Im Herbst war ich häufig innerhalb Ägyptens unterwegs. In diesem Blogeintrag möchte ich von den Parallelwelten erzählen, die mir meine Tätigkeit und der Alltag wie unwirkliche Kurzfilme vor die Nase gehalten haben.
Ich kämpfe etwas
mit dem Dreigang-Menü, das ich bestellt habe, es ist mir eigentlich zu viel, zu
üppig und überhaupt esse ich abends kaum etwas. Für das Essen bezahle ich am
Schluss über USD 50, womit ich das mir zugestandene Budget (unfreiwillig) überschritten habe.
Vor dem Fenster
liegt eine Bushaltestelle der Corniche. Pausenlos fahren hier Minibusse an,
spucken Passagiere aus, saugen Passagiere in sich hinein, fahren vollgestopft davon.
Sie halten nur kurz Stoßstange an Stoßstange. Die Fahrer hupen pausenlos, die
Menschen reden pausenlos in ihre Telefone, kommen und gehen ebenso pausenlos.
Der Verkehr auf der Straße passt sich der Hektik an: Pausenlos ziehen Autos,
Taxis und Minibusse vorbei und alle hupen, dazwischen Pferdekutschen. Ohrenbetäubend.
Auf der dem Meer zugewandten Seite kleben Hunderte von jungen Leuten, älteren Männern
und Frauen, alleine oder in Gruppen, Paare, die etwas Abwechslung für ihren eintönigen
Alltag suchen. Ob sie ihn finden?
Die USD 50, die ich für mein Abendessen ausgegeben habe, entsprechen einem Drittel eines monatlichen Durchschnittslohns eines Staatsangestellten, einer Lehrerin, eines Bürogummis.
Zimmer mit Aussicht - am frühen Nachmittag
Da sitze ich in einer geschichtsträchtigen, bekannten Bar, wo einst Politiker und Showgrössen an ihren Drinks nippten. Der Sänger imitiert die ägyptische Ikone Oum Kalthoum. Ein Mann mittleren Alters zieht pausenlos an einer Zigarette, genauso pausenlos trinkt er ein kleines Heineken nach dem anderen. Eine Flasche kostet hier USD 6. Zwei ältere, Schmuck-behangene Damen wiegen ihre Körper im Gleichklang mit dem Lied und singen mit.
Ich ertrage den
Rauch nicht und mit Oum Kalthoum kann ich auch nicht so viel anfangen. Also
gehe ich raus auf die Strasse, ums Gebäude rum. Ich möchte Richtung Mansheya
spazieren und schauen, wie sich der Markt verändert hat. Und einfach ein
bisschen Normalität spüren. Oder Alltag. Den krieg ich prompt und ungefiltert
geliefert.
Direkt hinter dem
Hotel liegt ein Mann mit dem blanken Gesicht nach unten auf dem Trottoir. Mein
Herzschlag setzt einen Moment aus. Niemand scheint sich um ihn zu scheren.
Logisch, hat ja jeder genug mit seinem eigenen Schicksal. Ich geh zu dem Typen
und sag ihm, er soll aufstehen und gehen, stecke ihm eine Banknote zu. Er guckt
mich an, nimmt das Geld und torkelt davon. Es schießt mir noch durch den Kopf „Das
kannst du jetzt aber nicht pausenlos machen, du kannst das Elend nicht
aufheben.“
Ich denke nicht
mehr an ihn, denn die Eindrücke erschlagen mich regelrecht. Billigware „Made in
China“ füllt Auslagen, Trottoirs, enge Seitengassen und behelfsmäßig
aufgestellte Verkaufsstände. Dazwischen ein bisschen Baumwolle, eine Teestube
mit plärrendem Fernseher, ein Imbiss mit im Fett tanzenden Felafel. Pantoffeln,
Kinderregenschirme, Bälle, Plastik, bunt, billig, kurzlebig. T-Shirts,
Trainerhosen, Haushaltwaren, Aufbewahrungsdosen, Schultaschen… endlos. Der kühle
Wind wirbelt Plastiksäcke und anderen Unrat durch die Gassen.
Bunte Welt Kinderträume zu kaufen
Und dann, vor dem Einkaufszentrum ein Auto, das alle Blick auf sich zieht: Ein Maybach. Autokennzeichen: „Ägypten 1“. Mein Freund meint, alleine das Autoschild koste eine Million ägyptische Pfund. Mein Bruder erklärt mir später, der werde von einem Fahrer vom Werk gefahren. In so einem Land? Irrational.
Den Freitagmorgen nütze ich, um auf der Corniche Richtung Anfushi zu spazieren. Es ist angenehm warm, sehr ruhig und die vielen Strandcafés wirken noch verschlafen. Jedenfalls kümmert sich kaum jemand um mich. Ich genieße es, freue mich über den Geruch des Mittelmeers, lasse meinen Blick über die berühmte Bucht gleiten.
Alexandrias Corniche |
Wenigstens hier hinterlasse ich meine Spuren im Sand 😏 |
Auf dem Rückweg gehe ich auf der anderen Strassenseite im Schatten und komme am Kinderspital vorbei. An den offenen Fenstern sitzen oder stehen kleine, blasse Patienten. Das Gebäude hat seine besten Jahre wohl vor einem halben Jahrhundert gesehen und wurde seither nicht mehr renoviert. Durch einen Seiteneingang erhasche ich einen Blick in einen verlotterten Raum. Unvorstellbar. Schrecklich.
Vor dem
Krankenhaus liegt zusammengekauert auf dem nackten Trottoir eine junge Mutter.
Sie schläft tief.
Die
Parallelwelten berühren sich nicht.
(Bemerkung: keine Fotos vom Elend)
Hallo, das Bild vom Zimmer mit Aussicht und das Menü von 50 USD lassen auf Geburtstag schließen. Herzlichen Glückwunsch nachträglich??
AntwortenLöschenHallo Falk, gute Idee :)
LöschenDas war ein Arbeitseinsatz... Mein Geburtstag kommt aber bald, behalte die Glückwünsche gerne. Danke und LG