Montag, Dezember 30, 2013

ابدا بنفسك – Offener Brief an meine ägyptischen Freunde

Liebe Freunde

Ihr wisst, dass ich schon seit einiger Zeit in Ägypten lebe. Ich verfolge die Ereignisse, diskutiere mit euch und höre mir eure Sorgen über euer Leben und euer Land an. Keiner von euch ist glücklich, wir sind alle enttäuscht darüber, wie sich die vergangenen drei Jahre entwickelt haben. Mir tut es Leid für euch und auch für euer Land. Aber es gibt da etwas, das ich euch sagen möchte.

Ihr möchtet euer Land verändern? Ihr träumt davon, ein riesiges Land wie Ägypten zu ändern, das:
  • von 90 Millionen Menschen bevölkert ist,
  • sich über eine Fläche von fast einer Million Quadratkilometern erstreckt,
  • Heimat für Menschen unterschiedlicher Ethnien, unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Kulturen ist,
  • nicht für genügend Trinkwasser, Weizen und Energie sorgen kann,
  • in Smog, Abwasser und Abfall an Land und im Meer versinkt,
  • zu den korruptesten Ländern der Welt gehört?

All das und noch viel mehr wollt ihr ändern? Doch kaum jemand versucht, sein eigenes Verhalten zu ändern. Wenn ihr euer Land ändern wollt, dann müsst ihr zuerst bei euch selbst beginnen! ابدا بنفسك

In Gesellschaft und Öffentlichkeit – es geht um Respekt
Bitte, respektiert andere Menschen. Euer Nachbar ist anders als ihr? Er verhält sich anders? NA UND? Kümmert euch um euren eigenen Kram!

Unterschicht, Oberschicht? Was ist das? Warum schnauzt ihr den Strassenwischer an und verbeugt euch vor dem Manager? Keiner von denen ist besser oder schlechter als ihr: alle sind Menschen und verdienen Respekt.

Bitte respektiert Frauen. Belästigt sie nicht, starrt sie nicht an als ob sie nur Sexobjekte wären anstatt Menschen. Behandelt sie wie Prinzessinnen – sie verdienen es.

Was ist das für ein Problem mit Schwulen, Lesben, Atheisten und Gläubigen anderer Religionen? Ihr müsst sie nicht mögen oder ihre Wahl verstehen. Aber zeigt ihnen Respekt – sie sind Menschen wie ihr und ich und alles andere geht uns nichts an.

Ihr fährt Auto? Ägyptische Männer behaupten von sich, sie seien Gentlemen. Doch 90% von ihnen verwandeln sich in Monster, sobald sie ein Lenkrad umklammern. Warum lässt ihr Fussgängern nicht den Vortritt, sondern beschleunigt sogar und überfährt sie beinahe? Warum bleibt ihr nicht in eurer Fahrspur, sondern wechselt von rechts nach links und von links nach rechts, ganz nach eurem Belieben? Bitte respektiert die Verkehrsregeln – dafür sind sie da.
Ihr habt mit jemandem Streit? Ok, diskutiert das aus. Doch weshalb müsst ihr in der Öffentlichkeit herumschreien oder noch schlimmer: eine Schlägerei mit Unterstützung eurer Freunde anfangen? Könnt ihr das nicht in Ruhe und Anstand miteinander regeln? Müsst ihr wirklich alle Passanten, die Nachbarn im oberen Stock, im unteren Stock und jene auf der anderen Strassenseite auch noch miteinbeziehen? Bleibt doch zivilisiert, bitte.

Telefonieren in der Öffentlichkeit scheint wesentlicher zu sein, als Wasser zu trinken oder Brot zu essen. Ich hab’s verstanden. Aber dann bitte, werdet nicht laut und lasst dadurch Dutzende anderer Leute euer Gespräch mithören – wir wollen nichts über eure persönlichen Angelegenheiten erfahren.

Ihr habt eine Verabredung? Dann seid pünktlich! Und falls ihr doch zu spät dran seid, ruft doch euren Kollegen an und gebt ihm Bescheid.

Ihr gehört zu den Glücklichen, die eine Arbeit haben? Hunderttausende haben keine. Also weshalb macht ihr eure Arbeit nicht sorgfältig? Weshalb leistet ihr nur 60% an Qualität, warum nur 60% der Leistung? Warum hört ihr auf halbem Weg auf? Warum lässt ihr sie halb-fertig liegen? Eine Arbeit bedeutet Verantwortung – aber wenn ihr nicht verantwortungsbewusst seid, heisst das, dass ihr unzuverlässig seid und euren Lohn nicht verdient.

Ich weiss, dass ihr entgegnen wollt “aber die anderen machen das auch!” NA UND? Springt ihr auch von einem Wolkenkratzer, wenn jemand anders das macht? Ja, vermutlich springt ihr auch…

Privatleben – es ist dein Eigenes
Ihr habt mir so viele traurige Geschichten über dieses Thema erzählt. Ihr wollt euch scheiden lassen? Ihr seid unglücklich, euer Partner / eure Partnerin ist unglücklich und alle anderen in eurer Familie sind auch unglücklich? Dann vergiss dieses scheinheilige Getue um Ehre, Traditionen und Kulturen deines Stammes oder deiner Familie! Ist es euer Leben oder jenes der anderen? Wollt ihr eure Kinder in einer heuchlerischen Familie erziehen, ihnen heuchlerische Werte vermitteln oder wollt ihr, dass sie ein besseres Leben haben werden als ihr?

Ihr möchtet jene Frau / jenen Mann heiraten, den ihr liebt, aber sie / er gehört einer anderen Religion an, kommt aus einem anderen Land oder einer anderen sozialen Schicht oder anderen, von Menschen erfundenen Hindernissen? Nochmals frage ich euch: ist es euer Leben oder jenes derer, die euch in eine arrangierte Ehe zwingen wollen, welche euch und eure Partnerin / euren Partner unglücklich macht, welche euch zwingt, eine Rolle zu spielen nur um die Ehre eurer Familie nicht zu beschmutzen? Wenn ihr es nicht wagt, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, werdet ihr dann euren Kindern erlauben, dies zu tun? Oder werdet ihr sie in dasselbe unglückliche Leben zwängen? Aber natürlich wollt ihr ein besseres Leben für euren Nachwuchs, nicht wahr?

Entscheidet selbst für euer Leben, bitte!

Umwelt, Verschmutzung, Abfall und all das Zeug – kümmert euch darum
Braucht ihr wirklich jedes Mal einen neuen Plastiksack, wenn ihr eine Dose Cola kauft? Nein? Ihr trinkt das Cola sowieso sofort? Weshalb dann lehnt ihr den Plastiksack nicht lächelnd ab?

Habt ihr jemals über all diese Plastiksäcke und – flaschen und Kartonschachteln und Büchsen nachgedacht, die der Wind in die Wüste und ins Meer wirbelt? Habt ihr jemals darüber nachgedacht, welche Schäden sie an den Korallenriffen, den Fischen, den Vögeln und Mutter Erde antun? Habt ihr je überlegt, dass es eine Ewigkeit braucht, bis Plastik verrottet? Habt ihr euch je überlegt, wie hässlich all der Abfall in eurem Land anzusehen ist und welches Gesundheitsrisiko er birgt? Bitte, hört auf, Abfall überall hinzuwerfen! Bitte hört auf, Schutt auf Strassen, Plätze, ins Meer und in der Wüste zu lagern. Wenn ihr keinen Abfallkübel findet, dann nehmt euren Abfall mit nach Hause und entsorgt ihn dort. Seid ein Vorbild für die anderen.

In eurem Land leben Millionen von Armen. Viele können nicht mal jeden Tag ihren Hunger stillen. Ihr wisst das doch, oder? Wie könnt ihr es trotzdem übers Herz bringen, Lebensmittel und halb ausgetrunkene Getränkebehälter wegzuwerfen?

Euer Land leidet unter Stromunterbrüchen und es fehlt an Treibstoff. Ich stelle mir vor, dass jeder versuchen würde, sparsam mit Energie umzugehen, doch ich täusche mich! Ist es wirklich nötig, dass die Klimaanlage läuft während Fenster und Türen weit offen stehen? Hat euch nie jemand erklärt, dass man Fenster und Türen schliessen sollte? Während der ganzen Nacht brennen die Lampen in den Treppenhäusern – warum? Tagsüber brennen Strassenlaternen – warum? Ihr schläft mit eingeschaltetem Licht – warum? Solch eine Verschwendung von Energie und Geld! Ägypten kann sich diese Verschwendung gar nicht leisten.

ابدا بنفسك
Wenn ihr nicht euer Leben ändert, wer soll es denn für euch tun? Werden eure Kinder beginnen, ihr Leben zu ändern? Oder wird alles beim Alten bleiben? Sodass sich nie etwas ändert? Wie denn, bitte, soll sich euer Land je ändern?

Ich weiss, die meisten von euch, meinen ägyptischen Freunden, sind sich dessen bewusst und handeln entsprechend. Doch dies ist ein offener Brief, deshalb bitte leitet ihn weiter an eure Freunde und eure Familien und deren Freunde und Familien.
Danke.


Donnerstag, Dezember 26, 2013

Hexenjagd eröffnet

Die Hexenjagd ist offiziell eröffnet. Nach dem Anschlag auf ein Polizei-Hauptquartier in Mansoura vor zwei Tagen haben der Staat und die Öffentlichkeit mit dem Finger auf die MB gezeigt, obwohl noch gar keine Beweise vorhanden sind, sich die MB vom Anschlag distanziert haben (ob das die Wahrheit ist, ist eine andere Frage) und obwohl sich die Gruppe Ansar Beit El-Maqdis zum Anschlag bekannt hat.

Die Bevölkerung von Mansoura hat rasend vor Wut und Zorn Geschäfte, Häuser und anderen Besitz von angeblichen Muslimbrüdern zerstört.

Zu einer Terroristen-Organisation hat der Premierminister die MB erklärt und jeder, der dieser Verbindung angehört, kann verhaftet werden. Doch: woran erkennt man einen Muslimbruder? Die Organisation ist wie ein Geheimbund aufgebaut und es gibt innere und äussere Kreise, deren Mitglieder je nach Zugehörigkeitsgrad tiefer in die Geheimnisse des Bundes eingeweiht sind. Und dann gibt es Sympathisanten. Zahlen gibt es nicht, nur Schätzungen: mehrere Millionen Anhänger – was dank der karitativen Tätigkeit der Bruderschaft verständlich ist – und mehrere Hunderttausend Zugehörige.

Erkennbar sind sie also nicht. Und die Millionen Mitläufer und Dankbaren ob der verbilligten Lebensmittel, Gratisschulen und 50-Pfund-Noten für die Stimmabgaben: sind sie Terroristen???

Gejagt können nun aber alle werden, die sich irgendwie wie „Muslimbrüder“ verhalten oder aussehen. Genauso, wie noch immer Christen gejagt und ihre Habe gebrandschatzt wird. Genauso, wie es in Europa den Juden erging.

Es ist zum Weinen. Diese Hexenjagd wird weiteren Hass streuen, weitere Tote fordern, die wieder gerächt werden, und weiteres Leid über die geplagten Ägypter bringen. Die Bombenanschläge werden deshalb nicht aufhören, im Gegenteil. Was um alles in der Welt überlegt sich der Staat bzw. El-Sissy und seine Kollegen?

Der „Kampf gegen den Terrorismus“ ist flächendeckend und die Repression schliesst inzwischen auch jene Aktivisten mit ein, die als treibende Kraft hinter dem Aufstand vom 25. Januar 2011 stand. Sie wurden soeben zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.


Muss die Welt bald zusehen, wie sich die Ägypter gegenseitig abschlachten? In vier Wochen jährt sich der 25. Januar zum Dritten Mal. Wann kommt der nächste Aufstand?

Samstag, Dezember 21, 2013

Frohe Weihnachten

Ich wünsche allen meinen treuen Leserinnen und Lesern und auch denjenigen, die sich zufällig auf meine Seite verirren

Frohe Weihnachten und ein glückliches 2014!



Ich wünsche euch, dass ihr die bevorstehenden Festtage mit lieben Menschen verbringen könnt. Möge euch das kommende Jahr etwas von dem bringen, was ihr euch am Sehnlichsten wünscht.

Eure El Qamar.

Mittwoch, Dezember 18, 2013

Scham oder was?

Mein „Püppchen“ ist nicht wie vereinbart zum Unterricht gekommen. Das Mädchen ist erst neun, klug und kommt gern zu mir. Neulich zeigte sie mir vor Stolz beinahe platzend ein Diplom für die beste Note in Englisch.

Ich rief ihren Vater an – keine Antwort. Ich machte mir Sorgen. Noch versuchte ich, zwei Nachrichten über Autounfälle zu verdauen: der fünfjährige Schüler einer Freundin wurde überfahren, der Ausfahrer der Bäckerei und seine Frau schwer verletzt. Was ist meinem „Püppchen“ passiert? Was ist ihren Eltern passiert?

Am Tag des nächsten Unterrichts rief ich den Vater nochmals an – diesmal antwortete er: „Es tut mir leid, ich war den ganzen Tag unterwegs, hatte viele Probleme und hatte das Handy im Auto vergessen und als ich am Abend den Anruf sah, habe ich mich geschämt und getraute mich nicht, zurück zu rufen“ und so weiter…

Als das Mädchen da war, habe ich sie gefragt, weshalb sie nicht gekommen sei. „Es war kalt“ hiess die ehrliche Antwort.

Ich habe sie dann gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie bei mir läutete und ich die Türe nicht öffnete, sondern im Bett bliebe, weil es dort wärmer wäre. Sie hat verstanden, worum es geht.

Ich weiss, dass Ägypter für uns Europäer seltsam anmutende Schamgefühle haben. Doch was ist denn nun schlimmer: eine Notlüge auszusprechen, anstatt schlicht zu den Tatsachen zu stehen („es ist zu kalt, wir kommen heute nicht“) oder von der Tochter und ihrer Lehrerin als Lügner entlarvt zu werden? Was für ein Vorbild ist der Vater für seine Tochter? Was ist das für eine Generation von Eltern?

Einer meiner ägyptischen Freunde lachte darüber und meinte: das machen viele so. Alle Lügen, nur wenige hätten den Mut, ehrlich zu sein. Tugend und Respekt sind Mangelware geworden.


Freitag, Dezember 13, 2013

Schnee in Ägypten

Unglaubliche Bilder, unglaubliches Wetter! Es kommt vor, dass es im Winter auf dem Sinai schneit, die Berge reichen da auf 2'600 m ü.M. - aber in Kairo und Alexandria? Hier sind einige Bilder, alle von Facebook geklaut:



St. Catherin auf dem Sinai

Kairo

Alexandria

Alexandria
Und bei mir in Hurghada wechselt sich die Sonne mit Sandsturm ab - es ist saukalt. 

Einer meiner Freunde meinte: "Gott bestraft uns wohl...". Ich denke hingegen an all die Strassenkinder, an all die Menschen, die in dieser Weltgegend in behelfsmässigen Hütten und in Rohbauten hausen: viele werden in dieser Kälte erfrieren. 

Auf unserem Planeten läuft schon ziemlich vieles schief :( .

Herzerwärmend

Für all jene, die in dieser Jahreszeit etwas Wärme brauchen:


Mittwoch, Dezember 11, 2013

Kälte

Über's Wetter schreiben ist eigentlich banal. Nur grad momentan macht das Wetter hier in Hurghada (in ganz Ägypten und im östlichen Mittelmeerraum) Kapriolen. In Istanbul lag gestern Schnee.

Der ganze November war herrlich warm, 30 Grad oder mehr haben uns verwöhnt, und meistens war es windstill. Letze Woche tummelte ich mich noch schwimmend im Meer. Vorgestern ist aber der Winter eingekehrt: Temperatursturz und Stürme. In Alexandria an der Mittelmeerküste regnet es aus Kübeln, die Tagestemperaturen liegen noch bei kühlen 10 Grad. 

Hier in Hurghada stürmt es mit über 50 km in der Stunde und die Temperaturen fallen und fallen: morgen sind noch 16 Grad Höchsttemperatur angesagt, in der Nacht 8 Grad! Das liegt deutlich unter den sonst für den Dezember üblichen 24 Grad und weit entfernt von meinen Erinnerungen an bisherige Winter. Es fühlt sich schlichtweg saukalt an. Der Wind hat die dicken, bedrohlichen Wolken am nördlichen Horizont gnadenlos zerzaust und das tut gut: die Sonne scheint, trotz allem.

Montag, Dezember 09, 2013

Alltag – wie er nicht sein sollte

Manchmal glaube ich, ich werde wahnsinnig! Kleine Dinge, die zum Alltag gehören, werden in Ägypten zu riesigen, oft unlösbaren Problemen. Deshalb lasse ich manche Dinge einfach sein, wie sie sind: ein Schalter ist kaputt, der Verputz blättert ab, nur zwei der vier Herdplatten funktionieren und so weiter. Am besten ist es: nicht berühren, Niemanden zur Reparatur kommen lassen, solange etwas noch halbwegs funktioniert.

Manchmal muss ich aber eine Lösung suchen und wie das hier so abläuft, erzähle ich heute.

Moskitotüre
Alle Balkontüren sind mit schiebbaren Moskitotüren ausgestattet. Das Moskitonetz an der Küchentüre hatte schon Löcher, als ich einzog. Macht nichts, ich habe einen ausrangierten Stoffsocken darüber genäht – der hatte genau die Form des Lochs! Das sah zwar nicht schön aus, aber es hielt die Stechmücken davon ab, hereinzuschlüpfen. Im Laufe des Sommers konnte ich die Türe nicht mehr aufschieben, d.h., die Rädchen blockierten. Öl nützte nichts; ich brauchte einen Handwerker, der die auswechseln kann. Ich wandte mich an den Verwalter der Anlage und er versprach, jemanden zu schicken, das werde aber einige Zeit dauern. Ich stellte mich darauf ein und trug Wäsche, Frühstück, Laptop und alles andere durchs Wohnzimmer hinaus auf den Balkon.

Nach zwei Wochen erhielt ich Bescheid, dass heute der „Techniker“ da sei und zu mir kommen werde. Der kam, sah und versprach, in vier Tagen einen Handwerker zu schicken. Die vier Tage verstrichen und noch weitere 10 Tage obendrein. Ich wandte mich wieder an unseren Verwalter, der wiederum mit dem „Techniker“ sprach. Es komme jemand um 11 Uhr. Bis um 15 Uhr tauchte niemand auf und ich musste aus dem Haus. Vereinbarungsgemäss übergab ich die Moskitotüre dem Sicherheitsmann am Gate, damit die Leute die Türe in meiner Abwesenheit reparieren könnten. Als ich am Abend zurückkam, war das Moskitonetz ausgewechselt (wie schön!), ich stellte die Türe wieder auf die Schiene – doch sie liess sich noch immer nicht schieben. Die Handwerker hatten nur halbe Arbeit geleistet.

Einmal mehr ging ich zum Verwalter ins Büro und er rief den „Techniker“ erneut an. Der Versprach wieder, dass anderntags jemand um 11 Uhr kommen werde. Sie kamen tatsächlich und leisteten gute Arbeit. Meine Freude jedoch hielt sich in Grenzen – ich hatte vier oder fünf Wochen gewartet, musste unzählige Male den Verwalter bemühen und dieser wiederum rief den Geschäftsinhaber unzählige Male an.

Bank
Ich habe ein Schweizer Franken Konto bei einer internationalen Bank in Ägypten. Wegen den Wechselkursschwankungen aufgrund der politischen Unruhen wechsle ich Geld nur bei Bedarf. Ich schrieb dem Kundenservice der Bank vor langer Zeit und bat, genügend Schweizer Franken in bar bereit zu halten, damit ich Geld abheben könne, wann immer ich wolle. Mit demselben Wunsch gelangte ich an meine Filiale; dort hiess es allerdings, ich müsse in eine andere Filiale gehen (die ist weiter weg und dort wartet der Kunde i.d.R. 45 Minuten, bis er endlich bedient wird). 

Als ich eines Tages Franken abholen wollte, hiess es, sie hätten ein Problem. Ich kannte das Problem dank einer meiner Studenten, der dort am Schalter arbeitet und den ich am Vorabend um Hilfe gebeten hatte. Das Problem: die Bank hatte nur zwei Noten zu Tausend Franken in bar! Ich wollte aber keine Tausend, sondern nur zweihundert Franken. Ich wurde gebeten, in zwei Tagen wieder zu kommen, dann wäre das Geld parat!

Innerlich explodierte ich fast. Ruhig, aber bestimmt verlangte ich, dass man mir heute mein Geld gebe und es an der Bank liege, eine Lösung zu finden. Ich hätte sie mehrmals darauf hingewiesen; ansonsten würde ich mein Konto schliessen lassen. – Dabei wäre das gar nicht möglich gewesen – sie hatten die Summe gar nicht vor Ort. Nach einer Wartezeit von einer halben Stunde wurde mir mitgeteilt, ich solle doch bitte nach sechs Stunden nochmals kommen, bis dahin hätten sie die Geldscheine.

Das klappte dann auch. Sie mussten diese von El Gouna kommen lassen! Die Wartezeit von zwei Tagen hätte bedeutet, dass das Bargeld von Kairo hertransportiert wird. Dabei haben die Nationalbank und Wechselstuben massenweise Schweizer Franken, die sie täglich in Pfund umtauschen!

Neulich war ich wieder bei „meiner“ Filiale und der Cashmanager teilte mir lächelnd mit, dass sie auch hier genügend Schweizer Franken in bar hätten. Nur für mich – ich sei die einzige Kunden in Hurghada mit einem Schweizer Franken Konto! Welche Rarität!

Ersatzbeutel für Staubsauger
Was für eine Geschichte! Ich warne: sie hat kein Happy end, sie hat überhaupt kein Ende und ich weiss nicht mehr, ob ich lachen oder heulen soll!

Ich will eigentlich nur diesen blöden Staubsauger-Beutel austauschen, weil der jetzige vom vielen herausnehmen und leeren beinahe auseinander fällt. Doch
  • Im Geschäft, wo der Staubsauger gekauft wurde, gibt es kein Zubehör.
  • In besagtem Geschäft nannte man mir den Namen eines Ladens, der Staubsauger-Beutel verkauft. Allerdings war die Adresse falsch und ich suchte vergebens. Und im Geschäft mit dem richtigen Namen und anderer Adresse gibt es diese Marke nicht.
  • Ich habe im Internet gesucht und bin auf den türkischen Hersteller gestossen. Dieser verwies mich an den Importeur in Kairo.
  • Der versprach, mir einen Staubsauger-Beutel per Kurier zu senden(!!!). Die Speditionsquittung schickte er mir per Email. Ich druckte sie aus und suchte mithilfe eines Taxifahrers das Geschäft. Um 11 Uhr früh war es geschlossen und auf meine Telefonanrufe antwortete niemand. Um 15 Uhr stand ich nochmals dort: gleiches Ergebnis.
  • Ich rief den Importeur in Kairo an, der versprach, die Spedition anzurufen. Ich hörte stundenlang nichts mehr, rief wieder an und er sagte, er sei am Prüfen. Per Email fragte ich erneut zwei Mal nach… er sei am Prüfen…
  • Ich schrieb erneut dem Herstller in der Türkei. Die entschuldigten sich höflich und versprachen, mir Ersatz per DHL (aus der Türkei!!!) zu schicken. Es könne aber einige Zeit dauern.
  • Heute Morgen kam der DHL Lieferdienst, ich nahm das Paket entgegen, bezahlte Steuern und Zoll, öffnete das Paket ganz aufgeregt – hej, ich suche seit einem halben Jahr nach diesen blöden Staubsauger-Beuteln! – und stelle fest, dass die Dinger zu gross sind! Falsche Artikel-Nummer, Fehler der Türken.
  • Eine Antwort auf mein heutiges Email habe ich noch nicht bekommen. Ich bin, ehrlich gesagt, am Ende.
Soll ich noch weitere Müsterchen aus dem ganz normalen Alltag erzählen, der sich hier oft zum völlig unglaublichen Wahnsinn zusammen ballt? Nicht mal das mag ich mehr. Wenn ich meinen ägyptischen Freunden davon erzähle, erfahre ich weitere unglaubliche Geschichten, die sich ein gesunder Menschenverstand gar nicht mehr ausdenken kann. Aber das ist eben Ägypten.

Geschrieben habe ich das alles innerhalb einer Stunde – doch jedes einzelne Problem, und sei es auch noch so winzig – zieht sich über Wochen und Monate dahin… In solchen Momenten frage ich mich allen Ernstes, weshalb ich mir das antue!