Meine Hausaufgabe im Arabischunterricht lautete: schreib
über die wichtigste Sache, die dir in der Woche widerfahren ist.
Hab ich gemacht.
Als Gegenstück erzählte mir meine Lehrerin, was für sie momentan
die seltsamste Sache ist. Sie wird ständig gefragt: „Madam, wen werden Sie
wählen?“
So eine seltsame Frage ist das für mich gar nicht. Ich
stelle mir vor, dass es eher die einfachen, ungebildeten Leute sind, welche
sich Rat von der Frau Lehrerin erhoffen. Doch halt! Oh nein, erzählt sie mir,
nein, auch sehr gebildete Leute, solche aus der Oberschicht stellen diese
Frage. Ich muss noch hinzufügen, dass meine Arabischlehrerin politisch aktiv
ist und immer schon war.
Sie ist schockiert darüber, wie wenig die Ägypter sich für
einen der dreizehn Kandidaten entscheiden können.
Und doch ist es nicht verwunderlich. Dreissig (30!!!!!!)
Jahre das gleiche politische System. Dreissig Jahre musste sich niemand
Gedanken über Verfassung, über Menschenrechte, über politische Rechte und
Pflichten, über Gesetze, über Parlament, über Wahlen und über Politiker machen.
Dreissig Jahre lang war alles klar: es gab eine Partei, einen
Präsidenten. Die verfügten über alle Macht und wer nicht drin war, der war
draussen. Draussen hiess: im Knast, im Ausland, im Untergrund oder zu arm, um
an mehr zu denken, als daran, was es morgen zu essen geben würde. Dreissig
Jahre, das ist eine gesamte Generation. Über 30% der Bevölkerung sind jüngerals 14 Jahre, d.h. gegen 50% der Bevölkerung kannten nie
etwas anderes. Man muss sich das mal in Ruhe vorstellen!
Und wen wird sie wählen? Ich habe nicht gefragt, denn es ist
völlig unwichtig. Was nützt ein Präsident ohne Verfassung? Welche Rechte hat
er? Ohne Verfassung ist er eine Marionette wie das jetzige Parlament. Darüber
sind wir uns einig.
Auch darüber, wer der nächste Präsident wird. Und dann? Dann
wird es noch schwärzer in Ägypten, sagt sie. Und ich krieg wieder dieses
schlechte Gefühl im Bauch, das mich jedes Mal befällt, wenn ich mit meinen
Schülern über die aktuelle Situation diskutiere.
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