Mittwoch, Juli 08, 2015

Über den Wolken oder Campari Soda

… muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“ sang einst Reinhard May. Die Band Taxi hat dem Gefühl des Fliegens das Lied „Campari Soda“ gewidmet – wenn ich es in Schweizer Mundart höre, mit den laufenden Turbinen im Hintergrund, bekomme ich Gänsehaut. Der Song ist für mich ein Evergreen, eine nie endende Liebesgeschichte: „Weit unter mir liegt s’Wolkenmeer…. Es ist als gäb’s mich nicht mehr.“ Für Nicht-Schweizer gibt es sicher irgendwo eine Übersetzung…

Als ich diesmal von Hurghada abhob, hatte ich ausnahmsweise meine Kamera griffbereit und möchte die Bilder und meine Gedanken dazu mit euch teilen.

El Gouna

Mit schwerem Herzen verliess ich Hurghada und Ägypten vorübergehend. Das Land und meine Bekannten gehen durch schwere Zeiten, die auch mich berühren, manchmal belasten. Wenn das Flugzeug auf die Rollbahn lenkt, sehe ich hinaus auf die Ringstrasse, die ich oft in aller Frühe mit dem Rad entlang fahre. Später sehe ich El Gouna unter mir, wo ich noch vorgestern war, vergeblich, wie ich meine, denn mein Ziel habe ich nicht erreicht. Es ist das kleine El Dorado, das den Menschen einen Hauch von Paradies vorgaukelt, möglich für jene, die es schaffen, die Wirklichkeit auszublenden. Es ist besser so, es können nicht alle am Elend Anteil nehmen. Manchmal fahre ich auch hin, um die Wirklichkeit für ein paar Stunden auszublenden.

Red Sea Mountains

Weiter schwenkt der Pilot die Maschine über die Red Sea Mountains, das Gewirr von Felsen, Wadis, Sand und Steinen, voller Überraschungen, Felszeichnungen, versteinerten Korallen und Fossilien, Pflanzen und Ruinen und irgendwo unbemerkt, versteckt Beduinen, die in dieser kargen Landschaft leben. Wie nur ist das möglich… es scheint unmöglich und doch ist es möglich. Ich weiss es ja.

Ägyptens Lebensader

Der Nil, Ägyptens Lebensader. Das breite grüne Band zieht elegante Schleifen durch die Wüste nordwärts, wo es sich zuerst teilt und dann unspektakulär ins Mittelmeer ergiesst. Der Nil schert sich überhaupt nicht darum, was die Menschen mit ihm alles machen. Die Menschen dort unten rackern sich auf ihren kleinen Feldern ab, versuchen mit den kärglichen Einnahmen die Mäuler von Vieh und Mensch zu füllen. Sie dulden die Schikanen von Bürogummis, Polizisten, Oligarchen und Vorgesetzten. Sie mucken nicht auf, sondern ducken sich duldsam – wie seit Jahrtausenden.

Nordküste

Wattebäuschchen verzieren den Sand mit dunklen Tüpfchen – das Mittelmeer naht. Die Nordküste – westlich des Deltas, hinwärts zum verzweifelten Libyen -  ist ein weiteres Ferienparadies mit traumhaften Stränden, kristallklarem Wasser und Hotelanlagen; traumhaft wahrhaft. Dem Alltag entfliehen Alexandriner und Kairoer im Sommer und scheinbar auch Europäer.

So über die Landschaft zu fliegen berührt mich zutiefst. Meine Gefühle und Gedanken fassen alles zusammen, was ich gehört, gelesen und erlebt habe. Ich sehe die Menschen, die Politik, die Sorgen, die Freuden – nicht nur über Ägypten. Das setzt sich fort über das Mittelmeer, wo ich an die Bootsflüchtlinge denke, über Griechenland, den Balkan und die zauberhafte Bergwelt der Alpen, wo ich Täler, Dörfer und Gipfel kenne.

Ach, ich wünscht‘ es gäb‘ all die Probleme da unten nicht mehr, sondern nur Campari Soda und das Rauschen der Turbinen.