Montag, Dezember 21, 2015

Geburt zweier Propheten

Am 23. Dezember feiern die sunnitischen Muslime die Geburt des Propheten Mohamed. Am 25. Dezember feiern die Christen die Geburt Jesu – die Sunniten feiern das gleiche Ereignis als Geburt des Propheten Jesu. Während die Geburt Jesu jedes Jahr auf das gleiche Datum fällt, ist das beim Geburtstag des Propheten Mohamed heuer eine Ausnahme, weil der Kalender der Muslime dem Lauf des Mondes folgt.

Für viele meiner muslimischen Bekannten ist der Zusammenfall beider Feste ein besonderes spirituelles Ereignis, das mit grosser Hoffnung, Friede und Liebe verbunden ist.

Auf jeden Fall wird doppelt gefeiert: muslimisch mit traditionell arabischen Süssigkeiten, die schon seit Wochen in extra dafür aufgestellten Ständen angeboten werden und traditionell weihnachtlich mit geschmücktem Tannenbaum, Geschenken und Weihnachtskeksen. Und ja, auch Muslime feiern Weihnachten. Immer wieder erhielt ich zur Antwort „Ja, natürlich!“ auf meine Frage, ob sie auch Weihnachten feierten. Quer über Religionen hinweg wird „Frohe Weihnachten“ gewünscht. Im Januar, zu den Koptischen Weihnachten, wird das Ritual wiederholt.

Ich liebe das! Ich liebe dieses Gemisch, dieses Miteinander, den Respekt des Anderen über (von Menschen künstlich errichtete) Grenzen hinweg. In Europa kann sich das niemand vorstellen; ja, niemand kommt auf die Idee, dass Muslime „unsere“ Weihnachten feiern könnten. Wir in Europa fasten ja auch nicht im Ramadan, schlachten ein Schaf zum Opferfest und teilen es mit den Bedürftigen. Diese Momente gehören zu jenen, die mich sehr berühren und mich tiefe Dankbarkeit spüren lassen; Dankbarkeit, dass ich meinen „Horizont“ auf solche Art erweitern darf.

Es zeigt aber auch, wie schizophren wir uns eingerichtet haben: jede Religion folgt ihrem eigenen Kalender – dabei wird das gleiche Ereignis gefeiert! Ist da nicht doch etwas schief gelaufen?


Donnerstag, Dezember 17, 2015

Frohe Weihnachten

Geschenke einkaufen, Heim weihnachtlich dekorieren und Kekse backen – viele Menschen sind in der Adventszeit damit beschäftigt. So sieht es zumindest von aussen aus.

Guckt man ein bisschen näher hin, dann sieht es anders aus. Da ist das betagte Ehepaar, das nur noch von Erinnerungen an frühere Weihnachten mit den Kindern lebt. Der allein lebende Junggeselle, der von allen Nachbarn bewundert wird, weil er so „frei und unabhängig“ ist, kämpft mit dem Advent, weil er eben nicht in einer Partnerschaft oder Familie eingebunden ist. Da sind auch jene Familien, die mit ihrem kargen Einkommen nur knapp über die Runden kommen, und sich nicht mal einen Christbaum leisten können. Geschenke schon gar nicht.

Und ein paar Meter weiter über den Zaun geblickt, sieht die Adventszeit noch kälter aus. Flüchtlinge, die aus ihren Familien herausgerissen worden sind, die traumatisiert ihr Heil in einer ihr fremden Welt suchen. Viele davon sind auch Christen, die im Kreis ihrer Familien Weihnachten gefeiert haben. Dort draussen sind auch Flüchtlingskinder, die ihre Eltern im Bombenhagel, im Mittelmeer oder hinter einem der vielen Stacheldrahtzäune verloren haben. Sie hausen in Wäldern, auf Parkbänken, betteln und sind Menschenhändlern und Kinderschändern schutzlos ausgeliefert. Der Kälte, der äusseren und der inneren, auch.

Vielleicht könnte man, statt sich dem   K O N S U M  ! ! !   - Geschrei der Geschäfte, Supermärkte und Einkaufshäuser hinzugeben, um noch in letzter Minute ein „Geschenk“ übergeben zu können, könnte man…

Man könnte eine alleinstehende Person zum Abendessen im Kerzenschein einladen. Man könnte einer Flüchtlingsfamilie Freundschaft und Hilfe schenken. Man könnte bei mittellosen Familien vorbei gehen und einen Teddybär für das Kind übergeben. Man könnte, sofern man die Mittel dazu hat, eine ehrliche Wohltätigkeits-Organisation unterstützen, die Hilfe vor Ort leistet und nicht die Hälfte der Spenden in die eigene Verwaltung verschwinden lässt. Man könnte den anderssprachigen, andersfarbigen, anderssprechenden, andersbetenden und anders…. die halt so anders sind und die wir gar nicht kennen und auch nicht wirklich kennen wollen, weil wir ja auch nicht so recht wissen, wie die sind, reden, beten und überhaupt, woher sie sind… einfach mal ein Lächeln schenken und das Gespräch suchen und dann sogar und vielleicht Freundschaft schliessen. 

Das wäre dann Geben. Das wäre dann Weihnachten. Find ich.

Ich wünsch allen friedliche und frohe Weihnachten in Wärme, mit lieben Menschen.

Freitag, Dezember 11, 2015

Hurghada – Seitenblicke

Manchmal schlendere ich durch Nebengassen und weniger bekannte Strassen. Das mach ich gern, wenn ich Zeit habe; oft entdecke ich Überraschendes, Unerwartetes, Amüsantes oder Erstaunliches. So entdeckte ich ruhende Schafe nur wenige Meter neben der emsigen Sheraton Street, wo sich Bazare und Souvenirläden aneinander reihen. 


In einer anderen Strasse, die für Handwerker berühmt ist, entdeckte ich einen Möbelschreiner, der orientalische Möbel herstellt… unscheinbar, bescheiden und eine wahre Pracht fürs Auge.

Motive aus feinem Holz

hauchdünne Kunstwerke

Kommode

Spiegelrahmen

Rückenlehne

In der Wüste überraschte ich einen ausgewachsenen Fuchs, als ich zwei Meter vor seinem Bau stand: er stürmte davon, behielt mich aber im Blickfeld. Meine Handy-Kamera erwischte ihn leider nur noch in der Ferne. Die Wüste ist überhaupt voller Überraschungen, wie die Aufnahme von versteinerten Muschelschalen zeigt. Sie liegen auf einem Haufen, als ob sie von einem Lastwagen dahin gekippt worden wären – gleich daneben liegen erzhaltige Steine, in warmen Rottönen, einen Haufen weiter liegen Korallenabbrüche. Die Natur hat das wunderschön aussortiert.

Fuchsbau in der Wüste

versteinerte Muscheln in der Wüste

Woanders entdeckte ich diesen in voller Blüte stehenden Magnolienbaum – ein Traum!

Magnolien in Blüte



Montag, Dezember 07, 2015

In den Mühlen der Bürokratie (II)

Das Visum ist Voraussetzung, um z.B. ein Fahrzeug auf seinen eigenen Namen zuzulassen. Und auch, um die Zulassung zu verlängern. Ersteres hab ich ja erfolgreich und mit unerwartetem Vitamin B geschafft. Das andere beschreibe ich nun hier.

Beim Verkehrsamt
Kopien meines Passes und des neuen Visums habe ich gemacht. Eine grosse Portion Gelassenheit und Geduld habe ich mir schon in den letzten Tagen zugelegt, wohlwissend, dass alles andere nur Unheil bringt. Perfekt vorbereitet also, fahre ich um neun Uhr früh zum Verkehrsamt, wo sich bereits zahlreiche Mitleidende befinden.

Ich habe keine Ahnung, wohin ich zuerst soll. Also frag ich mal im kleinen Büro neben der grossen Halle. Da sitzen ein paar Polizisten mit Funksprechern drin und besprechen etwas. Ich frage, wo ich meinen Fahrzeugausweis erneuern muss. Sie weisen mich (leider) in die grosse Halle. Dort drin drängen sich schon viele andere, genau wie letztes Jahr, genau wie jeden Tag. Ich steure auf den Schalter in der Ecke mit der Aufschrift „Foreigners“ zu. Doch da stehen nur Ägypter, nur Männer. Aber doch, ich bin richtig. Dieser eine Schalter dient zwei verschiedenen Gesuchen, deshalb stehen davor nicht nur Ausländer und dahinter nicht nur ein Beamter, sondern zwei. Drum auch ist es immer eng da.

Donnerstag, Dezember 03, 2015

Ein Festival für Beduinen

Jetzt ist Ägypten wieder in den Schlagzeilen, in denen Angst und Panik verbreitet werden. Sobald – sofern! – sich das wieder beruhigt hat, denkt man wieder an die bunten Korallenriffe und die wundersamen Lebewesen des Roten Meers, an den Nil und an die sagenhaften Tempel und Gräber der Pharaonen.

In diesem riesigen, alten Land steckt noch so viel mehr drin und ich bin jedes Mal glücklich, wenn ich wieder einen Teil der reichen und vielfältigen Kultur entdecken darf. Im August habe ich zufällig von einem „Characters of Egypt Festival“ gehört und mich gleich danach erkundigt. Allerdings habe ich nur spärliche, nicht aktuelle Informationen gefunden – bis mir eine Freundin sagte, dass das Festival dieses Jahr in ihrer Nähe stattfände.


Einzug der Kamele

Nubier (links oben in Schwarz die Frauen)

Donnerstag, November 19, 2015

Nichts Neues auf dem Immobilienmarkt in Hurghada

Jedes Mal, wenn ich an dem Neubau vorbei fahre, denke ich an sie. Ob wohl wirklich alles ok ist, wie sie immer sagt? Die Fassade leuchtet dezent gelb; ich sehe, dass erst ein oder zwei Klimaanlagen eingebaut sind – noch wohnen wenige Leute da. Jetzt ist die Wellblechwand, die mit den ägyptischen Farben bemalt war, teilweise entfernt. Es ist ein U-förmiger Bau, offen gegen Süden, in der Mitte ein Loch für den Swimmingpool.

Sie hat mir erzählt, sie hätte einen Anwalt genommen, hätte den grünen Vertrag (den Beweis für den rechtmässigen Grundbucheintrag) und alles sei ok.

Gestern rief sie mich an, aufgelöst, durcheinander. Das Gebäude ist illegal erstellt worden. Alle grünen Verträge sind deshalb ungültig. Am Vorabend sei plötzlich eine ägyptische Familie vor ihrer Wohnungstüre gestanden und wollte einziehen. Die Wohnungen werden zwei Mal verkauft.

Jetzt lässt sie Gitterstäbe vor Fenster und Türe einbauen. Hat Besprechungen mit Anwälten. Das Mädchen ist junge 24 Jahre alt.

Ihr steht ein jahrelanger Kampf bevor. Die Gerichte arbeiten zähflüssig, Anwälte sind unehrlich, Immobilienbetrüger sind auf freiem Fuss… nicht alle (Gerichte, Anwälte und so) tummeln sich im Halbdunkeln, aber viele.


Wieso nur habe ich immer an sie gedacht, als ich an dem Bau vorbei fuhr? Komisches Gefühl – wie so oft…  Ich hoff, sie kriegt Recht.

Mittwoch, November 18, 2015

In den Mühlen der Bürokratie (I)

Seit Anfang August gelten neue Regeln, um ein Visum zu verlängern. Ganz klar sind die Regeln noch nicht, es scheint aber, dass jeder, der nicht vom Flughafen einen Stempel im Pass hat – also sein Visum immer wieder verlängern liess – zuerst einen Wartestempel erhält. Der Staatssicherheitsdienst prüft dann den Antragsteller und das dauert offiziell zwei Monate; wegen Überlastung dauert es aber länger.

Danach gibt es je nach Fall ein befristetes Visum. Einige Antragsteller wurden auch gebeten, das Land (vorübergehend) zu verlassen, sie seien schon zu lange hier gewesen. Ein Visum vom Flughafen bei der Einreise ist erwünscht. Das praktische Rückreise-Visum ist offenbar abgeschafft worden; wer ausreist, verliert sein Visum und fängt neu mit dem Flughafen-Visum an und durchläuft dann den ganzen Prozess mit Antrag, Wartefrist usw. von neuem. Alle drei oder sechs Monate – je nachdem halt.

Ohne gültiges Visum kann man aber seinen Fahrzeugausweis nicht verlängern und ohne Fahrzeugausweis kann man keine Fahrzeugversicherung verlängern. Man kann weder Bankkonto eröffnen, noch ein Fahrzeug oder Immobilien kaufen.

Mittwoch, November 11, 2015

Hurghada ist ruhig

Momentan habe ich einfach keine Zeit, um zu schreiben. Aber da sich wieder Anfragen häufen, wie denn die Situation in Hurghada nach dem Absturz der Russischen Maschine sei, möchte ich dazu kurz Stellung nehmen.

Hurghada ist wie immer: es ist voller Verkehr und hektisch am Tag, die Strassen sind kaputt, auch wenn momentan grad da und dort neu asphaltiert wird, es ist kalt geworden, besonders mit dem böigen Sturmwind. Die Polizisten langweilen sich an ihren Checkpoints, schwatzen, trinken Tee und telefonieren. Manchmal werden Ausweise kontrolliert.

Wenn es hier gefährlich wäre, würden wir, die hier leben, auch abhauen. Aber wir bleiben und ärgern uns stattdessen über unsere Alltagsprobleme wie Visa, Strassenverkehr, Handwerker, Unzuverlässigkeit, Reparaturen, idiotischen Autofahrern und gesperrtem Skype-Zugang. Ganz normal also.

Das, was die Medien verbreiten ist Blödsinn. Es ist weder hier noch im Süd-Sinai  gefährlich. Die Sicherheitskontrollen sind lasch und ungenügend - aber das war und ist immer so, auch wenn alle 500 m Polizei und Soldaten mit Maschinengewehren stehen und sitzen, und wenn man in jeder Bank, jedem Hotel und im Einkaufszentrum durch eine Sicherheitschleuse gehen muss. Nur ein Beispiel: bei der Einfahrt in die Senzo Mall wird der Kofferraum inspiziert - warum, habe ich bis heute noch nicht kapiert. Fahr ich von der anderen Seite her in den Parkplatz, steht nicht mal ein Wachmann da, sondern ich komme problemlos auf das Gelände des Einkaufszentrums.

Im Übrigen glaube ich auch nicht an eine Bombe, die den Absturz der Russischen Maschine über dem Sinai verursacht hat, sondern an ein technisches Problem. Wäre eine Bombe an Board gewesen, wären Sprengstoffspuren gefunden worden. Davon hört man aber überhaupt nichts. Was momentan abgeht, ist politisch begründet. Ägypten wird bitter bestraft - wofür, weiss ich nicht.

Süd-Sinai ist leer, wie mir heute ein Bekannter berichtet. Die Beduinen glauben, dass der Westen Israel den Sinai geben will. Hier in Hurghada fangen sich die Hotels auch an zu leeren. Die wirtschaftliche Katastrophe bahnt sich an.

Obwohl sich die Sicherheitslage nicht geändert hat - nur das Wetter.
So ist das hier.

Samstag, Oktober 31, 2015

Auf einer Überlandstrasse

Ich war ein paar Tage in Port Ghalib, kurz vor Marsa Alam. Auf dem Weg dorthin und zurück habe ich erstaunliche Fahrzeuge gesehen. Hier zwei Bilder:

Im Kreisel umgekippt

Anhänger weggerutscht

Der Lastwagenanhänger oben lag bei der Ausfahrt aus einem Kreisel; das Schleppfahrzeug stand dahinter. Als ich knapp 20 Stunden später wieder an diesem Ort vorbei fuhr, stand ein anderer Lastwagen dort, auf den die Ladung aufgeladen worden war. Von der anderen Richtung fuhr grad ein Abschleppfahrzeug mit einem Bagger vorbei - die Leute riefen und winkten, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Er hielt prompt an. 

Wenn ich solche Ereignisse mitkrieg, wird mir schwer ums Herz: die Menschen hier haben so schlechte Voraussetzungen, müssen sich immer selbst irgendwie aus dem Schlamassel helfen. Vielleicht sind Ägypter deshalb so hilfsbereit?

Der zweite Unfall war auf gerader Strecke, weit und breit keine Kurve, kein Hindernis, nichts. Es war kurz nach Sonnenuntergang, als ich vorbei fuhr. Wahrscheinlich werkeln sie noch im Halbdunkel am Lastwagen herum...

Was ich nicht fotografieren konnte, waren die Lastwagen, die ohne Scheinwerfer und ohne Rücklicht im Dunkeln unterwegs sind. Ich hab sie zum Glück gesehen und bin an ihnen vorbei gefahren. Tief schluckend. Mit Horrorvorstellungen im Kopf. Wenn ich es selbst nicht sehen würde, würde ich es auch nicht glauben.

Sonntag, Oktober 25, 2015

Ausnahmezustand

Nicht wegen der Politik, auch nicht wegen den ach so gefährlichen Terroristen, gegen die Ägypten „im Krieg“ ist. Nein, Teile Ägyptens sind im Ausnahmezustand wegen dem Regen.

Vergangene Nacht hat es an der Nordküste gestürmt, gehagelt und geregnet. Alexandria steht praktisch unter Wasser. Autos wurden von herabfallenden Mauerteilen zermalmt, in Unterführungen und Strassen schwimmen Autos und Unrat. Die Menschen gehen beinahe hüfthoch im Wasser. Sieben Menschen wurden durch Stromschläge getötet. Ein Tram brennt.

In Spitälern, Wohnungen, Büros und Geschäften steht das Wasser einen Meter hoch. Ein Bekannter hat mir erzählt, dass seine Hose bis zu den Schenkeln nass ist; Alexandria sei wie Venedig. Der Strom war stundenlang abgestellt; die Telefonleitungen sind immer wieder unterbrochen.

Es gibt keine funktionierende Kanalisation, obwohl gerade die Nordküste und mit ihr die zweitgrösste Stadt Ägyptens Winter für Winter im Regen- und Meerwasser versaufen. Heuer hat der Winter dort schon zum zweiten Mal zugeschlagen. Die Bevölkerung ertrinkt im eigenen Dreck wegen der jahrzehntelangen Vernachlässigung und Korruption von Regierung und Beamten.

Witzbolde und Schlaumeier sind dann sofort zur Stelle: ein Bild mit El Sisi mit Blick auf eine überschwemmte Strasse zirkuliert mit dem Vermerk: Es wird El Sisi zur Eröffnung des neuen Kanals in Alexandria gratuliert (ein Seitenhieb i.S. zweiten Arm des Suezkanal). Ein kräftiger Ägypter verdient sich Geld, indem er Passanten durch das kniehohe Wasser trägt. 900km von Hurghada entfernt.

Heut hat es aber auch hier geregnet. Nicht nur getröpfelt, wie es im Herbst und Winter hie und da vorkommt; nein: es hat richtig und anhaltend geregnet. Stundenlang hingen dicke, dunkle Wolken über den Bergen, es blitzte und donnert.

Vielerorts ist der Strom abgeschaltet, Restaurants und Cafés sind zu, wer kann, bleibt daheim. Ich hätte zu Fuss nach Hause gehen sollen und wollte dies auch – trotz oder wegen dem Regen. Die Luft ist so wunderbar frisch und sauber. Vergessen habe ich aber, dass die durchlöcherten Sand-Holperpisten sich mit Regen zu einem glitschigen Gemansche verwandeln. Das Wasser läuft ja nirgends ab und sammelt sich an den tieferen Stellen. Deshalb sind auch viele Strassen unpassierbar.

Einige Wohngegenden von Hurghada sind heute Abend vom Wasser eingeschlossen, manche haben keinen Strom. Ist vielleicht auch besser so.


Regen im Oktober in Hurghada, Regen im März und Mai in Hurghada… die Natur ist aus dem Rhythmus gefallen. Der Regierung fällt darauf nur ein: den Ausnahmezustand und Versprechungen für die Zukunft auszusprechen. 

PS: Entschädigung oder Hilfe für Betroffene gibt es nicht.

Alexandria heute
Alexandria - normalerweise ist vor dem Geländer ein breites Trottoir
Alexandria

Ohnmacht
Unterführung beim Montazah Park
Four Seasons Hotel in Alexandria

El Sisi weith den neuen Kanal in Alexandria ein :)


Dahar / Hurghada heute Abend (Quelle Facebook-Gruppe Hurghada Residents)

Quelle: alle Bilder aus Alexandria von der Facebook-Seite Alexandria Citizen

Donnerstag, September 24, 2015

Glücksache: gesund werden

Da stehe ich also im „Öffentlichen Krankenhaus“ von Hurghada. Ich hab mich auf vieles gefasst gemacht, rechne mit allem. Der junge Mann am Empfang sagt mir, dass jetzt niemand mehr in der radiologischen Abteilung da ist, ich solle morgen wieder kommen. Es ist kurz nach eins am Nachmittag!

Am nächsten Tag stehe ich um neun Uhr wieder da und lass mir den Weg zum Radiologen erklären. Da hin, da entlang, ist alles, was er mir sagt. Ich gehe durch staubige Gänge, vorbei an schäbigen Türen. Eine voluminöse Frau in Kopftuch wirft mir einen bösen Blick zu, während sie mit dem Fuss eine leere Kartonschachtel vor sich her schubst. Es liegt noch mehr Abfall herum. Wohin sie wohl die Schachtel kickt? Hinter ihr steht die Tür offen und gibt den Blick frei in einen schmuddeligen Raum, wo ein paar Frauen hocken und tratschen. Ich gehe weiter, vorbei an kahlen Wänden und an Türen, die vor vielen Jahrzehnten beschriftet wurden.

Samstag, September 19, 2015

Leichtigkeit

Leicht kuscheln die Wellen an den Sand, unsicher, flüchtig, ziehen sie sich wieder zurück. Die rauen Sandkörner, zerbrochenen Muscheln und Korallenstücke summen zusammen mit dem Wasser eine beruhigende Melodie.

Eine Wolke wie eine umgekehrte Pyramide streckt sich über die Bucht, hüllt sie in Schatten, der um diese Jahreszeit willkommen ist. Ein paar verlorene Schäfchenwolken driften davon.

Sanfte Wellen tragen den Schwimmer, verwöhnen ihn behutsam, heilen seine Seele.

***

Wortfetzen wie Ohrfeigen fliegen mir zu: eine äthiopische Nanny wechselt einem ägyptischen Kleinkind die nassen Badehosen, setzt es ins Tragbett und bindet es an. Mit schnalzenden Tönen versucht sie das Kind zum Essen zu begeistern. Die junge Mama spielt derweil im Wasser mit den anderen: Kindern und Männern.

***

In Englisch erklärt ein Ägypter seinem Kind, dass es mit der Tauchmaske und der Schwimmbrille sieht, was im Wasser drin ist. Beides setzt er ihr auf und jedes Mal rennt das Mädchen im rosaroten Badeanzug ins Wasser. Weitere englische Laute… zu laute Laute… ich wechsle den Platz.

***

Die Pyramide hat sich in Nichts aufgelöst. Le grand bleu – so poetisch nennen die Franzosen das, was wir in Deutsch „stahlblauer Himmel“ nennen. Warum „Stahl“? Was hat das mit diesem wunderbaren Blau zu tun? Wie unpoetisch von uns. Das ewige Blau fasziniert und setzt sich im klaren Wasser fort. Irgendwo dazwischen kreuzt ein Surfer über das Blau hinweg.

***

Eintauchen in mein Buch, das mich fort, nach Aserbeidschan führt, wo es im Winter minus 30 Grad wird und die Menschen barfuss im Schnee gehen, weil sie so arm sind. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das so. Schreibt N.B. Er und sein Freund haben sich damals aufgemacht, per PW von der Westschweiz bis Indien zu fahren. Damals ein Hürdenlauf an Bürokratie, deshalb der Winter in Täbris. Heute? Wahrscheinlich unmöglich.

***

„Meine Mutter hat uns einfach verlassen. Jahrelang liess sie nichts von sich hören…“ Wieder höre ich unfreiwillig Laute, Worte, Sätze. Doch diesmal kann ich nicht weghören und nicht woanders hingehen. Die Stimme, die einem gross gewachsenen Ägypter gehört (warum nur redet er mit seiner ägyptischen Partnerin Englisch? Die Oberschicht tut das…) fährt fort: „… sie war weg, mein Vater in Saudi Arabien… ich war auf mich allein gestellt, wusste oft nicht, was tun… Freunde fragen, Rat im Fernsehen holen… jetzt ruft sie jeden Tag an… eine Wohnung, ein Auto kaufen… ich will nicht, sie kann das nicht mehr gut machen… für mich ist sie einfach irgendeine Frau…“

***


Die Leichtigkeit kommt in Gefahr. Ich nehme sie mit und gehe.

Montag, September 14, 2015

„Versehentlich“ Touristen erschossen?

Was für ein Schock: die ägyptischen Sicherheitskräfte erschiessen „versehentlich“ 12 Touristen in der Weissen Wüste. So steht es heute in den Online-Nachrichten.

Angeblich hatte die Gruppe keine Bewilligung und befand sich in einem Sperrgebiet. Für jeden Meter abseits der Strasse muss man in Ägypten eine Bewilligung einholen. Das Verfahren ist mühsam, langwierig und kostet viel Geld. Die Gebiete der Weissen und Schwarzen Wüste sind seit ca. 2012 Sperrzone, wegen der offenen Grenze zu Libyen. Man erhält Bewilligungen für Tagestouren, nicht aber für Mehrtagestouren.

Sollte diese Gruppe tatsächlich ohne Bewilligung und ohne die Behörden zu informieren in dieses von Bewaffneten aller Couleur wimmelnden Gebietes gewagt haben, haben sie eindeutig fahrlässig gehandelt. Ich vermute jedoch, dass die (ausländischen) Touristen das nicht wussten. Die ägyptischen Organisatoren wollten sich wohl die kafkaesken Behördenmühen ersparen. Das haben einige jetzt mit dem Leben bezahlt.

Gestern war in einer ägyptischen Zeitung zu lesen: der Vorsitzende der Reiseleitervereinigung am Roten Meer behauptet, dass ausländische Reiseleiter eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Diese hätten ungenügende Kenntnisse über Ägyptologie und das Land!!! Mich verwundet bald gar nichts mehr.

Die Sicherheitskräfte hätten den Touristenconvoi mit Terroristen „verwechselt“, heisst es. Offenbar haben sie die Gruppe nicht aufgefordert anzuhalten, Warnschüsse abgegeben und geprüft, ob sie bewaffnet ist. Sie haben sofort geschossen. So weit zu den Fähigkeiten der „besten“ Armee im arabischen Raum. Wer zuerst schiesst, überlebt.

Lauter Vermutungen meinerseits. Sie basieren auf dem, was ich hier täglich sehe, höre und erlebe. Die Wahrheit wird sowieso niemand erfahren, denn jede Version, die NICHT der offiziellen Version entspricht, kann den Schreiber hinter Gitter bringen.

Update 1: Überlebende und Zeugen sagen, sie wären von einem Apache-Helikopter aus beschossen worden. Und: der Tourguide hatte die nötigen Bewilligungen. Chaos total, fehlende Kommunikation zwischen den Ministerien. Halt wie immer.

Update 2: Das Tourismus-Ministerium bestätigt, dass die Gruppe alle nötigen Bewilligungen und das Ok vom Innenministerium hatte. Polizisten hatten den Konvoi begleitet. Allerdings hätte die Gruppe sich 2 km von der geplanten Route entfernt und sich in Sperrgebiet begeben, das aber nicht so bezeichnet war. Das Innenministerium beharrt darauf, dass die Gruppe ohne Bewilligung unterwegs war. Unter den Toten sind auch die begleitenden Polizisten. 
Schrecklich.

Ob das "Missverständnis" mit dem Rücktritt der Regierung zu tun hat? Keiner mehr verantwortlich? Egal: Ägypten hat wieder gezeigt, wie "gefährlich" das Land ist: es sind nicht die Terroristen, es ist Unfähigkeit. Da nützt auch die schönste und teuerste Werbekampagne nichts.

Update 3: Der Vorfall ist tragisch. Wie das offizielle Ägypten damit umgeht, spottet jeder Beschreibung. Hier Hintergrundinformationen (nur in Englisch).

Samstag, September 12, 2015

Wofür ein überdachter Parkplatz gut sein kann

Da, wo ich mich mit Bier und Wein eindecke, hat es ein paar überdachte Parkplätze. Bei 38°C im Schatten ist das wertvoll - auch für wenige Minuten.

Als ich also heute vorfuhr, staunte ich nicht schlecht: im Schatten, direkt neben dem Eingang zur Halle, werkelte ein Metzger an einem Vieh herum. Okay, in zehn Tagen ist ja das Opferfest, an dem Muslime Schafe schlachten, das Fleisch verschenken und selbst verzehren. Zehn Tage und heute wird schon geschlachtet? Und das hier, vor dem Alkohol-Depot eines grossen Hotels?

Nein, nein, das Schaf sei nur für sie, die Angestellten.

Die frische Blutlache und zwei abgehackte Beine lagen in der Sonne, schön vor dem Eingang – Zeugen davon, dass das Schaf erst vor wenigen Minuten sein Leben gelassen hat.





Regierung tritt zurück

Überraschung: nachdem vor ein paar Tagen der Landwirtschaftsminister zurück getreten ist, tritt nun die gesamte ägyptische Regierung zurück. Der Landwirtschaftsminister wurde festgenommen: ihm wird Korruption vorgeworfen.

Das ist ja eigentlich ein Witz, denn ein Minister, der NICHT korrupt ist, gibt es in diesem Land nicht. Das ist meine persönliche Behauptung und ich wette, dass Millionen von Ägyptern gleicher Meinung sind. Der soeben zurück getretene Premierminister Mehleb musste sich neulich in Tunesien unliebsame Fragen einer Journalistin zu Korruption anhören – anstatt zu antworten, stürmte er empört aus der Pressekonferenz.

Was soll nun der Rücktritt? Will El Sisi eine weisse Weste anziehen und zeigen, dass „seine Führung“ korruptionsfrei ist?

Oder ist plötzlich allen klar geworden, dass in den Monaten unter Mehlebs Regierung das Staatsdefizit weiter in die Höhe geklettert, die Devisenreserven hingegen in den Abgrund geplumpst sind? Ich glaube, das ist weniger wichtig, denn Geld fliesst ja noch immer von Saudi Arabien und den Golfstaaten herein – ohne wäre Ägypten zahlungsunfähig.

Oder will El Sisi noch mehr Macht auf sich konzentrieren? Da seit der Machtübernahme des Militärs (für mich gehört er trotz „Rücktritt“ noch immer dazu) kein Parlament gewählt wurde, hatte El Sisi freie Hand: er hat rund 200 Gesetze erlassen. Darunter sind solche, die im krassen Widerspruch zu den Menschenrechten stehen; z.B. dürfen Journalisten nicht entgegen der „offiziellen“ Version berichten. Bis zu den (vorläufig geplanten) nächsten Parlamentswahlen dauert es noch ein paar Monate. Bis die Interimsregierung eingearbeitet ist, darf sie wieder abtreten.

Ich denke eher, dass es da um einen weiteren Schachzug von El Sisi und seinem Regime handelt. Wir werden ja sehen. Besser wird die Situation hier sowieso nicht – höchstens wieder interessanter, aus Sicht des Zuschauers.


Mittwoch, September 09, 2015

Sandsturm

Gestern noch über Syrien und Libanon, ist er heute hier, der Sandsturm, zumindest seine Ausläufer. Die Luft ist neblig-gelb, atmen fällt schwer, feiner Staub legt sich über alles. Immerhin bläst der Wind nur schwach.

Blick aufs Meer

Blick auf die Redsea Mountains

Dienstag, September 01, 2015

Der grosse Treck

Ich habe eindeutig zu lange gewartet. Seit Monaten sammle ich Material, Fotos und Links, um über das Thema zu schreiben, das jetzt in allen Medien, ja sogar in aller Munde ist. Den Anspruch, einen ausgegorenen, gut recherchierten Text zu schreiben, werfe ich jetzt über Bord. Denn jeden Tag, wenn ich die Nachrichten lese und mit dem Flüchtlingselend aus dem Nahen Osten konfrontiert werde, kämpfe ich mit Emotionen.

Eine Freundin schrieb mir vorgestern: „71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickt. Habe das Bild vor meinen Augen. Kann nicht schlafen, bin so wütend auf die Welt. Ich will keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Solche und grausamere Dinge passieren täglich. Aber nicht vor meiner Haustür... Soll ich lieber wegschauen und mich mit den schönen Dingen der Welt beschäftigen? Soll ich das Beste aus meinem Glück machen weiss zu sein und einen EU-Pass zu besitzen? Soll ich mich um meine unmittelbar Nächsten kümmern und sagen, dass ich gegen all das Leid eh nichts anrichten kann und lieber drehe ich den TV gar nicht auf und lese nur noch Bücher und keine Zeitungen...“

Es ist zum Ersticken!
*****

In der Erklärung der Menschenrechte steht (ein Auszug):

Samstag, August 29, 2015

Pyjama fürs Auto

Eine Garage habe ich leider nicht, hier, nicht mal einen Unterstand. Vor meiner langen Abwesenheit liess ich mir deshalb eine Abdeckung für mein Auto schneidern. Schutz vor sengender Sonne, Hitze und Sand.

Ich suchte einen Schneider, der sowas macht. Gefunden habe ich ihn dort, wo auch Sofas und Sessel bezogen werden. Logisch, oder? Meine Mama ist Schneiderin und als Kind habe ich das Prozedere von Stoffauswahl, Zuschneiden, Anprobieren und Nähen und wieder Anprobieren, Abstecken und Nähen unzählige Male miterlebt und mitangesehen.

Und uff: hier, für mein Auto, war das gar nicht so viel anders. Ich habe mich für einen hellen, stabilen Segeltuchstoff entschieden (smile). Die Autolänge wurde gemessen, Stoffbahnen abgewickelt und entsprechend abgeschnitten. Die Bahnen wurden dann übers Auto gelegt, um die „Abnäher“ für Reling, Aussenspiegel und Formen von Motorhaube und Heckklappe zu markieren bzw. herauszuschneiden.

Ein paar Stunden später konnte ich den „Pyjama“ für mein Auto abholen. Er ist etwas lang geraten und rund herum ermöglicht ein durch Ösen gezogenes, festes Seil, den „Pyjama“ festzuzurren, damit die Windböen während meiner Abwesenheit keinen Durcheinander fabrizieren.

Mein Bruder meinte, er wolle auch mal ein Pyjama für sein Auto!



Donnerstag, August 27, 2015

Engadin und Veltlin – per Bike durch die heile Bergwelt

Im August habe ich mir einen kleinen Traum erfüllt: ich bin mit dem Bike von Filisur über die Pässe Albula und Bernina gefahren, weiter hinab durchs Puschlav (alles Graubünden / Schweiz) nach Tirano / Italien und im Veltlin der Adda entlang zum Comer See und weiter nach Chiavenna. Gerne möchte ich euch daran teilnehmen lassen:

Von Filisur nach La Punt-Chamüesch
Fähnchen mit Schweizer Kreuzen dekorieren noch das Bahnhof-Häuschen in Filisur – zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertags am 1. August. Voller Freude steige ich auf mein Bike, ein mulmiges Gefühl im Bauch. Schaffe ich die 1‘300 Höhenmeter mit dem Gepäck? In Hurghada habe ich keine Möglichkeit so viele Höhenmeter zu machen und bequem bin ich auch, wegen der Hitze, wegen dem früh aufstehen.

Bahnhof Filisur

im Landwassertal
Spektakulär ist nur das Vorwort für die Landschaft, die ich durchfahre: idyllische Siedlungen, Schluchten, Felsen, Wasserfälle, dunkle Wälder, dazwischen kunstvoll hinein gebaut das Trassee der Rhätischen Bahn. Die Viadukte und Tunnels sind weltberühmt. Kein Wunder steht die Strecke auf der UNESCO-Liste für Weltkulturerbe. Gigantisch, gewaltig, grandios. Auch die schmale Passstrasse passt sich den Superlativen an. Übrigens ist sie im Winter Schlittelbahn – zumindest ein Teil davon.


vom Albulapass Blick nach Norden

Mittwoch, Juli 08, 2015

Über den Wolken oder Campari Soda

… muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“ sang einst Reinhard May. Die Band Taxi hat dem Gefühl des Fliegens das Lied „Campari Soda“ gewidmet – wenn ich es in Schweizer Mundart höre, mit den laufenden Turbinen im Hintergrund, bekomme ich Gänsehaut. Der Song ist für mich ein Evergreen, eine nie endende Liebesgeschichte: „Weit unter mir liegt s’Wolkenmeer…. Es ist als gäb’s mich nicht mehr.“ Für Nicht-Schweizer gibt es sicher irgendwo eine Übersetzung…

Als ich diesmal von Hurghada abhob, hatte ich ausnahmsweise meine Kamera griffbereit und möchte die Bilder und meine Gedanken dazu mit euch teilen.

El Gouna

Mit schwerem Herzen verliess ich Hurghada und Ägypten vorübergehend. Das Land und meine Bekannten gehen durch schwere Zeiten, die auch mich berühren, manchmal belasten. Wenn das Flugzeug auf die Rollbahn lenkt, sehe ich hinaus auf die Ringstrasse, die ich oft in aller Frühe mit dem Rad entlang fahre. Später sehe ich El Gouna unter mir, wo ich noch vorgestern war, vergeblich, wie ich meine, denn mein Ziel habe ich nicht erreicht. Es ist das kleine El Dorado, das den Menschen einen Hauch von Paradies vorgaukelt, möglich für jene, die es schaffen, die Wirklichkeit auszublenden. Es ist besser so, es können nicht alle am Elend Anteil nehmen. Manchmal fahre ich auch hin, um die Wirklichkeit für ein paar Stunden auszublenden.

Red Sea Mountains

Weiter schwenkt der Pilot die Maschine über die Red Sea Mountains, das Gewirr von Felsen, Wadis, Sand und Steinen, voller Überraschungen, Felszeichnungen, versteinerten Korallen und Fossilien, Pflanzen und Ruinen und irgendwo unbemerkt, versteckt Beduinen, die in dieser kargen Landschaft leben. Wie nur ist das möglich… es scheint unmöglich und doch ist es möglich. Ich weiss es ja.

Ägyptens Lebensader

Der Nil, Ägyptens Lebensader. Das breite grüne Band zieht elegante Schleifen durch die Wüste nordwärts, wo es sich zuerst teilt und dann unspektakulär ins Mittelmeer ergiesst. Der Nil schert sich überhaupt nicht darum, was die Menschen mit ihm alles machen. Die Menschen dort unten rackern sich auf ihren kleinen Feldern ab, versuchen mit den kärglichen Einnahmen die Mäuler von Vieh und Mensch zu füllen. Sie dulden die Schikanen von Bürogummis, Polizisten, Oligarchen und Vorgesetzten. Sie mucken nicht auf, sondern ducken sich duldsam – wie seit Jahrtausenden.

Nordküste

Wattebäuschchen verzieren den Sand mit dunklen Tüpfchen – das Mittelmeer naht. Die Nordküste – westlich des Deltas, hinwärts zum verzweifelten Libyen -  ist ein weiteres Ferienparadies mit traumhaften Stränden, kristallklarem Wasser und Hotelanlagen; traumhaft wahrhaft. Dem Alltag entfliehen Alexandriner und Kairoer im Sommer und scheinbar auch Europäer.

So über die Landschaft zu fliegen berührt mich zutiefst. Meine Gefühle und Gedanken fassen alles zusammen, was ich gehört, gelesen und erlebt habe. Ich sehe die Menschen, die Politik, die Sorgen, die Freuden – nicht nur über Ägypten. Das setzt sich fort über das Mittelmeer, wo ich an die Bootsflüchtlinge denke, über Griechenland, den Balkan und die zauberhafte Bergwelt der Alpen, wo ich Täler, Dörfer und Gipfel kenne.

Ach, ich wünscht‘ es gäb‘ all die Probleme da unten nicht mehr, sondern nur Campari Soda und das Rauschen der Turbinen.


Dienstag, Juni 30, 2015

Auge um Auge…

Gestern wurde der General-Staatsanwalt auf dem Weg zur Arbeit durch die Explosion einer gewaltigen Autobombe getötet. Mit ihm wurden weitere Menschen in den Tod gerissen, auch Zivilisten.

Der General-Staatsanwalt hatte schon länger Morddrohungen erhalten. Er wusste, dass sein Leben in Gefahr war. Warum nur hat er nicht seinen Arbeitsweg regelmässig geändert? Warum ist er nicht in einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs gewesen? Nachlässigkeit? Dummheit?

Die Muslimbrüder haben schon seit einiger Zeit die Justiz im Visier. Sie rächen sich, sie werden keine Ruhe geben, bis der Staatsstreich vom 30. Juni 2013 rückgängig gemacht wird – das ist ihre Forderung. Geht das? Sie wenden gegen die Einrichtungen und Personen der Justiz, Armee und Sicherheit tödliche Gewalt an.

Das Regime reagiert mit Gewalt: in Ägyptens Gefängnissen schmoren über 40‘000 Gefangene. Ihr Verbrechen: sie unterstützen (wirklich oder angeblich) die Muslimbrüder, sie haben das Regime kritisiert, sie halten Unrecht und Tatsachen auf ihren Fotokameras und schriftlich fest. Vielleicht haben sie sich nur als Atheist oder Homosexuell geoutet, haben wegen nicht ausbezahlten Löhnen gestreikt. Viele wissen nicht mal, weshalb sie im Gefängnis sitzen und die Mehrheit wartet monatelang auf Anklage.

Der Justizapparat hat Tausende von Menschen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, über Tausend erhielten die Todesstrafe und wurden hingerichtet – unter fadenscheinigen Gründen, ohne Beweise, ohne die Möglichkeit, sich zu wehren. Das schürt Hass und Wut.

Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie in der Steinzeit. Theoretisch müsste das aufhören, wenn sich alle gegenseitig in die Luft gesprengt haben – denn Vernunft gibt’s hier keine mehr.



Mittwoch, Juni 24, 2015

Augenblicke

Etwas zupft mich am Arm, zieht energisch an mir. Ich dreh mich um: ach, die kleine, alte Bettlerin, die tagaus- tagein am Markt ist und beharrlich um Almosen bittet. Beim Umdrehen ist mein Blick an einem hageren, lang gewachsenen Mann hängen geblieben. Er ist in einen dieser HEPCA-Overalls gekleidet, welche die Strassenfeger tragen.

Tomaten brauch ich noch. Dann geh ich hinüber zum Obst, kauf noch Aprikosen. Dazwischen bleib ich wieder stehen, weil mir der Mann nicht mehr aus dem Kopf geht. Zuerst denke ich, er bettle auch, er sieht so elend und armselig aus. Er wischt sich den Schweiss mit einem Zipfel seines Kragens von der Stirn. Er steht da und wartet und wartet und wartet, bis sich niemand mehr vor ihn drängt und auch niemand mehr kommt. Ist es Respekt oder Unterwürfigkeit oder Scham? Dann verlangt er Gemüse.

Irgendetwas stimmt mit seinen Augen nicht, er schielt oder ist einseitig blind. Unendlich dürr ist er. Die Rückseite seines Overalls ist nass.

Ich geh weiter, will hinaus aus dem Souq. Nochmals dreh ich mich um: der Mann trägt diese grässlichen weissen Gummistiefel, die zur HEPCA-Uniform gehören. Gummistiefel bei 40 Grad Celsius! Er bückt sich schwer und mühsam, nimmt seine Plastiktüten mit seinen Einkäufen in die Arme. Aus einer Stofftasche rinnt eine Flüssigkeit über seinen Rücken – drum ist der Overall nass. Seine Bewegungen sind langsam, wie die eines Erschöpften.

*****

Die Ampel vor dem riesigen Kreisel steht auf Rot. Dreispurig stehen die Fahrzeuge ungeduldig dahinter. Von rechts fährt ein dickes Motorrad heran. Der Fahrer: ein Polizist in makellos weisser Uniform, Glatze, ohne Helm, das Mobiltelefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt. So schlängelt er sich durch die wartenden Fahrzeuge hindurch, ganz links an der Ampel vorbei. Er fährt quer über die Kreuzung, links um den Kreisel herum. 

In Ägypten gilt Rechtsverkehr – aber nicht für alle.



Dienstag, Juni 23, 2015

Unterschriftensammlung für mehr Sicherheit auf Hurghadas Strassen

Eine Mitbewohnerin hat die Initiative ergriffen, um den Gouverneur mit einer Unterschriftensammlung für mehr Sicherheit auf Hurghadas Strassen zu bewegen. Bitte unterzeichnet die Petition. Danke.

Hier der Link.


Freitag, Juni 19, 2015

Hinter dem Lenkrad

Autofahren in einem Land, das eine der höchsten Raten an tödlichen Verkehrsunfällen hat, ist eine riesige Herausforderung. Während fünf Jahren habe ich zugeschaut: als Fahrgast im Taxi, im Minibus, als Fussgängerin und als Rennrad-Fahrerin. Haarsträubend geht es auf den hiesigen Strassen zu und her, gelinde gesagt. Schliesslich habe ich mich selbst hinters Lenkrad gesetzt.

Verwahrloste Infrastruktur
In den letzten drei oder vier Jahren ist Hurghada im wahrsten Sinne des Wortes „heruntergekommen“: nicht nur Gebäude und Plätze sind verwahrlost und verfallen, sondern auch die Strassen sind eine einzige Katastrophe. Seit mehr als zwei Jahren werden da und dort im Schneckentempo und mit langen Unterbrechungen Wasser- und Gasleitungen verlegt: die Haushalte sollen Nilwasser aus der Fern-Pipeline und Gasanschluss erhalten. Folglich wurden und werden überall Strassen aufgerissen und wenn überhaupt, dann nur notdürftig wieder repariert. Hauptstrassen sind i.d.R. geteert, aber trotzdem uneben. Werden nicht bewusst Schwellen aufgebaut, um die Fahrer zum Abbremsen zu zwingen, dann sind es Löcher, die nicht abgedeckt werden, hochragende Gulli-Deckel, Schutt oder Bodenwellen, weil der Untergrund nachgibt. Nebenstrassen sind vielerorts ungeteert oder der Asphalt zu zwei Dritteln zerstört. Hurghada steht auf versteinerten Korallenbänken und Sand, d.h. Naturstrassen und zugeschüttete Gräben gleichen einer Mondlandschaft. Es gibt in Hurghada keine einzige unbeschädigte, gefahrlos zu fahrende Strasse. So kommt es immer wieder zu schweren Unfällen und zu Autos, die kopfüber in Löcher oder Gräben fallen.

Donnerstag, Mai 28, 2015

Hitzewelle und Humor

Das passt nur in Ägypten zusammen; anderswo wird über eine Hitzewelle gestöhnt, es werden Tipps verbreitet, wie damit umzugehen sei, und natürlich davor gewarnt, wie furchtbar gefährlich übermässig hohe Temperaturen für den menschlichen Körper ist.

Der Nahe und Mittlere Osten erlebt grad eine ungewöhnliche Hitze mit Temperaturen, die sonst in Luxor und Assuan im Hochsommer normal sind. In Hurghada hatten wir 45 bis 47°C, normal wären 10 Grad weniger. Mein Auto zeigte neulich glatte 50°C an: klar, es stand in der Sonne, aber auch nach einer halben Stunde Fahrzeit waren es noch immer 43 bis 45°C.

schwitz

Doch zurück zum Humor. Ägypter sind bekannt dafür, über jedes Problem – und davon haben sie haufenweise - Witze zu reissen. Als Alexandria im Winter im Regen versank und Strassen überflutet waren, holten sie Boards und Kanus hervor und durchfuhren damit die Strassen; einer gab sogar vor, Tauchen zu gehen!

Einige der Witze über die jetzige Hitze möchte ich wiedergeben:

  • Die Kanadier werfen Wasser in die Luft und herunter fallen Eisstücke. Die Ägypter hingegen werfen gefrorene Hähnchen in die Luft und herunter fallen gebratene Hähnchen, Pommes und Cola!

  • Ein Maiskolben fragt seinen zurückkehrenden Partner, ob es draussen heiss sei. Der gibt eine Schimpftirade von sich, denn der Maiskolben ist zu Popcorn mutiert!

  • Ein Bild zeigt die Erde in Distanz zur Sonne; dazwischen und ganz nahe an der Sonne – das hat die Wissenschaft noch gar nicht entdeckt – liegt Ägypten!

  • Ein stets wiederkehrender Anblick ist ein Mann, der in einem Getränke-Kühlschrank schläft!

  • Ferner zirkuliert ein Foto, das einen mit Wasser gefüllten Lastwagen-Container zeigt, in dem sich Männer abkühlen: einer steht drin, der andere liegt mit dem Rücken auf der Wasseroberfläche!

Ich weiss nicht, woher die Ägypter diesen besonderen Humor haben – aber ich bin sicher, dass er ihnen hilft, ihre missliche Lage und ihre unsäglichen Probleme auszuhalten und irgendwie weiter zu wursteln. Das bewundere ich, denn mir fallen in solchen Situationen keine Spässe ein.

PS: morgen gehen die Temperaturen wieder runter.