Donnerstag, Oktober 26, 2023

Abschied

Mein Blick gleitet über die Landschaft unter mir.

Die Strassen Hurghadas, durch die ich mit meinem Auto rollte, Die Zufahrts- und Ringstrassen, die mir Ausfahrten auf dem Rennrad erlaubten. Begegnungen mit anderen Radfahrern, durch die Freundschaften entstanden und sich wieder verloren. Mit erstaunten Autofahrern, die mich fotografieren wollten oder mich beinah umfuhren. Mit den risikofreudigen Minibussen, die sich an keine Verkehrsregeln halten. Mit Schwertransportern, die mir zuhupten und gratulierten.

Unter mir liegt die Küste mit dem Wasser, das mit seinen Farbtönen von smaragd zu tiefblau entzückt, heute noch, wie vor 15 Jahren. Da unten liegen auch die Riffe, an denen ich schnorchelte.

Die Küste des Sinais schieben sich in mein Blickfeld, die Zacken der Berge strecken sich über den gelben Sand. Dort bin ich die Küste entlang gefahren, von Sharm nach Suez, in die Berge nach St. Kathrin, über die Nahl-Strasse nach Taba. Ich bin im Golf von Aqaba geschnorchelt, in Nuweiba habe ich tiefen Schlaf in einem Camp genossen. Ich war in den Bergen und in Dahab.

Diesseits des Roten Meeres sehe ich die Küstenstrasse nach Ain Sochna, die ich mehrmals befuhr und die man jetzt über die neue Galalatsrasse rechts liegen lassen kann. Frachtschiffe steuern auf die Einfahrt in den Suezkanal zu.

Unter mir zeigt sich das Betongewimmel der neuen Hauptstadt, hässlich, unvollendet. Weiter nördlich erstreckt sich der grüne Rand des Deltas, durch das ich nach Kairo, Alexandria, Damanhour, Damietta, Port Said und Ras El Bar gefahren bin.

Der westliche Nilarm schlängelt sich durchs Grün zum Mittelmeer, ich erkenne Abu Kir, Montazah und Ma'moura, wo ich wohnte, wo ich im Meer schwamm und meine ersten seltsamen Erfahrungen mit den Eigenheiten dieses wunderlichen, aber auch wundervollen Landes machte.

Jetzt breitet sich das Mittelmeer unter mir aus. Ich bin müde und erschöpft und lehne mich in den Sitz zurück. Ich lasse die Nordküste hinter dem Flugzeug verschwinden. Der Abschied fiel mir recht schwer, trotz den immens anspruchsvollen, kräftezehrenden letzten Wochen. Die Probleme sind noch nicht gelöst.

Wir hatten mithilfe des Anwalts erreicht, dass wir die Wasserleitung reparieren durften. Das Wasser sprudelte wieder in den Tank und wir waren überglücklich. Unsere russischen Nachbarn tauchten umgehend mit Alkohol auf. Doch nur ein paar Tage später hat S. die Leitung wieder durchtrennen lassen. Stilllegen für sechs Monate, um uns zu zwingen, ein Papier zu unterschreiben. Ich erzähle zu einem späteren Zeitpunkt davon. Nur soviel möchte ich sagen: Alle ägyptischen Wohnungsbesitzer haben sich uns angeschlossen, sie sind in der Mehrheit und haben die Schikanen auch satt. Jeder einzelne von ihnen kann dazu eine Geschichte schreiben. Nur die Russen und Europäer zögern, ich hoffe, das ändert sich noch.

So, wie die Küste aus meinem Blickfeld gleitet, muss ich mein Leben da unten mit all seinen bunten, anspruchsvollen und erstaunlichen Schattierungen hinter mir lassen. Für einige Zeit jedenfalls. Ich denke an meine vielen Reisen und Erlebnisse kreuz und quer durch das Land und die wundervollen Erlebnisse und Begegnungen, die ich machen durfte. Dazu gehören auch schlechte. Diese Mischung an Erfahrungen haben mich innerlich reifen lassen. Ich bin nicht mehr dieselbe Frau, die kurz vor Weihnachten 2006 zum ersten Mal nach Ägypten reiste.

Durch den Nebel sickern schon die ersten griechischen Inseln. Nebel. Daran werde ich mich gewöhnen müssen. Trost ist mir, dass ich in den Wald flüchten kann. Oder in die Berge. Alles liegt nah und ist erreichbar.

Ich lasse eine wunderschöne Wohnung zurück, die ich erst in den letzten Wochen fertig eingerichtet habe. Mein russischer Nachbar hat die Lampen aufgehängt, ich habe Spiegel und ein Schuhmöbel bekommen. Mein Rad hängt endlich an der Wand, ungeputzt. Dazu kam ich leider nicht mehr. Ich wollte meine Wohnung während meiner Abwesenheit vermieten, aber wegen den Ereignissen mit dem Besitzer der Wohnanlage fehlte mir die Zeit für die Vorbereitungen. Ich war heute Mittag traurig, als ich die Fenster schloss, die Vorhänge zurechtzog, Wasser und Strom zudrehte und mit gepacktem Koffer und Reisetasche den Schlüssel dreimal umdrehte.

Zum Abschied bekam ich berührende Zeichen der Zuneigung und Dankbarkeit. Tränen von R., über die ich auch mal schreiben werde, viele Umarmungen von ihrem Sohn A. Ich stand ihnen die vergangenen 12 Jahre bei und hoffe, dass sie in spätestens zwei Monaten in eine neue, bessere Zukunft aufbrechen dürfen. Die Italiener sagten: "Wir lieben dich. Wir wissen, dass wir dir vertrauen können." Die letzte drei Wochen sind wir durch dick und dünn gegangen. Vermissen wird mich auch meine Freundin, die mich zum Flughafen brachte. Ich werde sie auch vermissen.

Für andere blieb mir keine Zeit. Ich wollte mich von mehreren mir nahestehenden Menschen persönlich verabschieden. Ich musste es verschieben. Bis bald.

Vorgestern übergab ich mein Auto, meinen treuen Gefährten über 70'000 km durch wilde Landschaften und chaotische Städte.

Ich fühle mich ausgelaugt und müde. Die nächsten Tage muss ich mich erholen. Keine Ahnung, wie ich das schaffe. Denn ich bin weiterhin gefordert. Internetzugang, Wohnung, Autokauf. Noch am Flughafen in Hurghada erhielt ich das Programm für die Einarbeitungszeit für meine neue Aufgabe.

Relativ unerwartet ("Vergiss es, du kriegst keinen Job mehr.") und kurzfristig habe ich eine Arbeitstelle in meiner Heimat angenommen. Während Andere Pläne für ihre Pension schmieden, mache ich den umgekehrten Schritt. Nicht für lange, aber ich brauche Geld.

Die letzten Sonnenstrahlen hauchen die aus der Wolkendecke übermütig ragenden Wölckchen rosa an. Auch dieses Schauspiel vergeht sogleich. Wir tauchen durch die Wolkendecke hinab ins Weiss, ins Grau und landen gleich.

Ihr lest wieder von mir, denn ich habe noch sehr viel zu erzählen. Aber das dauert etwas. Zuerst muss ich mich der neuen Herausforderung stellen.

Bis bald.

 

6 Kommentare:

  1. Ich wünsche Dir gute Erholung von der letzten Zeit und viel Erfolg für das was vor Dir liegt in dieser verkehrten Zeit. Alles Liebe, Heike

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  2. Frohes heim kommen. Guten neuen Start. Freu dich auf die neuen Herausforderungen, bleib offen und neugierig. Lgkarin

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  3. Ich wünsche gute Erholung und ein ruhiges Weihnachtsfest und behalte Ägypten im fest im Auge . Ich kann es kaum glauben, aber ich verstehe es 👍

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