Anderes

Dienstag, September 20, 2011

Traurige Zeiten

Meine Freunde zuhause fragen mich momentan per Email, ob es in Ägypten für Touristen (und für mich) überhaupt noch sicher ist.

Hurghada ist sicher. Es ist wahrscheinlich der sicherste Ort in ganz Ägypten – neben Sharm El-Sheik (und der Polizeiakademie in Kairo, wo die Gerichtsverhandlungen gegen die Repräsentanten des gestürzten Regimes stattfinden). Aber auf den Sinai will sowieso kaum niemand mehr, hat mir eine Freundin gesagt, die dort wohnt. Hurghada ist voller Touristen, die Sheraton Street, die Haupteinkaufsstrasse im Stadtzentrum, die Cafés in El Memscha und in der Marina sind „bumba voll“, wie man das in meinem Dialekt ausdrückt. Im Zentrum und auf den Umfahrungs- und Ausfallstrassen ist die Polizei präsent und aktiv. Wir haben normalerweise Strom, Wasser und Benzin, es gibt kaum Streiks und die Angestellten von HEPCA kehren mehr oder weniger zuverlässig den Müll zusammen und leeren die Mülltonnen. Mein Wohnquartier hat nun auch Wachpersonal: an den drei Zufahrtsstrassen steht neuerdings je ein Schlagbaum und wer hindurch will, muss entweder hier wohnen oder dem Wachmann seinen Fahrausweis übergeben.

Ausserhalb der heilen Welt Hurghadas sieht es anders aus. Streiks beeinträchtigen nach wie vor das Wirtschaftsleben: Lehrer, Postangestellte, Müllmänner, Polizisten, Ärzte, Anwälte, Busfahrer… quer durch die ganze Wirtschaft Ägyptens wird gestreikt, für: mehr Lohn, einen langfristigen Arbeitsvertrag (damit verbunden auch Sozialversicherungen), einen anderen Vorgesetzten, für die Entlassung der Ausländer, aus Rache, einen besseren Arbeitsplatz und vielen anderen Gründen.

Gleichzeitig zieht der Oberste Armeerat die Zensurschraube wieder an. Wer sich gegenüber dem Obersten Armeerat kritisch äussert, demissioniert besser von seinem Posten oder muss damit rechnen, dass er vors Militärgericht zitiert und ohne Recht auf Verteidigung zu ein paar Jahren Gefängnis verurteilt wird. Seit das Notstandsrecht wieder aktiviert wurde, hält man besser den Schnabel, denn die Polizei kann jeden „grundlos“ festnehmen („grundlos“ in Anführungszeichen, denn unter dem Notstandsrecht hat die eine Seite immer einen Grund). Der Oberste Armeerat bemüht sich, Stärke zu zeigen. Das Recht des Stärkeren liegt momentan aber bei jenen, die zu Tausenden aus den Gefängnissen geflohen (bzw. von Polizei und anderen an Chaos interessierten Gruppen befreit worden) sind. Raubüberfälle am helllichten Tag, auf vielbefahrenen Strassen, Einbrüche in Wohnquartiere und Kidnappings sind mittlerweile an der Tagesordnung. Die Gunst der Stunde nützen auch Clans, die miteinander offene Rechnungen auszugleichen haben, sei es aus religiösen Gründen, sei es auch nur um eine unangebrachte Äusserung zu rächen…

Ägypten ist führungslos geworden.

Wer als Ortsunkundiger all die herrlichen antiken Stätten zwischen Alexandria und Abu Simbel besuchen möchte, soll dies momentan mit einer gut organisierten Gruppe tun, am besten unter Begleitschutz. Das ist meine ganz persönliche Empfehlung und ich bin alles andere als ein Angsthase und nicht ausgesprochen vorsichtig. Ortsunkundig und auf eigene Faust – davon würde ich jetzt die Finger lassen. Lieber noch ein, zwei Monate warten oder einfach Sonne und Meer geniessen in Sharm El Sheik, Hurghada und Umgebung. Die nächsten Monate werden zeigen, wohin Ägypten steuert. Noch mehr Chaos kann ich mir fast nicht mehr vorstellen, obwohl es Menschen gibt, die noch schwärzere Szenarien ausmalen. Ich persönlich werde frühestens im Oktober wieder auf Reisen gehen, sofern es die Sicherheitslage erlaubt. Ich hab‘ da noch so ein paar Pläne…


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