Freitag, Dezember 31, 2010

Happy New Year 2011

Allen meinen Freunden, Bekannten und allen Lesern, die sich auf diese Seite verirren, wünsche ich von Herzen ein


Gesundes, glückliches und erfolgreiches 2011!


El-Qamar

Dienstag, Dezember 28, 2010

Banking in Egypt

Ein Bankkonto muss her! Ich fragte meine Bekannten nach ihren Erfahrungen und entschied mich für eine international tätige, bekannte Bank. Gespannt darauf, was mich da alles erwartet, ging ich ins neue Bankenviertel.

Die Formalitäten zur Konto-Eröffnung sind im Vergleich zu dem, was wir in Liechtenstein oder der Schweiz erleben, unbedeutend. Einzig meinen Pass musste ich vorweisen und der Bankangestellte machte Kopien von meinen Personalien und meinem Visum.

Sofort erhielt ich meine Kontonummer und es wurde mir versprochen, dass ich in einer Woche die Bankomatkarte und den Code abholen könne. Damit würde ich Geld am Automaten beziehen und Internet-Banking aktivieren können.
Ich liess (aus Erfahrung) mehr als eine Woche verstreichen, bis ich die Karte und das Passwort holte. Ich quittierte den Empfang und ging freudig meines Weges. Erst später hatte ich Zeit, die Karte auszuprobieren und eine Transaktion am Automaten zu tätigen. Doch… irgendwas funktionierte nicht… Ich tippte den Code ein… meine Befehle wurden aber als fehlerhaft abgewiesen.

 
Ich probierte anderntags an einem anderen Automaten (die Bank hatte leider geschlossen) – mit dem gleichen Resultat. Entnervt gab ich auf und ging am darauf folgenden Tag wieder zur Bank. Die erste Frage „Haben Sie den richtigen Code eingetippt?“ liess mich fast explodieren Bin ich blöd? Nein, noch nicht. Nach einigen Telefongesprächen des Bankangestellten mit seinen Kollegen in Kairo stellte sich heraus, dass für meine Karte ZWEI Codes ausgestellt wurden. Ich hatte gar keine Chance, einen richtigen Code zu verwenden!

 
Weitere Tage verstrichen, bis ich einen neuen Code erhielt. Dieser funktionierte endlich auch und ich aktivierte Internet-Banking.
Doch ein erneutes Hindernis stellte sich mir in den Weg: wenn ich eine Überweisung innerhalb Ägyptens machen möchte, muss der Empfänger mit der elektronischen Überweisung einverstanden sein. Wo liegt hier der Sinn? Ich habe ihn bis heute nicht gefunden. Es gibt somit Zahlungen, die ich nach wie vor mühsam am Bankschalter tätigen muss, immer mit Wartezeiten und manchmal auch mit Überraschungen verbunden. So fiel einmal der Strom aus – Schalterhalle und Computer blieben dunkel. Der Banker bat mich, doch Bargeld am Automaten zu beziehen und dann am Schalter einzuzahlen!

Einmal gab ich versehentlich eine Zahlung per Internet-Banking zweimal auf. Ich bat den Kundendienst, die Zahlung zu stornieren – in der Schweiz kein Problem und es ist je nach Bank sogar elektronisch möglich. Doch hier erhielt ich zur Antwort: ja, das geht, das kostet aber so und so viel. Faktisch 50% meiner doppelt getätigten Überweisung. Ich schluckte tief und liess die Stornierung sein. Freundlicherweise hat mir der Empfänger den Betrag nach langer Zeit doch zurück erstattet. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen werden hier elektronische Überweisungen mit Spesen belastet – eine Tatsache, die ich auch nicht kapiere, fallen doch die „handling costs“ weg.

Ich habe hier auch noch nie vom Computer ausgedruckte Belastungen bzw. Gutschriften am Bankschalter bekommen. Ich muss von Hand alles ausfüllen und der Bankangestellte tippt dann alles nochmals ein. Er quittiert mir die Transaktion auf dem von mir ausgefüllten Formular – mit vielen Zeichen, Kürzeln, einem roten Strich und einem dicken Stempel.

Andere Banken, kleinere internationale oder ägyptische, arbeiten noch archaischer. Man stellt sich in einer langen Warteschlange an – ich fühle mich dabei jeweils, als ob ich am Jahrmarkt im Gedränge stehen würde - und erfährt dann irgendwann mal, dass man am falschen Ort ist oder ein Formular ausfüllen soll. Diskretion gibt es nicht – die dicht gedrängte Menschenmasse hört zu.

Worüber ich noch immer Staune ist die Tatsache, dass ich in einer Wechselstube den besseren Umrechnungskurs erhalte, als in einer Bank. Kürzlich hat mir meine Bank zu verstehen gegeben, dass ich als Kontoinhaberin vorteilhaftere Umrechnungskurse erhalte, das gilt aber nur für gängige Währungen wie den Euro. Der solide Schweizer Franken zählt hier nicht dazu.

Über all dies tröstet mich dann die Vorstellung, wie es wohl in anderen Ländern Afrikas sein mag und dann bin ich schon wieder froh, dass ich hier alles im Griff habe…


Donnerstag, Dezember 09, 2010

Lust auf Weihnachtskekse

Über eine Stunde lang habe ich mir unfreiwillig das Getratsche von deutschen Frauen angehört, wie sie über das Backen von Weihnachtskeksen diskutierten. Die Folge davon war, dass ich riesige Lust auf solche Dinger bekam.

Die aus den deutschen Bäckereien sind himmlisch gut, aber höllisch teuer. Also ging ich mal wieder zu einem „Halawani“ – einem Zuckerbäcker. Mitten in Sekkala an der grossen Kreuzung ist ein winziger Laden, wo es hübsch verpackte Schokolade, wunderschön dekorierte Torten und westliches und orientalisches Gebäck gibt. Jedes Mal, wenn ich dorthin gehe, erlebe ich eine kleine Überraschung.

Einmal kaufte ich Schokolade, um sie zu verschenken. Die alte Frau im Laden suchte aber zuerst einige Minuten ihr Mobiltelefon. Ich bot ihr an, sie anzurufen, um es rascher zu finden. Doch sie wusste die Nummer nicht auswendig! Irgendwie tauchte es unter einem Stapel Papier, dem Koran und Plastiktüten auf. Endlich konnte sie mir ihre Aufmerksamkeit widmen und mich bedienen. Während sie die Schokoladestückchen herausgrabschte und in eine Tüte warf, streckte sie mir eines zum Probieren hin. Ich bat sie ganz höflich auf Arabisch – Englisch kann sie nicht – doch eine Schachtel zu nehmen, weil es ein Geschenk sei. Kurzerhand nahm sie einen Karton hervor, faltete ihn eher schlecht als recht und äusserst lieblos zusammen, schüttete die Pralinés hinein und wickelte eine Schnur drum herum – fertig war das Geschenk! Grinsend trug ich die Kostbarkeit zum Laden hinaus.

Heute aber traf ich eine junge Frau oder junges Mädchen an, wie auch immer. Ich fragte sie, was denn das Gebäck im Kilo koste. Sie sah mich liebenswürdig an, murmelte etwas und blätterte dann einige Minuten in einer dicken Jahresagenda… und fand… irgendwo… die Preise: fein säuberlich von Hand hinein geschrieben. Ich wunderte mich, wie um alles in der Welt sie denn etwas verkaufen will, wenn sie die Preise nicht kennt?
Ich sagte ihr, von welchen Keksen ich wie viel wollte. Mit blossen Händen griff sie in die auf grossen Silberplatten aufgetürmte, schön dargebotene Ware und warf sie in einen Plastiksack. Ich bat sie, doch wenigstens Handschuhe zu tragen – so einen fand sie zu meiner grossen Überraschung sogar und streifte ihn über.
Im Kopf rechnete ich den Betrag schnell aus und schaute ihr zu, wie sie den Taschenrechner aus der Ecke hervorklaubte. Sie lächelte mich an und ich begriff: sie hat keine Ahnung, wie sie den Verkauf berechnen sollte! Innerlich tat sie mir leid. Was tut das Ding denn in dem Laden? Ich zeigte ihr auf dem Rechner wie sich der Betrag berechnen lässt, legte eine Note hin, sagte ihr, wie viel Rückgeld sie mir geben sollte.

Unglaublich? Nein, es erstaunt mich überhaupt nicht mehr. Diese Situationen spielen sich in meinem Leben wie ein Film in Zeitlupe ab, wiederholen sich und vielleicht weil es immer Mädchen oder Frauen sind, versuche ich, sie das Gesicht wahren zu lassen. Schade war nur, dass ein Teil der Kekse in der Tüte zerbröselt war, bis ich zu Hause angekommen war. Vielleicht sollte ich das nächste Mal doch besser in eine deutsche Bäckerei gehen? Wegen dem Unterhaltungswert ganz bestimmt nicht!


Sonntag, Dezember 05, 2010

Gefrässige Haie und andere Grossmäuler

Mit dem Tod einer Touristin durch die heutige Haifischattacke an der Küste vor Sharm El-Sheik geht ein grosses Entsetzen durch die hiesige Touristenindustrie. Viele Arbeitsplätze hängen von den Bade- und Tauchgästen ab – offiziellen Angaben zufolge 2/3 aller Tourismuseinnahmen.

Als ich heute im Pass Büro mein Visum verlängern liess, sah ich unter den Mit-Wartenden nur die typische Spezies von Tauchlehrern: ein bisschen schmuddelig, ein Tattoo da und dort, lange, zerzauste Haare, braun gebrannt, auffallend cool. Es sind Europäer, welche dieses Business am Roten Meer in den Händen halten. Dahinter reiht sich alles auf, was den Tourismus ausmacht: Hotels, Restaurants, Transportunternehmen, Dienstleistende vom Tourguide bis zum Kloputzer. Was ist, wenn nun die Touristen wegen dem Menschen-attackierenden-Hai ausbleiben?

Nicht alle kümmert dies am Roten Meer. Es gibt noch andere gierige Mäuler, die nicht genug bekommen können. Heute früh gab es kaum Minibusse, die sonst überaus zahlreich und geschwind Hurghadas Einwohner für ein paar Piaster von A nach B transportieren. Als mir ein Freund sagte, er hätte ein Taxi nehmen müssen, war mir schon klar: die Busfahrer gingen zu den Veranstaltungen für die Nachwahl der Parlamentswahlen: es winkten nicht nur gratis Essen oder T-Shirts, sondern bis zu 500 ägpytische Pfund für eine Stimme für die dominierende NDP (Nationale Demokratische Partei). Das ist eine Riesensumme, wenn man den offiziellen Mindestlohn von 280 ägyptischen Pfund als Vergleich her nimmt.

Welches ist nun das kleinere Übel? Der Badende attackierende Hai, weil er Blut gerochen hat (angeblich wurden Schafreste ins Meer gekippt) oder weil das Meer nicht mehr genug Nahrung bietet – so die Meinungen der Tauchvereinigungen und der Umweltschützer. Dahinter steht aber in beiden Fällen der Mensch.
Oder sind es die gefälschten Wahlen, an denen es mittlerweile mehrere Tote und Hunderte von Verletzten gab? Die NDP hat ja schon die Mehrheit, doch sogar Kandidaten dieser Partei gingen gewalttätig aufeinander los und kauften ihre Stimmen bei den Bedürftigen. Kennt Gier denn keine Grenzen?

Sonntag, November 28, 2010

Süsse Erdbeeren und bittere Nachrichten

Seit ein paar Tagen gibt es wieder Erdbeeren auf dem Markt: gross, tiefrot, süss und mit einem intensiven, herrlichen Geschmack. Voller Freude habe ich die ersten köstlichen Beeren gekauft und gegessen. Sie sind ein himmlischer Genuss.

Doch das Land, in dem diese süssen Früchte schon im November gedeihen, bringt vor allem bittere Nachrichten hervor.
Seit Monaten intensivieren sich die Schikanen gegen Kopten. Der letzte Vorfall, der den Weg in die Presse gefunden hat: unter dem Vorwand, sie hätten keine Bewilligung, wurden Kopten an den Arbeiten zum Aus- bzw. Umbau einer Kirche in Kairo gehindert. Sie protestierten. Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften: zwei Tote, zahlreiche Verletzte und über 150 Gefangene. Die Proteste dauern an, die Präsenz der Sicherheitskräfte ebenfalls.
Kopten wehrten sich im Vorfeld der heute stattfindenden Parlamentswahlen, wie bis anhin für die herrschende NDP zu wählen. Bei früheren Wahlen wurden den Kopten Versprechungen gemacht, die nie eingehalten wurden. Papst Shenuda hat nun aus Protest für die Opposition gewählt.
Schon seit Wochen gibt es im ganzen Land Zusammenstösse zwischen Befürwortern der allherrschenden NDP und Oppositionellen aller Richtungen. Fernsehstationen wurden geschlossen, Chefredakteure von Oppositionszeitungen ausgetauscht, Mitglieder der grössten Opposition – den verbotenen Muslimbrüdern – und anderer Gruppierungen behindert oder festgenommen. Blogger wurden unter fadenscheinigen Anschuldigungen von zuhause abgeholt und hinter Gitter versorgt, kritisch berichtende Internetseiten abgeklemmt. Demonstrationen werden mit brutaler Hand auseinandergetrieben und oft gibt es Tote und Hunderte von Gefangenen.
In den vergangenen Tagen hat sich die Situation zugespitzt. Ein Reporter von Al Jazeera wurde gehindert, über die Situation in Suez zu berichten und sitzt im Gefängnis, Wahllokale wurden verriegelt, um die Einwohner von der Stimmabgabe abzuhalten. Oppositionelle wurden von Sicherheitskräften gehindert zu wählen und Wahlurnen wurden zerstört oder manipuliert und ausländische Wahlbeobachter nicht zugelassen. Die Bürger haben eine Vereinigung von unabhängigen Wahlbeobachtern eingerichtet, die nun über massive Wahlmanipulationen und Übergriffen von Sicherheitskräften berichten.
Gestern fand in ganz Unterägypten ein „Tag des Zorns“ statt. Aktivisten haben aufgerufen, um sieben Uhr abends während 30 Minuten schwarz gekleidet am Strassenrand zu stehen, zu hupen, zu pfeifen oder aus den Fenstern mit irgendeinem Gegenstand Lärm zu machen. Ein Zeichen des Zorns gegen die Nicht-Einhaltung der Menschenrechte und Missstände in diesem grossen Land am Nil.

Von all dem bekomme ich in Hurghada nicht viel mit. Vielleicht steht etwas mehr Polizei herum, gibt es etwas mehr Polizeikontrollen, als sonst. Aber das fällt bei der grossen Präsenz von Sicherheitskräften nicht wirklich auf. Doch wenn ich meine roten Erdbeeren esse, schmecke ich auch eine gewisse Bitterkeit darin.

Mittwoch, November 17, 2010

Mit der Dahabeya "Albatros" auf dem Nil

Eine Nilkreuzfahrt ist der Traum vieler Reisenden. Ruhe, Sonne, die Annehmlichkeiten eines Hotelservices und der Besuch von archäologischen Stätten, Tempeln in Begleitung eines Guides, aber auch der Einblick in die archaische Landschaft und Lebensweise der Oberägypter locken jährlich Millionen von Besuchern auf den Nil.

Als wir in Luxor die Wohnblockgrossen Kreuzfahrtschiffe in Dreierreihe am Quai sehen, sind wir froh, dass wir uns nicht für so eine Reise entschieden haben. Nein, uns erwartet eine wunderschöne, stilvolle Dahabeya. Das sind die ursprünglichen Reiseschiffe aus edlem Holz, mit riesigen Leinen-Segeln und ohne Motor. Dahab heisst Gold auf Arabisch. Es wird erzählt, dass die erste Dahabeya mit Gold verkleidet war und wohlhabende Ausländer damit Fahrten auf dem Nil unternahmen. Momentan verkehren um die vierzig Dahabeyas mit unterschiedlichem Komfortstandard auf dem Nil.


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In Esna gehen wir über einen Holzsteg an Bord. Unsere staubigen Schuhe werden in einen Korb gelegt, ein Willkommenstrunk von Steward Tarek gereicht. Das Oberdeck lädt zum Verweilen ein: mehrere Sitzgruppen, bequeme Liegen, Tische und Stühle sind arrangiert.
Die Kabinen sind sehr geschmackvoll eingerichtet, alles ist vorhanden, was für einen angenehmen Aufenthalt benötigt wird. Im dunkelrot gehaltenen Salon kann man sich vor der Hitze fliehen, in Büchern schmökern oder einen Film ansehen.

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Die erste Nacht ist unruhig und laut, obwohl oder besser, weil wir in Esna angetäut sind. Es ist Aid El Adha, Opferfest, und die muslimische Bevölkerung ist bis weit in die Nacht hinein am Feiern. Nach dem Frühstück spazieren wir zu Fuss dem Nil entlang und durch eine schmale Gasse zum Tempel von Esna, der mitten in der Stadt steht. Neun Meter tiefer unter uns steht er wie in einem riesigen Sandkasten – Jahrhunderte war er im Sand vergraben und Esnas Häuser darauf gebaut geworden. Nun führen Treppen hinab zum Tempel, errichtet von den Ptolemäern und Römern zu Ehren von Knuhm.
Allzu gerne würde ich in die Seitengassen von Esna gehen, mich treiben lassen durch dieses Gewirr von Gassen, bunt getünchten Häusern und zerfallenen Mauern, wo Menschen hineinverschwinden, Kinder lärmend hervorstieben und sich Unsichtbares verbirgt. Hin und wieder sind Paläste aus der Kolonialzeit zu erkennen, schöne Fassaden, reich geschmückte Fensterrahmen, einstige Schönheiten, dem Lauf der Zeit überlassen und verfallen.
Kurz vor Mittag kehren wir zur Dahabeya zurück und während wir uns erfrischen, segelt die Dahabeya gemächlich südwärts. Das ruhige Gleiten auf dem berühmten Strom, die Hitze und die wechselnde Landschaft machen uns schläfrig, weshalb wir uns nach dem Mittagessen ausruhen.

Später legen wir mitten im Nirgendwo an und gehen erneut an Land. Ein staubiger Sandweg dem Nilufer entlang führt uns zu Feldern, wo wir einen Überblick über die Landwirtschaft am Nil erhalten. Klee, Zuckerrohr, Kartoffeln, Bananen, Erdnüsse und vieles andere mehr wird hier angebaut. Die Fellachen begrüssen uns freundlich und halten in ihrer Arbeit inne. Sie sind gekleidet wie eh und je: Kaftan und Turban, die meisten barfuss. Nicht nur die Landschaft, sondern auch die Menschen scheinen aus einer anderen Epoche zu stammen: Ägypten, wie es vor 100 Jahren war, aber auch vor 1000 oder 2000 Jahren. Frauen und Kinder sind keine zu entdecken, aber Esel und eine altertümliche Wassermühle. Tief beeindruckt ducken wir uns unter den Bananenbäumen hindurch, kauen an Zuckerrohrstücken und kehren in der Dämmerung quer über die Felder und Wassergräben zur Dahabeya zurück.

Jedes Mal wenn wir nach einem Ausflug zurück aufs Boot kommen, erwarten uns helfende Hände, die uns über den Steg führen, und Tarek, der uns einen erfrischenden Fruchtsaft anbietet.
Es ist wie im Kino: die fruchtbare Uferlandschaft des Nils zieht an uns vorbei, Palmen heben sich von den gelbrötlichen Bergen im Hintergrund ab, hin und wieder streifen wir ein Dorf, eine Siedlung am Ufer, sehen an einem Berghang eine Ansammlung von Häusern, blicken auf Nilinseln, wo zahlreiche Vögel nisten. Andere Kreuzfahrtschiffe ziehen an uns vorbei, weitere Dahabeyas kommen uns entgegen oder begleiten uns.

Für die Nacht wird unsere Dahabeya  wieder im Nirgendwo am Nilufer befestigt. Später zelebrieren wir das Abendessen auf dem Deck und lassen den Tag mit leisen Gesprächen und stillen Blicken in die Nacht ausklingen.

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Anderntags müssen wir uns nach dem Frühstück beeilen. Früh gehen wir bei einem Dorf an Land. Buben bieten einen Ritt auf dem Esel an, Mädchen lächeln uns erwartungsvoll an: für ein paar Münzen lassen sie sich fotografieren. Männer und Frauen begrüssen uns, die männliche Jugend mustert uns kommentierend und Zigaretten rauchend – wie überall auf der Welt, einzig mit dem Unterschied von Sprache, Kleidung und Hautfarbe. Auf dem Dorfplatz spielen Kinder Fussball, andere wiederum begleiten uns auf unserem staubigen Weg. Das Dorf wird von einem hohen, mehrere Tausend Jahre alten Schutzwall gesäumt. Dahinter breitet sich eine grasbewachsene Ebene aus, wo einst Gräber oder Tempel waren. Wir steigen zu den Nekropolen von El Kab hinauf. Nicht nur die Inschriften und Malereien dort sind erstaunlich, sondern auch die Aussicht über die Ebene: deutlich ist erkennbar, wie schmal der grüne Gürtel entlang des Nils ist. Daneben weitet sich die heisse, trockene Sahara aus.

Wir gehen zurück ins Dorf. Erstaunt sehen wir einfache, aber saubere, liebevoll dekorierte Häuser, mit einladenden Bänken unter einem Schatten spendenden Baum. Was mir jedoch weniger gefällt, ist die Entwicklung, die der Tourismus hier nimmt. Es tut mir weh zu sehen, wie die Kinder um Geld oder Süssigkeiten betteln, die Frauen ein enttäuschtes Gesicht ziehen, weil wir keinen dieser kitschig bemalten, geflochtenen Körbe kaufen mögen. Ich frage mich, was diese einfachen Menschen für einen Eindruck von uns Touristen haben mögen und meine Antwort darauf gefällt mir nicht. Immer und überall nimmt der Tourismus eine ähnliche, verderbliche Entwicklung und niemand versucht, dies mit begleitenden Massnahmen zu verhindern oder abzufedern. Überhaupt erinnere ich mich beim Anblick dieser Landschaft, der Dörfer und der Menschen an andere Länder in der Karibik und in Südamerika. Die Bilder gleichen sich… erschreckend… für mich zumindest.

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Unsere Dahabeya bringt uns weiter stromaufwärts nach Edfu. Meistens werden wir von unserem Begleitschiff – einem Lastkahn – gezogen, da es windstill ist. Nach dem üppigen Mittagessen - diesmal als Buffet - besteigen wir eine Calèche, die uns quer durch die Stadt zum Edfu Tempel bringt. Der Gaul ist knochig und wir bemitleiden ihn, die Kutsche holpert gefährlich. Doch ich wähne mich im Lande Allahs – er wird uns wohl beschützen.
Der riesige Tempel aus der griechisch-römischen Zeit war dem Gott Horus geweiht worden und stelle erfreut fest, dass ich sein Gegenstück im vergangenen Winter in Denderah – damals auf eigene Faust – besucht hatte: jener war seiner Gattin, der Göttin Hathor geweiht worden. Unser Reiseleiter erklärt, dass der Horus Tempel der zweitgrösste Ägyptens ist – nach Karnak in Luxor. Die Dimensionen sind eindrücklich, die Bilder, Säulen, Räume und Nebenräume ebenso.

Für die kommende Nacht legen wir an einer Insel an und geniessen nach einem weiteren ausgezeichneten Abendessen eine ruhige Nacht, vom Gesang einer Nachtigall begleitet.

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Etwas später als an den Vortagen treffen wir uns am Frühstücksbuffet – der heutige Tag soll etwas gemächlicher sein. Erst gegen 11 Uhr gehen wir an Land, nur wenige Schritte eine steile Böschung hoch, besichtigen wir einen weiteren Tempel am Gebel El Silsila. Ein schöner Sandweg führt uns hoch über dem Nil zu einem alten Granitsteinbruch. Aus den Felsen wurden nicht nur Quadersteine für Tempel in ganz Oberägypten gehauen, sondern auch kleine Nischen für die Götter. Dieser Spaziergang ist landschaftlich besonders reizvoll, denn das Ufer ist nicht flach und Palmen bestanden wie bis anhin, sondern Meterhohes Schilf weht im Wind und gold-ockerfarbene Felsen säumen das Ufer. Der Nil scheint hier blau – der Kontrast zu den Felsen ist zauberhaft.

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Der Nachmittag gehört uns. Ursprünglich war ein Bad im Nil vorgesehen gewesen. Unser Kapitän hat einen schönen Platz mit Sandstrand angefahren. Das Wasser ist hier glasklar und die Hitze lädt zu einem Sprung ins kühle Nass ein. Doch die grossen Nilkreuzschiffe vermiesen uns das Vorhaben: sie ziehen an diesem Tag so zahlreich und schnell vorbei, dass das Wasser zu stark aufgewühlt wird und nicht mehr wirklich einladend wirkt. Schade.
Wir fahren weiter südwärts, hinein in die Nacht und lassen den Tag bei einem landesüblichen Abendessen und oberägyptischer Musik ausklingen. Unsere Crew ist wirklich vielseitig: sie halten die Dahabeya auf Kurs, putzen täglich alles blitz blank, richten unsere Kabinen heimelig her, zaubern schmackhaftes Essen auf den Tisch und singen und tanzen zu unserer Unterhaltung!

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Früh stehen wir wieder an Deck – morgens ist es frisch um diese Jahreszeit, auch wenn es tagsüber noch weit über 30 Grad Celsius heiss wird. Nach dem Frühstück bringt uns eine Art Jeep nach Kom Ombo, wo wir den Griechisch-Römischen Tempel besichtigen. Dieser symmetisch angelegte Tempel ist ungewöhnlicher weise zwei Göttern gewidmet: Sobek und Horus. Die Stätte ist grosszügig und wunderschön gelegen. Fasziniert wandern wir durch Säulenhallen und Tore, betrachten die Bilder, Reliefs, Säulenkapitele, Malereien und Zeichen und lauschen den Erklärungen unseres Reiseführers.


Am Ausgang erwartet uns der Jeep wieder:  es ist ein Fahrzeug, das die Einheimischen wie einen Bus einsetzen und Fahrgäste noch Platz auf der rückwärtigen Stossstange finden.

Wir sitzen selbstverständlich gesittet auf den seitlichen Bänken und fahren zum Kamelmarkt. Trotz früher Stunde sind ausser ein paar Schafen nicht mehr viele Tiere zu sehen. Wohl deshalb, weil der dritte Tag des Opferfestes ist und die Menschen anderes zu tun haben, als Vieh zu handeln. Wir gönnen uns einen Spaziergang durch die Gassen und sehen uns am Gemüse- und Früchteangebot satt.

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Wind kommt auf und: wir segeln! Endlich segeln wir mit unserer Dahabeya! Unser ständiger Begleiter, der Lastkahn hat sich davon geschlichen und uns dem Wind überlassen. Es ist herrlich, unter den riesigen Segeln zu stehen, dem Wasser zu lauschen und den Blick auf die immer noch faszinierende exotische Landschaft gleiten zu lassen.


Lange darf unsere Freude leider nicht währen: am Horizont zeichnet sich immer deutlicher die weite Spannbrücke von Assuan ab. Dahabeyas dürfen da nicht weiter und bald machen wir am Ufer fest. Wir klettern zu unserem Lastkahn hinüber und lassen uns am anderen Ufer absetzen. Per Minibus fahren wir nach Assuan.
Wieder auf einem Boot, diesmal einer motorisierten Feluke, fahren wir in den Ersten Katarakt des Nils hinein. Ein weiteres begeisterndes Naturschauspiel bietet sich uns: schwarze Granitfelsen liegen weich glänzend im dunkelblau schimmernden Wasser und bilden Inseln. Meterhohes Schilf bietet geschützten Pflanzen und Vögeln eine Heimat. Palmen und Akazien spenden grosszügig Schatten. Wir tuckern zwischen den Inseln hindurch und staunen schweigend über diese unerwartete Schönheit. Hinter dem westlichen Ufer erheben sich goldgelbe Sandberge. Einen solch wunderschönen Platz hat sich Aga Khan III ausgesucht und eine Villa und sein Mausoleum errichten lassen. Als wir anhalten, lasse ich es mir nicht nehmen und besteige barfuss einen dieser Sandhügel. Bei jedem Schritt rutsche ich in dem goldigen, puderfeinen Sand etwas zurück – doch der Ausblick über den Katarakt ist atemberaubend.


Später spazieren wir durch eines der zahlreichen nubischen Dörfer, die hier nach der Stauung des Nils neu errichtet worden waren. Die Dörfer sind völlig anders angelegt als in Mittel- oder Unterägypten - Wasser und Felder sind Gemeingut - und die Häuser wunderschön bunt bemalt.

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Wir verbringen unseren letzten Abend auf dem Boot, einmal mehr bei einem ausgezeichnet  zubereiteten Abendessen. Wehmut liegt in der Luft, denn niemand von uns hat wirklich Lust, diese Insel von Ruhe und Beschaulichkeit morgen früh zu verlassen.

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Trotzdem werden unsere Koffer an Land gebracht und wir verabschieden uns von der aufmerksamen Mannschaft der Dahabeya. Der letzte Tag in Assuan (als Zusatzprogramm gebucht) lässt uns nochmals staunen. Wir besichtigen den berühmten Tempel Philae – er wurde vor den Fluten des Nils Steinquader für Steinquader, Säule für Säule, auf eine hundert Meter entfernte Insel gerettet und wieder aufgebaut. Die Lage ist ein Traum und ich glaube, dass Göttin Isis damit mehr als glücklich sein wird. Einziger Wehrmutstropfen: der Tempel muss riesige Besucherströme über sich ergehen lassen.


Der nächste Halt findet auf der Staumauer des riesigen Nasser Sees statt. Die schiere Grösse des Sees spricht für sich: sechs tausend Quadratmeter Oberfläche, eine Länge von fünfhundert Kilometern… Über fünfzigtausend Nubier wurden umgesiedelt und zahlreiche historische Tempel und Stätten sowie Zeugen der nubischen Kultur sind für immer in den Tiefen dieses gewaltigen Sees verloren. Mit ausländischer Hilfe und unter der Leitung der UNESCO wurden einige Tempel und Stätten gerettet und an anderer Stelle wieder errichtet – der berühmteste ist wohl der Tempel in Abu Simbel. Respekt vor diesem Kraftakt – doch was richtet Menschenhand alles an?
Unser Reiseleiter begleitet uns zu einem Steinbruch, wo ein unvollendeter Obelisk im Granit klebt. Wäre er fertig geworden, wäre er mit seinen zweiundvierzig Metern der längste aller Obelisken geworden – doch er wies einen Riss auf und wurde deshalb zurück gelassen.
Zum Abschluss unserer Reise besuchen wir das Nubische Museum in Assuan. Das Museum wurde von der UNESCO ausgezeichnet. Wenn ich nochmals nach Assuan fahre, was ich sehr hoffe, werde ich mir einige Stunden nur für dieses Museum reservieren: informativ und wunderschön dargestellt wird die Geschichte und Kultur dieses Volkes erläutert, das ihre angestammte Heimat verlassen musste. Die Ausstellung weckt in mir den Wunsch, mehr darüber zu erfahren.
Nach einem Mittagessen in einem typisch ägyptischen Restaurant in einer Seitenstrasse Assuans verlassen wir Assuan wieder Richtung Norden.

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Informationen über eine Reise mit der Dahabeya „Albatros“ und Angebote sind zu finden auf: www.dahabeya-albatros.com.

Sonntag, November 07, 2010

Aussichten vom Velosattel

Ohne Velofahren kann ich nicht sein. Schon seit Jahren schleppe ich entweder mein Mountainbike oder mein Rennvelo samt Zubehör überall dorthin, wo ich mich länger als fünf Tage aufhalte. So haben  mich meine Zweiräder schon nach Sizilien, nach Südfrankreich und in alle möglichen Ecken Italiens begleitet und ich habe damit wunderbare Aussichten und Erlebnisse genossen.

Die Welt lässt sich vom Fahrradsattel aus ganz anders betrachten, denn sie entwischt dem Blickfeld nicht so rasch wieder wie zum Beispiel beim Zug- oder Autofahren. Sie lässt sich aber auch riechen und fühlen, was ganz angenehm, unter Umständen aber auch ziemlich mühsam sein kann. Rückblickend bleiben jedoch immer beglückende Erinnerungen, egal wie kalt, heiss, stürmisch oder anstrengend es während der Fahrt gewesen sein mag.

Rennvelofahren in Ägypten kann ich mir – alleine als Frau – ausser in Hurghada absolut nirgends vorstellen. Trotzdem bietet es  allerhand Herausforderungen, die bestimmt nicht Jedermanns oder Jederfraus Sache ist.


Woran ich mich zuerst gewöhnen musste, ist die unerwünschte und allgegenwärtige, allumfassende Aufmerksamkeit, die ich ständig errege. Anfangs hat mich das genervt, inzwischen kann ich damit umgehen. Die Männer - Frauen sehe ich praktisch keine und wenn, dann lächeln sie mir zu oder starren durch mich hindurch - hupen wie wild, rufen und schreien mir aus dem Fenster etwas zu – es ging lange bis ich begriff, dass sie damit ihre Bewunderung ausdrücken! Das machen aber nicht nur Autofahrer sondern auch die Chauffeure der schweren langen Lastwagen. Und jene der kleinen Lastwagen, den langsamen und den schnellen. Und die Pickup-Fahrer. Und die Töff-Fahrer. Wenn sie wüssten, wie sehr mich diese Huperei und Schreierei erschreckt und stört! Oft strecken die Fahrer ihre Faust mit erhobenem Daumen aus dem Fenster oder winken damit im Auto, sodass ich es durch die Rückscheibe sehen muss. Am Strassenrand winken sie, klatschen, zeigen ebenfalls den Daumen und rufen von weitem „Hallo“ oder „Mabrouk“! Manchmal muss ich lächeln, nicke jemandem zu… manchmal denke ich aber einfach, dass ich diese Kommentare gar nicht brauche, nicht danach gefragt, nicht darum gebeten habe und eigentlich nur meine Ruhe will. Das sind dann die Momente, wo mir wieder bewusst wird, dass ich in einer anderen Kultur lebe und etwas mache, was für Frauen äusserst ungewöhnlich ist.


Wo fahre ich? Gewiss nicht im Zentrum, wo der Verkehr hektisch und unübersichtlich ist. Ich bemühe mich frühmorgens aus dem Bett und fahre hinaus auf die Überland- und Ringstrassen oder Autobahnen – wie man will. Dort sind die Fahrzeuge zwar schneller unterwegs, doch es ist bei weitem weniger gefährlich als nahe den Siedlungen, Kreuzungen und Abzweigungen. Natürlich gibt es Wahnsinnige, die mit 150 km/h und schneller an mir vorbei rasen, dumme Überholmanöver an meiner Seite, sodass ich schier im Sand (Strassengraben gibt es nicht) lande und erst mal ein paar Verwünschungen ausstosse. Trotzdem fühle ich mich dort sicher und oft fahre ich längere Zeit einsam durch die Wüste, lasse meinen Blick zu den nahen Bergen, den sich in der Ferne drehenden Windmühlen, dem silbern glitzernden Meer oder dem plötzlich auftauchenden Grün schweifen. Es gibt allerhand zu entdecken: wildernde oder überfahrene Hunde, Tonnenweise Abfall aller Art, brennende Öl- oder Gasfackeln, ein Grundwassersee, an dem zahlreiche Vögel leben, Brackwasser, wo sich Schilf im Wind wiegt, pinkelnde Lastwagenfahrer, masturbierende Buschauffeure, arbeitende und campierende Geologen, wunderschöne Hotelkomplexe, Altmetallsammler auf Eselkarren, einen Checkpoint mit viel Personal und Panzersperren, Lastwagen, die alle paar Meter ihre Abfallsäcke abwerfen, Privatwagen, die unter dem aufs Dach aufgetürmten Gepäck fast zusammenknicken, Pickups voller Bananenstauden und vieles Undenkbares mehr.


Kürzlich sah ich weit von der Strasse, mitten im Sand, einen Mann mit einem Kind. Hand in Hand gingen sie einher, wer weiss wo hin. Mir war schleierhaft, was sie dort draussen taten, denn dort gibt es weit und breit weder eine Behausung noch Arbeit, allenfalls ein paar Dornbüsche. Trotzdem berührte mich der Anblick. Als mich das Kind entdeckte, rief und winkte es, der Vater hob es hoch, damit ich es auch bemerken würde. Ich winkte zurück und hatte das Gefühl, das Kind hatte eine Riesenfreude. Eine Sekundenbegegnung zweier fremder Welten, die sich nie werden berühren…


Eine Zeit lang begegnete mir der immer gleiche Eselkarren: der Vater hielt die Zügel des knochigen Grauen, der schielende Junge sass dahinter auf dem Karren zwischen grossen Plastiksäcken. Er lachte mir entgegen und wir winkten einander wie alte Bekannte zu, wenn ich vorbei fuhr.
Letzten Winter und Frühling hauste auf dem sandigen Mittelstreifen, gegenüber dem Nil-Krankenhaus, ein Obdachloser. Seine wenigen Habseligkeiten hatte er immer in einem Halbkreis um sich aufgebaut. Je nach Uhrzeit sass er neben seinem Gaskocher oder lag noch in Decken gehüllt in der Welt der Träume. Plötzlich wurde genau dort die Strasse aufgerissen und eine provisorische  Umleitung eingerichtet. Inzwischen ist die Strasse längst wieder normal befahrbar, aber der Obdachlose ist verschwunden. Ich denke noch oft an ihn und frage mich, was wohl aus ihm geworden ist.


 
Im Frühjahr war ich wie oft schon, auf der Verbindungsstrasse zwischen Innerer und Äusserer Ringstrasse unterwegs. Das mache ich besonders dann, wenn der Nordwind gar stürmisch bläst, denn die Verbindungsstrasse verläuft Ost-Westwärts, oder wenn ich zu faul bin, um mehr als eineinhalb Stunden zu fahren. Damals im Frühling also, bereits auf dem Rückweg, sah ich doch tatsächlich… nein, unmöglich…. aber doch: da kam mir doch tatsächlich ein… ja! ein Velofahrer entgegen! Ich traute meinen Augen kaum, verlangsamte mein Tempo, querte die Strasse und fuhr dem Velofahrer entgegen. Dieser entpuppte sich als Velofahrerin mit einem roten langen geflochtenen Haarzopf: eine Schwedin auf ihrem Triathlon-Rad! Ich weiss nicht, was grösser war: meine Überraschung oder meine Freude. Auf jeden Fall freundeten wir uns rasch an und bestritten von da an einige Ausfahrten  gemeinsam. Sussie verliess Hurghada wieder im Juni, kehrte aber im Oktober zurück und nun strampeln wir hie und da wieder miteinander durch die Wüste. Das macht nicht nur mehr Spass, sondern wir haben auch festgestellt, dass wir zu zweit mehr Gewicht im Verkehr haben. Somit ist zum Beispiel das Wechseln der Strassenseite zu zweit viel einfacher. Und auffallen, tja, das tun wir ja sowieso.

Doch das ist natürlich nicht alles. Da gibt es noch die wilden Hunde. Sie erschrecken mich nach wie vor, wenn sie plötzlich hinter einem Sandhaufen oder aus einem Mauerschatten laut bellend hervorstieben. Insgesamt komme ich aber klar mit ihnen: wenn sie gar zu aggressiv sind, halte ich an, steige ab – dann ziehen sie nämlich den Schwanz ein und verduften. Doch während der ersten paar Monate hatte ich mich jeweils mit zwei Steinen bewaffnet, um mich wehren zu können. Ich habe gelernt, dass sie mehr Angst vor mir haben, wenn ich zu Fuss gehe. Allerdings ist ihr Tempo äusserst beeindruckend, wenn sie beinahe über die Wüste fliegen, einem mir unbekannten Ziel entgegen, niemals einsam, immer im Rudel.


Eine weitere Herausforderung stellen die Scherben dar. Zu allem Abfall, der illegal deponiert wird, gesellen sich unzählbare Scherben: von Bier-, Wein- und Sektflaschen. Oder ganzen Fensterscheiben. Nicht selten ist sogar erkennbar, wo der Alkohol getrunken worden war, wer die Flaschen „entsorgt“ hat und manchmal möchte ich mich fast dafür schämen, denn es sind auch europäische Einrichtungen. Ich muss höllisch aufpassen, um nicht alle paar Kilometer mit einem platten Reifen zu stranden.

Die grösste Gefahr droht jedoch von den ägyptischen Fahrzeug-Fahrern. Mit Ausnahme der Flughafenstrasse, wo täglich scharfe Radarkontrollen erfolgen und empfindliche Bussen verteilt werden, fahren sie schlichtweg wie Vollidioten. Es wird „geblocht“, was der Motor hergibt. Es werden Geschwindigkeitsrennen veranstaltet, egal, wie viele Passagiere in einem Bus sitzen. Da fahren Minibusse oder Lastwagen mit einem Abstand von nur einem Meter bei weit über 100 km/h hintereinander oder parallel zueinander her – und haben eine Riesengaudi dabei. Wechselt ein Fahrzeug die Spur, wird überholt, von einer Seitenstrasse ein-, oder von der Hauptstrasse abgebogen – keiner kümmert sich um den restlichen Verkehr, keiner sieht in den Rück- oder Aussenspiegel. Überholt wird rechts, links oder mitten durch – grad so, wie es sich ergibt. Der Stärkere zählt und das ist derjenige mit der lautesten Hupe und den meisten PS. Hupen ist deshalb so wahnsinnig wichtig. Im Schnitt hupt ein Taxi- oder Minibusfahrer alle fünf Sekunden. Für Rennvelofahrerinnen ist deshalb überlebenswichtig: vorausschauend fahren, d.h. auch für die Ägypter mitzudenken und ihre überraschende Fahrweise und abrupten Bremsmanöver abzuschätzen, obwohl dies eigentlich unmöglich ist (zumindest für ein europäisch geschultes Hirn). Nur deshalb hat mich nicht schon längst ein blinder Buschauffeur seitwärts über den Haufen gefahren und konnte ich bisher knapp einem Zusammenprall mit einem drei Meter vor mir stoppenden Taxi oder Minibus vermeiden. Übrigens habe ich festgestellt: die besten und rücksichtsvollsten Fahrer sind die Überland-Lastwagenfahrer. Die gefährlichsten sind die Touristenbusse…. Leider.
Natürlich gibt es auch „anständige“ Autofahrer… doch sie gehen in dem Chaos leider unter und deshalb verallgemeinere ich hier und werfe alle Ägypter in den gleichen Topf.

Und das Wetter? Im Sommer ist es heiss und ich versuche dem auszuweichen, indem ich spätestens um sechs Uhr früh auf dem Velo sitze, was nicht immer einfach ist. Frühling und Herbst sind angenehm von den Temperaturen und im Winter kann es schon mal bitter kalt werden, besonders wenn der eklige Nordwind bläst. Dann trage ich auch mal zwei warme Sportunterhemden, ein Halstuch, Wintertrikot und Dreiviertelhosen sowie einen Kopfschutz. Letzten Winter, am Tag des grossen Regens, tröpfelte es morgens leicht aus dunkelgrauen schweren Wolken. Ich musste lachen, hörte die Tropfen auf meinem Helm, spürte sie in meinem Gesicht und hatte diesen bekannten Duft in der Nase, ein Gefühl wie zuhause! Der heftige Wind kann manchmal auch ein Nachteil sein: ich musste schon wegen Sandhosen und Sandstürmen umkehren und die herumfliegenden Plastiksäcke sind manchmal auch eine Gefahr.


Trotz allem tut es gut: ich bewege mich, kann meine Gedanken fliessen lassen, kenne Hurghada auf einer Strecke von ca. 60 km bestens. Ich habe auch eine absolute Lieblingsstrecke: zum Checkpoint hinauf, weiter über die Hochebene, Richtung Safaga. Die gute Strasse zieht sich schnurgerade südwärts. Von dort oben sieht man auf das ruhige Meer hinab und landeinwärts zieht sich eine Bergkette parallel zur Strasse hin. Einen markanten Berg habe ich „Matterhorn“ getauft. Ich war mit dem Rad schon in El Gouna, in Makadi und in Sahl Hasheesh, wurde ohne Probleme eingelassen. Für die kühlere Jahreszeit und sofern die Windverhältnisse passen, habe ich mir weitere Ziele gesetzt; Sussie wird mich begleiten. Manchmal kann ich es noch immer nicht glauben, dass wir hier zu zweit als Frauen seelenruhig durch die Wüste rollen…






Umgefallen

Mit schweren Schritten und noch schwereren Gedanken gehe ich die Strasse zu meinem Wohnblock hoch. Es ist schon fast elf Uhr nachts, komme soeben vom Früchte- und Gemüsemarkt in Dahar.

Aus den Augenwinkeln sehe ich im Halbdunkel Etwas, das sich bewegt. Ich sehe genauer hin, bleibe stehen, traue meinen Augen kaum. Da liegt ein Mann mittleren Alters kopfabwärts unter dem Gebüsch, am Strassenrand, halb auf dem Trottoir, halb auf der Strasse. Er macht seltsame Bewegungen. Ich trete näher zu ihm hin, frage, ob er Hilfe brauche. Er murmelt etwas, rudert weiterhin mit seinen Armen und Beinen herum, fällt dann plötzlich wieder auf den Rücken. Ich frage ihn, ob er Russe sei. Ja und stottert etwas von „Police“. Ich versuche ihn aufzurichten. Es geht nicht. Ich lege meine Einkäufe auf die Strasse und packe ihn mit beiden Armen. Endlich steht er, doch er schwankt, droht wieder umzufallen. Er stinkt wie ein Fass Vodka. Ich will ihn hinunter zu den Läden führen, wo Männer sind, Leute, die vielleicht Russisch sprechen, doch ich habe keine Chance. Er fällt wieder um, liegt auf dem Rücken im Dreck. Sein Hemd ist aus der Hose gerutscht, der Gürtel hält die viel zu weite Hose um seinen klapperdürren Körper kaum fest. Er stöhnt, krächzt „Laura“, „no, no, no“.

Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, auch meine ägyptisch-russischen Nachbarn nicht, die sonst zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Balkon stehen. Ich lasse ihn liegen und gehe alleine hinunter zu den Geschäften. Der erste junge Mann, der mir begegnet spricht Russisch und kommt sofort mit mir zurück zu dem Betrunkenen. Er redet Russisch auf ihn ein, erfährt, dass er in El Kawthar wohnt, versucht ihn ebenfalls auf die Füsse zu stellen, mit weniger Erfolg. Er holt ein Auto – einen nigelnagelneuen schwarzglänzenden VW Passat. Mittlerweile ist ein weiterer Ägypter zu uns gekommen und die beiden Männer heben den Mann ins Auto. Der Russe behauptet, er wüsste, wo er wohne. Das Auto verschwindet hinter der Kurve.

Der Ägypter meint, das sei der Grund, weshalb er Alkohol hasse. Für mich denke ich aber, dass dahinter eine ganz andere Geschichte steht, eine menschliche Tragödie. Ich bin schockiert. Meine sonst schon trüben Gedanken werden noch finsterer. Traurig schliesse ich meine Wohnung auf und lasse die Türe hinter mir ins Schloss fallen.

Samstag, Oktober 30, 2010

Schnorcheln in Abu Dabbab (Marsa Alam)

„Es ist wie in der Karibik, komm doch mit!“ schwärmte die Stimme ins Telefon. Wie in der Karibik? Ich konnte es kaum glauben, denn ich weiss, wie es dort ist. Trotzdem sagte ich gerne zu – Abwechslung von Hurghada war nötig und willkommen.

Drei Fahrstunden südwärts, unterbrochen von einer kurzen Rast in El Quesir, entstiegen wir dem Minibus und fanden uns in einer anderen Welt wieder.
Sanfte Hügel rollen bis ans Meer, eine weit geschwungene Bucht gibt den Blick auf ein grosszügig angelegtes Hotel und das tiefblaue Meer frei. Und: ein lang gezogener, mit Muscheln und abgestorbenen Korallen übersäter feiner, heller Sandstrand, riesige, mit getrockneten Palmwedeln gedeckte Sonnenschirme; darunter versteckt laden Liegen aus Schilfrohr ein, sich niederzulassen, dem Rascheln der Palmwedel zu lauschen und auf das glasklare Meer hinaus zu träumen. Die Strandinfrastruktur bietet unaufdringlich alles an, was Taucher und Schnorchler benötigen.

Doch das wichtigste lag überaus verlockend vor uns: ein unglaublich glasklares Wasser, ein intaktes Korallenriff und die Aussicht, eine Seekuh und Meeresschildkröten zu sehen. So verliessen wir die Liegestühle eiligst wieder, befestigten Flossen, Masken und Schnorchel und glitten in das Badewasser warme Meer hinein. Wenige Padelbewegungen zur Mitte der Bucht genügten und tatsächlich: wenige Meter unter uns auf dem Meeresboden ruhte eine Meeresschildkröte und nahm von der menschlichen Hektik über ihr absolut keine Notiz. Nicht weit von ihr entdeckten wir weitere Meeresschildkröten; längliche, gelbliche Fische ruhten auf dem Panzer einer der Kröten. Putzerfische? – sicher bin ich nicht mehr, ob das der richtige Name war. Einzig die Seekuh wollte sich trotz intensiver Suche nicht sehen lassen.

Nach einer leckeren Verpflegung – von der Organisatorin selbst zubereitet – und einer wohltuenden Ruhepause setzten wir unsere  Meeresentdeckung fort. Inzwischen gehörte die Bucht fast uns alleine und wir schwammen entlang dem Korallenriff hinaus, bis das Meer zu tief, die Sicht zu schlecht, die Strömung zu stark wurde. Welch unerwartete Pracht sich da unten versteckt: Fische in den buntesten Farben, aber auch solche, die sich zu tarnen wissen. Korallen im schönsten dunkelblau, knalligsten gelb, verführerischstem lila und anderen Farben. Blaupunktrochen, Feuerfische, Steinfische, Kugelfische – als Laie konnte ich mir nicht viel mehr Namen merken. Umso eindrücklicher wirkte auf mich, was ich staunend sah: winzige Fischchen in Schwärmen, silberne Fische die miteinander einen Endlos-Reigen tanzten, ein bräunlicher schmaler Fisch, der jeweils mit einer seiner Flossen nach oben zu winken schien. Das schräg ins Meer fallende Licht der Nachmittagssonne verstärkte den zauberhaften Eindruck noch. Still lag ich auf der Wasseroberfläche und beobachtete dieses ruhige Treiben unter mir. Eine heile Welt schien das da unten zu sein, friedlich, gefahrlos, der Wirklichkeit entrückt. Dass dem nicht so ist, daran wollte ich momentan nicht denken.

Doch nur Minuten nach dem ich aus dem Wasser verlassen hatte, spürte ich, dass ein Finger schmerzte. Ich sah ihn an und stellte fest, dass er anschwoll und sich dunkel verfärbte. Berührt hatte ich nichts – ausser den Seilen, die das einzige Boot in der Bucht festhielten, und die wir queren mussten. Ich wurde informiert, dass sich am Seil winzige Korallen festsetzen und ich offenbar damit in Berührung gekommen war. Auch Quallen hatten Blasen auf meiner Haut hinterlassen. Allerdings war ich die einzige unserer Gruppe, die diese Erfahrungen gemacht hatte und noch längere Zeit daran erinnert wurde.

Auf unserer Rückfahrt wurden wir von einem dieser wunderbar kitschigen Sonnenuntergänge begleitet, die die Wüste täglich neu zelebriert. Wir erfrischten uns in El Quesir nochmals in einem landestypischen Kaffee, in der Dämmerung am Strand sitzend, die Füsse beinahe im leise plätschernden Meer. Eigentlich zu schade, um weiterzufahren. Doch unterwegs erwartete uns noch eine kleine Überraschung: unser Bus musste mitten in der Wüste während einer Viertelstunde anhalten, weshalb wir in den Genuss eines – für Europäer - selten gewordenen Anblicks kamen: einen unglaublich klaren Sternenhimmel mit Abermillionen von Gestirnen, frei jeglicher Lichtverschmutzung. Wahrlich ein krönender Abschluss eines eindrücklichen Tages. Wie in der Karibik? Vielleicht… vielleicht auch schöner.


Informationen zu diesem und anderen Ausflügen sind zu finden bei: www.cleopatra-travel-hurghada.com/index.html



 

  

Dienstag, Oktober 12, 2010

Wasser ist zum...

… waschen da.
Oder eben nicht.
Dass es eben nicht vorhanden sein kann, habe ich hier in Hurghada – und früher schon in Südamerika und Spanien – öfters erlebt. Doch diesmal dauerte der Zustand schlichtweg zu lange.
*****
Ich verstaute mein soeben gekauftes Gemüse und Obst im Kühlschrank und ging ins Bad, um mir wie üblich nach dem Einkauf die Hände zu waschen. Doch…
… da kam kein Wasser. Ich wurde stutzig. Stromausfall? Schon gehabt. Ich drückte den Lichtschalter und – es wurde Licht. Soeben hatte ich doch auch Licht im Kühlschrank gesehen… oder nicht?
Ich rekapitulierte: Stromausfall bedeutet: weder Strom noch Wasser. Doch Wasserunterbruch OHNE Stromausfall? Das war was Neues. Entweder gab es gar kein Wasser oder die Pumpe war futsch. Mhm. Und ausserdem: es war der erste Feiertag nach dem Ramadan, das ist Ausnahmezustand wie bei uns Weihnachten. Niemand arbeitet, niemand ist erreichbar. Mir schwante Fürchterliches!
Als technisch unversiertes Wesen rief ich den Wohnungsbesitzer an. Er versprach, den Klempner aufzutreiben, der würde erfahrungsgemäss aber nicht vor 7 Uhr abends auftauchen, wenn überhaupt. Es war 3 Uhr nachmittags und 37° heiss. Ich solle die Hauptzuleitung abschalten und die entsprechende Stromsicherung. Was ich folgsam tat. Zudem übte ich mich in Geduld und Gelassenheit, was mir recht gut gelang.
Um 9 Uhr abends kam dann der gute Mann namens Mahmoud. Die Pumpe hatte tatsächlich ihren Geist aufgegeben, ihre Innereien – ein Gummibalg – waren ein Opfer der Hitze geworden und zerborsten, zerfleddert und landeten im Garten bzw. im Sand vor dem Haus (und nicht im Container fünf Meter daneben). Eine neue Pumpe wurde sogar aufgetrieben und um 11 Uhr nachts lief das Wasser wieder aus dem Hahn, kurz darauf auch über meinen verschwitzten Körper.
*****
Mein Wecker erinnerte mich morgens um 7 Uhr daran, dass ich mit dem Rennrad hinaus wollte. Also löste ich mich schlaftrunken von der Matratze, zog die Vorhänge zurück und blickte hinaus in die Wüste unter dem stahlblauen Himmel. Ich schlich ins Bad, drehte den Wasserhahn auf – doch da kam schon wieder nichts. Anstatt mich zu ärgern und zu sorgen stieg ich trotzdem aufs Rennrad und genoss eine zweistündige Fahrt, bei der ich sogar das Wasserproblem vergass. Als ich in die Wohnung zurückkam, erinnerte ich mich zwangsweise erneut daran. Ich hatte dringend eine Dusch nötig und holte die für diese Fälle abgefüllten Plastikkanister hervor, drei an der Zahl, zu je 6 Litern. Weit reichte es natürlich nicht und eine Flasche musste ich als Notration zurückbehalten.
Mein Wohnungsbesitzer schlief noch. Ich schrieb ihm ein sms. Nachmittags um 3 Uhr rief ich ihn an – hatte ihn soeben geweckt. Er meinte, sicher sei die Zisterne leer, ich soll das doch prüfen. Er hatte gehört, dass es Lieferengpässe in Mubarak 2 gegeben hatte. Tja, wie sollte ich das denn prüfen? Dass da unten eine Zisterne mit einem Eisendeckel drauf ist, weiss ich. Aber sehe ich den Wasserstand? Es hatte Wasser, aber ob das reichte? Ich fragte meine Nachbarn – ja, sie hatten Wasser. Also war wieder etwas kaputt. Niedergeschlagen rief ich meinen Vermieter wieder an. Der war verärgert und meinte, es wäre meine Schuld. Toll. Ich fühlte mich wunderbar…
Das Spiel ging von vorne los: der Klempner versprach, nach der Arbeit zu kommen (er arbeitete am Feiertag!?). Um 9 Uhr abends kam er und meldete kurz vor 11 Uhr, er könnte es nicht reparieren, eine Röhre sei gebrochen, er müsse Ersatz kaufen und das sei erst am folgenden Tag möglich. Mein Gott! Was mache ich jetzt?
Nichts natürlich. Katzenwäsche und schlafen. Mit Trinkwasser, weil ich sonst nichts mehr hatte. Und den Termin für nächsten Vormittag um 10 Uhr absagen.
*****
Stattdessen fuhr ich in einen teuren Strandclub, um wiedermal in den Genuss einer Dusche zu kommen und die Haare zu waschen. Es war eine Wohltat für Körper und Geist, eine Belastung für meinen Geldbeutel. Aber irgendwie ärgerte ich mich trotzdem. Immer mehr. Meine Geduld hat sich  klammheimlich in Nichts aufgelöst und ich spürte nur noch Zorn und Wut. Auf alles und jeden hier in diesem Lotterland.
Kurz vor halb 9 Uhr abends tauchte Mahmoud wieder auf. Bis um 11 Uhr nachts hämmerte, sägte und klopfte er im Dunkeln herum, bat mich, die Stromsicherung ein- und wieder abzuschalten. Wasser auf- und abzudrehen. Als das Wasser dann endlich wieder lief, schenkte ich ihm voller Dankbarkeit Schweizer Schokolade.
… ohne die Rechnung mit dem Wirt gemacht zu haben. Der Vermieter meinte, diesmal solle ich die Reparatur bezahlen. Ich tat es, allerdings stocksauer und noch wütender.
Aber ich hatte wieder Wasser, eine neue, zuverlässige Pumpe und ein einen Meter langes neues Stück grünes Rohr unten beim Wasserschacht. Was will man mehr? Zu allem Überfluss wusste ich nun sogar, was Rohr auf Arabisch heisst.
*****
Vor lauter Freude kaufte ich mir am darauffolgenden Tag frischen Fisch, trug ihn überglücklich nach Hause, bereitete ihn sorgfältig zu, legte ihn in die Pfanne und schaltete den Gasherd ein.
Doch, ach, es war kaum zu glauben, irgendetwas stimmte nun mit dem Gasherd nicht, der Fisch wurde nicht gar, die Flamme immer kleiner… bis sie endgültig erlosch. Ich traute meinen Augen nicht, stand wie versteinert vor dem elenden Gasherd, wusste aber, dass es wahr war: das Gas war aufgebraucht.
Enttäuscht wartete ich, übte mich erneut in Geduld… wofür? Dass nämlich der kleine Lastwagen mit Gasflaschen kommt, der zweimal täglich mit einem Heidenlärm durch die Strassen fährt und seine Anwesenheit unüberhörbar kund tut. Doch an diesem Tag wartete ich vergebens. Er kam nicht, entgegen seinen Gepflogenheiten.
Ich verstaute den Fisch im Kühlschrank und hatte plötzlich gar keinen Hunger mehr. Irgendwie hatte ich genug bekommen. Genug vom Wasserunterbruch, genug vom Vermieter, genug von… einfach allem.
Erst anderntags gegen Mittag, nachdem ich schon im Laden und beim Doorman nachgefragt hatte, ertönte der bekannte metallische Lärm, der mir diesmal so verheissungsvoll erschien. Ich rannte auf den Balkon und rief, dass ich eine „Anbuba“ bräuchte. Ein höchstens 13jähriger Knabe schleppte das Teil hoch, sein Boss, ein strohblonder Ägypter mit rabenschwarzen Händen und Füssen schloss es an.
Der Fisch war derselbe, noch tadellos, aber er schmeckte mir irgendwie nicht mehr, erfreute mich nicht mehr.