Sonntag, Oktober 28, 2012

Weg vom Alltag

Das kulturelle Leben verläuft in Hurghada etwas eintönig. Es gibt jede Menge von Bars, Kaffees, Restaurants, Nachtclubs, Beachclubs und Discos.

Für etwas anspruchsvollere Gemüter reicht das nicht. Es gibt kein Theater, keine klassische Musik, kein anspruchsvolles Kino, keine Lesungen und und und…
Doch jetzt sind Feiertage (Eid el Adha- Opferfest) und es gibt Ausnahmen.

El Gouna
Ich war in El Gouna in der Marina, wo Live Bands spielen, Komödianten zum Lachen provozieren und Artisten mit ihrem Können begeistern. In El Gouna tummelt sich momentan die Crème de la Crème Ägyptens (selbstverständlich auch Touristen aus aller Welt) und es tat mir unheimlich wohl, gepflegte, zivilisierte, gut gekleidete Menschen zu sehen. Von einem älteren Mann mit riesigen, altmodischen Brillengläsern und einem schrecklichen Toupet mit hübscher Begleitung am Nebentisch konnte ich meine Augen nicht abwenden. Wo hatte ich ihn schon gesehen? Als sich ein junger Mann mit ihm Hände schüttelnd fotografieren liess, fragte ich meinen Kollegen, wer denn das sei. Mufid Fawzy, ein Fernsehstar, der seine eigene, Regime-kritische Sendung hatte. Und das da, auf einen vorbeigehenden, eleganten Herrn weisend, ist ein bekannter ägyptischer Schauspieler… Ich lächelte und fühlte mich irgendwie wohl und aufgehoben, ein wenig wie an der Côte d’Azur im Sommer. Die schnittigen Jachten wenige Meter hinter uns und ein makelloser Sternenhimmel haben dieses Gefühl nur noch verstärkt.

Sahl Hasheesh
In Sahl Hasheesh, noch so ein wunderschöner Ort ausserhalb Hurghadas, war ich kürzlich auch Gast bei einem Festival. Das Aussergewöhnliche ist hier die Umgebung: der Anlass findet in einem bezaubernden orientalischen Bau mit Wasserspielen, Blick aufs weite Meer und ebenso erstaunlichem Sternenhimmel statt.

Mohamed Mounir live
War es das schönste Erlebnis? Gestern gab Mohamed Mounir - der „König“, wie ihn die Ägypter nennen – ein Konzert in Makadi Bay, etwa 25km ausserhalb Hurghadas. Als ich davon erfuhr, wollte ich unbedingt hingehen, denn ich mag die Stimme Mohamed Mounirs. Er hat bei den Ägyptern einen besonderen Status: er ist sich seiner Verantwortung als berühmter und beliebter Künstler bewusst und spricht mit seinen Liedern aktuelle Probleme an, ruft zu Besonnenheit, Geduld und Zusammengehörigkeit auf. Seine Musik kombiniert geschickt traditionelle ägyptische Instrumente und Rhythmen mit Jazz, Reggae und afrikanischen Rhythmen. Dazu kommt seine seltsame, in Arabisch und Nubisch singende Stimme.

Ich ging ohne grosse Erwartungen hin und war umso mehr überrascht: es gab Security, es gab Ambulanzfahrzeuge, ein modernes Feuerwehrauto, chemische Toiletten und Verpflegungsstände. Die Parkeinweiser gaben sich grosse Mühe und die meisten Fahrzeuge wurden ordentlich abgestellt. Bühnenaufbau, Licht- und Bühnenshow und Kameras waren so, wie es an jedem grossen Konzert üblich ist. Verwunderlich? Irgendwie schon, habe ich doch in Hurghada bis jetzt wenig Qualität angetroffen.

Aussergewöhnlich war wieder die Lage: ein riesiger, sandiger, gegen die Bühne hin leicht abfallender Platz bei einem grossen Ferienresort an erhöhter Lage, Sternenhimmel, ein fast voller, hell leuchtender Mond und ein kühler Abendwind.
 

Ja, es war das schönste Erlebnis seit ich vor dreieinhalb Jahren in dieses Land zog: während zwei Stunden habe ich den Alltag vergessen und Musik, Feuerwerk und friedliche Stimmung genossen… und kurz vor Konzertschluss sind wir schnell zum Auto gegangen, um dem bevorstehenden Stau zu entkommen.

Allerdings blieb ich ausserhalb der dichten Menschenmenge und das war gut so, wie ich heute erfuhr: es hat dort drin nämlich leider wieder sexuelle Belästigungen gegeben.

El Gouna, Sahl Hasheesh und Makadi Bay haben viele Gemeinsamkeiten: sie sind gepflegt, teuer und weit von Hurghada weg – wenn man ohne Auto ist. Freunde und Bekannte mit Auto haben mich eingeladen und ich habe voller Freude akzeptiert.

Weg vom Alltag – es hat mir unheimlich gut getan und ich schwebe immer noch…


 

 

Donnerstag, Oktober 18, 2012

Cool Man

Wie so oft stehe ich am Strassenrand und warte auf einen Minibus. Wie üblich hält ein Taxi an, obwohl ich kein Zeichen gegeben habe. Ich lass den Fahrer verstehen, dass ich nicht mit ihm fahren will. Doch Moment mal,… hej, aus dem Taxi heraus erklingt super Musik! Keine Koran-Rezitationen, keine arabische Popmusik, nein: Gipsy Kings und Reggae. Ich grinse und sage ihm, dass die Musik aber super sei.

Ich soll mitkommen, nur wegen der Musik, er sei sowieso auf dem Heimweg, Schichtende. Will ich nicht und reibe meinen Daumen und Zeigefinger übereinander: kein Geld. Egal, meint er, aber ich lehne ab.

So steige ich kurz darauf in einen meiner innig geliebten Minibusse, steige im Bankenviertel wieder aus, erledige meine Angelegenheiten und warte 15 Minuten später erneut wie so oft am Strassenrand… auf den nächsten Minibus.

Und wer steht schon wieder vor mir? Derselbe Taxifahrer, mit derselben coolen Musik! Er grinst und meint, das sei Bestimmung. Ganz meiner Meinung und diesmal steige ich lachend ein. Wir plaudern über Musik, wir reden über Hurghadas Taxi-Mafia und wir lachen viel. Reda spricht recht gut Englisch, trägt seine Haare in einen grauen Pferdeschwanz zusammen gebunden und darüber eine Baseballmütze. Bevor ich bei der Marina aussteige, speichere ich seine Telefonnummer – für’s nächste Mal. Diesmal bin ich gratis gefahren.

Auch das gibt’s in Hurghada!

Samstag, Oktober 13, 2012

Auf nach El Quesir

Die Sonne steigt soeben über dem Meer auf, die Luft ist noch kühl, die Strassen leer. Wir radeln… Hinaus aus Hurghada, hinauf zum Checkpoint, weiter an den bekannten Abzweigungen vorbei: Makadi, Soma Bay, Safaga.

 
 

Da ich noch nie in Safaga war, fahren wir durch das lang gezogene Dorf bzw. was dazu gehört. Unser Radsattel wird zum Kinosessel: Gemüsestände und Geschäfte, vor denen noch halb schlafende Männer in Kaftanen stehen, gehen, Zeitung lesen und Frauen in schwarzen Gewändern ihre Einkäufe in einem Korb auf dem Kopf balancieren, wechseln mit landestypischen, einfachen Kaffeehäusern, verlotterten Schulen und Häusern ab. Überall liegt Abfall und ich höre in Gedanken wieder, wie sauber Hurghada doch sei. Ägypter zeigen sich darüber so begeistert. Europäer beurteilen das etwas anders.


Wir radeln. Die Strasse führt in stetem Auf und Ab durch die Ausläufer des Red Sea Gebirges, das seit Safaga nicht die sonst übliche gold-gelbe Farbe aufweist, sondern sich grau-schwarz präsentiert. Das Asphaltband liegt wie ein dunkelgrauer Streifen viele Kilometer vor uns ausgerollt und verliert sich am flimmernden Horizont. Die Steigungen bieten Abwechslung und sind uns Motivation: mit Rückenwind oben angekommen, treten wir umso kräftiger in die Pedale, stürzen uns mit Eifer hinab, um mit Schwung durch die Senke zu brausen und mit weniger Kraftaufwand die nächste Steigung zu erreichen. Seit Safaga gehört die Strasse praktisch uns.
 
 
 
 
 
„Ist das nicht gefährlich?“ war eine berechtigte Frage meiner Bekannten, denen ich von unserem Vorhaben erzählte. Nein, es ist nicht gefährlich, denn ich fahre a) nicht alleine, b) in aller Frühe und c) wir haben ein Begleitfahrzeug.

Emad, der Chauffeur, begleitet uns fürsorglich, hält an übersichtlichen Stellen, versorgt uns mit kühlem Wasser, macht Fotos von uns und: geniesst unüberhörbar Klimaanlage und die gute Stereoanlage des Fahrzeugs meines Velo-Kameraden! 
 
 
Wir radeln. Die grau-schwarzen Berge haben sich zurückgezogen, es herrscht wieder gold-gelb vor. Eintönig, keine Hügel, nur noch sanfte Erhebungen. Es ist sehr heiss und obwohl ich ständig trinke, muss ich nie austreten (kein gutes Zeichen, wie ich drei Wochen später feststellte). Ich esse einen Apfel, ein Dattelkeks, ein paar Nüsse. Essen kann ich nicht besonders viel. Mein Kollege hingegen ist ständig mit Essen beschäftigt ;).

Die Luft flimmert in der Hitze. Immer wieder lass ich meinen Blick über diese für mich auch nach über drei Jahren seltsame, fesselnde Landschaft schweifen, sehe hinab zum glitzernden Meer und erblicke…. Fahrradfahrer? … Menschen auf Zweirädern?… Mountainbikes?... Ich frage mich, ob ich schon Halluzinationen habe und mir eine Fata Morgana einen Streich spielt. Ich mache Michael darauf aufmerksam. Nein, er sieht sie auch, die sind echt. Wir halten an, rufen und winken. Die Gruppe sieht uns und kommt uns entgegen. Es sind Biker aus einem nahe gelegenen Hotel, die mit ihrem Führer unterwegs sind. Unsere Begeisterung, Menschen auf Zweirädern zu begegnen, ist bedeutend grösser, als jene der Touristen. Unsereiner sieht hier ja nicht so oft Gleichgesinnte, sondern sind in Hurghada und Umgebung so ziemliche Exoten!

Kurz nach dieser Begegnung wird die Strasse einspurig und das Asphaltband verläuft direkt am Meer und feinem Sandstrand. Da und dort vergnügen sich Leute im Meer. Wir radeln weiter unserem Ziel entgegen und nähern uns einem Umschlagsort für Phosphat. Wir werden in eine riesige Phosphat-Staubwolke gehüllt. Ein Frachtschiff wird mit Phosphat beladen, Lastwagen treten mit dem wertvollen Staub ihren langen Weg nach Kairo an. Ich male mir aus, unter welchen Bedingungen die Menschen hier arbeiten und dass früher oder später alle eine Staublunge haben werden.



Es wird heisser, Schweiss und Staub kleben im Gesicht, an Armen und Beinen. Schweigend radeln wir weiter, jeder mit seinen Gedanken, Eindrücken und Leiden beschäftigt. Kurze Wortwechsel lenken uns ab, muntern uns auf. Berge und Hügel zeigen sich wieder abwechslungsreicher und ich spüre wieder den Wunsch, irgendwann in diesem Gebirge mit dem Mountainbike unterwegs zu sein.
 
 

Wir passieren die Minengesellschaf und das heisst: noch 15 km bis El Quesir! Ich sende dem Direktor des Hotel Mövenpick ein Sms, um unsere Ankunft anzukündigen. Kurz darauf erreichen wir die Hotel-Einfahrt und lassen uns von Emad fotografieren. Müde, aber stolz und voller Freude versorgen wir unsere Räder und mischen uns nach einer Dusche unauffällig unter die Hotelgäste. Duschen, Strand, Baden, Essen, Pool, fast etwas anstrengend wird es, denn wir wollen die schöne Hotelanlage voll und ganz geniessen ;). Danke Mehdy!
 
 
Bei Einbruch der Dunkelheit setzen wir uns ins Auto und fahren mit vielen beglückenden Eindrücken und schweren Beinen unter dem Wüsten-Sternenhimmel nach Hause.

Dank Michael konnte ich diesen Radausflug unternehmen. Allein ist das als Frau momentan nicht zu empfehlen. Aber gemeinsam sind weitere Ausflüge machbar. Für mich bedeutet dies eine neue Lebensqualität.
Eckdaten: 130km, 4 Stunden Fahrzeit, viele Liter Wasser und Rückenwind (zum Glück!)