Anderes

Sonntag, September 26, 2010

Verstörende Erkenntnisse

„Es ist ein Schnäppchen, eine einmalige Chance, sieh Dir’s an!“

Habe ich gemacht. Eine kleine Wohnung in einer Wohngegend, die noch im Aufbau begriffen ist. Eine Zukunftsinvestition – der Preis überraschend tief.

„Wo ist der Haken?“ war sofort meine Frage. Er braucht dringend Geld. Cash. Hinter jedem Verkauf steht eine Geschichte…

*****

Ein lauer Wind bläst die letzte Hitze fort. Jetzt ist es endlich angenehm, draussen zu sitzen. Sieben oder acht sind wir, sitzen in einem bekannten Kaffee in El Memsha, treiben vorerst Smalltalk. Wie immer sitze ich am falschen Ort: der unvermeidliche Shisharauch bläst mir ins Gesicht.

Da ist die vielleicht gut fünfzigjährige Holländerin. Sie verwaltet Villen und Wohnungen und hat jede Menge Kontakte quer durch Hurghada. Und Erfahrungen. Schon an unserem ersten Treffen hat sie von sich erzählt. Ihr Exfreund schlug sie, betrug sie, sperrte sie ein, lockte sie gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn in einen Hinterhalt und schlussendlich war sie alle Mieteinnahmen eines Monats, ihre Laptops samt Buchhaltung und Kontakten, persönliches Bargeld und Schmuck los. Exfreund und Schwiegersohn sitzen für drei Monate im Gefängnis. Sie hat Angst vor dem, was nachher kommt. Heute Abend ist sie die harte Geschäftsfrau, die Käufer und Verkäufer zusammen bringt.

Da ist eine Österreicherin in meinem Alter, erst seit einem Jahr hier. Schickt mir ihr Töchterlein zum Französischunterricht. Und will mir unbedingt helfen. Warum nur? – frage ich mich verwundert.

Ihr ägyptischer Freund hat sie beim Hausumbau und der Einrichtung beraten. Die Registrierung beim Grundbuchamt hat er in viereinhalb Monaten erreicht – andere warten Jahre. Er hat Preise heruntergehandelt, die sonst doppelt so hoch sind oder das Dreifache betragen. Diese Erfahrung will er mir weitergeben – nicht gratis natürlich.

Und da ist noch das belgische Ehepaar, vielleicht Mitte fünfzig, das seine Wohnung verkaufen will. Irritiert bemerke ich, dass ein ägyptischer Jüngling bei ihnen ist. Sicher wegen den Dokumenten – denke ich mir. Sie können kein Arabisch, da braucht es eine Hilfe, auf die man sich verlassen kann. Rasch fällt mir aber auf, dass er sich wie ein Hündchen verhält, wie seltsam…

„Weisst du, ich muss mich operieren lassen. Ich habe Krebs. Einen Tumor im Kopf. Stabil. Es eilt nicht, aber je früher ich das machen lasse, umso besser. Und in Belgien gibt es keine Spezialisten dafür. Ich muss deshalb ins Ausland und dafür brauche ich Geld. Viel Geld.“ Mein Mitleid regt sich. Armer Tropf. „Und trotzdem rauchst du weiter?“ staune ich.

Seine rundliche, freundlich dreinschauende Frau sieht und hört nur zu. Sie sagt fast nichts. Erst als ich sie auf Französisch anspreche, erwidert sie lebhaft meine Fragen.

Ihr Mann zeigt mir die Papiere, gibt mir allerhand Informationen über die Wohnung, die finanziellen und nervlichen Investitionen. Er war an falsche Anwälte geraten und es dauerte zwei Jahre und viele Euros, bis er alle Papiere beieinander hatte. Trotzdem will er die Wohnung mit einem grossen finanziellen Verlust verkaufen.

Andererseits erzählt er, dass er hier in Ägypten erfolgreich Geschäfte betrieben habe – aber nun alles Geld verbraucht habe. Wie tragisch.

Inzwischen ist noch ein ägyptischer Vertrauter gekommen. Ich bin erleichtert, muss ihn aber fast nötigen, sich zu uns zu setzen. Ich lege es so aus, als dass er nicht stören will. Damit irre ich mich aber gewaltig.

Irgendwann ist alles gesagt, der Belgier wendet sich immer wieder seinem Hündchen neben sich zu, ich beachte ihn gar nicht, sehe ihn auch nicht, hatte ihn nicht mal begrüsst, denn er wurde mir nicht vorgestellt. Sie verlangen die Rechnung, bezahlen, man verabschiedet sich. Ich verspreche, mich innert Wochenfrist zu melden, falls ich mich zu einem Kauf entscheide.

Und Tschüss. Erleichterung.

Ich sehe die Österreicherin an. „Das stimmt gar nicht, zu mir hat er gesagt, er brauche Bargeld für ein Geschäft“ klärt sie mich auf. Er hat gelogen. Wieder einer, der mit meinen Gefühlen, meinem Mitleid spielt. Er braucht es wohl eher für etwas anderes.

Als ich meinen Vertrauten um seine Meinung bitte, bricht es aus ihm heraus. Er ist angewidert, bezeichnet ihn mit Ausdrücken, die ich nicht wiederholen kann. „Er hat ihn geküsst!!“

… Und seine Frau sass daneben!

Die Österreicherin und ich sitzen völlig verstört da. Ihr Freund lacht nur: „Vielleicht machen sie’s zu Dritt!“

„Hast du denn keine Lebenserfahrung? Wo lebst du denn?“ muss ich mir anhören. Doch, doch, habe ich. Aber die Anhäufung von Randexistenzen, Kriminellen und anderen rechtlosen Individuen, wie sie hier auftritt, verlangt eine Neuordnung meines Weltbildes… bevor es endgültig auseinander zu brechen droht.

*****

Wie gesagt, hinter jedem Verkauf steht eine Geschichte…

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