Donnerstag, September 24, 2015

Glücksache: gesund werden

Da stehe ich also im „Öffentlichen Krankenhaus“ von Hurghada. Ich hab mich auf vieles gefasst gemacht, rechne mit allem. Der junge Mann am Empfang sagt mir, dass jetzt niemand mehr in der radiologischen Abteilung da ist, ich solle morgen wieder kommen. Es ist kurz nach eins am Nachmittag!

Am nächsten Tag stehe ich um neun Uhr wieder da und lass mir den Weg zum Radiologen erklären. Da hin, da entlang, ist alles, was er mir sagt. Ich gehe durch staubige Gänge, vorbei an schäbigen Türen. Eine voluminöse Frau in Kopftuch wirft mir einen bösen Blick zu, während sie mit dem Fuss eine leere Kartonschachtel vor sich her schubst. Es liegt noch mehr Abfall herum. Wohin sie wohl die Schachtel kickt? Hinter ihr steht die Tür offen und gibt den Blick frei in einen schmuddeligen Raum, wo ein paar Frauen hocken und tratschen. Ich gehe weiter, vorbei an kahlen Wänden und an Türen, die vor vielen Jahrzehnten beschriftet wurden.

Samstag, September 19, 2015

Leichtigkeit

Leicht kuscheln die Wellen an den Sand, unsicher, flüchtig, ziehen sie sich wieder zurück. Die rauen Sandkörner, zerbrochenen Muscheln und Korallenstücke summen zusammen mit dem Wasser eine beruhigende Melodie.

Eine Wolke wie eine umgekehrte Pyramide streckt sich über die Bucht, hüllt sie in Schatten, der um diese Jahreszeit willkommen ist. Ein paar verlorene Schäfchenwolken driften davon.

Sanfte Wellen tragen den Schwimmer, verwöhnen ihn behutsam, heilen seine Seele.

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Wortfetzen wie Ohrfeigen fliegen mir zu: eine äthiopische Nanny wechselt einem ägyptischen Kleinkind die nassen Badehosen, setzt es ins Tragbett und bindet es an. Mit schnalzenden Tönen versucht sie das Kind zum Essen zu begeistern. Die junge Mama spielt derweil im Wasser mit den anderen: Kindern und Männern.

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In Englisch erklärt ein Ägypter seinem Kind, dass es mit der Tauchmaske und der Schwimmbrille sieht, was im Wasser drin ist. Beides setzt er ihr auf und jedes Mal rennt das Mädchen im rosaroten Badeanzug ins Wasser. Weitere englische Laute… zu laute Laute… ich wechsle den Platz.

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Die Pyramide hat sich in Nichts aufgelöst. Le grand bleu – so poetisch nennen die Franzosen das, was wir in Deutsch „stahlblauer Himmel“ nennen. Warum „Stahl“? Was hat das mit diesem wunderbaren Blau zu tun? Wie unpoetisch von uns. Das ewige Blau fasziniert und setzt sich im klaren Wasser fort. Irgendwo dazwischen kreuzt ein Surfer über das Blau hinweg.

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Eintauchen in mein Buch, das mich fort, nach Aserbeidschan führt, wo es im Winter minus 30 Grad wird und die Menschen barfuss im Schnee gehen, weil sie so arm sind. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das so. Schreibt N.B. Er und sein Freund haben sich damals aufgemacht, per PW von der Westschweiz bis Indien zu fahren. Damals ein Hürdenlauf an Bürokratie, deshalb der Winter in Täbris. Heute? Wahrscheinlich unmöglich.

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„Meine Mutter hat uns einfach verlassen. Jahrelang liess sie nichts von sich hören…“ Wieder höre ich unfreiwillig Laute, Worte, Sätze. Doch diesmal kann ich nicht weghören und nicht woanders hingehen. Die Stimme, die einem gross gewachsenen Ägypter gehört (warum nur redet er mit seiner ägyptischen Partnerin Englisch? Die Oberschicht tut das…) fährt fort: „… sie war weg, mein Vater in Saudi Arabien… ich war auf mich allein gestellt, wusste oft nicht, was tun… Freunde fragen, Rat im Fernsehen holen… jetzt ruft sie jeden Tag an… eine Wohnung, ein Auto kaufen… ich will nicht, sie kann das nicht mehr gut machen… für mich ist sie einfach irgendeine Frau…“

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Die Leichtigkeit kommt in Gefahr. Ich nehme sie mit und gehe.

Montag, September 14, 2015

„Versehentlich“ Touristen erschossen?

Was für ein Schock: die ägyptischen Sicherheitskräfte erschiessen „versehentlich“ 12 Touristen in der Weissen Wüste. So steht es heute in den Online-Nachrichten.

Angeblich hatte die Gruppe keine Bewilligung und befand sich in einem Sperrgebiet. Für jeden Meter abseits der Strasse muss man in Ägypten eine Bewilligung einholen. Das Verfahren ist mühsam, langwierig und kostet viel Geld. Die Gebiete der Weissen und Schwarzen Wüste sind seit ca. 2012 Sperrzone, wegen der offenen Grenze zu Libyen. Man erhält Bewilligungen für Tagestouren, nicht aber für Mehrtagestouren.

Sollte diese Gruppe tatsächlich ohne Bewilligung und ohne die Behörden zu informieren in dieses von Bewaffneten aller Couleur wimmelnden Gebietes gewagt haben, haben sie eindeutig fahrlässig gehandelt. Ich vermute jedoch, dass die (ausländischen) Touristen das nicht wussten. Die ägyptischen Organisatoren wollten sich wohl die kafkaesken Behördenmühen ersparen. Das haben einige jetzt mit dem Leben bezahlt.

Gestern war in einer ägyptischen Zeitung zu lesen: der Vorsitzende der Reiseleitervereinigung am Roten Meer behauptet, dass ausländische Reiseleiter eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Diese hätten ungenügende Kenntnisse über Ägyptologie und das Land!!! Mich verwundet bald gar nichts mehr.

Die Sicherheitskräfte hätten den Touristenconvoi mit Terroristen „verwechselt“, heisst es. Offenbar haben sie die Gruppe nicht aufgefordert anzuhalten, Warnschüsse abgegeben und geprüft, ob sie bewaffnet ist. Sie haben sofort geschossen. So weit zu den Fähigkeiten der „besten“ Armee im arabischen Raum. Wer zuerst schiesst, überlebt.

Lauter Vermutungen meinerseits. Sie basieren auf dem, was ich hier täglich sehe, höre und erlebe. Die Wahrheit wird sowieso niemand erfahren, denn jede Version, die NICHT der offiziellen Version entspricht, kann den Schreiber hinter Gitter bringen.

Update 1: Überlebende und Zeugen sagen, sie wären von einem Apache-Helikopter aus beschossen worden. Und: der Tourguide hatte die nötigen Bewilligungen. Chaos total, fehlende Kommunikation zwischen den Ministerien. Halt wie immer.

Update 2: Das Tourismus-Ministerium bestätigt, dass die Gruppe alle nötigen Bewilligungen und das Ok vom Innenministerium hatte. Polizisten hatten den Konvoi begleitet. Allerdings hätte die Gruppe sich 2 km von der geplanten Route entfernt und sich in Sperrgebiet begeben, das aber nicht so bezeichnet war. Das Innenministerium beharrt darauf, dass die Gruppe ohne Bewilligung unterwegs war. Unter den Toten sind auch die begleitenden Polizisten. 
Schrecklich.

Ob das "Missverständnis" mit dem Rücktritt der Regierung zu tun hat? Keiner mehr verantwortlich? Egal: Ägypten hat wieder gezeigt, wie "gefährlich" das Land ist: es sind nicht die Terroristen, es ist Unfähigkeit. Da nützt auch die schönste und teuerste Werbekampagne nichts.

Update 3: Der Vorfall ist tragisch. Wie das offizielle Ägypten damit umgeht, spottet jeder Beschreibung. Hier Hintergrundinformationen (nur in Englisch).

Samstag, September 12, 2015

Wofür ein überdachter Parkplatz gut sein kann

Da, wo ich mich mit Bier und Wein eindecke, hat es ein paar überdachte Parkplätze. Bei 38°C im Schatten ist das wertvoll - auch für wenige Minuten.

Als ich also heute vorfuhr, staunte ich nicht schlecht: im Schatten, direkt neben dem Eingang zur Halle, werkelte ein Metzger an einem Vieh herum. Okay, in zehn Tagen ist ja das Opferfest, an dem Muslime Schafe schlachten, das Fleisch verschenken und selbst verzehren. Zehn Tage und heute wird schon geschlachtet? Und das hier, vor dem Alkohol-Depot eines grossen Hotels?

Nein, nein, das Schaf sei nur für sie, die Angestellten.

Die frische Blutlache und zwei abgehackte Beine lagen in der Sonne, schön vor dem Eingang – Zeugen davon, dass das Schaf erst vor wenigen Minuten sein Leben gelassen hat.





Regierung tritt zurück

Überraschung: nachdem vor ein paar Tagen der Landwirtschaftsminister zurück getreten ist, tritt nun die gesamte ägyptische Regierung zurück. Der Landwirtschaftsminister wurde festgenommen: ihm wird Korruption vorgeworfen.

Das ist ja eigentlich ein Witz, denn ein Minister, der NICHT korrupt ist, gibt es in diesem Land nicht. Das ist meine persönliche Behauptung und ich wette, dass Millionen von Ägyptern gleicher Meinung sind. Der soeben zurück getretene Premierminister Mehleb musste sich neulich in Tunesien unliebsame Fragen einer Journalistin zu Korruption anhören – anstatt zu antworten, stürmte er empört aus der Pressekonferenz.

Was soll nun der Rücktritt? Will El Sisi eine weisse Weste anziehen und zeigen, dass „seine Führung“ korruptionsfrei ist?

Oder ist plötzlich allen klar geworden, dass in den Monaten unter Mehlebs Regierung das Staatsdefizit weiter in die Höhe geklettert, die Devisenreserven hingegen in den Abgrund geplumpst sind? Ich glaube, das ist weniger wichtig, denn Geld fliesst ja noch immer von Saudi Arabien und den Golfstaaten herein – ohne wäre Ägypten zahlungsunfähig.

Oder will El Sisi noch mehr Macht auf sich konzentrieren? Da seit der Machtübernahme des Militärs (für mich gehört er trotz „Rücktritt“ noch immer dazu) kein Parlament gewählt wurde, hatte El Sisi freie Hand: er hat rund 200 Gesetze erlassen. Darunter sind solche, die im krassen Widerspruch zu den Menschenrechten stehen; z.B. dürfen Journalisten nicht entgegen der „offiziellen“ Version berichten. Bis zu den (vorläufig geplanten) nächsten Parlamentswahlen dauert es noch ein paar Monate. Bis die Interimsregierung eingearbeitet ist, darf sie wieder abtreten.

Ich denke eher, dass es da um einen weiteren Schachzug von El Sisi und seinem Regime handelt. Wir werden ja sehen. Besser wird die Situation hier sowieso nicht – höchstens wieder interessanter, aus Sicht des Zuschauers.


Mittwoch, September 09, 2015

Sandsturm

Gestern noch über Syrien und Libanon, ist er heute hier, der Sandsturm, zumindest seine Ausläufer. Die Luft ist neblig-gelb, atmen fällt schwer, feiner Staub legt sich über alles. Immerhin bläst der Wind nur schwach.

Blick aufs Meer

Blick auf die Redsea Mountains

Dienstag, September 01, 2015

Der grosse Treck

Ich habe eindeutig zu lange gewartet. Seit Monaten sammle ich Material, Fotos und Links, um über das Thema zu schreiben, das jetzt in allen Medien, ja sogar in aller Munde ist. Den Anspruch, einen ausgegorenen, gut recherchierten Text zu schreiben, werfe ich jetzt über Bord. Denn jeden Tag, wenn ich die Nachrichten lese und mit dem Flüchtlingselend aus dem Nahen Osten konfrontiert werde, kämpfe ich mit Emotionen.

Eine Freundin schrieb mir vorgestern: „71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickt. Habe das Bild vor meinen Augen. Kann nicht schlafen, bin so wütend auf die Welt. Ich will keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Solche und grausamere Dinge passieren täglich. Aber nicht vor meiner Haustür... Soll ich lieber wegschauen und mich mit den schönen Dingen der Welt beschäftigen? Soll ich das Beste aus meinem Glück machen weiss zu sein und einen EU-Pass zu besitzen? Soll ich mich um meine unmittelbar Nächsten kümmern und sagen, dass ich gegen all das Leid eh nichts anrichten kann und lieber drehe ich den TV gar nicht auf und lese nur noch Bücher und keine Zeitungen...“

Es ist zum Ersticken!
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In der Erklärung der Menschenrechte steht (ein Auszug):