Mit schweren Schritten und noch schwereren Gedanken gehe ich die Strasse zu meinem Wohnblock hoch. Es ist schon fast elf Uhr nachts, komme soeben vom Früchte- und Gemüsemarkt in Dahar.
Aus den Augenwinkeln sehe ich im Halbdunkel Etwas, das sich bewegt. Ich sehe genauer hin, bleibe stehen, traue meinen Augen kaum. Da liegt ein Mann mittleren Alters kopfabwärts unter dem Gebüsch, am Strassenrand, halb auf dem Trottoir, halb auf der Strasse. Er macht seltsame Bewegungen. Ich trete näher zu ihm hin, frage, ob er Hilfe brauche. Er murmelt etwas, rudert weiterhin mit seinen Armen und Beinen herum, fällt dann plötzlich wieder auf den Rücken. Ich frage ihn, ob er Russe sei. Ja und stottert etwas von „Police“. Ich versuche ihn aufzurichten. Es geht nicht. Ich lege meine Einkäufe auf die Strasse und packe ihn mit beiden Armen. Endlich steht er, doch er schwankt, droht wieder umzufallen. Er stinkt wie ein Fass Vodka. Ich will ihn hinunter zu den Läden führen, wo Männer sind, Leute, die vielleicht Russisch sprechen, doch ich habe keine Chance. Er fällt wieder um, liegt auf dem Rücken im Dreck. Sein Hemd ist aus der Hose gerutscht, der Gürtel hält die viel zu weite Hose um seinen klapperdürren Körper kaum fest. Er stöhnt, krächzt „Laura“, „no, no, no“.
Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, auch meine ägyptisch-russischen Nachbarn nicht, die sonst zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Balkon stehen. Ich lasse ihn liegen und gehe alleine hinunter zu den Geschäften. Der erste junge Mann, der mir begegnet spricht Russisch und kommt sofort mit mir zurück zu dem Betrunkenen. Er redet Russisch auf ihn ein, erfährt, dass er in El Kawthar wohnt, versucht ihn ebenfalls auf die Füsse zu stellen, mit weniger Erfolg. Er holt ein Auto – einen nigelnagelneuen schwarzglänzenden VW Passat. Mittlerweile ist ein weiterer Ägypter zu uns gekommen und die beiden Männer heben den Mann ins Auto. Der Russe behauptet, er wüsste, wo er wohne. Das Auto verschwindet hinter der Kurve.
Der Ägypter meint, das sei der Grund, weshalb er Alkohol hasse. Für mich denke ich aber, dass dahinter eine ganz andere Geschichte steht, eine menschliche Tragödie. Ich bin schockiert. Meine sonst schon trüben Gedanken werden noch finsterer. Traurig schliesse ich meine Wohnung auf und lasse die Türe hinter mir ins Schloss fallen.
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