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Freitag, Mai 04, 2012

Assuan im Frühling 2012

Ich sass auf einem Betonbänkchen und ass ein Hawauschi (eine Art Pfannkuchen, gefüllt mit gut gewürztem Hackfleisch). Ein Ladenbesitzer schimpfte einen Jungen, der etwas auf den Boden geworfen hatte. Er forderte den Jungen auf, den Abfall aufzuheben. Tatsächlich: alles war sauber. Kein Papier, keine Zigarettenkippen, keine Plastikflaschen.

Das war im Januar 2011 im Souk. Knapp drei Wochen vor dem Ausbruch der berühmten Revolution am 25. Januar 2011.

“Assuan, ia gamila, hassal eh?“ Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden?

16 Monate später sieht Assuan aus, wie jeder Ort in Ägypten. Ihr Attribut als sauberste Stadt Ägyptens hat sie verloren. Im Souk wurden Pflastersteine entfernt und nicht wieder ersetzt, Löcher nicht wieder zugemacht, Abfall liegt achtlos herum. Viele Geschäfte sind zu. Der fingerdicke Staub vom vortägigen Sturm lässt alles noch trostloser aussehen. Vorgestern demonstrierten die Bazaar-Inhaber und –Angestellte: die Reiseführer bringen die Touristen lieber in die grossen Souvenirgeschäfte Richtung Flughafen, weil sie dort mehr Kommission bekommen.

Die riesigen Kreuzfahrtschiffe liegen gespenstisch dunkel am Ufer vor Anker. Kutscher warten vergeblich auf Gäste. Eine Handvoll Feluken fährt über den Nil. Mein Hotel in einem prachtvollen Garten ist praktisch leer – 15 Gäste sind da. Kaum ein Tourist verirrt sich nach Assuan. Tristesse pur.

Dabei lockt die Landschaft noch immer grosszügig mit ihren Reizen, ist ihre Lage ein Juwel. Sehenswürdigkeiten werden nicht herdenweise belagert, sondern können in Ruhe und Stille bestaunt werden. Goldgelbe Hügel, blau schimmernder Nil und grüne Inseln bilden eine uralte Einheit, vermitteln Ruhe und Gelassenheit. Unablässig, zuverlässig, den Verlauf der Ereignisse ignorierend. Schicksalsergeben, wie sein Volk?

Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden? Ägypten, mit deiner tausendjährigen Geschichte, wie tief fällst du noch?






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