Sonntag, August 31, 2014

Schafhirte

Da sitzt jemand ganz allein mit einer Handvoll grasenden Schafen auf dem wohl einzigen grünen Flecken ausserhalb eines Hotels in Hurghada.

Soll ich umdrehen oder nicht? Anstand oder Neugier? Einige Augenblicke habe ich heute Morgen doch gezögert, denn der Wind blies ermüdend kräftig, doch das freundliche Winken des Schafhirten hat mich ermuntert. Ich bin zurück gefahren, hab mein Rennrad auf den Sand gelegt und den Mann begrüsst. 

Er hat sich verwundert erhoben. Der Mann im dunkelgrünen Kaftan ist jung, höchstens dreissig, obwohl sein sonnengebräuntes Gesicht schon Falten zeigt. Seine Augen blicken irgendwie leer, sein Lächeln zeigt bräunlich verfärbte Zähne - typisch für die Armen hier, die nie eine Zahnbürste in die Hände bekommen.

Ich frage höflich, ob ich ein Foto von ihm und den Schafen machen dürfe? Er meinte ja, aber... er wolle Geld dafür! Wo er denn wohne, wo seine Familie sei, frage ich. In Qena und er sei arm. Naja, das kann ich sehen. Hat auch ihn der Tourismus verdorben? Oder ist er so verzweifelt, dass er zum Betteln greift? Das werde ich wohl nie erfahren.




Freitag, August 22, 2014

Innehalten

Kürzlich war ich vor Sonnenuntergang mit dem Rad unterwegs und wenig später wusste ich nicht mehr, ob ich nach links oder nach rechts blicken sollte, denn Richtung Osten sowie Westen spielte zeigte sich mir Atemberaubendes: Links stieg ein riesiger Feuerball aus dem Meer, rechts versank ein bleicher Super Mond hinter den Bergen der Redsea Mountains.

Gestern Abend nun stieg ich aufs Dach, um den Sonnenuntergang zu beobachten und festzuhalten. Und  jeden Morgen und jeden Abend wiederholt sich dieses wunderschöne Naturphänomen.







Donnerstag, August 14, 2014

HRW-Bericht: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der Human Rights Watch Bericht nennt die Räumung der Protestlager der Mursi-Anhänger im Sommer 2013 in Kairo „wohl Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Beschuldigt werden nicht einfache und schlecht ausgebildete Polizisten, sondern die Machthaber, die das Massaker von langer Hand geplant haben.

Das Regime will von dem Bericht nichts wissen. Allein die Tatsache, dass HRW-Vertretern die Einreise nach Ägypten vor ein paar Tagen verwehrt wurde, spricht für sich. Die Schuldigen wollen vertuschen.

Jenes Massaker ist nicht das einzige. Seit ich die Ereignisse in diesem Land verfolge, gab es u.a.:

  • Die Kamel-Schlacht in Kairo Anfang Februar 2011, bei der Reiter auf Kamelen auf Demonstranten einschlugen, sie erstachen und erschossen
  • Maspero-Massaker in Kairo im Oktober 2011, wo hauptsächlich Kopten angegriffen, verletzt und gezielt getötet wurden;
  • Die Schlacht von Mohamed Mahmoud in Kairo im November 2011, bei der zusätzlich ein Scharfschütze eingesetzt wurde, der mehreren Demonstranten in die Augen schoss;
  • Schlägerei, schwere Folter und Tötung bei den Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast im November und Dezember 2012, nachdem der damalige Präsident Mursi sich mit einem Dekret über den Staat gestellt hatte;
  • Massaker an Fussballfans in Port Said, März 2013, bei dem Notausgänge verriegelt waren und Fans mit Messern angegriffen, über die Tribünen in den Tod geworfen und zertrampelt wurden;

Soweit ich mich erinnere, wurden zum Teil Untersuchungen angestellt und auch Berichte erstellt. Diese blieben jedoch unter Verschluss; nie wurde jemand ernsthaft dafür zu Rechenschaft gezogen.

Weitere Übergriffe gegen die Menschenrechte waren und sind z.B.:

Montag, August 04, 2014

Mit den Augen der Europäerin

Während fünf Monaten habe ich versucht, mich mit den unsozialen Öffnungszeiten von Supermärkten, Bäckereien, Hallenbädern und Fitnesszentren zurechtzufinden und dabei von Ägypten geschwärmt. In dieser Zeit habe ich mich wieder an Sauberkeit, Pünktlichkeit, Recht und Ordnung gewöhnt und mich über perfekte Strassenbeläge, aufgefüllte Regale und unbeschädigte Warenverpackungen in den Geschäften gefreut.

Jetzt bin ich wieder zurück in Hurghada und stehe vor grossen Herausforderungen, denn mein Kopf denkt 100%ig europäisch und mein Verständnis für Unzulänglichkeiten hat sich tief im Nirgendwo vergraben. Dass hier alles nur mit Inscha’Allah geht, habe ich doch glatt verlernt. Mein Fehler.

Die neu bezogene Wohnung ist so neu, dass noch Baustaub an den Kacheln klebt, Holzspäne in den Schubladen liegen und abgeblätterte Farbe, Fugen- und Silikonreste den Fussboden zur Baustelle degradieren. Geschirr und Töpfe sind in Schachteln verpackt, das Blechbesteck im Plastiksack. Auf dem Balkon steht noch der Karton des Kühlschranks. Letzterer wiederum ist in ein so enges Fach gezwängt worden, dass ich die Türe nur mit Kraft öffnen kann und dies nicht weit genug, damit ich die Tablare herausnehmen kann.

Das wunderschöne taubenblaue Sofa hat Flecken vom Transport. Die Qualität und Stabilität der Möbel ist so schlecht, dass früher oder später etwas kaputt geht – auch bei sorgsamem Gebrauch. In den Küchenmöbeln ragen Schrauben zwei Zentimeter weit heraus. Sie sollen heute Abend noch abgesägt werden. Heute, wo ich endlich alle Schränke und Schubladen gereinigt und den Boden mehrmals aufgewischt habe. Ich fange also morgen von vorne an.

Eine Moskitotüre fehlt, der Abzug am Klo verhängt ständig, über dem Fernsehbildschirm klebt noch eine Folie. Batterien für die Fernbedienung habe ich selbst gekauft. Irgendwann kommt dann irgendjemand, um mir die Fernsehkanäle und den Satellitenempfang einzustellen. Ich brauche einfach noch Geduld – dabei fehlt mir die schon seit Tagen.

Die Wohnung ist neu, deshalb ist schon vieles kaputt oder funktioniert nicht. So hat mir ein Angestellter erklärt. Es hat Schäden von den Möbeln an den Wänden, an den Türen, zerbrochene Kacheln im Bad und Verputz- und Farbflecken. Seit ich eingezogen bin, kommt jeden Abend jemand, um etwas zu reparieren Inscha‘Allah – was danach doch nicht funktioniert. Jeden Tag wird mir auch die Waschmaschine versprochen. Die Duschwand fehlt auch noch und der gemauerte Duschboden ist so wacklig, dass kleine Pfützen stehen bleiben.

Nein, es ist keine Billigabsteige und ich habe die Wohnung schon vor zwei Monaten reserviert. Es ist einfach nur Ägypten und ich bin nicht mehr daran gewöhnt. Mindestens einen von den zwei Faktoren werde ich schnellstens ändern müssen!

Während meiner Abwesenheit habe ich auch meine eisernen Einkaufsregeln vergessen: 1) jedes Paket schütteln, um zu prüfen, ob es ungeöffnet ist, 2) Ablaufdatum prüfen, 3) Farbe der Ware prüfen und 4) Konsistenz prüfen (Ware betatschen sozusagen). Prompt bin ich mit einem Blauschimmelkäse nach Hause gekommen, der weder blau noch schimmlig hätte sein sollen. Ich habe ihn zurückgegeben, das war kein Problem – aber bei 41°C im Schatten überlegt man sich jeden Aufwand doppelt; ohne Auto und mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist Einkaufen ein grosser Aufwand. Aber auch das ist einfach nur Ägypten und ich bin nicht mehr daran gewöhnt.


Heute, vier Tage nach meiner Ankunft, ärgere ich mich schon nicht mehr (dafür habe ich schon keine Energie mehr) und in ein paar Tagen lache ich darüber – oder nehme es zumindest wieder völlig gelassen, Inscha’Allah.