Natürlich nicht ich.
Mein langjähriger
Schüler bat mich, den Unterricht vorzuverlegen, und ich war etwas neugierig
nach dem Grund. Meistens liegt es daran, dass er als Reiseleiter extrem viel
Arbeit hat. Ich nütze solche Ausnahmesituationen gern, um meine Schüler über ihren
Alltag in Deutsch sprechen zu lassen.
Zu meiner Überraschung erklärte er mir, dass er heute Abend in Dahar ein Schaf kaufe.
(Zwischenbemerkung:
Nächste Woche ist das Opferfest, an dem gläubige Muslime ein Schaf oder ein
anderes Tier opfern und das Fleisch mit Freunden, Verwandten und Bedürftigen teilen.)
Darauf stellte
ich ihm Fragen, einerseits, um ihn Deutsch sprechen zu lassen, andererseits, um
von ihm zu erfahren, was seine Beweggründe sind.
Bereitwillig gab
er mir Auskunft: Ein Schaf wiege um die 60 bis 70 kg und koste momentan zehn-
bis elftausend Pfund (ca. € 300), einen Haufen Geld, besonders jetzt in der
schwierigen wirtschaftlichen Lage. Er habe das schon Ende Ramadan gemacht und
damals war das der Preis. Damals hat er alles an Arme verteilt und nichts für
sich oder seine Familie behalten.
Sehr ernst fügte
er an, es gebe sehr viele Leute, die seit (dem) Corona (Debakel) aus der
Mittelschicht in die Armut gerutscht sind.
Doch diesmal
werde er das Fleisch Dritteln: einen Teil für Familie, einen Teil für Freunde,
einen Teil für Arme.
Und dann schloss
er ganz ernst: „Weisst du, ich bin überzeugt, das kommt alles eines Tages zu
mir zurück.“
Später, während
des Unterrichts, wollte ich ihn auf das Thema „In die Ferien fahren“ einstimmen
und fragte, wohin er dieses Jahr in die Ferien fahre. Zuerst verwechselte er Ferien
und Feiertag. An den kommenden Feiertagen müsse er arbeiten.
Aber in die
Ferien? Im August fahre er mit seiner Mutter nach Mekka, um die Omrah (islamische
Wallfahrt) zu absolvieren. Im August? In der heissesten Jahreszeit? In Gedanken
sehe ich die vielen Menschen, die in der Hitze ohnmächtig und in Panik
zertrampelt werden.
Ja, weil die
Reise dann am günstigsten sei, weil Saudi Arabien dann am wenigsten verlange.
Es gebe inzwischen für ältere oder gehbehinderte Personen klimatisierte
Golfwagen, um die heiligen Stätten zu erreichen.
Er würde fliegen,
sofern es von Hurghada nach Mekka einen Direktflug gebe. Der dauere nur etwa
eineinhalb Stunden. Sonst nähme er die Fähre von Hurghada oder Safaga nach
Dschidda und von dort einen Bus.
Meine brennendste
Frage zu dem Thema bestürmte mich, ich überlegte aber doch noch, wie ich die
Frage formulieren soll, ohne seine Gefühle zu verletzen: „Ist diese Wallfahrt
für dich wichtig?“
„Nein, ich mache
es für meine Mutter. Sie möchte das unbedingt machen,“ war seine Antwort. „Und
im September muss sie sich operieren lassen.“
Austausch
funktioniert nur in beide Richtungen. So ergänzte ich, dass es das
Geschäftsmodell „Wallfahrt“ auch bei uns in Europa und anderswo gibt. Damit
lässt sich viel Geld verdienen.
Darüber waren wir
uns einig.
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