Sonntag, November 27, 2016

Was eine einzelne Blüte lehrt

Winzige Blüten in warmem Rotton stecken zwischen Dornen und grünen Blättern. Wenigstens von Frühwinter bis Frühsommer. In Gärten blühen sie auch länger. Ihr Name: Blut Christus.


Die starken Regenfälle und der Hagel vor einem Monat haben den Staub von den Blättern gewaschen und endlich, vor vierzehn Tagen, kam die erste Blüte. Die Erste seit Juni! Ich war entzückt.

Täglich guck ich nun suchend die Triebe an und stelle fest: immer noch keine zweite Blüte, nur Blätter. Blütenknospen sind schon da.

Alles braucht seine Zeit.

Wir haben viele Sprichwörter, die uns zu Geduld ermahnen. „Geduld bringt Rosen“ - „Wenn man am Gras zieht, wächst es trotzdem nicht schneller“ - „Was lange währt, wird endlich gut“ – „Rom ist auch nicht in einem Tag erbaut worden“ – „Gut Ding will Weile haben“ – „Eile mit Weile“. Noch mehr?

Alles braucht seine Zeit.

Das sagt man so schön – doch danach leben fällt eindeutig schwieriger.

Vorgestern endlich kam die zweite Blüte. Ich war erneut entzückt. Und irgendwie erleichtert. Also doch!

Täglich guck ich nun die Triebe an und stelle fest: da sind noch mehr Blüten in den Knospen verborgen. Doch auch wenn ich noch so lange hingucke, und das mehrmals am Tag, sie wachsen einfach nicht schneller.

Alles braucht seine Zeit.

Was für eine anschauliche Lektion. So einleuchtend erschien mir die vermeintliche Wahl zwischen „Geduld haben“ und „ungeduldig sein“ noch nie. Wahrlich: alles braucht seine Zeit.


Ich wünsche euch einen schönen Advent.



Montag, November 21, 2016

Wenn… dann wären wir kein Drittweltland


Eine dreckige, ein Meter breite Ölspur tanzt über die Wellen, dem Boot nach. Immer wieder muss ich mit meinem Surfboard drüber. Das Boot ist grad mit Touristen hinausgefahren und ich bin sauer. Die braune Brühe ekelt mich an. Wie kann man nur!!!!

Später frage ich meinen Surflehrer, ob er das nicht melden könne. Eigentlich schon, meint er, dafür wäre die Wasserpolizei zuständig. Aber der Besitzer des Hotels oder des Bootes ist mit jemandem von der Polizei befreundet… Keine Chance.

Ja, aber, entrüste ich mich, die haben doch auch Gäste am Strand und wenn das Öl dort landet, macht das einen miesen Eindruck und einen schlechten Ruf. Die leben doch auch vom Tourismus.

Tja, wenn wir so weit denken würden, dann wären wir kein Drittweltland!

*****

Und der Satz geistert mir jetzt regelmässig im Kopf herum, wenn ich vor unlogischen Situationen stehe und denke „ja, aber…“

  • Abfallcontainer, die statt am Fahrbahnrand, in der Kurve, mitten in der Fahrbahn stehen.
  • Frisch geteerte Strassen, die grad wieder aufgerissen werden, weil irgendwas vergessen wurde
  • Bauschutt, der vom obersten Stockwerk runtergeworfen wird, ohne dass darunter jemand gewarnt oder aufmerksam gemacht wird
  • Die Abzocke und widerliche Anmache der Bazaar-Kerle
  • Die Taxifahrer, die vor einem genau dann anhalten, wenn man die Strasse überqueren will
  • Die Taxifahrer, die mit Vollgas genau dann auf einen zufahren, wenn man die Strasse überquert
  • Der Autofahrer, der in der Rechtskurve anhält, die Wagentüre weit öffnet, seelenruhig aussteigt und mit dem Handy am Ohr anfängt, die Windschutzscheibe zu wischen
  • Die illegal deponierten Abfallberge von Krankenhäusern, Hotels, Restaurants und Umbauten an Zufahrtsstrassen
  • All jene, die sich mit übersetzter Geschwindigkeit durch den dichten Verkehr schlängeln
  • Die überrissen teuren Visen der Reiseveranstalter am Flughafen
  • Die Betrügereien der Reiseleiter

(die Aufzählung ist nicht vollständig)

Wenn die Menschen die Folgen ihres Handelns in Betracht ziehen würden… dann wär Ägypten vielleicht irgendwann mal kein Drittweltland mehr.


Freitag, November 18, 2016

Im Herzen des islamischen Kairo (Teil 2)

Kairo ist die Stadt der Tausend Minarette und am besten versteht man das, wenn man von der Salah El Din Zitadelle über die Stadt blickt – oder durch das islamische Kairo spaziert. Zur Zitadelle wollte ich, doch der Tag war zu kurz. Anderes erwartet mich.

Ich lass mich weitertreiben, vorbei an weiteren Moscheen mit herrlich verzierten Minaretten, vorbei an wundersamen Geschäften, vorbei an lebendiger Geschichte. Die Eindrücke überwältigen, ja überfordern mich fast, doch es drängt mich weiter.

randvoll mit Kohle


Tand oder Antiquität?

irgendwie überleben

Plötzlich stehe ich vor der grässlichen Azhar Strasse. Da stand ich schon öfter vor oder nach einem Besuch des berühmten Khan El Khalili. Verglichen mit dem, was ich heute sehe, ist der weltbekannte Bazaar langweilig.

Dienstag, November 15, 2016

Naturschauspiel Mondaufgang

Wenn es mir zeitlich möglich ist, steige ich aufs Dach, um den Mondaufgang zu betrachten. Auf dieser Seite der Erde ist dieses Schauspiel einfach anders und ich staune jedes Mal von Neuem: Der Mond scheint aus dem Wasser zu tauchen, ist tiefrot und wechselt in wenigen Minuten zu rot, orange, gelb und später zu weiss.

Ich krieg nicht genug davon - ganz ehrlich gesagt. Auch wenn der Mond schräg auf dem Rücken am Himmel klebt, guck ich da fasziniert hinauf. Natur schafft das.

Gestern, als alle nach dem "Supermond" guckten, war ich beschäftigt und konnte mir den Mondaufgang nicht ansehen. Heute hat's geklappt und ich habe mit meiner einfachen, kleinen Digitalkamera ein paar Fotos erwischt, die eine Ahnung zu der Farbenpracht geben mag:

(Hinweis, die kleinen Lichtpunkte links unten stammen von den Schiffen am Ufer, 500 m von hier)






Montag, November 14, 2016

Nach der Währungsabwertung – jeder für sich

In den letzten Wochen wurden teurer: Zigaretten und Alkohol, Strom, Zucker, Treibstoffe und folglich Transportmittel. Es wurde die Mehrwertsteuer eingeführt, Zölle auf Importprodukte angehoben und das ägyptische Pfund den Marktkräften überlassen. Lebenswichtige Produkte sind vom Markt verschwunden bzw. werden teurer. Alles wird teurer.

Ein Freund sagte zu mir: „Wenn ich meine schlafenden Kinder ansehe, muss ich weinen. Wie lange noch werde ich genügend zu essen für sie haben? Wie lange noch kann ich Essen und Kleidung für sie kaufen? Ich hab Angst vor dem, was noch kommt!“

Eine alleinerziehende Frau in den Fünfzigern mit sehr bescheidenem Einkommen blickt mich mit wässrigen Augen an und meint: „Ich weiss nicht mehr wie weiter. Ich habe grosse Angst.“ Mitte Monat leiht sie sich schon Geld aus, das sie dann nach dem Lohnerhalt zurückzahlt… eine ausweglose Spirale.

Die Betreiberin von Tauchboot jammert: „Wir sind informiert worden, dass wir für die Serviceleistungen im Hafen XY in Dollar bezahlen sollen. Woher sollen wir die nehmen? Der Dollar ist sehr teuer für uns!“

Der Hotelmanager überlegt: „Auslandreisen werden für uns jetzt sehr teuer.“

So ist das. Jeder schaut und denkt nur an sich. Dass da draussen Menschen leben, die nicht mal ein Dach über dem Kopf haben, die im Abfall nach Essbarem suchen und dass die Mittelschicht in die Armut abrutscht… daran denken die Reicheren nicht.


Mittwoch, November 09, 2016

Tipp für Unterkunft in Kairo

Wer eine günstige, saubere Unterkunft in sicherer und vorallem ruhiger Umgebung sucht, dem kann ich von ganzem Herzen die Gästezimmer bei Martine in Zamalek empfehlen. Martine ist Französin, ihre Wohnung mit den vier Gästezimmern ist liebevoll im orientalischen Stil eingerichtet.

Die Wohnung liegt in einem ruhigen Quartier, das von Konsulaten umzingelt ist. Ins Stadtzentrum ist es ein Katzensprung - ausserhalb der Rushhour.

Im Herzen des islamischen Kairo (Teil 1)

Gehört und gelesen hab ich schon so viel darüber. Und wunderbare Bilder gesehen. Kairo war zur Zeit der Fatimiden Hochblüte des Handels zwischen Asien, Europa und Afrika. Die Fatimiden bauten nördlich des damaligen Stadtzentrums eine neue Stadt mit dicken Stadtmauern; Ein Teil davon sowie drei Stadttore stehen noch. Die Gasse, die vom nördlichen Stadttor Bab El Fatuh nach Süden zur Bab El Zuweila führt, heisst El Muaz El Din, später dann El Motaz El Din. Dieser alte islamische Teil wird von Ost nach West von der fürchterlich verstopften und verpesteten Al Azhar Strasse auseinandergeschnitten. Zwischen den Fahrbahnen wurde ein mannhohes Gitter verbaut, damit keine Fussgänger über die gefährliche Strasse eilen können. In der Gegend befindet sich auch der weltberühmte Khan El Khalili Bazaar und die Hussein Moschee. Beide gehören neben den Pyramiden und dem ägyptischen Museum zu den wichtigsten Stationen für den Kairo-Besucher.

Der nördliche Teil von Bab El Fatuh bis zur Al Azhar Strasse wurde während den letzten Jahren sorgfältig renoviert. Es wimmelt hier auf allerengstem Raum von hunderten von historischen Häusern, Palästen, Mausoleen, Moscheen, Schreinen, Madrassen, Gedenkstätten und Zisternen. 

Dahin wollte ich!


Mein Weg auf einen Blick

Zurückversetzt in 1001 Nacht
Ich hab mich per Taxi in die Nähe des nördlichen Stadttors mit dem Namen Bab Al Fatuh bringen lassen. In die Nähe nur, weil der Taxifahrer nicht so genau wusste, wie hinfahren und Passanten fragen musste. Keine Geduld mehr, lief ich auf eigene Faust los… und stehe schon bald vor den Stadtmauern aus dem 11. Jahrhundert. Ausserhalb der Stadtmauer brummt so früh am Morgen der Verkehr noch gemächlich. Die Häuser auf der anderen Strassenseite verfallen: mit kunstvollen Holzarbeiten - den Maschrabeyas - vergitterte Fenster und Balkone, und islamische Ornamente sind Überbleibsel aus besseren Zeiten.

in der Nähe der Stadtmauer

in der Nähe der Stadtmauer
am Bab El Fatuh mit Minarett der Al Hakim-Moschee
Neugierig gucken mich die jungen Leute auf der Strasse an: eine Europäerin? Ohne Reiseleiter? Wie rar! Ältere Männer lächeln mich freundlich an – ihr Lächeln heisst „Willkommen!“. Manch einer fragt mich, wohin ich wolle, ob ich mich verlaufen hätte, ob sie mir helfen können… überall Freundlichkeit.

Freitag, November 04, 2016

Demo gegen den Gouverneur

Heute, nach dem Freitagsgebet, gab es eine kleine Demonstration gegen den Gouverneur. Nicht wegen der Abwertung des ägyptischen Pfundes. Nicht wegen der Einführung der Mehrwertsteuer. Und auch nicht wegen den Preiserhöhnungen.

Nein. Die Menschen verlangen, dass er verschwindet. Sie sind wütend, weil er nichts unternommen hat, die Bewohner von Ras Ghareeb vor den Folgen des Unwetters vergangene Woche zu schützen.
Bisher gab es nur wütende Kommentare auf Facebook und in Gesprächen. Doch nun hat sich eine Gruppe von Männern damit auf die Strasse gewagt. Mutig, glaub ich. Auf eine unbewilligte Demonstration steht Gefängnis oder Anklage vor dem Militärgericht. Die schwarze Polizei war sofort da, hat das Treiben beobachtet.

Immer wieder höre ich von Freunden und Bekannten „der schlimmste Gouverneur, den wir je hatten“. Er war damals Gouverneur in Port Said, als die Fussballfans im Stadion ermordet wurden. Die Strassen in Hurghada sind alle kaputt, voller Gräben und Löcher. Kies und Sand von den Überschwemmungen vor einer Woche liegen noch immer auf den Hauptstrassen. Abfall liegt überall, wird an den Ausfallstrassen am helllichten Tag deponiert; trotz Meldung an die zuständigen Behörden passiert nichts. Und das in einem der wichtigsten Touristenorte Ägyptens!

Der Gouverneur wird nicht gewählt. Er braucht auch keine Qualifikationen zu haben. Der von Hurghada kann nicht mal Englisch. Nur Beziehungen. Er erhält den Posten vom Präsidenten „geschenkt“ – und nützt ihn (den Posten) aus, um sich zu bereichern.

Mein Student dachte heute laut, bevor er ging „ob sie (die Bewohner hier) den Gouverneur wohl behalten“ - da wussten wir noch nichts von der Demo. Er wird wohl direkte Beziehungen zum Präsidenten haben, drum ist er noch da, meinte ich. Seine Antwort: „Er selber nicht, aber der Bruder seiner Frau sitzt in (dem und dem) Gremium…“.

Behaupte noch einer, der jetzige Präsident kämpfe gegen Korruption. Blablabla...


Donnerstag, November 03, 2016

Um Mitternacht: Treibstoffpreiserhöhung

Und der nächste Schlag folgt ab Mitternacht: Treibstoffe kosten morgen zwischen 34 und 50% mehr.

Oh-oh... jetzt wird's aber heikel. Die Regierung macht Ernst mit dem Abbau der sinnlosen Subventionen, die das Budget über Jahrzehnte überstrapaziert haben.

Die Preisspirale dreht rasant nach oben. Das wird nicht jeder verkraften. Wie werden die Menschen hier reagieren?

Achterbahn auf dem Währungsschwarzmarkt (2)

Also nun ist es heraus: die Zentralbank lässt das ägyptische Pfund floaten. Offiziell ist die Währung von gestern auf heute um 48% abgewertet worden. Heute Morgen wurde es auf 13-14 Pfund für einen Dollar festgelegt, mit einer Bandbreite von 10% plus/minus. 

Um 13 Uhr fand eine Auktion statt, wonach das ägyptische Pfund ganz Angebot und Nachfrage der Märkte überlassen wird. Leider funktioniert der Link zur Pressemeldung der Zentralbank nicht.

Am Schwarzmarkt geht momentan nichts mehr. Die Leute tauschen ihre Währungen nach vielen Monaten wieder bei den Banken. Ob die nur kaufen oder auch Fremdwährungen verkaufen, hab ich noch nicht mitgekriegt.

All jene, die in ägyptischen Pfund bezahlt werden, sehen nun ihren Lohn halbiert. Die Inflation hat den Wertverlust zwar schon teilweise vorweggenommen. Aber so rasch hört das nicht auf.

Spannend, was nun als nächstes kommt. Begleitmassnahmen: Zinsern wurden erhöht, China wird engerer Handelspartner, Subventionen werden abgeschafft, der IMF-Kredit wartet.

Und die Armen??? Und die Mittelschicht, die sich nicht mehr halten kann???


Mittwoch, November 02, 2016

Achterbahn auf dem Währungsschwarzmarkt

Jetzt geht es runter. Dollars und Euros, die bis gestern noch zweieinhalbmal so teuer gekauft wurden als von der Zentralbank vorgeschrieben, haben heute plus/minus einen Drittel an Wert verloren. Oder anders ausgedrückt: das ägyptische Pfund ist wieder wertvoller geworden. Über Nacht, quasi! Vor einem Monat tauschte ich Euro zu 14.55, gestern lag er zwischen 18 und 19 ägyptischen Pfund – heute liegt er bei 13 oder noch tiefer.

In den letzten Monaten mussten Geschäftsleute wie Private auf den Schwarzmarkt ausweichen, weil die Banken keine Fremdwährungen mehr verkaufen durften. Bald darauf wurden auch Tausende von Wechselstuben geschlossen. Der Markt ist flexibel – man wusste sich zu helfen, gehandelt wird via Facebook und Telefon, man gibt Kontakte weiter, hilft sich gegenseitig.

Nun sitzen die Geldhändler auf teuren Fremdwährungen. Heute zumindest geht nichts mehr, niemand kauft, alle warten ab.

Was ist passiert? Offenbar hat die Regierung beschlossen, weitere Importe zu beschränken und den Warenhandel in US Dollars zu stoppen (gemäss Onlinezeitung). Ein Freund erzählte mir, Importe dürften nicht mehr in Fremdwährungen bezahlt werden.

Das wäre ein cleverer Schachzug, um die schwindenden Devisenreserven zu schützen, das Horten nutzlos zu machen und die fortschreitende Inflation aufzuhalten. Doch, welcher ausländische Exporteur will in ägyptischen Pfund bezahlt werden? Sie müssten diese ja wieder in Ägypten investieren… Es fehlen jetzt schon Güter, die dringend im Land benötigt werden: Ersatzteile, Halbfertig- und Fertigprodukte, Lebensmittel. Die fehlgeleitete Wirtschaftspolitik mehrerer Jahrzehnte (Import/Export statt lokale Produktion) rächt sich jetzt bitter.

Ich sollte auch Geld wechseln, möchte meine Miete bezahlen. Luft holen, Geduld haben, abwarten, was da noch alles kommt…