Mittwoch, Januar 30, 2013

Banking in Egypt und verschwindende Fremdwährungsreserven

Gelesen und gehört habe ich davon, aber ich war mir nicht ganz über die Auswirkungen auf mich im Klaren; d.h., ein bisschen schon… Wie so vieles – Ägypten hat mich beeinflusst – wollte ich es auf mich zukommen lassen im Glauben darauf, dass es immer eine Lösung gibt.

Meine Wohnungsmiete ist Anfang Februar fällig. Fortschrittlich eingestellt wie ich bin, wollte ich heute die Miete von meinem Konto in Ägypten über E-Banking überweisen, vorher jedoch noch schnell ein paar Euro – die auch in Ägypten auf der Bank liegen – in ägyptische Pfund wechseln, damit der Saldo für die Miete auch reicht. Da ich eben ein „bisschen“ die Auswirkungen erahnte, habe ich nicht schon im Dezember meine Euros gewechselt. Damals zeichnete sich die rapide Abwertung des EGP ab. Fast schon ein wenig stolz bin ich darauf, dass ich nicht auch noch weitere Hartwährung von Europa nach Ägypten geschickt habe. Die wären jetzt nämlich blockiert!

Meine Bank teilt mir freundlich mit, dass es gemäss den Bestimmungen der Ägyptischen Zentralbank nicht erlaubt ist, Fremdwährungen in Ägyptische Pfund via E-Banking zu wechseln! Kein Zugriff auf die starken Euros, US Dollars und andere stabilen Währungen, die im zerfallenden Staat liegen. Was machen denn jetzt die Geschäftsleute? Diese Bestimmung schränkt das Geschäftsleben zu allen anderen Schwierigkeiten und Missständen ja noch mehr ein.

Da fällt mir ein, wie einer meiner „Schüler“ mir kurz vor meiner Abreise von der Zahlungsmoral erzählte: für Ausstände von mehreren Hunderttausend Pfund erhält er hie und da einen Scheck über Fünftausend Pfund… Eigentlich ist es ein Wunder, dass sich alle noch irgendwie über Wasser halten. Doch wie lange noch?

Für mein kleines Problem gibt es sicher eine Lösung. Ich habe der Bank geschrieben und den Sachverhalt dargelegt; vielleicht wird der Übertrag erlaubt. Und sonst finde ich irgendeine andere Lösung. Wahrscheinlich ist der Weg für Geschäftsleute ähnlich: Not macht erfinderisch.

Sonntag, Januar 27, 2013

Port Said zum Zweiten

Letztes Jahr kamen über 70 Fussballfans im Stadion von PortSaid um. Sie wurden von den Rängen geworfen (!), wurden mit Messern schwer verletzt, standen vor verriegelten Ausgängen und wurden zertrampelt.


Am Samstag wurden die „Schuldigen“ verurteilt: 21 Menschen wurden zum Tod verurteilt. Fussballfans, junge Menschen. Die wahren Drahtzieher des Massakers wurden nicht verurteilt. Deshalb gingen die Menschen in Port Said auf die Strassen und demonstrierten. Sie versuchten, ihre Familienangehörigen aus dem Gefängnis zu befreien. Sie steckten Gebäude der Stadtverwaltung in Brand, sie versuchten, das Elektrizitätswerk und andere strategische Objekte unter Kontrolle zu bringen. Die Polizei lief davon, das Militär marschierte ein.

 „Sie“ – wer ist das? Sind das Fussballfans? Sind es wieder bezahlte Kriminelle, die sich unter die Demonstrierenden mischen? Sind es wieder bezahlte Kriminelle, die in den Uniformen der Zentraleinheit Drecksarbeit verrichten?

Gestern gab es Dutzende von Toten und heute, während des Trauerzuges, verloren weitere Menschen ihr Leben.

Es ist schrecklich. Die vorhandene Gewaltbereitschaft ist grausam. Doch wer sich im Internet die Videos ansieht, der erfährt noch viel Schlimmeres: Da sind Scharfschützen auf Hausdächern zu sehen, die gezielt Menschen erschiessen! Da sind CSF-Einheiten (Central Security Forces = Zentrale Sicherheitseinheit) zu sehen, wie sie geparkte Fahrzeuge der Bürger zerstören! Menschen wurden aus nächster Nähe von hinten erschossen.

https://www.youtube.com/watch?v=Yrd_BVAzkic

http://www.youtube.com/watch?v=A6XHeFtN4Zw

https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=2jU0HkHAFj0

Wer sind „sie“? Wer steht hinter diesen Morden?

Warum lässt der Staat dies zu? Oder anders herum gefragt: warum macht der Staat dies? Ist es das Ziel, noch mehr Unruhe und Chaos zu säen, um eine Machtergreifung des Militärs zu ermöglichen? Was haben die Muslimbrüder davon? Wer hat überhaupt noch etwas davon?

Oder ist den MB die Führung aus den Händen geglitten und es gibt eine andere Macht, die hinter diesen schrecklichen Taten steht? Mursi jedenfalls hat geglänzt: spät nach Mitternacht hat er sein Beileid per Twitter (sic!) ausgesprochen!!!!

Trotz aller Grausamkeit: neu ist das Vorgehen nicht. Zig-mal gesehen, zig-mal wurden Bürger gezielt exekutiert oder ins Auge geschossen. Immer wieder, obwohl inzwischen jeder weiss, dass Bürger diese Szenen filmen und ins Internet stellen. Beweise gibt es zuhauf. Heute wurden einige dieser Zeugen festgenommen, während sie von ihren Balkonen oder Hausdächern filmten. Ihnen droht das Schlimmste: stundenlange Verhöre, Folter, Vergewaltigung, Gefängnis ohne Anklage, ohne Anwalt.

Ägyptens Führung lässt seine Bürger vor den Augen der Welt umbringen. Um die Lage „in den Griff“ zu bekommen, ist nun einmal mehr das Notstandsgesetz ausgerufen (jeder kann zu jederzeit ohne Grund verhaftet werden) und eine Ausgangssperre ist verhängt worden. Die Geschichte wiederholt sich. Leider.

Update:
Bilder zeigen die Bärtigen neben Scharfschützen, neben Polizisten... Es wird schon lange vermutet, dass die Muslimbrüder hinter der "Kamelschlacht" und all den anderen Massakern stecken...


Donnerstag, Januar 24, 2013

25. Januar 2013 – 2. Jahrestag

Aus der Ferne warte ich gespannt auf den 25. Januar. In Hurghada ist eine Demonstration von drei verschiedenen Treffpunkten angesagt, im Rest Ägyptens sowieso. Die Aktivisten rufen zu Protesten auf. Doch genügt es?

Wäre es nicht besser, sie würden hinaus in die Dörfer gehen, hinaus in die armen Stadtviertel und den Menschen endlich mal erklären, worum es geht? Den Leuten dort draussen auch mal zuhören und sie und ihre Alltagsprobleme ernstnehmen? Noch immer sind es nur die Muslimbrüder und die Salafisten, die auf die Strassen gehen und die Menschen „bearbeiten“.  Die Aktivisten, die Säkularen, ja die gesamte Opposition versteckt sich noch immer hinter Twitter, Facebook und im Fernsehen, anstatt zu den Menschen in den Slums von Kairo, in die Barackensiedlungen im Delta und in Oberägypten zu gehen.

Die Opposition hat eine goldige Chance: die Menschen sind müde von den Lügen der Muslimbrüder und den sich täglich verschlimmernden Lebensumständen. Doch anstatt sich zusammen zu raufen und im Hinblick auf die baldigen Parlamentswahlen  ein starkes Gegengewicht zu den Islamisten zu bilden, zerstreiten sie sich… Sind sie so egoistisch? Oder verstehen sie noch immer nicht, wo Ägypten steht? Welch‘ bittere Enttäuschung!

Wenn nicht irgendeine Überraschung seitens der Arbeiter, der Armen oder den Ahly Ultras kommt, dann wird der 25. Januar 2013 eine Zeremonie sein, mehr nicht.

Veränderung muss von Innen kommen, nicht von Twitter, Internet und Fernsehen. Wann ist es soweit?

Sonntag, Januar 20, 2013

Tödliche Zugskollision – eine von vielen

„Hast du schon das Neueste gehört?“ fragt mich mein Schüler mit ernstem Blick. Nein, antwortete ich, ich hatte den ganzen Tag keine Zeit, um Nachrichten zu lesen. „Es hat schon wieder einen Zugunfall gegeben. Kinder in einem Schulbus, über 50 Tote!“


Dieser Unfall geschah am 17. November, wenige Tage bevor Mursi den Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel eingefädelt und darauf sein Verfassungsdekret bekannt gegeben hat. Der Schulbus fuhr über einen ungesicherten Bahnübergang in einen herannahenden Zug. Die Schranke war oben, der Schrankenwärter nicht am Platz. Am vergangenen Montag geschah schon wieder ein tödlicher Zugunfall, diesmal mit Rekruten aus Oberägypten, und es wird nicht der letzte gewesen sein.

Der fürchterliche Unfall vom November in Assiut widerspiegelt in vielen Bereichen Ägyptens Zustand, weshalb ich hier davon schreiben möchte.

Einblick in die Ausweglosigkeit

Der Film lässt die Misere und Ausweglosigkeit vieler junger Ägypter erahnen; gefangen in ihren Traditionen, ihrer Religion und ihrer Armut, versuchen sie den letzten Ausweg: abhauen. Der Film spielt in ägyptischem Arabisch, hat aber deutsche Untertitel. Und ein Happy End.



Montag, Januar 14, 2013

Muslimbrüder sind Lügner

Während meines Frühstückcafés sehe ich dieses Bild auf Facebook (von der Gruppe 6. April Hurghada) und es bringt mich zum Lachen:



Auf der weissen Tafel rechts steht "Die Muslimbrüder sind Lügner". Der Standort: direkt auf der gegenüberliegenden Strassenseite des Büros der Muslimbrüder (2. Balkon, mitte), an der Nassr Street, einer stark frequentierten Hauptstrasse zwischen Hurghada und Dahar! Diejenigen, welche das Schild aufgestellt haben, zeigen Mut und Witz!

Ich wünsche allen einen frohen Montag!

Sonntag, Januar 13, 2013

Kürzer treten

Liebe treue Leser,


In den kommenden Wochen werde ich nicht so häufig meine Gedanken, Ansichten und Erlebnisse in Worte fassen können, wie mir das lieb ist. Es gibt zwar viel Stoff, der sich in meinem Kopf türmt und in wenigen Stichworten auf einem Zettel steht, doch mir fehlt die Zeit. Ich habe eine Verpflichtung in meinem Heimatland angenommen, die mich bis in den Frühling hier festhält. Inzwischen versuche ich jedoch, mich über die Ereignisse in Ägypten auf dem Laufenden zu halten und jedes Mal, wenn mich eine Nachricht überrascht, möchte ich hinsitzen und schreiben… es fehlt mir.
Doch das muss nun etwas warten. Ich hoffe, ihr habt dafür Verständnis. Danke!

Eure El Qamar

Warum wehr ihr euch nicht?

Warum erhebt ihr euch nicht und kämpft für eure Rechte? Diese Fragen stellte ich immer und immer wieder seit meinem zweiten Besuch in Ägypten.


Zwischen meinem ersten und dem zweiten Aufenthalt in Ägypten liegen Welten. Welten der Erkenntnis, sozusagen. Beim ersten Mal kam ich entgegen meiner üblichen Gewohnheit unvorbereitet und unwissend in ein mir völlig fremdes Land. Doch was ich damals innerhalb und ausserhalb der Hotelanlage in Hurghada beobachtete, fachte meine Wissensbegierde an und ich suchte Antworten auf die vielen „Warums“. Als Saddam Hussein kurz nach Weihnachten 2006 hingerichtet wurde, wollte ich unbedingt wissen, was die ägyptischen Zeitungen darüber berichteten und wie das Volk darüber dachte. Ich kam mit einem Juwelier ins Gespräch und erhielt als Antwort „Ägypten hat andere Probleme, als sich um Saddam Hussein zu kümmern.“ Wie um diese Worte zu betonen, fuchtelte er mit seinem französischen Pass herum. Ich vergesse diesen Moment nie wieder, denn peinlich berührt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung von Ägypten hatte.

Kaum zuhause angekommen, deckte ich mich im Internet und in der Bibliothek mit Informationen über Land und Wirtschaft ein. Je mehr ich las, je mehr wollte ich wissen und umso mehr Fragen ballten sich in mir zusammen.

Vier Monate später kehrte ich nach Ägypten zurück, reiste herum, fragte und beobachtete. Jeden, der mir über den Weg lief und mit dem ich mich verständigen konnte, fragte ich, liess ihn reden, hörte geduldig zu. Ich erfuhr Erstaunliches, Erschütterndes, Unglaubliches und Unverständliches. Es ging um gescheiterte Beziehungen, um Geldsorgen, um Arbeitsplatzprobleme, um Familienbande, um bestehende und zerplatzte Träume. Ich ahnte, welch völlig andere Kultur sich hinter meinen Gesprächspartnern verbarg. Natürlich wollte ich auch  über Politik wissen, doch viele meiner Gesprächspartner wichen aus bzw. flüsterten oder blickten verstohlen aus den Augenwinkeln nach rechts und links bevor sie mir eine Antwort gaben.

„Why don’t you get up, stand up and fight for your rights?“ [Jimmy Cliff] – Warum erhebt ihr euch nicht, wehrt euch und kämpft für eure Rechte?