Es gibt Augenblicke oder Situationen, in denen mir besonders bewusst wird, dass ich wirklich weit ab von meiner Heimat lebe. In einer anderen Kultur, einem anderen Kontinent.
Vor einigen Tagen war wieder so ein Moment. Es war Freitag, eine Woche nach Ende des Ramadans. Im Anschluss an den Ramadan wird tagelang gefeiert und gefestet, jede Familie zelebriert das auf ihre Art und Weise. Und viele fahren in die Ferien. Nach Hurghada zum Beispiel.
Hurghada und andere ägyptische Feriendestinationen am Roten Meer und am Mittelmeer sind bei den Einwohnern der benachbarten arabischen Halbinsel (Saudi-Arabien / Emirate / Kuwait) wegen ihrer relativen Freizügigkeit und Sittenfreiheit, aber natürlich auch wegen des Klimas, sehr beliebt. So bricht während den islamischen Feiertagen, den grossen Ferien und zum Jahreswechsel hin jeweils eine Welle von Besuchern von dort über Hurghada herein. Die Angestellten der Hotels verzweifeln schier über den herrischen Befehlston und die masslosen Ansprüche der Saudis. In den Strassen herrscht blankes Chaos, dicke Bonzenwagen stehen überall dort, wo sie im Weg sind, schwarz gekleidete Frauen mit Gesichtsschleier, üppigem Schmuck und teurem Schuhwerk spazieren im Kreis ihrer Sippe abends durch Strassen und Fussgängerzonen.
Am vergangenen Freitag fuhr ich zufällig per Bus am Hafen vorbei. Ein riesiges Fährschiff ankerte schon seit Tagen dort. Die Strasse war zweispurig mit wartenden Autos belegt und behinderte den normalerweise flüssigen Verkehr: riesige moderne Geländewagen, altertümliche Familienkarossen, sündhaft teure europäische Personenwagen, ungepflegt, verbeult, völlig verschmutzt, überladen, innen mit wichtigen Habseligkeiten vollgestopft, auf dem Dachträger meterhoch Koffer und Kartons festgezurrt. Die Insassen waren hinter verdunkelten Fensterscheiben versteckt, doch da und dort waren tief verschleierte Frauen, schwitzende übergewichtige Männer mit Baseballmützen und zahlreiche Kinder zu erspähen.
Ich entzifferte die Autoschilder: „Saudia“ in arabischer Schrift, „KSA“ Kingdom of Saudi Arabia, Kuwait… Ferne exotische Länder, mit der Fähre nach Dubai innert Stunden erreichbar. Ein Hauch Orient in Gedanken… doch die Wirklichkeit vor mir sah anders aus. Die Rückreisewelle der nicht sonderlich beliebten Gäste hinterlässt vor allem eines: Erleichterung.
Überall standen Tagelöhner herum, sah sie selten so zahlreich. Manche streiften sich mitten auf der Strasse einen orangen Overall über, andere orange Männer standen wartend am Hafeneingang. Mein Bus zwängte sich durch die wartenden Autos und Tagelöhner hindurch, ich erhaschte einen Blick auf die riesige Fähre. Erinnerungen an eine Überfahrt von Genua nach Sizilien wurden wach, versuchte zu vergleichen… Wie es wohl auf dieser Fähre da zu und her gehen mag? Wenn all diese Leute dort ihre Kabinen bezogen haben und sich lärmend ausbreiten? Nach all dem, was ich bisher in diesem Land gesehen habe und weiss? Oh…
Mein Bus fuhr weiter, ich sass inmitten dieser Männer und Frauen und fühlte mich plötzlich als Teil von ihnen, in Sicherheit, fast geborgen. Lieber hier als dort… Auch Abneigung verbindet… Ich liess meine Gedanken und Vorstellungen lieber hinter mir im Chaos des Hafens zurück. Aufs dunkelblaue Meer hinaus blickend, schüttelte ich leise den Kopf…
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