Samstag, September 28, 2013

Markt im Bluemoon Tierheim

Vergangene Woche fand der Herbstmarkt statt. Es war ein heisser, windiger Tag, inmitten einer touristenleeren Zeit. Zu meiner grossen Überraschung kamen aber viele Besucher und Freunde.

Monika führte Interessierte durch die Anlage und zeigte Gehege und Tiere, erklärte Sinn und Zweck des Tierheims. An liebevoll dekorierten Ständen wurden selbst hergestellte Seifen und Kerzen, gebrauchte Kleider, Holzschnitzereien und natürlich Tierzubehör verkauft. Von jedem Verkauf profitiert das Tierheim - ein wertvoller Zustupf für die nicht Gewinn orientierte Organisation.

Besonders attraktiv war das Restaurant: Kuchen und Gebäck, ein orientalisches Buffet, Hähnchen vom Grill und frisch gebackene Brotfladen wurden angeboten.

Mein Lieblingsobjekt war jedoch dieses Kunstwerk:



Der nächste Markt findet im Dezember statt. Wer das Tierheim unterstützen möchte, findet hier und hier weitere Informationen.

Und hier ein paar Bilder:










Dienstag, September 24, 2013

Seltsame Begegnung

Da steht dieser Mann in einer hellgrauen Gallabya. Neun Uhr früh. Er drückt sein Handy ans Ohr, geht drei Schritte vor, drei zurück, dreht sich im Kreis. Die Türe des Autos steht offen.
Vor dem Krankenhaus „El Hayat“ (Das Leben)… kann also vorkommen.

Der Mann erblickt mich, winkt mich zu sich. Sein Gesicht ist bleich, aufgedunsen, seine Augen scheinen geschwollen. Entgegen meinem üblichen Reflex zögere ich nicht, fahre zu ihm heran, halte an und ziehe den Stecker aus dem Ohr (da war Musik drin). Ich: eine Ausländerin, weiblich, mit Helm, in Radklamotten und auf einem orangefarbenen Rennrad. Das ist seltsam, alles zusammen.

Ich blicke ihn an, warte darauf, dass er seinen Redeschwall unterbricht. „Wissen Sie, wo das Krankenhaus El Hayat ist?“ fragt er mich auf Arabisch, mich, die Ausländerin in Radklamotten. Wie kann er denn nur erwarten, dass ich ihn verstehe? Zögernd antworte ich „Heya di!“ – hier ist es! – und schaue mir die Schriftzeichen in Arabisch und Lateinisch an: unverkennbar, klar und silbern bezeichnen sie das Krankenhaus. Ich will sagen, Sie stehen doch davor! – aber ich lasse es, denn der Mann ist verwirrt oder krank oder verzweifelt oder unter Schock oder…. oder… vielleicht kann er nicht lesen? Bevor er wieder seinen Redeschwall ins Gerät fortsetzt, wünsche ich ihm alles Gute. Zu wenig vielleicht, um ihm beizustehen, oder schon zu viel, denn er nimmt es nicht mehr wahr…

Sonntag, September 22, 2013

Sandsturm

Innert weniger Minuten ist die Luft dunkelgelb, die benachbarten Häuser verschwinden hinter einem halbdurchsichtigen Vorhang und das nur 500 Meter entfernte Meer scheint im Nichts verschluckt.

Der Wind wirbelt Haufenweise Sand durch die Luft und mit ihm alles, was nicht fest angebunden ist. Der Liegestuhl wird wie von Geisterhand gegen das Balkontischchen gedrückt, der Wäscheständer mit der frisch gewaschenen, weissen Wäsche duckt sich, gibt nach und kippt endlich auf den vor einer Stunde gewischten Balkonboden. Die Fenster sind verriegelt, trotzdem findet der grobkörnige Sand seinen Weg in die Wohnung und Staub legt sich sanft über alle Flächen. Der Wind heult auf, pfeift und strapaziert die Nerven.

Die Kommunikation auf Facebook:

„Sandsturm“
„wo?“
„hier in Hurghada“
„Danke. Ich habe nämlich vergessen, die Autofenster zu schliessen.“ (Wenn ich mir das Vorstelle!)
„Hurghada ist eine Wüstenstadt.“

Kein Mensch geht nach Draussen, nur der Wachmann steht einsam im Sturm und tut seinen Dienst. Der Swimmingpool wird zum Teich. Geduld! Geduld ist gefragt und wird belohnt. Nach drei Stunden ist der Spuk vorbei, der Wind flacht ab, es wird Nacht.

Am nächsten Morgen fängt das Spiel erneut an: Balkon wischen, Ritzen saugen, abstauben, Wäsche erneut waschen und aufhängen. Zähneknirschend zuerst, dann mit einem Lachen, denn ja, wir leben in einer Wüstenstadt!


Freitag, September 13, 2013

Zurück zur Militärdiktatur?

Seit der Absetzung Mursis durchläuft Ägypten eine weitere hässliche Phase der Revolution. Mit der Erfüllung der Forderungen des Aufstandes vom 25. Januar 2011 nach Brot, Frieden und Gerechtigkeit hat der momentane „Krieg gegen den Terrorismus“ ziemlich wenig zu tun.

Mit Gefühlen spielen
In den Tagen um den 30. Juni und 3. Juli – als Mursi abgesetzt wurde – sowie anschliessend spielte die Armee gekonnt mit den Gefühlen der Ägypter: sie warfen ägyptische Flaggen aus Helikoptern auf die Menschen hinab, zeichneten die ägyptischen Nationalfarben mit dem Schweif von Kampfflugzeugen an den Himmel und liessen keine Gelegenheit aus, sich als Retter der Nation darzustellen. Die Herzen der Ägypter flogen ihrer Armee und dem derzeitigen Armeechef El Sisi blindlings zu. Haben die Ägypter so rasch vergessen, welche Rolle die Armee spielt? Als ich auf Facebook dieses emotionale Spiel seitens der Armee ansprach, war die Reaktion: wir vertrauen unserer Armee, das ist seit Jahrzehnten in unserem Instinkt.

Ich nenne es Manipulation der Massen und staune darüber, dass Militärgerichte für Zivilisten, übermässige Gewalt, Folter und Korruption seitens des Militärs stillschweigend ausgeblendet werden.

Die Armee ist die einzige Institution, die Ägypten aus der katastrophal verfahrenen Situation befreien kann – das bezweifle ich nicht. Es ist auch offensichtlich, dass sich die Muslimbrüder und ihre radikalen Freunde einerseits mit Gewalt, Anschlägen und Bomben rächen und sich andererseits als Opfer darstellen. Auch sie spielen mit den Gefühlen ihrer Landsleute und übrigens auch mit ihren europäischen Partnern. Die Gewalt zu bekämpfen ist sicher Sache der Armee und der Regierung. Die Art und Weise, wie das geschieht, ist allerdings zweifelhaft.
Bevor ich dazu aushole, möchte ich aber noch etwas Besonderes bemerken. Trotz allem habe ich einen gewissen Respekt vor der ägyptischen Armee: sie hat sich nicht dem Willen, dem Druck und den Drohungen des Geldgebers USA gebeugt, sondern hat unabhängig gehandelt. Das könnte eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten bedeuten. Ich glaube, das wird interessant werden.

Willkür, Zensur und fehlende Rechtsstaatlichkeit
Zweifelhaft oder je länger je eindeutiger: Tausende von Muslimbrüdern wurden in den vergangenen Wochen festgenommen. Gegen die Führer wurde inzwischen Anklage wegen Aufruf zu Gewalt, Spionage, Landesverrat, Gefängnisausbrüchen und anderen kriminellen Handlungen erhoben. Unter den Tausenden von Festgenommenen ist nicht jeder ein Muslimbruder und nicht jeder Muslimbruder ist gewalttätig oder gefährlich. Willkür.

Mehreren Fernsehstationen wurde verboten, weiterhin ihr islamistisches Gedankengut zu verbreiten. Sie wurden abgeschaltet. Es gäbe sicher andere Mittel, die Hetze der Islamisten zu Anschlägen gegen Christen, ihre Kirchen und Geschäfte sowie gegen staatliche Einrichtungen zu unterbinden. Mehrere Journalisten wurden bei ihrer Arbeit auf der Strasse getötet, andere unter seltsamen Verdächtigungen festgenommen. Zensur und Willkür.

Das Notrecht wurde um zwei weitere Monate verlängert. Das bedeutet, dass weiterhin jeder zu jederzeit und überall festgenommen werden kann. Denunziation ist ausreichend. Die Ausgangsperre wurde jedoch verkürzt (hier am Roten Meer galt sie sowieso nie). Willkür und fehlende Rechtsstaatlichkeit.

Gegen die Muslimbrüder wurde eine Hasswelle eingeleitet, die sich zu einer wahren Lawine ausgebreitet hat. Männer mit Bart tun gut daran, diesen abzunehmen. Ich erzählte einem Freund, dass ein Kopte mit Bart auf der Strasse zusammen geschlagen wurde, in der Annahme, er sei ein Muslimbruder. Die Reaktion meines Freundes – übrigens ebenfalls ein Kopte – schockierte mich: aber es sei gut, wenn die Muslimbrüder zusammen geschlagen würden! Gibt es kein anderes Mittel, um gegen eine verbrecherische und terrorisierende Organisation vorzugehen? Mein Freund erkannte zerknirscht, in welche Falle er getappt war. Hunderttausende von anderen leider nicht. Sie folgen blindlings der Propaganda von Militär und dem Innenministerium.

Der Innenminister ist derselbe wie unter Mubarak. Die Richter haben keinen Einzigen der Angeklagten von Mubarak und seinen Getreuen verurteilt. Kein Polizist ist für die Tötung eines Zivilisten verurteilt worden. Tausende von Aktivisten und willkürlich gefangen genommene Menschen hocken ohne Anklage und Urteil in den Verliesen der Gefängnisse. Hunderte von Menschen sind verschwunden und niemand weiss oder will preisgeben, wo sie sind bzw. wie und wo sie umgekommen sind.

Nach dem Aufstand ist vor dem Aufstand
Die Regierung und die Armee versuchen entstehende Zweifel an ihrem derzeitigen Tun zu zerstreuen, versprechen keine Rückkehr zum alten System wie unter Mubarak. Doch viele Zeichen zeigen in genau jene Richtung. In den vergangenen zwei Monaten hat sich einfach gar nichts verbessert, sondern nur noch verschlechtert. Das einzig Positive, das ich erkennen kann, ist, dass offenbar jemand wieder den Überblick über die staatlichen Finanzen hat, davon etwas versteht und gewillt ist, diese in Ordnung zu bringen. Logisch, denn darin sind die „Feloul“ (eben jene Machthaber aus Mubaraks Zeiten) sowie das Militär stark.

Schon sind Stimmen zu hören: besser eine Militärdiktatur, als die Muslimbrüder… El Sisi soll Präsident werden… Wir lieben unsere Armee… Ach, wie kurzzeitig ist das Gedächtnis der Menschen! Und doch kann ich es verstehen: die Menschen wollen endlich wieder essen, trinken, lachen, tanzen und ein friedliches Leben führen.

Die Liebe zur Armee wird nicht ewig dauern, der nächste Aufstand ist vorprogrammiert, wenn die Herren der Übergangsregierung und Armeevertreter nicht bald klüger und überzeugender handeln. Das Gezerre um Macht wird weiter gehen. Leider.


Donnerstag, September 05, 2013

Reisewarnungen und deren Folgen

Seit die europäischen Länder Reisewarnungen für Ägypten ausgesprochen und diese in einem zweiten Schritt auf die Region Rotes Meer ausgeweitet haben, ist der Tourismus hier zusammen gebrochen. Oder beschönigend ausgedrückt: eine Pause wurde eingelegt.

Wie schon im Frühjahr 2011 sind Flugzeuge leer in Hurghada gelandet und haben Touristen ausgeflogen. Die Hotels leeren sich, eines nach dem anderen schliesst. Einige wenige sind noch offen und bewerben nun den Inlandtourismus mit enormen Preissenkungen. Auch einige Tauchbasen arbeiten noch. In der Tiefe des Meeres scheint die Welt wohl noch eher in Ordnung.

Wenn ich morgens mit meinem Rennrad unterwegs bin, komme ich mir vor wie in einem falschen Film, den ich aber schon einmal durchlebt habe: kaum Mini- und Hotelbusse, die junge Männer zu den Hotels fahren, wenige Taxis und Privatfahrzeuge. Vor den Hotelanlagen sitzen ein paar Sicherheitsleute herum, die unzähligen Souvenirgeschäfte bleiben geschlossen. Der Tand aus China, die ewig gleichen T-Shirts sowie die Fantasienamen der Geschäfte wirken auf mich noch schäbiger als sonst.

Dahinter stehen aber Menschen, Familien und Verzweiflung. Zehntausende von Angestellten haben in den letzten Wochen Hurghada verlassen, um Zwangsferien zu nehmen. Während diesen sogenannten Ferien erhalten sie keinen Lohn, keine Arbeitsausfallsentschädigung, noch sonst irgendeine Unterstützung. Das gibt es hier nicht. Viele Arbeitgeber bleiben ihren Angestellten den Lohn mit fadenscheinigen Begründungen schuldig.

Eine Hotelangestellte sagt unseren Termin ab, weil sie nur einen Teil ihres vertraglichen Lohnes ausbezahlt bekam. Die Buchhalter wollten die ruhigere Zeit zur Auffrischung ihrer Englischkenntnisse nützen, werden aber von einem Tag auf den anderen ebenfalls nach Hause geschickt. Die Fotografin liefert ihre Bilder ab, der Abnehmer gibt ihr 50 % des vereinbarten Entgeltes und behauptet, nicht mehr zu haben.

Der mehrsprachige Reiseleiter (ein Anwalt mit Master-Diplom aus Frankreich) erhielt nur seinen Basislohn von 300 Pfund (ca. 30 Euro); das vereinbarte Wohngeld von 900 Pfund wurde einbehalten und Provisionen für Ausflüge sowie Trinkgelder fallen logischerweise nicht an. Umsatzbeteiligung steht zwar im Vertrag, wird aber nie ausbezahlt. Das ist kein Einzelfall, sondern die Regel und die wird von allen Tour Operators eingehalten, egal wie klingend ihre Namen, egal wie bekannt ihre europäischen Partner sind. Der Reiseleiter, seine Kollegen und mit ihnen eine Heerschaar von Arbeitern sind völlig verzweifelt, wissen nicht, wie über die Runden kommen. Die vergangenen zweieinhalb Jahre haben nicht genügend eingebracht, um etwas auf die Seite zu legen. Das gilt für die Angestellten, nicht aber für die Firmeninhaber und das oberste Management. Die scheffeln Euro-Millionen und halten die Angestellten wie Sklaven.

Gewerkschaft gründen? Solches Gehabe wird mit Mafia-Methoden verhindert. Sich wehren und den Arbeitgeber verklagen? Entlassung und Drohungen an Leib und Leben. Streiken? Polizeigewalt, Gefängnisaufenthalt und Rausschmiss. Grad heute berichten die Medien von der (vermutlich willkürlichen) Gefangennahme eines Anwalts, der sich für die Rechte von Arbeitern einsetzt. Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit hat in Ägypten keine Tradition und nur schon die Idee dafür wird im Keime erstickt.

Trotzdem ist das Land in einem Tumult. Oder eben genau deswegen?

Wann kommen die Touristen zurück? Niemand weiss es. Die Drohung seitens der USA, Syrien anzugreifen, hängt wie ein Unheil ankündigendes Gewitter über der Region. Das ist zwar ein anderes Thema, hat aber Auswirkungen auf die Wirtschaftslage Ägyptens. Touristen kommen dann garantiert keine mehr.

Vielleicht müssen dann auch wir unsere Koffer packen. Ich meine wir Ausländer, die hier leben. Und was machen die Ägypter dann?