Mittwoch, Juli 03, 2013

Gestern Abend in Hurghada: fertig Party

Ich ging auf die Strasse, weit kam ich aber nicht. In Sekalla stellte ich fest, dass ich noch zu schwach war, um länger auf den Beinen zu bleiben. Meine Freundin wollte schon gar nicht erst weiter nach Dahar zum Sitzstreik, sie hatte Angst.

Noch bevor wir uns entschlossen, nach Hause zu gehen, fanden wir uns mitten in einer anderen Demo: Pro-Morsi-Demonstranten. Aber was für eine wilde Horde war das: sie rannten und schrien, sie liefen im Eiltempo zwei oder dreimal um die gleichen Häuserblocks. Ob sie wohl pro Runde bezahlt würden, fragte ich mich. Ich schaute in ihre Gesichter, beobachtete ihre Bewegungen und musterte ihre Kleidung. Und jetzt hatte ich nur noch Mitleid: Männer – und ganz wenige schwarz verschleierte Frauen – der aller untersten Schicht demonstrierten hier für ihren „legitim gewählten“ Präsidenten Morsi. Wie viel Geld hatten sie wohl dafür erhalten?

Da die Strasse verstopft war, gingen wir zu Fuss Richtung Central weiter und wurden zwei Mal von der Horde überholt. Bei der Sherry-Strasse bogen sie ab. Ich ahnte nicht, was noch geschehen würde. Ich informierte lediglich ein paar Bekannte über die Demo.

Etwas erschöpft zuhause angekommen, klebte ich mich ans Internet – ich habe ja seit dem Stromunterbruch noch immer keinen Fernseher – um zu erfahren, was im Land los ist. Um Viertel nach Elf ruft mich ein Freund und Schüler an und fragt, ob ich in Dahar sei. Ich verneinte. Dann „bitte, bitte bleib wo du bist und geh nicht raus!“ sagte er. Seine Stimme schwankte voller Angst. Die Muslimbrüder sind unterwegs nach Dahar und erreichen gleich die Anti-Morsi-Demonstranten. Durchs Telefon hörte ich Luftschüsse. Das war keine Party mehr wie an den vorangegangenen Abenden.

Ich rief meine Freundin S. an, die mitten drin stand. Sie war aufgeregt und angespannt, hielt nach ihren Söhnen und nach der Polizei Ausschau. „Wir sind sicher, die Polizei ist da.“

Es kam trotzdem zu einer Schlägerei, die mehrere Verletzten zur Folge hatte, darunter ein Polizei-Offizier. Die Schlägerei mit Holzknüppeln dauerte knapp eine Stunde.

Wie ich heute aus zahlreichen Gesprächen erfuhr, hatte sich die Polizei gedeckt gehalten und hat sofort eingegriffen, als die MB zuschlugen. Tränengas wurde versprüht und die Angreifer flohen. „Sie kämpfen nicht für ihren Glauben, sonst würden sie weiter kämpfen. Sie kämpfen für Geld.“ Diese Aussage hörte ich heute zwei Mal. Ich hatte mich am Abend schon gewundert, woher plötzlich so viele Morsi-Anhänger auftauchten. Sie waren von Safaga und anderen kleinen Ortschaften heran gefahren worden und um Mitternacht mussten sie wieder in ihre Busse steigen! Folglich kehrte am Protest-Ort wieder Ruhe ein, viele Demonstranten übernachteten dort.

Was sich abgespielt hat, ist nichts Neues. Neu ist es nur in Hurghada. Die Muslimbrüder besitzen hier Hotels und Touristikunternehmen. Wie dumm oder verbissen müssen sie sein, auch hier Blut fliessen zu lassen? Sie tun sich damit ja selbst weh! Trotzdem behaupte ich, dass Hurghada momentan einer der sichersten Orte Ägyptens ist.

Viel mehr schockiert hat mich eine andere Nachricht. Ein bekannter Geschäftsmann und Politiker, der eine Buchhandlung führt, von der ich oft Unterrichtsbücher bezogen habe, hat sich in den letzten Tagen offen als MB-Aktivist bekannt und er hat die gestrige Demo angeführt! Seine deutsche Frau hat er vor wenigen Tagen nach Deutschland ausfliegen lassen. Er erwartete wohl das Schlimmste in Hurghada. Ein Schläfer sei er gewesen, sagt man. Die Bücher für meine Schüler werde ich künftig woanders besorgen, obwohl es viel aufwändiger und komplizierter wird; doch so Jemanden will ich nicht unterstützen. Nicht nur ich, sondern viele in meinem Bekanntenkreis sind gleichfalls schockiert. Um meine Freundin S. zu trösten, sagte ich, „in Zeiten wie diesen lernt man seine Gegner kennen.“ „Und ich werde ihn bekämpfen, ich habe keine Angst vor ihm, er wird Angst vor mir bekommen.“

In 80 Minuten läuft das Ultimatum der Armee ab. Morsi hat in seiner mitternächtlichen Rede geschworen und gepoltert, dass er nicht zurücktreten werde. Die Armee verlangt seinen Rücktritt oder wird ihn fest nehmen. Wenn ich Morsi wäre, würde ich mir eine Kugel in den Kopf jagen. Die Armee hat bereits das staatliche Medienzentrum MASPERO übernommen, wir warten auf eine Ansprache und wir hoffen alle auf gute Nachrichten. Die Armee heute auch in Hurghada eingetroffen, um die Polizei zu unterstützen.

Vielleicht bin ich auch jetzt wieder naiv, aber ich erwarte nur noch, dass es endlich aus ist mit der MB-Diktatur und die Ägypter endlich ihr Land so aufbauen können, wie sie es sich vorstellen und wünschen. Stolz bin ich auf all jene, die noch vor einem Jahr sagten „was können wir denn tun?“ und jetzt demonstrieren, aktiv für ihre Zukunft kämpfen und realisiert haben, dass sie etwas tun können.

Und ich möchte endlich wieder fit sein, um wieder auf die Strasse zu können.


1 Kommentar:

  1. Moin moin liebe Frau Anderswo .. es ist intressant hier in Germany wurde in den Radios gesagt die Seestädte seien ruhig .. anscheinend bewegt sich jetzt überall etwas .. Friede mit allen

    AntwortenLöschen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.