Heute, am 19. März 2011, fünf Wochen nach Mubarak’s Rücktritt, dürfen Ägypterinnen und Ägypter erstmals seit mehreren Jahrzehnten über ein Referendum abstimmen. Es geht um die Verfassungsänderungen, die eine Übergangsphase bis zu Präsidenten- und Parlamentswahlen einleiten soll.
Doch die Änderungen sind ein Flickwerk; innert zehn Tagen ausgearbeitet, werden sie von allen Oppositionsgruppen, Juristen und unabhängigen Präsidentschaftskandidaten abgelehnt. Einzig die Muslimbrüder und die Überbleibsel der einst allmächtigen NDP sind für die Änderungen. Gestern fuhren Autokorsos durch Hurghada, die mit grossen weissen Plakaten beklebt waren. Darauf standen die zwei Buchstaben „LA“ - „Nein“.
Wenn ich wählen dürfte, würde ich auch Nein stimmen. Die Verfassung lässt noch zu viel Macht beim künftigen Präsidenten, auch wenn darin klar ausgedrückt wird, dass die gewählte Regierung innert 60 Tagen eine neue Verfassung ausarbeiten muss. Das kann bös ausgehen. Ich habe mich nicht tiefgehend mit diesen Verfassungsänderungen auseinandergesetzt, aber ich sehe zwei Gründe, um (theoretisch) dagegen zu stimmen: Erstens: Art. 2, der noch immer das islamische Gesetz (die Scharia) über alles stellt und zweitens: die kurze Frist reicht für eine wirkliche Meinungsbildung in der Bevölkerung bei weitem nicht aus. Dem Vernehmen nach haben vereinzelt Islamisten das gestrige Freitagsgebet dafür genützt, Propaganda für eine Zustimmung zu den Verfassungsänderungen zu machen.
Erstmals haben die Leute hier intensiv, offen und ohne Angst diskutiert. Das muss man sich mal vorstellen! Auch wenn viele nicht wussten, was sie stimmen sollten – das Bewusstsein, dass jeder erwachsene Bürger eine Stimme hat, macht die Menschen stolz!
Ich hoffe, dass die Mehrheit dagegen stimmt. Dann wird die Übergangszeit zwar länger, aber das hat meiner Meinung nach viele Vorteile. Ich finde es so wichtig, dass den Leuten hier die Möglichkeit gegeben wird, sich mit ihrer neuen politischen Freiheit auseinander zu setzen, herauszufinden, was sie wollen, wen sie unterstützen wollen. Parteien müssen sich formen, sie müssen sich Ziele setzen und diese Mitteilen. Das braucht Zeit…
Übrigens gibt es seit einigen Tagen auch in Hurghada patriotische Erinnerungen zu kaufen: Fähnchen, T-Shirts, Schals, Stickers und anderes in den ägyptischen Farben und dem Aufdruck „I love Egypt“. Ich werde mich nach einem Fähnchen für mein Rennvelo umsehen…
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