Sonntag, April 19, 2015

Film über Sexuelle Belästigung

Vor einiger Zeit ist mir auf Facebook ein Film in die Hände geraten, den ich zuerst mal abspeicherte, weil ich keine Zeit hatte, ihn sofort anzusehen.

Als ich ihn dann endlich anguckte, dämmerte es mir: Das Thema! Ich hatte den Regisseur getroffen! Und zwar war das am Filmfestival in Luxor. Damals hatte ich zwar die Filmaufführung verpasst, aber noch die darauffolgende Diskussion miterlebt.

Der Moderator sprach über das seit langem bekannte und inzwischen auch öffentlich thematisierte Problem der sexuellen Belästigung gegenüber den Frauen in Ägypten. Das Publikum bunt gemischt: Frauen und Männer, ältere und jüngere, Ägypter und Ausländer, äusserte sich ausgiebig zum Film. Eine Frau meinte, ob die Antwort der Frauen auf sexuelle Belästigung Gewalt sei (im Film ohrfeigt die belästigte Frau ihren Peiniger). Der junge Regisseur verneinte dies und meinte, jede Situation verlange nach einer entsprechenden Reaktion. Ein Mann mittleren Alters meinte, man solle das Thema nicht so aufbauschen, ein so grosses Problem sei das nun auch wieder nicht. War der ein Politiker? Wohlgemerkt: 98% aller Frauen in Ägypten erleben sexuelle Belästigung.

Während ich zuhörte, sass ich wie auf Nadeln. Sollte ich mich auch äussern? Ich verstand nicht alles, weil einige Ägypter nur Arabisch sprachen und die Übersetzung nicht klar war. Als der Moderator aber meinte, das Problem sei bekannt, aber „man“ suche noch immer nach einer Lösung dazu, überlegte ich nicht mehr lange und meldete mich doch. Ich sagte, dass ich schon mehrere Jahre in dem Land leben würde und noch immer nicht verstehen könne, weshalb Frauen nicht für ihr Recht, respektiert zu werden, einträten. Und ich fügte an, dass die Lösung einfach sei: Männern und Jungen endlich beizubringen, wie man sich Mädchen und Frauen gegenüber benehme. Verantwortlich dafür seien alle Väter und alle Mütter, alle Männer und alle Frauen.

Applaus. Der Regisseur Safwan Nasser El Din kam nach Ende der Diskussion auf mich zu und meinte, er sei völlig meiner Meinung. Das Problem liege bei der Erziehung und den Wertvorstellungen. Wenn ich wolle, würde er mir den Film im Hotel Windsor Palace zeigen. Ich lehnte dankend ab, meinte, ich würde den Film schon noch zu sehen bekommen.

So war es. Hier ist der Link zum Film auf Youtube, allerdings nur mit Englischem Untertitel. Ich glaube aber, dass die Nachricht des Films auch ohne Worte zu verstehen ist. Tut mir leid, ich schaffe es nicht, den Film direkt zu importieren. Bitte deshalb auf den Link klicken.


Montag, April 13, 2015

Mons Claudianus – ein Ausflug zu den römischen Steinbrüchen

Die Arabische Wüste zwischen dem Roten Meer und dem Nil ist nicht nur reich an Sand, sondern auch an Edelsteinen, Gold, Mineralien und Steinen. Das schätzten schon die alten Ägypter: Sie bauten in meist offenen Bergwerken Edelsteine für Schmuck und Dekorationen ab; die Steinbrüche lieferten Säulen, Sarkophage und weiteres Baumaterial für Pyramiden und Tempel.

Auch die Römer haben sich dieser Schätze bedient und die Art und Weise des Abbaus verfeinert. Im Wadi Hammamat, zwischen El Quesir und Quena, liegt Mons Claudianus, angeblich die am besten erhaltene Römer-Siedlung inmitten mehrerer Steinbrüche.

Es ist egal, ob man hoch über dem Fort steht oder mitten drin, was der Besucher zu sehen bekommt, ist faszinierend: Mitten in den Bergen, mitten in der Wüste, mitten im Nichts und unter der gnadenlos brennenden Sonne liegt die verfallene Siedlung. Offenbar war Mons Claudianus nicht nur eine schlichte, temporäre Behausung, sondern luxuriöses Heim für gut bezahlte Arbeiter, denen an Nichts mangelte. Wer sich die Zeit nimmt und durch die Häuserreihen geht, wird noch mehr staunen: Mauern aus perfekt aufgeschichteten Steinplatten und bestens erhaltenen Lehmziegeln, Wasserbecken und Stufen-Badewannen, Nischen und Wasserkanäle sind zu entdecken. Tausende von Tonscherben liegen herum – was wohl darin aufbewahrt wurde?

Sham El Nessim

So heisst in Ägypten das Fest, an dem der Frühling gefeiert wird. Traditionell strömen die Menschen morgens aus dem Haus, sitzen an den Nil oder ans Meer, lassen sich in Parks und auf Plätzen nieder und geniessen die frische Brise mit gekochten und bemalten Eiern, Frühlingszwiebeln und gesalzenem Fisch.

Ich zieh mir ein hübsches Kleid an, wähl dazu passende Ohrringe und Halskette sowie ein leichtes Jäckchen… am Morgen habe ich schon den Balkon gewischt und die Möbel abgestaubt. Nach der kurzen Hitzewelle und dem darauffolgenden Kälteeinbruch mit Sandsturm ist es endlich wieder mild und angenehm. Herrlich mild mit kühlen Nächten und warmen Tagen, warm genug auch im Schatten zu sitzen. Ich würd am liebsten die ganze Wohnung auf den Kopf stellen, umstellen und putzen, den Staub und Sand hinaus befördern. Deutliches Zeichen für den Frühling.

Mit einem frisch gebackenen Kuchen setz ich mich ins Auto und fahre zu einer Freundin. Sie hat zu Sham El Nessim eingeladen. Kinder springen quirlig im schattigen Garten herum; sie sind aufgeregt: sie dürfen Eier anmalen und das schönste Ei soll mit 20 Pfund prämiert werden. Die Erwachsenen sitzen und plaudern, geniessen die laue Brise. Fröhliches Sprachengewirr aus einem halben Dutzend Länder. Unsere Gastgeber haben typisch ägyptische Gerichte zubereitet: Ta’ameya (in Fett gebratene Klösschen aus Bohnen und Hummus), Fatira (lecker, aber furchtbar fettig), frisches, selbst gebackenes Fladenbrot, Frischkäse und Oliven, Ruccola, Joghurtsauce mit Gurken und Zwiebeln und vielerlei Kuchen. Ein Festschmaus.

Mir ist festlich zumute, wie schon lange nicht mehr. Es ist, als ob etwas Spezielles in der Luft läge. Hurghada wimmelt von Menschen aus dem ganzen Land, sie werden in fahruntüchtigen Bussen und in klapprigen Peugeots herangekarrt, sausen in funkelnden Mercedes und BMWs herbei und wollen alle dasselbe: den Frühling geniessen, weg von Lärm und Hektik der Städte und fern der Alltagssorgen – und bringen dabei einen Teil davon mit. An Tagen wie diesen meide ich mir zuliebe die Stadt und die Geschäfte.


Frühling ist meine liebste Jahreszeit und dieses Jahr vermisse ich das Erwachen der Natur mit all ihrer Blütenpracht, dem Zwitschern der Vögel und dem Geruch der Wiesen an einem sonnigen Tag. Wohl deshalb habe ich mir neulich ein paar Pflanzen gekauft und heute ein Frühlingskleid angezogen. Ich spür den Frühling, es ist Sham El Nessim.



Donnerstag, April 09, 2015

Ganz normaler Tag

Immer wieder werde ich von Freunden und Bekannten gefragt, was ich denn so mache. Heute war mal wieder so ein richtig typischer Hurghada-Tag und ich erzähle:

Zum Frühstück lese ich die Nachrichten online – andere habe ich ja nicht. Doch heute musste ich zuerst das Guthaben für die Internetverbindung aufladen; dafür habe ich gestern Abend extra noch Kärtchen gekauft. Nach dem Aufladen bekam ich aber noch immer keine Internetverbindung und ich versuchte, den Kundenservice über eine gebührenpflichtige Kurznummer anzurufen und … fand mich nach mehreren Versuchen jeweils in einer arabischen Werbe-Endlos-Schlaufe.

Gleichzeitig nahm der Sandsturm an Intensität zu und die Bohrmaschine im Haus setzte noch einen oben drauf. Der Lärm war Ohren betäubend, die Atmosphäre zum davon Laufen.

Der Tag war wirklich toll gestartet. Ich setzte mich ins Auto, um ins Stadtzentrum zum Mobilfunkanbieter zu fahren. Welch ein Glück, bei dem Sturm nicht am Strassenrand auf einen Bus warten zu müssen! [sic!] Im Mobilfunk-Geschäft wurde mir nach ein paar Klicks auf dem Bildschirm erklärt (wusste sie das nicht sofort?), dass der Provider allgemein nicht funktioniere – nicht nur bei mir. Die Dame würde mich anrufen, wenn Internetverbindungen wieder aufgebaut werden könnten. Schön.

Da ich sowieso grad in der Stimmung für Unannehmlichkeiten, Wartereien und Bürokratie war, fuhr ich zu meiner Bank. Die wollte Unterlagen von mir, um das Dossier über mich auf den neuesten Stand zu bringen. Die Sichtweite auf der Strasse war teilweise wegen den Sandverwehungen stark eingeschränkt und herumwirbelnde Plastiksäcke und Kartone kämpften im Wind. In der Bank dann bekam ich meine Dummheit zu spüren: erstens war es da drin eisig kalt – gefühlte 18 Grad; im Sommer nehme ich meist einen Schal mit, um mich zu schützen, was ich völlig vergessen habe, weil ja noch gar nicht Sommer ist – und es war der letzte Arbeitstag vor einem langen Wochenende (Wochenende, koptische Ostern und das Frühlingsfest). Zerknirscht setzte ich mich zu den Wartenden und tat dasselbe wie sie: warten. Zwischendurch studierte ich die anderen Wartenden und stellte Hypothesen bezüglich Physiognomie und Anteil von Fettleibigkeit der ägyptischen Bevölkerung auf. Sofort verurteilte ich meine Gedanken wieder und versuchte mich anderweitig zu beschäftigen. Da kam ein Araber – damit meine ich einen vom Golf oder einen Saudi – mit Gefolgschaft herein. Der musste nicht warten, sondern durfte schnurstracks an den Schalter und zog kurz darauf mit mehreren Plastiksäcken (voller Geld?) mitsamt seinem Gefolge wieder von dannen.
Also ich wartete weiter in meiner Ecke, die mich aber nicht von der eisigen Klimaanlage verschonte. 

Nach genau 55 Minuten war ich endlich dran. Die Dame vom Kundenservice bat mich aber… was wohl?...  erneut zu warten und verschwand wieder. Nach weiteren fünf Minuten kam ein anderer Banker und bat mich, bei ihm Platz zu nehmen. Der widmete sich meinem Mietvertrag und meiner Quittung für Wasser und Strom; ersterer ist mit vielen Stempelchen und Unterschriften übersät und inzwischen ein imposantes Dokument geworden. Beides sind Beweise, dass ich hier lebe. Das dauerte insgesamt eine weitere Stunde. Danach war ich erlöst und entlassen. Unglaublich!

Was tun? Wasser und Milch kaufen und heimfahren, dann kann ich danach noch etwas arbeiten. Da kam aber ein Anruf meines Bekannten, den ich heute zu einer Besprechung treffen wollte. Er war früher frei als geplant. Also schnell heim, die Milch in den Kühlschrank legen und wieder zurück in die Stadt. In einem Gartencafé am Meer haben wir uns üppig mit Sand berieseln lassen und diskutiert. Auf meiner Haut lag ein Sandfilm… auf unserem Tischchen einiges mehr. Meine Handtasche wischte ich alle paar Minuten ab…. Okay, ja, ich weiss, es ist sinnlos. Der Sandsturm dauert noch bis übermorgen Mittag…

Endlich fuhr ich heim, um meine kleine Schülerin zu unterrichten. Schliesslich kam auch der Anruf aus dem Mobilfunk-Geschäft – einige Stunden verzögert zwar, aber immerhin. Danach in den Arabisch-Unterricht, der ausnahmsweise wieder zwei Stunden dauerte, weil wir über die Politik im Mittleren Osten im Allgemeinen und die Einmischung Ägyptens in Jemen im Speziellen diskutierten. Heimgefahren bin ich dann mit frischer Erdbeermarmelade und einer Einladung für das Frühlingsfest am kommenden Montag.

Um halb Zehn hatte ich den ganzen Sand des Tages abgespült und mir ein kleines Abendbrot gerichtet.

Das war ein sehr typischer Tag: alles kam völlig anders als ich geplant hatte. Ich hoffe, morgen läuft das wieder besser! Also bitte, fragt mich nicht mehr, was ich hier denn so mache - manchmal weiss ich es selber nicht mehr so genau ;).

Donnerstag, April 02, 2015

Visa-Regelung auf ägyptisch

Mitte März ging ein Aufschrei durch Ägypten, ausgestossen von den Vertretern der Tourismus-Branche und von Touristen gleichermassen. Ägypten wollte den Erhalt des Einreisevisums neu regeln: nur noch Gruppenreisende sollten ab Mitte Mai ein Visum bei Ankunft am Flughafen erhalten. Einzelreisende sollten ihr Visum vor Abreise PERSÖNLICH bei der Ägyptischen Botschaft im Land ihres Wohnsitzes einholen.

Reisewillige hätten also stundenlange Fahrten auf sich nehmen, möglicherweise sogar einen freien Tag einsetzen und teurere Gebühren bezahlen sollen, um mit einem schon Wochen im Voraus gebuchten Flug nach Ägypten zu fliegen. Kurzfristige Flüge wären somit Vergangenheit gewesen. Wer macht das schon? Richtig: niemand – dann lieber woanders hinfliegen.

Ägypten braucht Touristen, um die vielen Arbeitssuchenden zu beschäftigen und dringend nötige Devisen ins Land zu holen, um damit wiederum Importgüter zu bezahlen. Das Tourismusministerium bemüht sich, den Tourismus anzukurbeln – was mit dieser Visa-Regelung ziemlich unvereinbar ist. Denn: der Pauschaltourist (billig, billiger, am billigsten) gibt beileibe nicht so viel aus wie der Einzelreisende und wird vom ägyptischen Staat subventioniert (!).

Unglaublich hört es sich an, aber wahr ist: nicht das Tourismusministerium, sondern das Aussenministerium hat diese Visa-Regelung erfunden. Ganz allein, ohne mit dem Tourismusministerium Rücksprache zu halten. Die Idee: das Land vor potentiellen Terroristen zu schützen. Genau, ich wusste nämlich auch nicht, dass Terroristen per Visum von Europa nach Ägypten einreisen! Die selbst gezüchteten Terroristen im eigenen Land scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen oder sind vom Aussenministerium einfach vergessen worden. Der ägyptischen Logik zufolge kümmert sich um letztere nämlich das Innenministerium.

Und es geht noch weiter…

Einige Ägypter fanden es nur gerecht, dass Europäer endlich auch mehr für ein Visum zur Einreise in ihr Land bezahlen sollten und das Wochen vor Reiseantritt beantragen müssten – und vergassen dabei, dass Europa und die USA nicht auf ägyptische Touristen angewiesen sind, geschweige denn vom Tourismus abhängig sind.

Soweit zur Logik dieser Geschichte, die mit der üblichen (westlichen?) Logik nicht verwandt ist.

Natürlich gibt es Einzelreisende, die ihre Ferien in Ägypten buchen wollten – und inzwischen woanders ihre schönste Zeit des Jahres verbringen werden. Zu viele Gerüchte, zu unklar die Regelung, zu ungewiss die Umsetzung - der Schaden ist angerichtet.

Da ich schon ähnliche Ankündigungen miterlebt habe, dachte ich, warten wir’s mal ab. In Ägypten wird die Suppe auch nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird.

Vor einer Woche trafen sich also einige Minister, um dieses unglückliche Thema miteinander zu besprechen. Es hiess danach, der Tourismusminister sei grundsätzlich mit der neuen Regelung einverstanden. Hä? „Grundsätzlich“ – das ist ein sehr elastischer Begriff.

Und siehe da: heute ist überall zu lesen, dass die Umsetzung dieser Regelung verschoben wird, bis ein elektronisches Visa-System einsatzbereit ist. Das heisst so was Ähnliches wie „grundsätzlich“.

So läuft das hier. Einer macht einen Schnellschuss - viele stöhnen auf - der Schnellschuss wird zurück gepfiffen - dann wird vergessen.

Mühsam ist es einfach für all diejenigen, die planen möchten. So, wie der ägyptische Staat funktioniert, kann man eben nicht planen, sondern man muss dauernd re-agieren und sich ganz schnell auf lauter Überraschungen gefasst machen. Und das tagtäglich!

Nun ja, nach vielen Kommentaren und Diskussionen, erhitzten Gemütern und Wirren sind wir nun wieder dort, wo wir bis Mitte März waren :).