Donnerstag, September 22, 2011

Wie im Film

Gestern Abend fuhr ich nach Dahar zum Früchte- und Gemüsemarkt. Die Fahrt dauerte eine Ewigkeit und ein bisschen mehr:

Während wunderschöne, romantische arabische Popmusik nicht zu laut aus dem Lautsprecher ertönt, fährt der Buschauffeur zielstrebig durch Hurghadas nächtliche Strassen. Hellerleuchtete Läden, knapp bekleidete Touristinnen mit ihren ebenso viel Haut zeigenden Partnern flanieren vor den Geschäften und Cafés, geniessen die laue Luft, lassen sich von der orientalisch-geschäftigen Atmosphäre oder von den entwaffnend lächelnden Verkäufern und ihren Sprachkenntnissen verwirren und bezirzen.

Der Bus eilt weiter, hält da und dort an, weil ein Fahrgast „ala gamb“ ruft, weil ein anderer am Strassenrand den Arm ausstreckt und damit anzeigt, dass er zusteigen möchte. Die hellerleuchteten Ladenzeilen huschen wie am Fliessband vorbei, verschmelzen zu glitzernden Lichtbildern. Wenige hundert Meter weiter, andere Bilder unter kalten Neonlichtern: alte und junge, dicke und dünne, einfache Männer in traditionellen Kaftanen und weissen Käppchen sitzen an wackligen Holztischchen und schlürfen Tee, spielen Backgammon oder tauschen Neuigkeiten aus. Kinder hüpfen barfuss über die schmutzigen Trottoirs, spielen, schreien, streiten.  Kunstvoll aufgetürmte Mangos, Trauben, Granatäpfel, Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln warten in kleinen, rot dekorierten und hell erleuchteten Verkaufsständen auf Käufer.

Drei grosse, schwere Männer in traditioneller Kleidung steigen zu. Sie schaffen es kaum, sich zwischen die Sitze zu zwängen, stupsen jeden Fahrgast laut schwatzend an. Der dickste erzählt lauthals alle möglichen Geschichten, von denen ich einzelne Wörter erhasche…. bis ein junger, auch traditionell gekleideter Fahrgast laut dazwischen ruft: du bist ein Lügner! Alle grinsen im Bus, ich kann mein Lachen schier nicht mehr unterdrücken, während der eine ständig weiterruft: du bist ein Lügner! Du bist ein Lügner! Irgendwo steigen der grosse Dicke und seine Kollegen aus, wobei er noch seinen Kopf an der Wagendecke anschlägt und ständig weiterplappert, weiterschwatzend vom Bus weggeht…

Der Film läuft weiter: vor dem Fenster sitzen alte, ausgemergelte Männer im Schneidersitz im Hof einer Moschee, rauchen Schischa und blicken ernst auf die Strasse, hinein in den Bus, hinaus ins Nirgendwo. Sie sitzen immer da, tagsüber, nachts, morgens, abends… sie warten auf Arbeit oder auf etwas anderes, das nie kommen wird.

Weitere Geschäfte, Möbel, Autos, Werkzeuge, Feuerlöscher, hell erleuchtet, Hupen und die immer noch romantische arabische Musik verschmelzen ineinander, zu einem Traum, einem Film.

Ich würd‘ es vermissen. Wenn ich einmal von hier weggehe, werde ich es vermissen…

Eine Bar bleibt draussen vor dem Bus stehen, sie kommt mir bekannt vor… Nein, umgekehrt: der Bus bleibt vor der Bar stehen: Endstation.

2 Kommentare:

  1. Eine tolle lesenswerte Geschichte. Schön geschrieben.
    LG
    Peter

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  2. Hallo, ich kann meinem Vorredner nur zustimmen absolut schön geschrieben. Schon dieser kurze Text hat mich gefesselt. Im Ernst, Sie sollten einmal darüber nachdenken ein Buch zu schreiben. Also ich würds kaufen... Alles Gute für Sie und beste Grüße Ramona

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