Donnerstag, Mai 12, 2016

Als Landei auf dem Surfbrett

… und was das mit den grauen Zellen zu tun hat

Wer ans Rote Meer kommt, tut das erstens wegen der Vielfalt an Korallen und Fischen, also als Taucher, und zweitens wegen dem 365-Tagen-im-Jahr-Sonnenschein und Null-Niederschlag, quasi als Anbeter unseres Lebensspenders. Null-Niederschlag stimmt auch nicht mehr wirklich, aber das Klima macht ja überall, was es will, und es sind dann immer noch um die 360 Tage im Jahr. Ich bin einst wegen einem 50-Meter-Swimmingpool hergekommen.

Im offenen Wasser fühle ich mich nur wohl, wenn ich wenigstens einen Körperteil an der Wasseroberfläche lassen kann und dann bitte, möchte ich auch den Grund sehen und alles, was da unten kreucht und fleucht. Tauchen kommt für mich also nicht infrage. Schnorcheln in bescheidenem Rahmen schon eher, obwohl ich dabei jedes Mal in Entzückung gerate. Schwimmen fällt mir am leichtesten und folglich mache ich das auch ständig – ausser im Winter, leider.

Meine Alternative zum Wasser bildet mein Rennrad. Da es aber am Roten Meer fast immer windet und zwar nicht nur ein laues Lüftchen, sondern üblicherweise vier Beaufort (20-28 km/h) oder mehr, macht Rennradfahren auch nicht immer Spass: zuerst zwei Stunden lang gegen den Wind strampeln, dann die gleiche Strecke mit Rückenwind in einer Stunde locker zurück rollen…

Die natürlichen Bedingungen haben mich deshalb auf den Gedanken gebracht, ich könnte es doch mal mit Windsurfen probieren. Meine letzten Versuche darin liegen über 30 Jahre zurück.

Aller Anfang ist leicht
Als „ältere“ Wiederholungstäterin steige ich also auf so ein wackliges Ding und übe vorerst mal Auf- und Absteigen sowie Stehen und Gehen, ohne ins Wasser zu plumpsen. Schnell mal erhält das Brett ein Segel und ich darf fahren: Beim ersten Mal sind die Bedingungen ein Traum: leichte Brise, kaum Wellen, wenig Schwimmer, die unverhofft in meinen Gefahrenbereich geraten, keine Quallen und dank dem winzigen Segel und den Anweisungen meines Surflehrers gestaltet sich die erste Stunde als Erfolgserlebnis. Perfekter Wieder-Einstieg!

So bleibt es aber nicht. Windsurfen ist ein Outdoor-Sport, genauso wie z.B. Langlaufen. Die Elemente wechseln ständig und gut tut daran, wer sich darauf einstellen kann. Als Anfängerin mit lädierten Körperteilen wird der Outdoor-Sport dann doch zu einer echten Herausforderung. Naja, ich geb‘ ja zu, dass ich ungefähr das suche.

Meine Erlebnisse mit dem Wind…
Kaum habe ich kapiert, wo und wie ich meine Hände am Gabelbaum platzieren soll, damit ich den Wind mit dem Segel einfangen kann, ist er auch schon wieder weg. Der Wind, nicht der Gabelbaum, meine ich. Und ich stehe auf dem Brett und lass mich von der Strömung treiben und überlege verzweifelt, wie ich das Segel halten soll, um wenigstens etwas von der leichten Brise einzufangen, und irgendwann wieder an meinen Ausgangspunkt zu gelangen.

Unfair finde ich, wie die Windrichtung ständig wechselt. Eigentlich weht hier immer Nordwind – zumindest hatte ich bisher diesen Eindruck, wenn ich auf dem Rennrad sass. Beim Windsurfen ist das komischerweise anders: da dreht er innert kürzester Zeit von Nord auf Nord-Ost oder Nord-West oder dreht sich irgendwie im Kreis herum und das auch noch in Böen… und ich folglich auch oder ich versuche das Unmögliche: direkt gegen den Wind zu fahren, was natürlich scheitert. Während den ersten paar Unterrichtseinheiten treibe ich auch mal ungewollt südwärts, obwohl mir mein Surflehrer sagt, der Wind sei ablandig (also aus Nord-West). Da hab‘ ich schon allerhand zu tun, um irgendwie wieder zurück in den sicheren Hafen zu gelangen – einmal muss mir mein Surflehrer beistehen und mich anweisen.

Cool ist es, wenn der Wind gleichmässig bläst, die Wellen mässig schwappen und ich mit einem mittelgrossen Segel quer hinaus, weit hinaus – wie ich mir einbilde – und ohne Zwischenfälle retour an den Strand sause. Hin und Her, dazwischen bleibt mir viel Zeit, um Wende und Halse vorsichtig zu zelebrieren und im Fahrtwind lauthals zu juchzen – da draussen hört das nämlich niemand!

Neulich blies ein halbartiger Sturm mit sechs oder sieben Beaufort und mein Surflehrer, der Youssef, ermunterte mich, doch zu kommen und zu üben. Er baute das kleinste Segel für mich auf und… und… und… ich hab‘ schon Mühe, das Ding nur aus dem Wasser zu holen! Nach ein paar Versuchen und gutem Zureden zu mir selbst, klappt das dann… zwischendurch und immer wieder. Denn der Wind bläst mir das Ding beim Wenden einfach wieder aus der Hand. Während Youssef mit Brustgurt und doppelt so grossem Segel über die Wellen braust, bis er vom Ufer nur noch als kleines Tüpfchen sichtbar ist, mühe ich mich mit den Elementen ab. Es ist anstrengend: ich fahr zurück an den Hafen, um mich auszuruhen, wieder hinaus, wieder an den Hafen und so fort. Mit der Zeit krieg ich das in den Griff, bin zufrieden, aber auch ziemlich erschöpft, was nicht mal so schlecht ist.

… mit den Wellen
Auf Schiffen werde ich schwer seekrank. Dass das auch auf dem Surfbrett möglich ist, habe ich bei meinen ersten Gehversuchen gemerkt. Inzwischen hat sich das glücklicherweise wieder gelegt.

Doch mit den Wellen komme ich noch nicht klar. Da schubst und stösst es unter meinen Füssen in unregelmässigen Abständen, wo ich mich doch auf den Wind, meine Körperhaltung, meine Beinstellung, das Segel und die Fahrtrichtung konzentrieren möchte. Könnten Wellen und Wind sich nicht etwas besser absprechen und sich auf einen Rhythmus und eine Richtung einigen? Jedenfalls flieg ich in hohem Bogen vom Board. Ich lache lauthals, als ich da neben Brett und Segel schwimmend nach meiner Sonnenbrille fische – und nehme mir vor, dass ich das schon auch noch in den Griff kriegen würde. Wenn auch nicht grad sofort.

… mit den Meeresbewohnern
Panik. Schlichtweg Panik krieg ich, wenn ich Quallen sehe. In Südfrankreich kam ich mal mit roten Striemen von Hals bis Fuss nach Hause – seither sehe ich rot, wenn ich Quallen jeglicher Farbe sehe. Und leider sehe ich diese hirnlosen Traumwandler auch im Roten Meer – immer, wenn der Wind vom Meer her weht oder bei Windstille. Ich weigere mich, zwischen den Dingern zu schwimmen und packe schon mal die Badesachen wieder zusammen. Dann doch lieber Chlorwasser.

Und wenn ich sie nun aus 1,80 m Höhe im Wasser schweben sehe, kann ich mich weder auf meine neue Herausforderung, die Power-Halse, noch auf sonst irgendetwas konzentrieren, sondern denke: nur ja nicht da hineinfallen, zwischen diese lila Traumwandler, die sich wie tanzende Sonnenschirme in Zeitlupe fortbewegen. „Die tun nichts“, meint der Youssef – genau wie die Hundebesitzer, wenn ihr Wauwau sich mir nähert. Die gut gemeinten Beteuerungen helfen mir rein gar nichts.

Faszination gibt es aber auch: was ich in 100 m Entfernung als schwimmenden Menschen ausmache (komische Farbe und Form, doch ich war ja mit mir und meiner Surferei beschäftigt), war in Wirklichkeit eine schwimmende Wasserschildkröte, die da friedlich ihre Längen zog. Cool, wie die da unweit des Ufers, unweit von Booten und Menschen ihrem Hobby frönt.

… mit der Technik
Als erfolgsgewohnte Sportlerin fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass Neues
g e l e r n t   und   g e ü b t   werden muss. Eine gewisse mentale Schwerfälligkeit, die sich über die Jahrzehnte eingeschlichen hat, macht es auch nicht grad leichter, mir neue Bewegungsabläufe anzueignen. Damit kämpfe ich viel mehr, als mit den oben beschriebenen Elementen.

Doch genau deshalb tu ich mir das an – neben der Tatsache, dass es einfach Spass macht, mit den Elementen zu spielen, die Natur zu fühlen und eine neue Herausforderung zu meistern. Ich möchte meine grauen Zellen beweglich halten und das geht nicht mit Kreuzworträtsel lösen und Fernseh-Serien ansehen. Die grauen Zellen brauchen frische Nahrung, um beweglich zu bleiben.


Übrigens ist Youssef ein äusserst geduldiger, erfahrener und einfühlsamer Surflehrer, ich kann ihn nur empfehlen. Zu finden ist er im Hotel Siva.


(Niedergeschrieben habe ich diese Gedanken aus purer Freude am Erzählen und um meine Leser zu motivieren, mal wieder was Neues auszuprobieren und Gewohnheiten beiseite zu legen. Ich widme sie Nunschka, Youssefs Frau.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.