Sonntag, März 17, 2013

Port Said – immer noch

Endlich finde ich wieder ein bisschen Zeit für meinen Blog…


Die Stadt an Mittelmeer und Eingang zum Suez Kanal hat seinen Frieden und seinen Glauben an Gerechtigkeit wohl endgültig verloren.

Vor einem Jahr, Anfang Februar, war da dieses Fussballspiel Ahly Kairo gegen das Team Masry in Port Said. Ein Spiel wie viele Fussballspiele rund um den Globus: Fans, Aggressionen, Gewalt, Beinahe-Krieg. Fussball ist etwas von dem Wenigen, das den Menschen noch etwas Abwechslung bietet. Doch dieses Fussballspiel war schlimmer: denn nach Schlusspfiff gingen die Fans aufeinander los: Sie wurden von den Rängen gestürzt, sie wurden mit Messern verletzt; wer fliehen wollte, stand vor verriegelten Ausgängen und wurde zu Tode getrampelt. Folge: über 70 Tote, mehrheitlich Fans von Ahly Kairo.

Der Schock war riesig, die Wut auch. Familien haben ihren Ernährer oder ihre Söhne verloren. Sie fuhren am Nachmittag in Bussen nach Port Said als Fans und wurden am anderen Morgen als Leichen in Särgen nach Kairo zurück gebracht. Hinzukommt, dass sich die beiden Fangemeinschaften gegenseitig beschuldigen, Auslöser dieses Massakers zu sein.

Die betroffenen Familien und die Fussballvereine verlangten eine Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen. Beides liess auf sich warten; doch immerhin trat ein hoher Beamter zurück.

Inzwischen sickerte durch, dass – wie sonst üblich - vor dem Spiel keine Sicherheitsprüfungen gemacht wurden, um Besucher nach Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen zu durchsuchen. Es wurde bekannt, dass sich die Polizei während des Spiels zurückzog. Dem einen oder anderen Fan dämmerte es, dass sich da etwas anbahnte und er verliess das Spiel in der Pause oder während der zweiten Halbzeit. Das rettete manch einem das Leben. Auf Fotos ist zu sehen, wie Sicherheitsausgänge verschweisst (!) waren.

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Beim Schreiben dieser Zeilen erinnere ich mich, wie ich einmal in Alexandria mit einer Freundin unterwegs war, als eines dieser grossen Fussballspiele stattfand. Ausnahmsweise fuhr sie ihren Wagen selbst und wir mussten an einem Stadion vorbei, wo sich die Fans nervös und erregt bis in die Strassen drängten. Trotz grosser Hitze verriegelte sie Fenster und Türen und betete, dass wir heil davon kämen. Sie erzählte mir auch, wie ein Mann durchs offene Fenster ihre goldene Halskette abgerissen hatte…

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Im vergangenen Januar verkündete das Gericht das Urteil: 21 Todesurteile, davon zwei oder drei Polizisten, die anderen alles junge Männer und Jugendliche aus Port Said. Kairos Ahly Fans jubelten zuerst, wurden dann aber wütend, weil sie das Urteil als zu milde empfanden. Die Menschen in Port Said hingegen waren erschüttert, denn ihrer Meinung nach werden sie als Sündenböcke für die wahren Drahtzieher gebraucht. Der Trauerzug wurde zu einer Demonstration, die in brutalen Krawallen und zu weiteren Toten führte. Im Internet sind Bilder und Videos zu sehen, wie Scharfschützen die Menschen in den Strassen niederstrecken.

Darauf rief Mursi eine monatelange Ausgangssperre aus, die prompt von den Bewohnern ignoriert wurde. Weder die Polizei, noch das Militär griffen ein. In ihrer Verzweiflung begannen die Port Saider mit zivilem Ungehorsam und übernahmen ihre Stadt in Selbstverwaltung. Die Polizei streikt. Beides, der zivile Ungehorsam sowie der Polizisten-Streik haben auf andere Städte im Delta übergegriffen. Das Militär bewacht nun die wichtigsten Gebäude. Einzig der Betrieb des Suez Kanals wurde bis auf wenige Stunden verschont.

Vor einigen Tagen wurde das Urteil bestätigt. Und immer weitere Tatsachen kommen ans Licht. Beweise, wie z.B. dass ein zum Tode Verurteilter das Spiel vor der zweiten Halbzeit verliess, weil er an einer Hochzeit teilnahm, wurden von den Untersuchungsrichtern nicht akzeptiert. Selbst die Polizei in Port Said gibt zu, im Chaos wahllos Hunderte von Männern festgenommen zu haben und darunter mögen sich zahlreiche Unschuldige befinden. Andere wurden zuhause verhaftet oder, wie einer in einem Interview mit der Online-Zeitung „Ahram Online“ erzählt, weil er sich weigerte, die Namen der Port Said Ultras bekannt zu geben. Ein anderer sagt, dass er zum Tode verurteilt sei, sich aber nicht der Polizei gestellt hat. Jede Minute können sie ihn ergreifen…

Es heisst zudem, dass die Ahly Ultras, die sich im Verlaufe der vergangenen zwei Jahre immer öfter politisch engagieren, sich mit den Muslim Brüdern trafen. Man munkelt, dass mit der Zahl der Verurteilten und jenen, die in den Strassenschlachten umkamen, nun gleich viele Tote wie bei den Ahly Fans sind…

Haarsträubend. Dabei ist das noch nicht alles. Mag sein, dass die MB mit Port Said und den anderen Städten am Suez Kanal eine offene Rechnung zu begleichen hatten: die Bewohner dort stellen sich seit je gegen die MB. Jedenfalls scheint es, als ob die Regierung die Menschen in Port Said ausbluten lassen wollte: auch ihr Statut als „Sonderwirtschaftszone“ (zollfreie Zone) ist in Gefahr.

Fussball ist Spielball der Politik. Die einen spielen munter mit, die anderen vermuten es, können sich aber nicht wehren. Ein Spiel, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Vorerst noch. Nur merkt noch keiner, dass am Ende alle verlieren.

Auf der Strecke bleiben die Arbeiter, die Frauen und Mütter. Es gibt immer weniger Arbeit und nun trauern die Frauen um ihre Männer und halbwüchsigen Söhne. Eine junge, allein erziehende Witwe ist in dem erzkonservativen Land am Ende. Eine Frau, dessen Mann jahrelang im Gefängnis sitzt oder der zum Tode verurteilt wird, ist ebenfalls am Ende. Eine Familie, die ihren Ernährer verliert, ebenfalls. Wohin sollen die Menschen mit ihrer Wut und ihrer Trauer? Es gibt keine Polizei, bei der sie ihr Recht einfordern können. Es gibt kein Gericht, das Gerechtigkeit walten lässt. Es gibt kein Sozialsystem, das die Betroffenen finanziell, geschweige denn psychologisch unterstützt. Es ist eine Tragödie sondergleichen und ich bezweifle, dass sie schon zu Ende ist.

Sarkastischer Nachtrag:
Bei besagtem Spiel gewann wider Erwarten und ausnahmsweise Port Said.