Anderes

Sonntag, Juni 13, 2010

Einkauf im Souk

Bei jedem Schritt rutsche ich mit den Fersen von meinen geliebten italienischen Sandalen. Monatelang schon übe ich das achtsame Gehen auf unebenem Untergrund. Trotzdem geschieht es noch täglich, dass ich ausrutsche und fast umknicke. Glücklicherweise bin ich erst einmal auf etwas Spitzes getreten, das mir in die Fusssohle schnitt. Und den Fussknöchel habe ich auch nur einmal schmerzhaft verrenkt, weil ich ein Loch übersah. Doch das war ganz am Anfang.

Die Sonne brennt mir ins Gesicht, mit der Hand versuche ich, mich vor den gleissenden Strahlen zu schützen. Ein paar Schritte noch und ich rette mich in den  Schatten. Zwischen zwei Gebäuden liegt ein freier Platz, der zum Eingang des Souks, des Gemüse- und Fruchtmarktes, führt. Links und rechts, direkt am Strassenrand, nur einen schmalen Durchgang gewährend, sind Bambusgitter wenige Zentimeter über dem Boden ausgebreitet; darauf liegen Hunderte von hellbraunen Brotfladen zum Verkauf. Ein etwas dickeres, ebenfalls rundes, vielleicht Teller grosses Brot fällt mir auf: das „Aisch Schamssi“ – das Sonnenbrot. Es wird in der Sonne gebacken und wird bis ca. vier Zentimeter dick.

Schwarz gekleidete Frauen mit dunklen Kopftüchern hocken neben ihren Brotfladen auf dem Boden, unter sich ein ausgebreitetes Stück Karton, tuscheln, schnattern und lachen munter miteinander, dazwischen fordern sie die Passanten auf, ihr Brot zu kaufen. Manchmal sind auch nur Kinder da: vielleicht acht- bis zehnjährige Mädchen und Buben, schmutzig, zerzaust und zerlaust; geschäftstüchtig balgen sie sich um jeden Kunden, jedes Pfund, das sie für sechs Brotfladen einnehmen können.

Einmal bisher kaufte ich das Sonnenbrot – es schmeckt herrlich, ist knusprig, vielleicht etwas zu wenig gesalzen. Aber die salzigen ägyptischen Speisen machen dies vermutlich wett. Scheinbar wird das Sonnenbrot zu gesalzenem Fisch gegessen. Doch das Fladenbrot...  nein, ich kann es einfach nicht vom Strassenboden kaufen... Ausserdem gibt es da ganz verschiedene und das da, das grobe, etwas dunklere, mag ich nicht so besonders. Es gibt auch ein helles, luftiges Fladenbrot, das mag ich sehr gern und kaufe es manchmal von einem Backstand.

Wenige Schritte weiter wird es eng und rutschig. Eiergrosse Steine sollen wohl Pflastersteine ersetzen; wenn sie regelmässig verteilt wären, wäre das Gehen einfach. So aber besteht der Boden praktisch aus unregelmässig verteilten Dellen und Unebenheiten. Weggeworfene Fruchtschalen, ihr Saft, Papier und anderes haben den Grund in einen rutschigen Parcours verwandelt. Noch enger wird es zwischen den vielen Frucht- und Dattelständen. Hunderte von Menschen gehen hier täglich ein und aus, kaufen kiloweise Früchte und Gemüse – trotzdem ist es unsäglich eng.


manchmal geht es auch ruhig zu und her
Kleine, dicke, schwarz gewandete und verschleierte Frauen humpeln, riesige Taschen schleppend oder ihre Einkäufe auf dem Kopf balancierend, durch die engen Gänge. Wendige Kinder zwängen sich zwischen den Leibern hindurch, schlanke, schlaksige Bauern in braunen Kaftanen, hellen Turbanen und ausgelatschten Sandalen drängeln durch den Menschenstrom. Hie und da stupst mich beharrlich etwas am Arm, an der Hand: eine Bettlerin murmelt irgend etwas. Lässt sie nicht rasch genug von mir ab, wird sie nicht selten von einem Verkäufer angeherrscht zu verschwinden.

Manchmal ist das Weiterkommen unmöglich: unförmige, schwitzende Leiber, riesige Körbe und Tragtaschen, Träger mit schweren Kisten versperren den Weg. Wirklich Mühe bereitet es mir, wenn sich Träger mit blutendem Fleisch oder Innereien an mir vorbei quetschen möchten – da suche ich schon mal das Weite oder es entwischt mir ein Ausruf in Deutsch! In solchen Momenten sind die Fliegen besonders lästig. Jeder  Bauern hat seine eigene Methode gegen die Fliegen: einige brennen Raucherstäbchen ab, andere fuchteln mit Lumpen oder fächern mit meterlangen Wedeln über ihre verderbliche Ware.

Vorbei an von der Decke herabhängenden Viehkörpern, auf dem Boden liegen gebliebenen Innereien und Viehschwänzen dringe ich ins Herz des Marktes vor: eine überdachte Halle mit je einem schmalen Ausgang an jeder Ecke. Den Wänden entlang haben die Fellachen ihr Gemüse oder ihre Früchte in kunstvollen Bergen aufgeschichtet. Einige hocken lediglich am Boden, vor sich ihre Kartoffeln, Gurken, Auberginen, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch oder Karotten ausgebreitet. Die meisten haben jedoch einen Holztisch und manchmal auch Körbe aufgestellt: Okra, Zucchetti, Bohnen, Limonen, Paprika und Chili sind da auch zu finden.

Im Inneren der Halle sind in einem grossen Rechteck weitere Stände mit Gemüse, aber auch Salaten, riesigen Kohlköpfen und frischem Grünzeug wie Minze, Salbei, Petersilie, Molochia, Spinat u.a. aneinander gereiht. Schönen Salat („andik chass täsa?“ – hast du frischen Salat?) gibt es bei einer kleinen Bäuerin mit dunkelblauem Kopftuch. Sie ist die einzige Frau im ganzen Markt, thront zuoberst auf ihrem Grünzeug und ihr linker Arm endet in einem Stumpf. Bei ihr stehen immer ein paar Frauen zum Schwatz; hilfsbereit picken sie für mich den schönsten Salatkopf heraus.

Der Durchgang zwischen den Ständen ist trotz der Grösse der Halle ebenso eng wie ausserhalb. Ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere. Wie an den schmalen seitlichen Durchgängen, stehen auch hier Kisten mit nicht mehr verkaufbarer Ware, daraus suchen sich in der Hocke kauernd die Ärmeren noch Verwertbares zusammen. Im Halbdunkel der Halle, halb unter den Tischen versteckt, sind sie mit ihrer dunklen Kleidung leicht zu übersehen. Hie und da huscht eine Ratte von da nach dort, das Weite suchend.

Im nördlichen Teil der Halle gibt es Saisonfrüchte zu kaufen: Bananen, Äpfel, Orangen, Feigen, Mangos, Granatäpfel, Trauben, Feigen. Die ersten Khakis sind auch schon aufgetaucht. Und Datteln in allerlei Farben, Formen, Grössen, frisch oder getrocknet. Am grössten war die Auswahl an Datteln während des Ramadans: zehn, fünfzehn verschiedene Sorten (oder mehr?) lagen in offenen Säcken zum Verkauf bereit.

Die Grösse der Halle schluckt den Lärm etwas; hie und da dringen die höflichen, freundlichen Aufforderungen der Händler an mein Ohr... „batatis, ia madaam“, „bitingaan kuaiessah ia madaam“... Manchmal lächle ich einem Händler zu, bedanke mich, morgen vielleicht... oder lächle einfach in mich hinein... Die Welt da, die ist so anders...

So laut wie draussen vor der Halle ist es hier drinnen nicht. Es ist auch einigermassen kühl: die riesigen Ventilatoren hoch oben an der Deck und die vier Ausgänge sorgen für einen Austausch der Luft. Sogar Fliegen hat es weniger – immer noch aber genügend, um sie als lästig zu empfinden.

An jeder Seite der Halle gibt es auch noch Nischen, vielleicht zwei Meter breit und drei Meter tief; dort werden Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln, Hülsenfrüchte und manchmal auch Gewürze verkauft. Die Ware wird aus riesigen Säcken geschöpft und abgefüllt.

Ausserhalb der Halle haben weitere Gemüse- und Obsthändler ihre Tische aufgebaut: Berge von winzigen süssen, grünen oder gelben Bananen, saftigen Melonen und noch mehr Datteln sind dort in grosser Vielfalt zu finden. Abseits stehen einige Fischstände – denen ich aber noch nie zu nahe gekommen bin, besonders nachmittags. Auch Frischkäse in seiner Molke wird angeboten – der gleissenden Sonne, den Fliegen und allen vorübergehenden Menschen ausgesetzt. Seitlich der Halle können Eier, Huhn und Fleisch, frisch oder gefroren, erstanden werden. Dazwischen existieren auch noch die kleinen Supermärkte, die von Seifen über Öl bis zu Konserven, Getränken, Nudeln und Käse alles wichtige für den Haushalt anbieten. Diese kleinen Läden finden sich in jedem Quartier, in jeder Strasse, an jeder Ecke... Die einen überleben, die anderen schliessen nach wenigen Monaten wieder...


alles, was Magen und Gaumen begehren
 Meine vollen Taschen wiegen schwer und ich beeile mich, aus dem beengenden Ameisenhaufen hinaus zu kommen. Meine rechte Hand fühlt sich schmutzig und klebrig an: prüfen und auswählen der Ware, reichen und entgegennehmen der Münzen und Geldscheine hinterlassen ihre Spuren. Habe ich erst mal die Halle hinter mir, steht noch die „Fliegenallee“ und der letzte Spiessrutenlauf zwischen den wilden Händlern vor mir. Letztere bieten nur eine einzige Ware an: nur Grünzeug, nur Datteln, nur diese kleinen, grünen, kugelrunden Limonen, während des Ramadans auch noch Spielzeug made in China... Wohl sind sie die ärmeren Bauern, die ihre bescheidene Ernte am Ausgang feilhalten. Hier finden sich aber oft die schönsten Trauben, die süssesten Melonen, die grössten Datteln.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint: alles hat auch hier seine bestimmte Ordnung, seine Regeln, jeder seinen Platz, jede Ware ihren Preis. Die Verkäufer sind ernst, aber höflich und viele erkennen mich wieder seit ich regelmässig herkomme. Ganz selten kommt es vor, dass ich etwas kaufen will, mich dann aber vom Stand abwende, weil ich nicht korrekt behandelt werde. Mehrheitlich  kaufen hier Einheimische ein, aber auch viele Ausländer wie ich kommen regelmässig hierher, um ihre Einkäufe zu erledigen. Die Auswahl ist gross und es findet sich immer ein Stand mit frischer Ware.

Ein Platz von vielleicht 100 Quadratmetern bleibt noch zu überqueren. Kürzlich stand da ein Müllwagen mit offener Lade: er hatte seinen gesamten Inhalt hier ausgekippt. Die „Zabaleen“, die von der Stadt angestellten Müllsammler, allesamt in dunkelblauer Arbeitskleidung mit breiten orangen Streifen auf den Ärmeln und weissen Turbanen, alte Männer, ausgemergelt, mit von der Sonne verbrannten, zerfurchten Gesichtern standen um Abfallberg und Müllwagen schwatzend herum. Mir wurde in Kopf, Bauch und Herz elend...

Später, bei einem weiteren Einkauf, fand ich den Platz wieder wie vorher: die unebenen Steine, Unrat, verstreutes Stroh, vielleicht ein paar mehr Steine, die Unebenheiten auszugleichen versuchend.

Weiter vorne, vielleicht 50 Meter entfernt, gegen die Hauptstrasse hin, warten die Mikrobusse, die von hier nach Sekalla fahren. Ich raffe mich auf, den Platz in der Sonne mit den schweren Einkäufen zu überqueren und einen Sitz in einem der engen, heissen Busse zu ergattern, um ihm nach einer zwanzigminütigen Stop-and-Go-Fahrt erleichtert wieder zu entfliehen.

Fünf Minuten Fussmarsch noch, dann können Hände gewaschen, verschwitzte Kleider abgestreift und alle Eindrücke und Empfindungen in der kühlen Dusche heruntergespült werden.

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