Mehrere strube
(Duden: schweizerisch mundartlich für struppig; schwierig) Wochen liegen
hinter mir – vor mir wahrscheinlich auch wieder.
Die
Nachfrage nach Deutsch-Unterricht bricht nicht ab. Das ist ja gut für mich und
zeigt, dass der Tourismus aus deutschsprachigen Ländern zunimmt. Zusätzlich kam
ich in den Genuss von längeren Übersetzungsprojekten. Spannend, zeitintensiv
und lohnend. Mein Blog kam zu kurz, doch auch anderweitiger Ausgleich litt.
Mein eh nicht so stabiles Nervenkostüm wurde etwas strapaziert – die Frustgrenze
lag recht tief.
Zwischen
der Vorfreude auf etwas ruhigere Tage und der Sorge, ob denn weitere Aufträge
kommen würden, werde ich wieder in die erbarmungslose Realität geworfen: Neue
Chancen, alte Unzuverlässigkeit und betrübliche Nachrichten einer lieben
Freundin – alles miteinander und noch mehr.
Ein
holländischer Bekannter, der ähnlich tätig ist wie ich, beklagt sich
regelmässig darüber, dass Verabredungen (von Ägyptern) nicht eingehalten
werden. Bei unserem letzten Treff meinte er, drei wären am Vormittag nicht
gekommen! Ich versuche ihn zu trösten, denn wir Ausländer können das nicht
ändern. Wir können nur ändern, wie wir damit umgehen.
Einfach
gesagt, schwierig gemacht. Denn seit zehn Tagen bin ich an der Reihe. Nein,
drei Wochen schon. Beinahe täglich hagelt es entweder Absagen oder eben „Nicht-Einhalten-von-Verabredungen“
herein. Da wird man angerufen, um Termine angefleht, hört sich langwierige
Erklärungen an und wenn man den Typen dann eine Chance gibt, früh aufsteht,
parat ist – dann tauchen sie nicht auf. Oder sie haben schon an ein paar
Lektionen teilgenommen und finden, dass es eine psychisch zu grosse Belastung
ist, wenn ich nicht noch weitere Fotokopien zur Verfügung stelle.
Oder man
muss dringend nach Kairo. Das ist wohl der häufigste Grund. Dazu muss man aber
wissen, dass alle Hundert Millionen Einwohner, oder zumindest der erwachsene
Teil, fast wegen jedem offiziellen Papier nach Kairo pilgern müssen.
Eine russische
Dame flehte mich an, ihrem Töchterchen Nachhilfe in Französisch zu geben, was
ich noch so gerne mache. Einziges Problem: einen Termin finden. Zweimal kam die
zerstreute Mutter und jammerte, es sei ein Problem wegen dem Freitagsgebet, das
ihr Mann besuchen müsse/wolle oder was weiss ich. Das dritte Mal kam sie nicht
mehr. Sie wollte ihr Geld zurück. Und die Stunde, für deren Vorbereitung ich
zwei Stunden lang gearbeitet hatte, wollte sie nicht bezahlen. Sie betitelte
mich dann als Lügnerin (die Übungen habe ich ihr dann aber auf WhatsApp
geschickt) und Betrügerin. Sowas schlucke ich nicht einfach so runter. Muss
sich auch niemand wundern, wenn ich auf Russen schlecht zu sprechen bin – es war
nicht das erste Mal. Ich vermute Taktik dahinter.
Ein
Teenager, der schon seit Jahren zu mir kommt und der von mir riesige
Unterstützung erhält, ist am Freitagmorgen nicht gekommen. Die Mutter stand
zehn Minuten vorher an meiner Tür; da ich aber mit der Zahnbürste im Mund aufmachte,
hat sie nichts gesagt. Und eine halbe Stunde vorher musste ich einem Freund
eine Absage geben. Ich bin fast geplatzt vor Wut.
Heute Morgen hätte ein mit einer deutschen Frau liierter Mann kommen
sollen. Er hatte mich über WhatsApp mit Nachrichten überschüttet und mich dann
am Telefon von seiner Klugheit und Intelligenz vollgequasselt. Dass er keinen
Respekt hat, hat er mir nicht gesagt. Solche Fälle erlebe ich regelmässig.
Alles in allem ist mir in den vergangenen drei Wochen über eine halbe
Arbeitswoche Einkommen verloren gegangen. Dabei führe ich eine Warteliste!
Eine junge Mutter kam beim ersten Unterricht mit ihrem Kind; ein
andermal rief sie vom Krankenhaus an, ihr Kleinkind hätte Fieber. Das war aber
schon, nachdem sie hier hätte sein sollen. Wusste sie das vorher nicht? Dazu
muss man noch wissen, dass hier wegen jedem Husten jeder zum Arzt oder ins
Krankenhaus fährt. Hausmittel oder sich selbst helfen existiert hier nicht.
Jedenfalls kam sie noch ein oder zweimal nicht, entschuldigte sich aber
jeweils. Am Montag kam sie gar nicht mehr. Sie ist Ingenieurin, also gebildet
und an Geld fehlt es nicht. Wahrscheinlich hat sie sich geschämt, wieder
abzusagen und sich deshalb nicht mehr gemeldet. Als ob das der bessere Weg
wäre!
Auf einem
langen Marsch in der Wüste habe ich mich heute beruhigt, an meinen
holländischen Kollegen gedacht und überlegt, wie ich noch etwas besser mit
dieser Situation umgehen kann. Ich habe ja keine Lust, mich ständig aufzuregen.
Zu meinen relativ harten Geschäftsbedingungen kommen jetzt halt noch weitere
hinzu. Und die anderen kriegen keine sogenannte zweite Chance mehr. Sie
bekommen nicht mal eine Nachricht. Auch nicht die Mama mit ihrem Teenager, die
ich seit Jahren unterstütze.
Das tut
weh. Aber entweder ich oder sie. Das Leben hier lehrt mich das. Immer wieder
von neuem.
*****
Und während
ich mir etwas den Frust von der Leber schreibe und euch Lesern vielleicht einen
Einblick in hiesige Un-Gepflogenheiten verschaffe, stopfe ich mir den Bauch mit
köstlichen Keksen voll, die mir gestern zwei Studenten geschenkt haben; eine
riesige Platte aus einer der besten Bäckereien! Aus Dankbarkeit für meinen
Unterricht, aus Freundschaft. Auch das kommt immer wieder vor!
Hallo, Qamar! Habe eben Deinen Frust-Bericht gelesen. WIE sehr kann ich nachfühlen, was Dir in den letzten Wochen geschehen ist... ich gebe selbst seit mehr als 35 Jahren Unterricht in Deutsch + Fremdsprachen - arbeite fächerübergreifend ... und kenne diese teilweise große Nachlässigkeit von Schülern, gleich welchen Alters bzw. Bildungsstufe. - Und das geschieht in Deutschland. Durch mehr als 55 Aufenthalte in Ägypten kenne ich - ein ganz klein wenig - die "Lässigkeit", mit der viele Einheimische Treffpunkte oder Termine behandeln - auf Deutsch familiär ausgedrückt: schlumperig, nee: schlampig und pampig... - Trotzdem machen mir "meine" Kinder Freude. Ich wünsche Dir zukünftig eine Lederhaut...(!) und eine Warteliste, von der Du jede/n rigoros streichst, wenn sie mehr als einmal ohne Absage Termine verschlampern. Toi-toi-toi!
AntwortenLöschenHallo Horeya, danke für die Aufmunterung :)
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