Sonntag, Oktober 23, 2016

Visa-Willkür

Manchmal reicht’s. Einfach genug, Schnauze voll. Und dann wieder muss ich mir sagen, dass die Willkür, die wir Ausländer auf dem Passbüro erleben, ja nur ein Bruchteil dessen ist, was Ägypter von den Beamten erdulden müssen.

Doch zuerst mal von vorne. Letztes Jahr wurde die Nachricht verbreitet, dass Ausländer nur noch ein sechs-Monate-Visum erhalten. Oder nur noch drei, oder vielleicht doch 12, je nachdem wie und was. So klar wie unsichtbar.

Jedenfalls erhielten wir Ausländer, die bisher mit einem einjährigen Touristenvisum hier lebten, plötzlich nur noch einen sogenannten Wartestempel. Nach zwei Monaten sollten wir wieder vortraben. Während diesen zwei Monaten würden Informationen durch den Staatssicherheitsdienst eingeholt. Dann verlieren sich die Fäden und die Logik geht mit.


Denn: manch einer musste nach den zwei Monaten innert fünf Tagen das Land verlassen (die meisten flogen schnell nach Istanbul), andere sollten nach einem weiteren Monat und dann vielleicht nochmals nach einem weiteren Monat wieder vortraben; nochmals andere erhielten ein Visum für drei, fünf, sechs oder mehr Monate, jeweils ab letztem Einreisedatum. Im dümmsten Fall lag das drei Monate zurück, womit der ganze Papierkram und die Schikane gleich wieder von vorne gestartet werden durfte.

Vermutet wird, dass Ägypten auf die 25 US Dollar scharf sind, die wir bei der Wieder-Einreise am Flughafen für ein Visum hinblättern müssen. Dass dem Land durch die zusätzlich erzwungen Flüge Geld verloren geht, das wir sonst im Inland ausgeben würden, scheint keine Rolle zu spielen.

In einer Facebook-Gruppe konnten wir unsere Erfahrungen austauschen und Tipps von Mitleidenden einholen. Einzelne Geschichten entsprechen einem Trauerspiel und manch ein Ausländer hat Ägypten wegen diesem elenden Theater ganz verlassen.

Letztes Jahr bin ich den Zirkus dank «Vitamin B» umgangen.

Das wollte ich dieses Jahr nicht. Ich war ja im Frühling ausser Landes und dachte, ich würde gleich ein Visum für sechs oder zwölf Monate erhalten. Irrtum: ich erhielt einen Wartestempel. Das war mir soweit egal, weil ich im Herbst wieder ausser Landes flog.

Doch: um bei der Ausreise keine Busse für ein abgelaufenes Visum zu erhalten, musste ich mir eine „Genehmigung“ holen und dabei mein Flugticket „zeigen“. Flugtickets bestehen heut meist nur noch „elektronisch“ und nicht mehr auf Papier. Genauso zeigte ich es auch. Zeigen heisst für mich eben nur zeigen. Doch die wollten das in Papierform haben. Bekamen sie von mir. Mit dem Abholen der Ausreisebewilligung ergab das zwei Mal drei Fahrten von jeweils 20km und Wartezeiten.

Bei meiner Rückkehr kaufte ich brav ein Touristenvisum für 25 US Dollar, das 30 Tage gültig ist. Die hab ich nicht abgewartet, da die Verlängerung ja immer ab Einreisedatum erteilt wird, und bin nach 10 Tagen erneut ins Passbüro gefahren. Am folgenden Tag holte ich meinen Pass ab und: sehe einen Wartestempel!!!

Einen Wartestempel, der mir mein 30-Tage-Touristenvisum annulliert. Der Boss vom Büro meinte, das sei die Regel für mein Land! Widerspruch war zwecklos, die hocken ja am längeren Hebel. Ausserdem hatte er eine weinende Ost-Europäerin vor sich und offenbar eine miese Laune.

Mit einer Stinkwut im Bauch fuhr ich heim und überlegte, was ich denn jetzt wieder machen könnte. Nochmals zurück und diskutieren? Vergebliche Mühe. Runterschlucken und ein Dahinschleppen (kommen Sie in einer Woche/zwei Wochen/einem Monat) akzeptieren wollte ich nicht. Ausserdem will ich meine Fahrzeugpapiere in Ordnung bringen, die ich aufgrund des abgelaufenen Visums nur bis Ende Jahr verlängern konnte. 

Das hängt ja alles zusammen, ohne gültiges Visum ist man im Ausland ja praktisch handlungsunfähig.

Also was tun?

Ich hab mich durchgerungen und wieder «Vitamin B» eingesetzt, denn ganz offenbar haben die Kerle im Passbüro einen Fehler gemacht. Und tatsächlich, mein Kontakt hat das bestätigt.

Kurz bevor die 30 Tage-Frist abläuft, kümmert er sich darum, dass mich ein Angestellter vom Staatssicherheitsdienst ins Passbüro begleitet und ich dort ein sechs- oder zwölf-Monate Visum erhalte.

Ich fühl mich erleichtert und trotzdem bin ich verärgert. Hunderte von anderen Ausländern haben nicht die Chance, mit „Vitamin B“ zu ihrem Recht zu kommen. 

Hunderte von anderen Ausländern haben letztes Jahr mehrere Hundert Euro für einen sinnlosen Flug ins Ausland ausgegeben. Dabei ist ja das Problem, dass man nicht selbst entscheiden kann, wann man fliegt, sondern man muss dann sofort raus – auch wenn man sogar für ein paar Tage später bereits einen Flug gebucht hat. Willkür und Schikane.

Mein Kontakt, der sich immer sehr höflich und zurückhaltend ausdrückt, meinte: „Die sind dort ein bisschen unorganisiert und auch ein bisschen dumm.“ So schön würde ich es nicht formulieren!

Einheitliche Regeln bestehen nach wie vor nicht, obwohl schon länger ein neues Visa-Gesetzt angekündigt wurde.

Aber eben: ein Visum zu erhalten ist noch immer eine der einfacheren Handlungen in der hiesigen Bürokratie.


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