… und was
das mit den grauen Zellen zu tun hat
Wer ans
Rote Meer kommt, tut das erstens wegen der Vielfalt an Korallen und Fischen,
also als Taucher, und zweitens wegen dem 365-Tagen-im-Jahr-Sonnenschein und
Null-Niederschlag, quasi als Anbeter unseres Lebensspenders. Null-Niederschlag
stimmt auch nicht mehr wirklich, aber das Klima macht ja überall, was es will,
und es sind dann immer noch um die 360 Tage im Jahr. Ich bin einst wegen einem
50-Meter-Swimmingpool hergekommen.
Im offenen Wasser
fühle ich mich nur wohl, wenn ich wenigstens einen Körperteil an der
Wasseroberfläche lassen kann und dann bitte, möchte ich auch den Grund sehen
und alles, was da unten kreucht und fleucht. Tauchen kommt für mich also nicht
infrage. Schnorcheln in bescheidenem Rahmen schon eher, obwohl ich dabei jedes
Mal in Entzückung gerate. Schwimmen fällt mir am leichtesten und folglich mache
ich das auch ständig – ausser im Winter, leider.
Meine
Alternative zum Wasser bildet mein Rennrad. Da es aber am Roten Meer fast immer
windet und zwar nicht nur ein laues Lüftchen, sondern üblicherweise vier Beaufort
(20-28 km/h) oder mehr, macht Rennradfahren auch nicht immer Spass: zuerst zwei
Stunden lang gegen den Wind strampeln, dann die gleiche Strecke mit Rückenwind
in einer Stunde locker zurück rollen…
Die
natürlichen Bedingungen haben mich deshalb auf den Gedanken gebracht, ich
könnte es doch mal mit Windsurfen probieren. Meine letzten Versuche darin
liegen über 30 Jahre zurück.
Aller
Anfang ist leicht
Als „ältere“
Wiederholungstäterin steige ich also auf so ein wackliges Ding und übe vorerst
mal Auf- und Absteigen sowie Stehen und Gehen, ohne ins Wasser zu plumpsen.
Schnell mal erhält das Brett ein Segel und ich darf fahren: Beim ersten Mal
sind die Bedingungen ein Traum: leichte Brise, kaum Wellen, wenig Schwimmer,
die unverhofft in meinen Gefahrenbereich geraten, keine Quallen und dank dem
winzigen Segel und den Anweisungen meines Surflehrers gestaltet sich die erste
Stunde als Erfolgserlebnis. Perfekter Wieder-Einstieg!
So bleibt
es aber nicht. Windsurfen ist ein Outdoor-Sport, genauso wie z.B. Langlaufen.
Die Elemente wechseln ständig und gut tut daran, wer sich darauf einstellen
kann. Als Anfängerin mit lädierten Körperteilen wird der Outdoor-Sport dann
doch zu einer echten Herausforderung. Naja, ich geb‘ ja zu, dass ich ungefähr das
suche.
Meine
Erlebnisse mit dem Wind…
Kaum habe
ich kapiert, wo und wie ich meine Hände am Gabelbaum platzieren soll, damit ich
den Wind mit dem Segel einfangen kann, ist er auch schon wieder weg. Der Wind,
nicht der Gabelbaum, meine ich. Und ich stehe auf dem Brett und lass mich von
der Strömung treiben und überlege verzweifelt, wie ich das Segel halten soll,
um wenigstens etwas von der leichten Brise einzufangen, und irgendwann wieder
an meinen Ausgangspunkt zu gelangen.
Unfair finde
ich, wie die Windrichtung ständig wechselt. Eigentlich weht hier immer Nordwind
– zumindest hatte ich bisher diesen Eindruck, wenn ich auf dem Rennrad sass. Beim
Windsurfen ist das komischerweise anders: da dreht er innert kürzester Zeit von
Nord auf Nord-Ost oder Nord-West oder dreht sich irgendwie im Kreis herum und
das auch noch in Böen… und ich folglich auch oder ich versuche das Unmögliche:
direkt gegen den Wind zu fahren, was natürlich scheitert. Während den ersten
paar Unterrichtseinheiten treibe ich auch mal ungewollt südwärts, obwohl mir
mein Surflehrer sagt, der Wind sei ablandig (also aus Nord-West). Da hab‘ ich
schon allerhand zu tun, um irgendwie wieder zurück in den sicheren Hafen zu
gelangen – einmal muss mir mein Surflehrer beistehen und mich anweisen.
Cool ist
es, wenn der Wind gleichmässig bläst, die Wellen mässig schwappen und ich mit
einem mittelgrossen Segel quer hinaus, weit hinaus – wie ich mir einbilde – und
ohne Zwischenfälle retour an den Strand sause. Hin und Her, dazwischen bleibt
mir viel Zeit, um Wende und Halse vorsichtig zu zelebrieren und im Fahrtwind
lauthals zu juchzen – da draussen hört das nämlich niemand!
Neulich blies
ein halbartiger Sturm mit sechs oder sieben Beaufort und mein Surflehrer, der Youssef,
ermunterte mich, doch zu kommen und zu üben. Er baute das kleinste Segel für
mich auf und… und… und… ich hab‘ schon Mühe, das Ding nur aus dem Wasser zu
holen! Nach ein paar Versuchen und gutem Zureden zu mir selbst, klappt das dann…
zwischendurch und immer wieder. Denn der Wind bläst mir das Ding beim Wenden
einfach wieder aus der Hand. Während Youssef mit Brustgurt und doppelt so grossem
Segel über die Wellen braust, bis er vom Ufer nur noch als kleines Tüpfchen
sichtbar ist, mühe ich mich mit den Elementen ab. Es ist anstrengend: ich fahr
zurück an den Hafen, um mich auszuruhen, wieder hinaus, wieder an den Hafen und
so fort. Mit der Zeit krieg ich das in den Griff, bin zufrieden, aber auch
ziemlich erschöpft, was nicht mal so schlecht ist.
… mit
den Wellen
Auf
Schiffen werde ich schwer seekrank. Dass das auch auf dem Surfbrett möglich
ist, habe ich bei meinen ersten Gehversuchen gemerkt. Inzwischen hat sich das glücklicherweise
wieder gelegt.
Doch mit
den Wellen komme ich noch nicht klar. Da schubst und stösst es unter meinen
Füssen in unregelmässigen Abständen, wo ich mich doch auf den Wind, meine
Körperhaltung, meine Beinstellung, das Segel und die Fahrtrichtung
konzentrieren möchte. Könnten Wellen und Wind sich nicht etwas besser absprechen
und sich auf einen Rhythmus und eine Richtung einigen? Jedenfalls flieg ich in
hohem Bogen vom Board. Ich lache lauthals, als ich da neben Brett und Segel schwimmend nach meiner Sonnenbrille fische – und nehme mir vor, dass ich das schon auch noch
in den Griff kriegen würde. Wenn auch nicht grad sofort.
… mit
den Meeresbewohnern
Panik.
Schlichtweg Panik krieg ich, wenn ich Quallen sehe. In Südfrankreich kam ich
mal mit roten Striemen von Hals bis Fuss nach Hause – seither sehe ich rot,
wenn ich Quallen jeglicher Farbe sehe. Und leider sehe ich diese hirnlosen
Traumwandler auch im Roten Meer – immer, wenn der Wind vom Meer her weht oder
bei Windstille. Ich weigere mich, zwischen den Dingern zu schwimmen und packe
schon mal die Badesachen wieder zusammen. Dann doch lieber Chlorwasser.
Und wenn
ich sie nun aus 1,80 m Höhe im Wasser schweben sehe, kann ich mich weder auf
meine neue Herausforderung, die Power-Halse, noch auf sonst irgendetwas
konzentrieren, sondern denke: nur ja nicht da hineinfallen, zwischen diese lila
Traumwandler, die sich wie tanzende Sonnenschirme in Zeitlupe fortbewegen. „Die
tun nichts“, meint der Youssef – genau wie die Hundebesitzer, wenn ihr Wauwau
sich mir nähert. Die gut gemeinten Beteuerungen helfen mir rein gar nichts.
Faszination
gibt es aber auch: was ich in 100 m Entfernung als schwimmenden Menschen
ausmache (komische Farbe und Form, doch ich war ja mit mir und meiner Surferei
beschäftigt), war in Wirklichkeit eine schwimmende Wasserschildkröte, die da
friedlich ihre Längen zog. Cool, wie die da unweit des Ufers, unweit von Booten
und Menschen ihrem Hobby frönt.
… mit
der Technik
Als
erfolgsgewohnte Sportlerin fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass Neues
g e l e r n t und
g e ü b t werden muss. Eine
gewisse mentale Schwerfälligkeit, die sich über die Jahrzehnte eingeschlichen
hat, macht es auch nicht grad leichter, mir neue Bewegungsabläufe anzueignen.
Damit kämpfe ich viel mehr, als mit den oben beschriebenen Elementen.
Doch genau
deshalb tu ich mir das an – neben der Tatsache, dass es einfach Spass macht,
mit den Elementen zu spielen, die Natur zu fühlen und eine neue Herausforderung
zu meistern. Ich möchte meine grauen Zellen beweglich halten und das geht nicht
mit Kreuzworträtsel lösen und Fernseh-Serien ansehen. Die grauen Zellen
brauchen frische Nahrung, um beweglich zu bleiben.
Übrigens
ist Youssef ein äusserst geduldiger, erfahrener und einfühlsamer Surflehrer, ich
kann ihn nur empfehlen. Zu finden ist er im Hotel Siva.
(Niedergeschrieben
habe ich diese Gedanken aus purer Freude am Erzählen und um meine Leser zu
motivieren, mal wieder was Neues auszuprobieren und Gewohnheiten beiseite zu
legen. Ich widme sie Nunschka, Youssefs Frau.)
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