Anderes

Samstag, August 13, 2011

Sprache und was daraus wird

Vor mir sitzt ein sympathischer junger Mann. Er will demnächst in ein privates College eintreten und möchte deshalb noch seine Englisch-Kenntnisse aufpolieren.

Um ihn reden zu lassen, frage ich ihn nach seinen Hobbies. Wie so viele junge Leute heutzutage, nennt auch er „chatten mit Freunden im Internet.“ Ob er dabei Englisch brauche, frage ich. Er antwortet mit verzogenem Grinsen, er verwende „Franco-Arab“. Ich verstand, was er meinte, kannte aber den Ausdruck nicht.

Bei „Franco-Arab“ oder auch „Arabish“ werden lateinische Buchstaben verwendet, man drückt sich aber in Arabisch aus. Dabei fehlen natürlich verschiedenste Laute, die es in der lateinischen Sprache nicht gibt (z.B. ع). Diese Laute werden mit Ziffern dargestellt (z.B. 3). Das sieht für nicht Arabisch Sprechende ziemlich seltsam aus (z.B.
ana raye7 el gam3a el sa3a 3 el 3asr; Quelle: Wikipedia). Oft werden aber auch einzelne oder mehrere Wörter in Englisch geschrieben. Ähnlich geht es im ägyptischen Fernsehen zu: es wird oft mitten im Satz zwischen Englisch und Arabisch hin und her gewechselt.

Die Ägypter waren natürlich wiedermal die Ersten, die aus der Not eine Tugend machten. Die aus dem Westen stammende Technologie für Kommunikation über Internet und Mobiltelefone liess keine anderen Zeichen als jene der lateinischen Sprachen zu. Arabisch, Farsi, Hindi u.s.w. waren somit vorerst von dieser Erfindung ausgeschlossen.

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Einerseits finde ich diese Entwicklung clever. Sie zeigt, wie einfallsreich Menschen sind und sich selber helfen können. Und sie zeigt, dass Sprache lebt, nicht stehen bleibt und sich ständig weiter entwickelt.

Andererseits: was passiert, wenn wir unsere eigene Herkunftssprache nicht mehr verwenden? Verlernen wir sie? Geht damit nicht auch unsere Identität verloren?
Das sieht in Westeuropa vielleicht anders aus, als hier im arabischen Raum. Ich bin mit Büchern aufgewachsen: als Kleinkind riss ich zum Entsetzen meiner Mutter liebevoll Seite um Seite aus alten Büchern, später träumte ich mit Bilderbüchern und irgendwann schaffte ich den Sprung zum Lesen – und hörte gar nie mehr auf. Bald kam auch noch die Liebe zum Schreiben dazu. Das war aber auch nicht besonders schwierig, weil meine Eltern lesen und bei uns Berge von Büchern stehen.

Hingegen ist Bücher lesen im arabischen Raum (verallgemeinert und mit Ausnahme des Korans) über Jahrzehnte vernachlässigt worden. Arabisch ist eine fürchterlich schwierige Sprache und sie zu Lehren und zu Lernen braucht viel Energie und Hingabe. Ausserdem wachsen die Menschen mit einem Dialekt auf – wozu also noch das klassische Arabisch lernen? Arabische Poesie und Literatur gehört zu den schönsten, die es gibt. Wird sie noch gelesen? Nur noch von wenigen, denn sie stammt aus früheren Zeiten und ist mit der heutigen modernen Zeit nicht vereinbar.
Langsam scheint sich das Blatt zu wenden, es werden Anstrengungen unternommen, den jungen Menschen das Bücherlesen wieder schmackhaft zu machen. Junge Autoren machen auf sich aufmerksam, ihre Bücher werden auch in andere Sprachen übersetzt.

Auch Chatten ist inzwischen auf Arabisch möglich, die Technologie wurde weiter entwickelt. Aber das wäre für die Jungen wohl uncool. Irgendwie wird alles zu einem Einheitsbrei: überall auf der Welt wird Cola getrunken, Fastfood verschlungen und in einem mit Englisch durchsetzten Slang kommuniziert. Wechseln wir damit unsere Identität wie einen Mantel oder passen wir uns einfach neuen Gegebenheiten an? Wie seht Ihr das?

1 Kommentar:

  1. Völlig korrekt, Einheitsbrei beschreibt es gut. Der große Gleichmacher war früher Fernsehen und Radio in der Kultur, heute sind es die neuen Medien. Der Ursprung eines extremen kulturellen Vandalismus ist meiner Meinung nach noch früher zu datieren, siehe z.B. den Untergang der antiken Kultur, das kommt nicht von ungefähr: https://www.ysee.gr/html/de/lov.html

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