In den deutschsprachigen sozialen Medien liest sich momentan
viel über Ausländerfeindlichkeit, Rechtsdruck und in den letzten paar Tagen (Oktober
2019) sogar über tödliche Anschläge auf religiöse Einrichtungen und Ausländer.
Diese Entwicklungen beobachte ich schon lange mit grosser
Sorge. Ich kenne die Geschichte und mir graut vor dem, was Menschen mit ihrem
Hass auf Fremde anrichten können.
Dabei lebe ich ja auch als Fremde in einem Land, das eine
völlig andere Kultur und Mentalität zelebriert. Sie ist mir nach wie vor fremd,
ich arrangiere mich. Sie wird mir immer fremd bleiben, auch wenn ich vieles
verstehe und nachvollziehen kann.
Manchmal spüre auch ich, wie ich mit gewissen Umständen
nicht klar komme, wie z.B. die in voller Lautstärke geplärrten Gebetsaufrufe
fünfmal am Tag. „Jetzt jodeln sie wieder“, denke ich oder ich stelle fest, wie spät
es schon wieder ist… Manchmal sehe ich auch dabei zu, wie Männer zu den
Moscheen strömen, um sich von einem vom Staat indoktrinieren Imam vollquatschen
zu lassen, und dann zu beten. Nur, um danach wieder ihrem Geschäft nachzugehen:
Betrügen, übers Ohr hauen, aussereheliche Beziehungen. Nicht alle natürlich,
aber in Hurghada häufig. Um klarzustellen: Hurghada ist eine Touristenstadt, wo
sich alles Mögliche tummelt, anständige wie miese Typen, Hochgebildete wie
Analphabeten, Ehrliche wie Kriminelle.
Ich ertappe mich dabei, wie sich auch mein Horizont manchmal
verengt, meine (eingebildete?) Offenheit gar nicht so offen ist, meine
(eingebildete?) Toleranz Dellen aufweist.
Da trifft es sich gut, verbringe ich zwei Wochen auf dem
Sinai. Auch wenn die begehrte Halbinsel heute zum Staat Ägypten gehört, ist der
Sinai nicht wirklich Ägypten. Er ist Beduinenland (mit Ausnahme der
Hotelansammlungen von Sharm vielleicht).
Ausgerechnet am 6. Oktober war ich hier, dem Tag, an dem
Ägypten die Rückeroberung von Israel feiert. Und genau an dem Tag war ich an
der israelischen Grenze. Für mich war das etwas Besonderes.
Israelis dürfen von Eilat kommend bis nach Sharm und nach
St. Katherin fahren, brauchen dafür kein Visum, bezahlen nur eine
Einreisegebühr. Folglich sind die Mehrheit der Hotelgäste und auch in den
einfachen Camps der Beduinen Israelis. Sie sind nett. Sie sind Menschen, wie du
und ich. Sie haben rote oder blonde Haare und helle Haut, wie viele Leute in
Europa. Sie sind dunkel und sehen aus wie Araber. Oder auch anders. Sie tragen
weder Kippas, noch Schläfenzöpfchen. Sie tragen auch keine langen, schwarzen
Gewänder, sondern knappe Bikinis und viele rauchen Haschisch. Sie fahren Audis
und Skoda Octavia und tragen ihren Schmuck zur Schau. Sie schwimmen im Meer,
frühstücken und glotzen ins Smartphone.
„Wir kommen ursprünglich aus Jerusalem“ erzählt mir der
Vater von drei Kindern. Es hört sich für mich komisch an. Jerusalem. Mein Hirn
versucht sich von der bestehenden Verknüpfung zu lösen, welche den Ort mit der
Geburt Christi oder mit Schikanen gegenüber Nicht-Juden zusammen bringt. Ja,
natürlich: Jerusalem, da wohnen Menschen wie du und ich. Sie haben Kinder,
gehen zur Arbeit, reisen, fahren Auto. „Aber jetzt wohnen wir in einer
Schlafstadt nahe Tel Aviv. Dort gehen unsere Kinder zur Schule. Meine Frau
reist beruflich durch ganz Israel und ich arbeite von zu Hause aus.“
Die Beduinen tragen ihre weissen Kaftane und die Kuffia auf
dem Kopf, fahren Pick-ups mit übersetzter Geschwindigkeit, hocken auf dem Boden
und trinken süssen Tee. Sie sehen aus wie die Saudis. Die mag ich nicht. Ganz
einfach deshalb, weil ich noch nie etwas Positives von den Bewohnern der arabischen
Halbinsel gehört habe und obwohl ich noch nie einen persönlich getroffen habe.
Doch: Jeder Beduine lädt zuerst zu einem Getränk ein, bevor
es um eine Auskunft oder Geschäftliches geht. Sie sind überaus höflich,
hilfsbereit und herzlich. Sie essen gemeinsam auf Teppichen sitzend aus einer
grossen Schüssel. Sie schwimmen im Meer und schnorcheln. Manche Tragen Shorts
und T-Shirts. Sie ziehen ihre Schuhe aus, bevor sie den Teppich betreten
(Ausländer muss man darauf hinweisen). Sie sind nett, sie sind Menschen, wie du
und ich.
Ich mag Israel nicht. Ich meine damit aber nicht das Land
und die Leute, sondern die Politik. Und wenn ich genau bin, dann trifft das auf
viele Länder zu, es werden immer mehr. Die Medien beeinflussen mich, lullen
mich ein, malen mir ein Bild darüber vor, wer böse ist und wer nicht, was
wichtig ist und was nicht, ja sogar, was richtig ist und was nicht. Die Medien
haben einen unerhörten Einfluss auf unsere Denkweise und damit auf unsere
Ansichten und unser Weltbild. Genauso wie der Schulunterricht, bei dem uns
damals aufgezeigt wurde, wer „schlecht“ und wer „gut“ war.
Ich sehe nicht fern, ich hole mir meine Informationen aus
dem Internet. Dort geht es aber genauso beeinflussend und Hirn wäschend zu und
her. Manchmal bin ich froh, dass ich Zugriff auf „alternative“ Informationen
habe (das ist hier in diesem Land gar nicht so einfach, denn über 600 Webseiten
sind gesperrt und das Ende ist noch fern). Diese alternativen Informationen
kommen von freien Journalisten, Aktivisten, Literaten, Filmen, aber auch ganz
einfach von Menschen, die da leben oder in die Ferien kommen.
Meine unmittelbare Nähe zu Israel, Jordanien und
Saudi-Arabien hat mich aufgerüttelt, hat mich dazu gebracht, meinen Blick über
den Tellerrand zu heben. Ich bin froh darüber und deshalb erzähle ich das hier.
Ein Coach sagte mir mal „In order to see better, you have to change your
position” (um besser zu sehen, muss man seine Position verändern, d.h. der
Blickwinkel verändert sich).
Die Ausländerfeindlichkeit, der Fremdenhass, der politische
Rechtsdruck kommt schlussendlich nur daher, weil wir die „anderen“ nicht kennen
und nicht verstehen. Sie sehen anders aus, reden anders, essen anders, riechen
anders, nur so als Beispiel.
Mir fällt da ein, wie schwer es die Italiener damals bei uns
hatten. Sie assen Knoblauch und das roch man. Sie konnten kein Deutsch.
Dass wir aber eher fad essen und auch kein Italienisch konnten, hat uns nicht
gestört.
Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass kommen von
Unwissenheit und Ignoranz. Für die Politik ein gefundenes Fressen, um die
Menschen zu teilen, zu beherrschen (divide et impera!) und zu manipulieren.
Dagegen hilft nur: Reisen, hinausgehen in die grosse, weite Welt. Das ist nicht
immer bequem, aber es verändert das Weltbild, zerrt an eingravierten
Vorstellungen und bringt schlussendlich Erkenntnis.
Ich bin froh, hatte ich die Gelegenheit endlich mal wieder.
Bleibt mir aber die Frage: Wie kann ich das weitergeben?
Hallo, Danke für Deine tollen Berichte. Leider wusste man lange nicht, warum man nichts neues lesen konnte. Ein halbes Jahr Ruhe machte den Eindruck, das Leben in Ägypten wäre Geschichte. Da wir selbst viel in Ägypten sind, lesen wir gern von deinen Erfahrungen in dieser Kultur.
AntwortenLöschenUns treibt immer die Frage um, ob man auch ohne Sprachkenntnisse dort teilweise leben könnte und wo? Im April sehen wir auch wieder den Sinai!
Deine Ausführungen zur Ausländerfeindlichkeit stellt sich leider in unserer gesamten Welt. LG Marion und Falk
Hallo
LöschenEin paar Brocken Englisch wären schon sinnvoll, sonst brauchst du immer einen Übersetzer - das verlangt wieder Vertrauen.
Liebe El-Qamar, ich war mit meiner Familie in der letzten Woche das erste Mal in Hurghada im Urlaub und bin über die Empfehlung des Marco Polo Reiseführers auf Ihren Blog gestoßen. Vor Ort haben mich viele Fragen beschäftigt und ich habe viele Ihrer Beiträge gelesen. Vielen Dank dafür, sie waren für das Verständnis des Landes und der Kultur sehr bereichernd!!!!
AntwortenLöschenMit ganz herzlichen Grüßen, Maya
Mein Blog ist im Marco Polo Reiseführer empfohlen? Wow, welche Ehre!
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