Sonntag, November 14, 2021

Sandburgen – Sinnbild für Luftschlösser

Wenn ich den Strand entlang laufe, bestaune ich immer wieder, mit welcher Ernsthaftigkeit und Hingabe Kinder und ihre Väter Kunstwerke in den Sand, gleich hinter die auslaufenden Wellen bauen.

Kürzlich sah ich ein perfektes Abbild der Pyramiden von Gizeh, die Stufen präzise in den Sand eingeritzt. Anderswo entstehen Burgen mit Gräben, verschachtelten Gängen und Wehrtürmen. Erstaunlich!

In diese Sandburgen fliesst viel Liebe, Zeit, Technik und Wissen, obwohl jeder Sandkünstler um die Flüchtigkeit seines Kunstwerks weiss: Im Nu, spätestens nach der nächsten Flut, ist alles hin, einfach von den Wellen verschluckt, vom Wasser mit einem Wisch weggefegt. Oder übel: durch Missgunst und Böswilligkeit vom kleinen Bruder, der nicht mitspielen durfte 😀.

Während ich mich durch spielende Kinder und posierende Nymphen schlängle, hänge ich meinen Gedanken über diese Luftschlösser nach. Sind sie nicht ein bisschen Abbild unserer Pläne und Träume, die wir im Leben hegen, pflegen, in unseren Gedanken formen, vor uns herschieben und manchmal – wohl selten genug - in die Tat umsetzen?

Oder vielleicht doch nie umsetzen, weil wir nicht dieselbe Hingabe aufbringen können wie für die flüchtigen Sandburgen? Oder weil der Weg dorthin zu umständlich ist? Oder weil die Flut kommt? Oder noch schlimmer: Weil ein Sturm kommt, der uns nicht nur Schaufel und Eimer aus den Händen reisst, sondern uns mit sich zerrt und uns ganz woanders wieder auswirft, wo wir dann zuerst wieder zu Atem kommen und unsere Sinne ordnen müssen?

Wie viele Träume hatte ich als junges Ding! Mit meiner blühenden Fantasie  habe ich wohl Dutzende Luftschlösser erbaut, bzw. Szenarien für die Zukunft entworfen. Wie viele habe ich verwirklicht?

Ich möchte nicht nachrechnen, wahrscheinlich würde ich enttäuscht werden. Aber da waren doch einige Träume, die ich realisiert habe. Solche, die nicht jedermann umsetzt, aber auch nicht jedermann hat. „Unkonventionell“ hat mal ein Personalprofi meinen Lebenslauf genannt. So etwa war das auch mit der Umsetzung meiner Träume.

Es bleiben noch einige, die ich gerne verwirklichen würde. Eingie lasse ich notgedrungen fürs nächste Leben übrig. Die Frage ist nur: Welche soll ich noch mit der verbleibenden Zeit umsetzen?

Wie geht es euch damit? Das würde mich wirklich interessieren. Hinterlasst doch bitte einen Kommentar oder – wenn ihr habt – einen Tipp.

Sonntag, November 07, 2021

Verzweiflung am Strassenrand

Mein Kopf ist noch voll von den wunderschönen Momenten im Roten Meer: Zuerst war ich schwimmen. Das fühlt sich für mich an wie schwereloses Gleiten, vorwärts, rückwärts, ein Arm nach dem andern, Beinschlag, in den Wellen, unter mir der schneeweisse Meeresgrund, über mir der blaue Himmel. Fortbewegung ohne Anstrengung, lautlos, heilend und energetisierend. Danach war ich mit einer Freundin am Riff schnorcheln. Ich fühlte mich in dem riesigen Aquarium von den sanften, aber bestimmenden Wellen getragen und vom Anblick der majestätischen Korallen und bunten Fischschwärmen in eine andere Welt versetzt. Es war schlichtweg hinreissend. Atemberaubend. Eindrücklich.

Während ich nach Hause fahre, bin ich in Gedanken noch dort, mitten im Meer. Ein bisschen überlege ich schon, was ich kochen soll. Doch schon biege ich ins ausgetrocknete Flussbett ab, das unsere Strasse ist, und werde jäh aus meinen Tagträumen gerissen: Ich erblicke einen am Bordstein kauernden Mann. Am Strassenrand. Seine Arme hängen hilflos in die Leere, sein Kopf liegt auf den Arm gesenkt, sein schmaler Körper steckt in einem dieser typischen Kaftane der Bewohner Oberägyptens. Neben ihm liegt eine kleine Plastiktasche vom Duty Free der Egypt Airlines. Während ich mich umsehe und in Zeitlupentempo meine Umgebung wahrnehme – da gehen Leute – da sitzt einer und guckt nur auf sein Smartphone – da vorne ist meine Wohnanlage – da geht K., einer der Angestellten unserer Wohnanlage - da ist ein Obstgeschäft – dahinten ist der Supermarkt – da guckt keiner – halte ich meinen Wagen an, löse den Sicherheitsgurt, schalte den Motor ab, ziehe die Handbremse an und steige aus.

Wie ferngesteuert frage ich den Mann, „Malak eh?“ (was hast du?). Erst als ich ihn sanft mit der Hand berühre, hebt er den Kopf und sieht mich an.