auch Risotto, Polenta und Aceto Balsamico zu kaufen.

Sogar die Auswahl an Brot hat sich vervielfältigt. Hier spielen die Deutschen die wichtige Rolle. Es gibt mehrere Bäckereien mit Läden, andere wiederum backen nur auf Bestellung per Internet. Das klappt gut und meistens sind Brot, Brötchen, Brezen und Süsswaren gut oder fast so gut wie in Deutschland.

Schweinefleisch und daraus zubereitete Spezialitäten gibt es auch, ebenfalls auf Bestellung per Internet. Das habe ich aber noch nie ausprobiert, weil mir die Mengen zu gross sind.

Vor sieben oder acht Jahren muss das noch ganz anders gewesen sein. Mir wurde geschildert, wie die Leute mit Kühltruhen zum monatlichen Grosseinkauf nach Kairo fuhren, weil in Hurghada einfach nichts (hygienisch Einwandfreies) aufzutreiben war. Das hat sich in den vergangenen vier Jahren positiv verändert.

Bitte nicht falsch verstehen: ich habe nichts gegen das lokale Angebot: Was der Markt an Früchten bietet, ist für mich schlichtweg paradiesisch. Beim Gemüse wird es schon ein bisschen eintöniger, je nach Jahreszeit sogar mühsam – dann greife ich auch mal auf gefrorenes oder konserviertes Gemüse zurück. Bei Blattsalaten muss man bescheiden bleiben, aber mit Glück findet sich auch da manchmal etwas. Fladenbrot, Romy-Käse, Olivenpaste, Feta und Tahina gehören zu meinem Speiseplan – aber zwischendurch sehne ich mich nach einem richtigen Stück Brot, einer echten Breze und einem herzhaften Käse.

Und wie sieht es mit Schweizer Schokolade aus? Die Bergspitzen nachempfundene Toblerone gibt es überall, die mag ich aber nicht besonders. Sie ist für mich ein Touristenprodukt und hat m.M. nach wenig mit Schweizer Schokolade zu tun. Eine Zeit lang gab es in der Schweiz hergestellte Lindt & Sprüngli Schokolade (mein ewiger, unsterblicher Favorit) und solche, die in Saudi Arabien hergestellt war (ungeniessbar). Beide sind wieder verschwunden und ich musste mit anderen Produkten vorlieb nehmen.

Doch halt, was seh‘ ich denn da: eine bunte Reihe von Frey-Schokolade-Tafeln!? „Migros-Schoggi“ dachte ich und grinste glückselig vor mich hin. Kaufte sie und verschenkte gleich eine davon.

Einziger Wermutstropfen: diese importierten Köstlichkeiten kosten hier genauso viel oder noch mehr wie in Europa und sind für mein hiesiges Gehalt fast unerschwinglich… aber fein J!

Montag, Juli 09, 2012

Mursi: Kriegserklärung?

Gestern hat Mursi ein Dekret erlassen, wonach die Parlamentsauflösung ungültig sei und dieses wieder zusammen kommen soll.

Während des Wahlkampfs hat er noch behauptet, er respektiere den Entscheid der Richter.

Ein Lügner. Das ist nichts Neues.

Als ich die Nachricht las, dachte ich, dass dies einer Kriegserklärung an den Militärrat gleich kommt. Offene Konfrontation gegen die stärkste Macht im Land? Gegen jene, die ihm und seinen Muslimbrüdern an die Macht verholfen haben?

Möglich.

Oder auch nicht. Man darf eines nicht vergessen: die Muslimbrüder haben nie gegen den Militärrat aufbegehrt, nie zu Protesten gegen ihn aufgerufen, sondern haben immer einen harmonischen Weg gesucht und offenbar gefunden.

Somit ist eine andere Möglichkeit: Militärrat und Muslimbrüder stecken auch da unter einer Decke. Mursi kann heldenhafte Taten als Präsident vorweisen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Und weh tut es niemandem, denn der Militärrat wird schon ein Gegenmittel bereit haben. Das (Un-)Rechtssystem steht ihm ja zur Verfügung.

Falsche Bande.

Kinderstube: wo versteckst du dich?

„Hallo, ich komme fünf Minuten zu spät, bitte entschuldige“ sagte einer meiner „Schüler“ und ich wunderte mich. Er rief extra an, schrieb nicht nur ein sms oder kam einfach zu spät!

Er ist eine Ausnahme. Ich bin ganz anderes gewohnt…

Da gibt es Schüler, die 10 Minuten oder 15 Minuten verspätet sind und wenn ich frage, was passiert ist, ist der Verkehr schuld oder es gibt weder eine Erklärung, noch eine Entschuldigung. Oder sie kommen überhaupt nicht, haben verschlafen oder sonst irgendetwas gehabt – das erfahre ich aber erst beim nächsten Termin.

Werde ich alt? Bin ich altmodisch? Oder gar beides miteinander? Nein, wie Gespräche mit Bekannten und Freunden zeigen. Aber Benimm und Anstand scheinen nicht in zu sein.

Als ich heute bei meiner Französischlehrerin vor der Türe die Schuhsolen putzte, meinte sie dankbar, ich sei die Einzige, die das mache! Wofür liegt denn so ein Schuhabstreifer sonst vor oder neben der Wohnungstüre? Bei mir liegt auch so ein Ding: schwarz, gross, unübersehbar, der einzige auf meinem Stockwerk. Er wirkt einladend, finde ich zumindest. Trotzdem muss ich 9 von 10 Leuten, die zu mir kommen, bitten, die Schuhe zu putzen. Das ist so unendlich peinlich, schliesslich sind unter meinen Kunden Ärzte, Manager, Banker usw., … und doch ist es so furchtbar nötig. Die Strassen hier sind immer sandig, es liegt immer irgendein „grusiger“ Abfall herum, Wassertankwagen verschütten ihr wertvolles Gut und so bleibt oft eine klebrige Masse… an den Schuhen kleben.

Ich mag die Hand zur Begrüssung nicht reichen. Es ekelt mich vor der mangelnden Hygiene. Da gibt es Leute, die während des Unterrichts in der Nase bohren, ihre Pickel ausdrücken, in die Hände niessen und dabei kein Taschentuch benützen, obwohl eine Schachtel davon auf dem Tisch steht. Und dann soll ich Hände schütteln?

Und dann gibt es Leute, die ihre benützten Papiertücher, leeren Cola-Flaschen, abgebrochenen Bleistiftspitzen und anderes auf meinem Tisch liegen lassen – Abfall, den ich entsorgen darf. Bin ich die Müllentsorgung?

Andere wiederum verlangen nach einem zweiten, dritten oder vierten Glas Wasser, anstatt ihre eigene Flasche mitzubringen, obwohl sie vom Sport kommen und logischerweise grösseren Durst haben.  Bin ich ein Café?

Und es gibt auch noch jene, die ungefragt ihr Telefon oder ihr Notebook an mein Stromnetz hängen, um die Batterien aufzuladen. Bin ich denn ein Kraftwerk?

Auf die Füsse getreten fühle ich mich, wenn ich Emails von mir unbekannten Personen erhalte, in denen ich mit dem familiären „du“ angesprochen werde. Respektlos finde ich das. Es käme mir niemals in den Sinn, eine mir unbekannte Person mit „du“ anzuschreiben. Konsequenterweise beantworte ich solchen Schriftverkehr stur mit dem höflichen „Sie“ – dabei bleibt es dann meist auch. Ob sie’s gemerkt haben?

Je länger ich mich als „Lehrerin“ betätige und je mehr ich mit unterschiedlichen Menschen zu tun habe, umso mehr bin ich darüber erstaunt, wie wenig Wert auf Anstand, Höflichkeit und Benimm gelegt wird. Mit kulturellen Unterschieden hat das nichts zu tun, meine Erfahrungen gehen durch alle Schichten, alle Nationalitäten. Ich kann sehr wohl unterscheiden: Wenn meine Koreaner beim Wassertrinken schlürfen, habe ich Verständnis. Aber ein einfacher, junger Reiseleiter, für den seine Stunden bei mir viel Geld kosten, zeigt mehr Anstand, bringt mir sogar ein Geschenk mit, wenn er von seiner Heimatstadt zurückkommt. Hingegen liegt der Arzt und Klinikbesitzer halb quer auf dem Tisch, der hypernervöse Zahnarzt steht auf und geht in der Wohnung hin und her, weil er keine Stunde ruhig sitzen bleiben kann. Bücher und Papiere des Tauchlehrers sehen aus, als ob sie ein Jahr lang im Strassengraben gelegen hätten und er verlangt jedes Mal einen Stift, weil er nie seinen eigenen dabei hat.

Umso grösser wird „das Kränzlein“, das ich jener Person widme, die mir Anstand, Benimm und Höflichkeit beigebracht hat: meine Mutter. Sie hat die Basis gelegt, anderes habe ich auf Reisen und im Geschäftsleben erkannt.

Ganz ausgestorben ist „Kinderstube haben“ noch nicht: einige meiner Schüler bedanken sich genauso für den Unterricht, wie ich mich für ihre Aufmerksamkeit bedanke. Sie nehmen diskret ihren Abfall mit oder fragen mich, ob sie ihn in den Abfallkübel tun dürfen. Es sind kleine Aufmerksamkeiten, wenige Worte und einfache Gesten, die so viel Wohlwollen und Wohlbefinden im Umgang miteinander schaffen. Ich frage mich ehrlich, weshalb das nicht weiter verbreitet ist.