Ich ging auf die Strasse, weit kam ich aber nicht. In
Sekalla stellte ich fest, dass ich noch zu schwach war, um länger auf den
Beinen zu bleiben. Meine Freundin wollte schon gar nicht erst weiter nach Dahar
zum Sitzstreik, sie hatte Angst.
Noch bevor wir uns entschlossen, nach Hause zu gehen, fanden
wir uns mitten in einer anderen Demo: Pro-Morsi-Demonstranten. Aber was für
eine wilde Horde war das: sie rannten und schrien, sie liefen im Eiltempo zwei
oder dreimal um die gleichen Häuserblocks. Ob sie wohl pro Runde bezahlt würden,
fragte ich mich. Ich schaute in ihre Gesichter, beobachtete ihre Bewegungen und
musterte ihre Kleidung. Und jetzt hatte ich nur noch Mitleid: Männer – und ganz
wenige schwarz verschleierte Frauen – der aller untersten Schicht
demonstrierten hier für ihren „legitim gewählten“ Präsidenten Morsi. Wie viel
Geld hatten sie wohl dafür erhalten?
Da die Strasse verstopft war, gingen wir zu Fuss Richtung Central
weiter und wurden zwei Mal von der Horde überholt. Bei der Sherry-Strasse bogen
sie ab. Ich ahnte nicht, was noch geschehen würde. Ich informierte lediglich
ein paar Bekannte über die Demo.
Etwas erschöpft zuhause angekommen, klebte ich mich ans
Internet – ich habe ja seit dem Stromunterbruch noch immer keinen Fernseher –
um zu erfahren, was im Land los ist. Um Viertel nach Elf ruft mich ein Freund
und Schüler an und fragt, ob ich in Dahar sei. Ich verneinte. Dann „bitte,
bitte bleib wo du bist und geh nicht raus!“ sagte er. Seine Stimme schwankte
voller Angst. Die Muslimbrüder sind unterwegs nach Dahar und erreichen gleich
die Anti-Morsi-Demonstranten. Durchs Telefon hörte ich Luftschüsse. Das war
keine Party mehr wie an den vorangegangenen Abenden.
Ich rief meine Freundin S. an, die mitten drin stand. Sie
war aufgeregt und angespannt, hielt nach ihren Söhnen und nach der Polizei
Ausschau. „Wir sind sicher, die Polizei ist da.“
Es kam trotzdem zu einer Schlägerei, die mehrere Verletzten zur
Folge hatte, darunter ein Polizei-Offizier. Die Schlägerei mit Holzknüppeln
dauerte knapp eine Stunde.
Wie ich heute aus zahlreichen Gesprächen erfuhr, hatte sich
die Polizei gedeckt gehalten und hat sofort eingegriffen, als die MB zuschlugen.
Tränengas wurde versprüht und die Angreifer flohen. „Sie kämpfen nicht für
ihren Glauben, sonst würden sie weiter kämpfen. Sie kämpfen für Geld.“ Diese
Aussage hörte ich heute zwei Mal. Ich hatte mich am Abend schon gewundert,
woher plötzlich so viele Morsi-Anhänger auftauchten. Sie waren von Safaga und
anderen kleinen Ortschaften heran gefahren worden und um Mitternacht mussten
sie wieder in ihre Busse steigen! Folglich kehrte am Protest-Ort wieder Ruhe
ein, viele Demonstranten übernachteten dort.
Was sich abgespielt hat, ist nichts Neues. Neu ist es nur in
Hurghada. Die Muslimbrüder besitzen hier Hotels und Touristikunternehmen. Wie
dumm oder verbissen müssen sie sein, auch hier Blut fliessen zu lassen? Sie tun
sich damit ja selbst weh! Trotzdem behaupte ich, dass Hurghada momentan einer
der sichersten Orte Ägyptens ist.
Viel mehr schockiert hat mich eine andere Nachricht. Ein
bekannter Geschäftsmann und Politiker, der eine Buchhandlung führt, von der ich
oft Unterrichtsbücher bezogen habe, hat sich in den letzten Tagen offen als MB-Aktivist
bekannt und er hat die gestrige Demo angeführt! Seine deutsche Frau hat er vor
wenigen Tagen nach Deutschland ausfliegen lassen. Er erwartete wohl das
Schlimmste in Hurghada. Ein Schläfer sei er gewesen, sagt man. Die Bücher für
meine Schüler werde ich künftig woanders besorgen, obwohl es viel aufwändiger
und komplizierter wird; doch so Jemanden will ich nicht unterstützen. Nicht nur
ich, sondern viele in meinem Bekanntenkreis sind gleichfalls schockiert. Um
meine Freundin S. zu trösten, sagte ich, „in Zeiten wie diesen lernt man seine
Gegner kennen.“ „Und ich werde ihn bekämpfen, ich habe keine Angst vor ihm, er
wird Angst vor mir bekommen.“
In 80 Minuten läuft das Ultimatum der Armee ab. Morsi hat in
seiner mitternächtlichen Rede geschworen und gepoltert, dass er nicht
zurücktreten werde. Die Armee verlangt seinen Rücktritt oder wird ihn fest
nehmen. Wenn ich Morsi wäre, würde ich mir eine Kugel in den Kopf jagen. Die
Armee hat bereits das staatliche Medienzentrum MASPERO übernommen, wir warten
auf eine Ansprache und wir hoffen alle auf gute Nachrichten. Die Armee heute auch in Hurghada eingetroffen, um die Polizei zu unterstützen.
Vielleicht bin ich auch jetzt wieder naiv, aber ich erwarte
nur noch, dass es endlich aus ist mit der MB-Diktatur und die Ägypter endlich
ihr Land so aufbauen können, wie sie es sich vorstellen und wünschen. Stolz bin
ich auf all jene, die noch vor einem Jahr sagten „was können wir denn tun?“ und
jetzt demonstrieren, aktiv für ihre Zukunft kämpfen und realisiert haben, dass
sie etwas tun können.
Und ich möchte endlich wieder fit sein, um wieder auf die
Strasse zu können.
Moin moin liebe Frau Anderswo .. es ist intressant hier in Germany wurde in den Radios gesagt die Seestädte seien ruhig .. anscheinend bewegt sich jetzt überall etwas .. Friede mit allen
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