Montag, Februar 11, 2013

Vom Traum zum Alptraum

Zwei Jahre ist es her, dass Präsident Mubarak zurückgetreten ist. Die Emotionen sprudelten damals über, die Menschen hier fühlten sich befreit und voller Energie, eine Zukunft mit genügend Nahrung für alle, mit Freiheit und Gerechtigkeit („Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“) zu gestalten. Während sich die westliche Welt die Augen über diesen friedlichen Abgang eines verhassten Diktators rieb, staunten und befürchteten die arabischen Staaten, dass ihnen bald Ähnliches blühen werde. Der orientalische Traum währte nicht lange.


Ägypten erlebt einen Alptraum, in dem alles vorkommt, was sich Macht besessene, gierige, korrupte, brutale und skrupellose Menschen nur irgendwie ausdenken können. Es ist weiter von seinen Zielen „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“ entfernt als vor zwei Jahren bei Ausbruch der Revolution:

Die Preise steigen unaufhörlich, während das Land kaum mehr Fremdwährungsreserven aufweist. Ein Grossteil der Lebensmittel wird importiert und wird bald nicht mehr bezahlt werden können. Bald werden nicht nur Aktivisten und Hooligans demonstrieren, sondern auch Hungernde. Das hat Ägypten 1977 schon einmal erlebt.

Wer sich kritisch gegen das bestehende Regime (Mursi, die MB und ihre Sympathisanten) oder die „von der Mehrheit geschützte“ Religion äusserst, wird im besten Fall angeklagt, im schlechteren Fall eingesperrt, gefoltert und in einem zweifelhaften Gerichtsverfahren für Jahre hinter Gittern versorgt. Das Notstandsgesetz ist wieder aktiviert und Ausgangssperren werden ausgesprochen. Allerdings foutierten sich die Bewohner Port Saids kürzlich darüber und demonstrierten ungeachtet der Ausgangssperre. Frauen werden gezielt sexuell angegriffen, um sie von den Protesten und von den Strassen fern zu halten. Demonstranten werden von Scharfschützen abgeknallt. Die Regierung rief dazu auf, Mitglieder des kürzlich aufgetauchten „Schwarzen Blocks“ zu verhaften und soeben hat ein Gericht beschlossen, „Youtube“ für einen Monat zu sperren. All das hat nichts mit Freiheit zu tun.

Willkür prägt den ägyptischen Alltag und den Staat. Das Rechtssystem ist undurchschaubar und entweder stark mit dem bestehenden oder dem ehemaligen Regime verbandelt oder, was eigentlich fast noch schlimmer ist, handelt völlig losgelöst von Gesetzen und der umstrittenen, von der Mehrheit abgelehnten Verfassung.

Ein Scherbenhaufen. Und es wird noch mehr Scherben geben.

Trotz allem gibt es immer wieder Zeichen für Hoffnung. Die jetzige Regierung der Muslim Brüder stellt sich so offensichtlich unfähig an, dass ihre Tage gezählt sind. Mit ihrer unermesslichen Gier, alle Macht an sich zu reissen, um ein Kalifat einzurichten, schaufeln sie täglich ihr eigenes Grab. Möglich, dass es langsam geht, aber die Grube wird täglich grösser.

Ägypter sind geduldig und duldsam, haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und sind traditionellerweise sehr sozial. Das sind sie auch im Kampf für ihre Rechte. Sie werden weiter kämpfen, werden nicht aufgeben. Inzwischen haben sie verstanden, dass ein Regime nicht in ein paar Wochen verjagt werden kann. Mit jedem Tag lernen sie dazu. Die Gruppe „6. April“ wendet nun ebenfalls die Taktik der Anklage an: gegen den Premierminister, der sich öffentlich abwertend über die Hygiene der Frauen in Beni Suef geäussert hat.

Zum Verzweifeln bringt mich die Opposition, die sich unter der „Nationalen Rettungsfront“ vereinigt hat. Sie schaffen es einfach nicht, mit einer Stimme aufzutreten und eine klare Linie zu verfolgen. Sie sind sich uneins über jede Kleinigkeit, hadern mit Parolen und zaudern zu handeln. Offenbar haben die klugen Herren noch nicht gemerkt, wie die Prioritäten zu setzen sind.

Wie lange dauern Alpträume? Normalerweise, bis man aufwacht. Das ist nun ironisch gemeint, denn Ägypten ist aufgewacht, wenn es auch immer noch die starke Fraktion der „Sofa Partei“ gibt. Dieser Alptraum hier läuft länger. Inzwischen bleiben sich die Ägypter ihrem Humor treu und reissen Witze und zeichnen Cartoons über ihre eigene Situation. Wie Millionen andere bin ich dankbar für jene Momente, wo ich laut heraus lachen muss oder ganz einfach dafür, dass so ein Bild meine Empfindungen widerspiegelt.

Hier ein paar Beispiele:

Angriffe gegen die Ultras

Demokratie

Soziale Gerechtigkeit


Ausgang in diese Richtung


"Es hat sich herausgestellt, dass der hier sogar schlechter ist... ist es zu spät, um Mubarak zurück zu erhalten?"

"Was wolltest du sagen?"

 Quelle: Egypt Independent, Egypt Now Facebook

2 Kommentare:

  1. Danke für diesen tollen Beitrag...Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen und es gibt dem nichts hinzuzufügen.
    Aber die Hoffnung sirbt zuletzt und auch wenn es noch ein langer Weg sein wird, es wird auch für Ägypten irgendwann dann sich auszahlen, dass das Volk aufgestanden ist und für eine bessere, gerechte Zukunft kämpft.
    Dane für Deine gut geschrieben Zeilen.
    Gisela

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