Reisenotizen und Gedankensplitter
Von Sharm nach Dahab
Hinter mir liegt Sharm, die schicke Touristenstadt, die sich
über 30 km die Küste entlang zieht, und eigentlich nur aus Hotelanlagen
besteht. Sharm (und damit der ganze südliche Sinai) hat die vergangenen Jahre
sehr gelitten, die Touristen blieben aus. Seit kurzem geht es wieder langsam aufwärts.
Die meisten Gäste kommen aus dem Golf und Israel, einige aus der Ukraine sowie
aus Weissrussland und auch die Italiener kehren vorsichtig zurück. Die anderen Europäer
machen sich noch rar. Zu Unrecht, finde ich. Es ist genauso sicher wie in
Hurghada drüben und, das ist meine persönliche Meinung, die Hotels bieten mehr
Klasse.
Ein Freund, der den grössten Teil seines Lebens in Dahab
verbracht hat, schwärmt von der Kraft, welche der Sinai in sich hat. Er, der
Freund, hat zu Fuss in 14 Tagen die Östliche Wüste vom Roten Meer bis zum Nil
durchquert. „Ich mag sie aber nicht“, meint er. Erstens sei es eine sehr trockene
Wüste, es gebe sehr wenig Wasser dort. Für mich ist es eigentlich logisch, dass
es in einer Wüste trocken ist und wenig Wasser hat. Doch er fährt weiter: „Dort
ist keine Energie. Ich habe nichts gespürt. Hier, im Sinai, ist das komplett
anders. Hier spüre ich eine enorme Kraft.“
Vielleicht zieht es deshalb so viele Hippies nach Dahab? Das
kleine Dorf knapp 100 km nördlich von Sharm zieht buntes Volk aus aller Welt
an. Junge mit Rastazöpfchen und bunten Hosen übernachten hier in einfachen
Camps, musizieren und rauchen Joints. Taucher kommen natürlich auch, obwohl die
Riffe teilweise schwer beschädigt sind. Ein besonderer Anziehungspunkt ist das
Blue Hole (das Blaue Loch), in dem Apnoetaucher ihre Grenzen testen und dies
auch mal mit ihrem Leben bezahlen. Wer nicht taucht, hängt in den direkt am
Meer liegenden Cafés und Restaurants herum, die mit Teppichen und Sitzkissen
ausgestattet zum Hinlümmeln einladen. Das Geschäft läuft und manch ein Besucher
bleibt hier hängen, lässt sich nieder und versucht ein neues Leben aufzubauen.
Vor mir Natur und Ruhe
Die Strasse windet sich in die Höhe, links und rechts türmen
sich ockerfarbene und rötlich schimmernde Felsen. Oder graue und schwarze. Da
und dort streckt eine einsame Akazie fürsorglich ihre Äste über Sand und Steine
aus und spendet etwas Schatten. Die Sonne brennt von einem makellos blauen
Himmel. Vornehmlich weisse Pick-ups rauschen an mir vorbei und ich denke mir:
„Es ist ihr Land, sie fahren, wie sie wollen.“ Der Sinai gehört seit über vier
Jahrzehnten wieder zum Staat Ägypten, aber der Sinai ist nicht Ägypten. Er ist
Beduinenland.
Oft verschwinden die Pick-ups über eine Sandpiste zwischen
den Felsen. Dort hinein zu verschwinden, mitten in die Berge, weg vom Trubel
und der Hektik, davon träume ich schon lange. Stattdessen rolle ich in meinem
schwarzen, schwerfälligen Mietauto stumm die Hauptstrasse vom Pass hinunter. Nicht
mal Musik hören geht in der Kiste. Folglich gilt meine volle Aufmerksamkeit der
Landschaft: Der Blick würde mir die Sprache verschlagen, würde ich denn reden:
In allerlei Blautönen liegt der Golf von Aqaba vor mir, glitzert wie frisch
gefallener Schnee an einem sonnigen Wintertag. Der Golf von Aqaba ist Teil des
Roten Meeres, der Israel, Jordanien und Saudi Arabien mit Ägypten verbindet,
auch wenn er politisch eher in ein trennendes Element umfunktioniert wurde.
„Vor ein paar Jahren, als Mubarak wegging, und davor, nach
dem Anschlag 2004 hatten wir überhaupt nichts mehr.“ Ahmed kümmert sich um den
Hinterreifen an meinem Mietwagen. Dem ist die Luft ausgegangen und ich stell
grad fest, dass das Profil grad noch knapp sichtbar ist. Typisch. Der Wagen ist
nicht in dem Zustand, wie vom Vermieter versprochen.
Ahmed erzählt mir, dass die Beduinen damals die Strassen
sicherten und nicht die Polizei. „Wir sind hier zwei grosse Familien [Stämme].“
Die Tarabin und die Muzeina. Nur sie kennen sich in den Bergen aus, schützen
die Durchgänge in die Täler und wissen, wo Gefahr droht. „Hör nicht auf die
Politiker und die Medien. Was du da hörst, stimmt nicht. Wir sind 300 km vom
Norden entfernt, dort, wo es Probleme gibt. Hier ist es sicher.“ Doch es kommen
fast nur Israelis. Gemäss einer Vereinbarung zwischen Ägypten und Israel dürfen
sie bis Sharm El Sheich und bis nach Sankt Kathrin ohne Bewilligung reisen.
„Wenn wir Probleme haben, regeln wir das selbst miteinander.
Wir haben unsere Regeln und leben danach.“ Bevor Ahmed Luft in den Reifen
lässt, schiebt er mit dem Finger etwas Sand an den Pneu. Am nächsten Morgen prüft
er die Markierung: Der Reifen hält. Einmal hatte er zwei Platten mitten in der
Wüste, das habe ihn gelehrt, vorausschauend zu denken und zu handeln. Er blickt
mich stolz an und ich bin ihm für seine Hilfe dankbar.
Camp ist nicht Camp
Zuerst übernachte ich in einem Camp, das von einem Ägypter
geführt wird. Die Begrüssung war nett und freundlich und Hossam ist jederzeit
zu einem Schwatz bereit. Aber das Camp macht einen eher verwahrlosten Eindruck,
ist unordentlich und nicht sauber. Ich habe keinen der Angestellten beim Saubermachen
oder Aufräumen ertappt. Sie bewegen sich Nerv tötend träge. Am ersten Morgen bitte
ich darum, dass man doch vor dem Frühstück den Tisch abwischen möge. Am zweiten
Morgen tauchen die Angestellten völlig verschlafen erst nach 10 Uhr früh auf („Ist
die Katz aus dem Haus…“) – bis dahin hatte manch ein Gast vergeblich versucht,
sich selbst wenigstens einen Tee oder Kaffee zuzubereiten.
Dass es auch anders geht, habe ich später entdeckt. Mehrere
Camps habe ich abgeklappert, um für mich eine sauberere Bleibe zu finden. Und
siehe da: Überall wurde ich von Beduinen aufs herzlichste begrüsst. Höflich
zeigten sie mir die Hütten, die Chalets und die sanitären Anlagen. Die Hütten
heissen eigentlich „Chuscha“, ein Begriff aus dem Hebräischen, der nach dem
Abzug der Israelis geblieben ist. Sie bestehen aus Schilf, sind mit Teppichen
und Matratzen ausgestattet und lassen sich mit einem Vorhängeschloss
abschliessen. Strom ist vorhanden, wenn er nicht grad abgestellt ist, und damit
etwas Licht und ein Ventilator. Es gibt auch luxuriösere Varianten, die mit
einer richtigen Bettstatt und vielleicht sogar einem Nachtkästchen oder einem
Tisch möbliert sind. Moskitonetze stehen zur Verfügung.
Dutzende von Camps säumen die Küste von Nuweiba bis Taba. Doch
immer wieder gibt es zum Glück auch naturbelassenes Land. Sand, Steine, ein
paar Büsche, eine Akazie vielleicht. Sicher ein Schatten spendender Unterstand.
Hierher kommen die Beduinen, verbringen den freien Tag, fischen, Kinder spielen.
In der Ferne leuchtet eine dieser hellen, leicht zum Meer
hin abfallenden Sandflächen. Auf dem herrlichen Flecken sticht das Grün der
Akazien auffallend hervor. Dort vorne, dem Meer zugewandt, der Wirklichkeit entrückt, sitzt reglos eine
Gestalt. Das Weiss des Gewandes leuchtet vor dem Blau des Meeres. „Behalte das
Stück Land, verkaufe es nicht,“ schiesst es mir durch den Kopf. Die Schönheit
und die Ruhe dieses Plätzchens berühren mich und ich nehme unvermittelt den
Fuss vom Gaspedal.
In dem Camp, für das ich mich dann entschieden habe, sind
die Angestellten schon vor 7 Uhr früh auf den Beinen. Sie räumen die Spuren des
Vorabends auf, rechen den Sand, bürsten die Teppiche, richten die Sitzkissen gerade
und bereiten das Frühstück zu. Kein aufdringliches Gerede, keine Belästigungen,
stets freundlich, höflich, aufmerksam und hilfsbereit. Beduinen. Das Volk in
Hurghada könnte sich davon ein Stück abschneiden. „Wir möchten, dass sich
unsere Gäste hier wohlfühlen. Manchmal weisen wir ägyptische Gruppen ab, obwohl
wir Platz hätten. Wir wollen kein Rambazamba hier. Wir wollen Ruhe und Frieden,“
erklärt mir Khaled.
Stundenlang sitze ich auf der hübschen Sonnenliege aus Holz
mit hellblauer Auflage und sehe den Wellen zu, wie sie unermüdlich ans Ufer
schwappen, oder hinüber zur anderen Küste. Tagsüber spaziere ich dem Ufer
entlang, schnorchle oder schwimme. Fernab von Lärm und Alltag erhole ich mich
und tanke auf. Meine Gedanken schweifen aus.
In der Nacht
Nachts sitze ich ebenfalls auf der Liege und gucke in den
Nachthimmel mit seinen leuchtenden Sternen und dem Vollmond, der grosszügig
sein Licht übers Meer wirft. Wieder lausche ich den Geräuschen, welche die
Wellen, die Steine und der Sand entwerfen.
Die sanft ans Ufer rollenden Wellen lullen mich in den
Schlaf. Unermüdlich, zuverlässig, schubsen die Erdkräfte das Wasser an, egal,
was da rund um den Globus geschieht. Ebbe. Flut. Ebbe. Flut. Die Wellen rollen
klaglos, lautlos, teilnahmslos.
Doch einmal werde ich durch ein dumpfes Grollen und Krachen
geweckt. In Sekundenschnelle, obwohl schlaftrunken, erfasse ich die Situation:
Ein Gewitter! Aufgeregt krieche ich unter dem Moskitonetz hervor, ziehe reflexartig
den Stecker des Ventilators aus der Steckdose und öffne die Türe. Am Himmel
präsentiert sich mir ein herrliches Spektakel: Blitze spannen über den Horizont
und entladen sich krachend im Nirgendwo. Dunkle Wolken drohen ihr Gewicht ziellos abzuladen. Es regnet grad genug, damit ich ein paar
Tropfen durch das Schilfdach meiner Chuscha spüre. Schnell packe ich meinen
Laptop ein und bringe ihn ins Auto in Sicherheit. Auch meine Klamotten stopfe
ich in den Koffer. Während ich das nächtliche Spektakel geniesse, das Entladen
der Naturgewalten so lange vermissend, überlege ich mir, was ich mache, sollte es
wirklich ernsthaft regnen. Unnötige Gedanken. Nach einer Weile verziehen sich
die Blitze und ich mich wieder unters Moskitonetz.
Abfall für alle
Es ist offensichtlich, dass diese riesige Halbinsel zwischen
Afrika und Asien jahrzehntelang wirtschaftlich vernachlässigt wurde. Die
Menschen leben sehr einfach. Kinder durchsuchen in Nuweiba den Abfall (nicht
anders als in Hurghada); nur hier sind sie nicht mit dem Pickup oder dem knatternden
Dreirad unterwegs, sondern mit dem Kamel. Allerdings bin ich nicht so sicher,
ob die wirtschaftliche Vernachlässigung nicht doch ein Segen für die Kultur der
Beduinen und die Natur dieser alten, geschichtsträchtigen Halbinsel ist.
Da und dort warnen Strassenschilder vor Kamelen. Und
tatsächlich sehe ich auf meiner Rückfahrt nach Sharm eine Herde dieser
Nutztiere. Seelenruhig überqueren sie die Fahrbahn und begutachten den Inhalt
der am Strassenrand liegenden Abfallsäcke (welch Schande! – jagt es mir durch
den Kopf). Doch sie bleiben cool. Ein Minibus hält an und die Insassen lassen
sich mit einem der Kamele fotografieren. Unterdessen haben sich die anderen
Kamele schon wieder auf den Rückweg gemacht, die Abfallsäcke enthalten wohl
nicht das, wonach sie suchen. Als sie merken, dass einer ihrer Kameraden zurück
bleibt, warten sie. Das Leitkamel dreht sich immer wieder um, um zu sehen, wo
der mit den Touristen posierende Kollege bleibt.
Hoffentlich komme ich bald wieder...
Golf von Aqaba in Sichtweite |
Zwischen Tag und Nacht |
Nach dem Gewitter |
Vollmond |
sauber & gepflegt |
so geht's ja auch :) |
Camp ist nicht Camp, aber das Meer bleibt |
Fjord bei Taba |
kurz vor Taba |
Einladung |
Aussicht |
Braucht es noch mehr? |
Überblick |
Was soll ich dazu erklären? |
Atemberaubend - vermisse die Berge |
Wenn Natur und Zivilisation aufeinander treffen |
Die östliche Wüste ist interessanter als man denkt. Archäologisch ist sie interessant, da auf der Höhe von Safaga die Nilschleife den kürzesten Weg vom roten Meer zum Nil für Transporte in der Antike offenbarte, es gab ja noch keinen Suez-Kanal. Die Römer bauten edle Gesteine für ihr Reich hier ab und deren Bauten sollen gut erhalten sein, da es hier nicht den üblichen Steinraub gab. Mons Claudianus ist so ein Ort der hier sehr kenntnisreich beschrieben wird: https://de.wikisource.org/wiki/Eine_verlassene_W%C3%BCstenstadt Auch auf der Höhe von Hurghada wurde Stein abgebaut im: "Mons Porphyrites". Die Wüste ist hier spannender als man zu meinen glaubt...
AntwortenLöschen@Drgan
AntwortenLöschenDas stimmt. Nur hat das nicht viel mit dem Sinai zu tun, um den es hier geht.