Anderes

Freitag, Februar 25, 2011

Wem stehen Menschenrechte zu?

Einmal mehr staune ich, wie wirr manche Ägypter über ihre Mitmenschen (in der Regel über niedrigere Schichten) denken. Und urteilen. Heutige Aussage eines Bekannten: sie sind schmutzig, sie leben im Dreck, sie sind dumm, sie leben wie Tiere. Deshalb verdienen sie keine Rechte, keinen Respekt.

???

Ich entgegne: auch wenn sie dumm und schmutzig sind, sind sie Menschen und verdienen, als solche respektiert zu werden. Und dass sie dumm und schmutzig und meinetwegen faul sind und noch vieles mehr, hat einen Grund: Mangelnde Bildung. Das Bildungssystem in Ägypten ermuntert nicht dazu, den eigenen Verstand zu gebrauchen, sondern es wird nur auswendig gelernt. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass Ägypter im Allgemeinen als sehr intelligent gelten.

Unsere Diskussion hätte noch lange weiter gehen können, zum Glück musste mein Gesprächspartner anderen Verpflichtungen nachgehen. Wehe, wenn wir mal genügend Zeit zum Diskutieren haben…

Für mich ist es ein weiteres, kleines Beispiel, wie verkrustet diese Gesellschaft, wie vernebelt die Vorstellungen hier sind. Und jetzt bricht die Kruste an jeder Pore, an jeder Ecke auf, fördert Unterdrücktes und Verschwiegenes zutage. Die Menschen werden wohl oder übel auch an ihren trägen Traditionen und ihrer behäbigen Mentalität rütteln müssen, wenn sie eine bessere Zukunft schaffen wollen. Eigeninitiative ist gefragt. Selbständigkeit, Respekt und Akzeptanz.

Einer meiner Bekannten drückte heute aus, wie froh er über die Geschehnisse in seinem Land sei. Gleichzeitig habe er aber auch Angst. Angst davor, dass die breite Bevölkerung gar nicht mit den Freiheiten einer Demokratie umgehen könne. Er schildert, wie er Jugendliche im geschützten Rahmen von Unterricht aufforderte, ihre Wünsche zu äussern. Unmöglich! Niemand getraute sich, offen zu reden. Jahrzehntelange Einschüchterung und Angst sind tief in den Menschen verankert. Er befürchtet, dass die Muslimbrüder dieses Vakuum nützen werden. Im Sinne von: Allah wünscht dies oder jenes – der Gläubige hat demütig zu folgen.

Vielleicht, entgegnete ich. Vielleicht aber werden die vielen klugen Köpfe in diesem Land die Zeit bis zu echten, freien Wahlen ebenfalls nützen, Parteien bilden, in Städte und Dörfer ausschwärmen und der (ungebildeten, beeinflussbaren) Landbevölkerung aufzeigen, welche Rechte sie haben. Vielleicht werden Lehrer endlich ihre Verantwortung wahrnehmen. Es gibt in Ägypten genügend NGOs, es gibt genügend treibende Kräfte, die das Land auf Vordermann bringen möchten, es gibt viele Fähige, die ins Ausland geflohen sind und zurück kehren wollen. Es braucht einfach Zeit. Und niemand kann sich vorstellen, was in diesem Biotop, dem plötzlich Sauerstoff und Wasser zugeführt wird, alles gedeihen (und wuchern) kann.

Besserwisserisch und überheblich gebärt sich auch der Westen: sie trauen den Arabern nicht zu, dass sie eine für sich geeignete Form der Demokratie bilden können. Die europäischen Länder haben sich auch an allen möglichen Varianten von Demokratie (und anderem) versucht und sind immer noch dabei dazuzulernen. Weshalb gesteht man dies den Ländern im Nahen Osten und im Maghreb nicht zu? Gibt es ein Mündigkeitskriterium für Selbstbestimmung und Freiheit? Könnte es sein, dass Veränderung Angst macht?

Ja, natürlich macht sie Angst. Aber Veränderungen bergen auch Chancen. Ich bin gespannt, welches westliche (oder östliche?) Land sie als erstes ergreifen wird.

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