Sonntag, Dezember 08, 2019

Sinai – ein bisschen am Rande der Welt


Reisenotizen und Gedankensplitter

Von Sharm nach Dahab

Hinter mir liegt Sharm, die schicke Touristenstadt, die sich über 30 km die Küste entlang zieht, und eigentlich nur aus Hotelanlagen besteht. Sharm (und damit der ganze südliche Sinai) hat die vergangenen Jahre sehr gelitten, die Touristen blieben aus. Seit kurzem geht es wieder langsam aufwärts. Die meisten Gäste kommen aus dem Golf und Israel, einige aus der Ukraine sowie aus Weissrussland und auch die Italiener kehren vorsichtig zurück. Die anderen Europäer machen sich noch rar. Zu Unrecht, finde ich. Es ist genauso sicher wie in Hurghada drüben und, das ist meine persönliche Meinung, die Hotels bieten mehr Klasse.

Ein Freund, der den grössten Teil seines Lebens in Dahab verbracht hat, schwärmt von der Kraft, welche der Sinai in sich hat. Er, der Freund, hat zu Fuss in 14 Tagen die Östliche Wüste vom Roten Meer bis zum Nil durchquert. „Ich mag sie aber nicht“, meint er. Erstens sei es eine sehr trockene Wüste, es gebe sehr wenig Wasser dort. Für mich ist es eigentlich logisch, dass es in einer Wüste trocken ist und wenig Wasser hat. Doch er fährt weiter: „Dort ist keine Energie. Ich habe nichts gespürt. Hier, im Sinai, ist das komplett anders. Hier spüre ich eine enorme Kraft.“


Vielleicht zieht es deshalb so viele Hippies nach Dahab? Das kleine Dorf knapp 100 km nördlich von Sharm zieht buntes Volk aus aller Welt an. Junge mit Rastazöpfchen und bunten Hosen übernachten hier in einfachen Camps, musizieren und rauchen Joints. Taucher kommen natürlich auch, obwohl die Riffe teilweise schwer beschädigt sind. Ein besonderer Anziehungspunkt ist das Blue Hole (das Blaue Loch), in dem Apnoetaucher ihre Grenzen testen und dies auch mal mit ihrem Leben bezahlen. Wer nicht taucht, hängt in den direkt am Meer liegenden Cafés und Restaurants herum, die mit Teppichen und Sitzkissen ausgestattet zum Hinlümmeln einladen. Das Geschäft läuft und manch ein Besucher bleibt hier hängen, lässt sich nieder und versucht ein neues Leben aufzubauen.

Vor mir Natur und Ruhe

Die Strasse windet sich in die Höhe, links und rechts türmen sich ockerfarbene und rötlich schimmernde Felsen. Oder graue und schwarze. Da und dort streckt eine einsame Akazie fürsorglich ihre Äste über Sand und Steine aus und spendet etwas Schatten. Die Sonne brennt von einem makellos blauen Himmel. Vornehmlich weisse Pick-ups rauschen an mir vorbei und ich denke mir: „Es ist ihr Land, sie fahren, wie sie wollen.“ Der Sinai gehört seit über vier Jahrzehnten wieder zum Staat Ägypten, aber der Sinai ist nicht Ägypten. Er ist Beduinenland.

Oft verschwinden die Pick-ups über eine Sandpiste zwischen den Felsen. Dort hinein zu verschwinden, mitten in die Berge, weg vom Trubel und der Hektik, davon träume ich schon lange. Stattdessen rolle ich in meinem schwarzen, schwerfälligen Mietauto stumm die Hauptstrasse vom Pass hinunter. Nicht mal Musik hören geht in der Kiste. Folglich gilt meine volle Aufmerksamkeit der Landschaft: Der Blick würde mir die Sprache verschlagen, würde ich denn reden: In allerlei Blautönen liegt der Golf von Aqaba vor mir, glitzert wie frisch gefallener Schnee an einem sonnigen Wintertag. Der Golf von Aqaba ist Teil des Roten Meeres, der Israel, Jordanien und Saudi Arabien mit Ägypten verbindet, auch wenn er politisch eher in ein trennendes Element umfunktioniert wurde.

„Vor ein paar Jahren, als Mubarak wegging, und davor, nach dem Anschlag 2004 hatten wir überhaupt nichts mehr.“ Ahmed kümmert sich um den Hinterreifen an meinem Mietwagen. Dem ist die Luft ausgegangen und ich stell grad fest, dass das Profil grad noch knapp sichtbar ist. Typisch. Der Wagen ist nicht in dem Zustand, wie vom Vermieter versprochen.

Ahmed erzählt mir, dass die Beduinen damals die Strassen sicherten und nicht die Polizei. „Wir sind hier zwei grosse Familien [Stämme].“ Die Tarabin und die Muzeina. Nur sie kennen sich in den Bergen aus, schützen die Durchgänge in die Täler und wissen, wo Gefahr droht. „Hör nicht auf die Politiker und die Medien. Was du da hörst, stimmt nicht. Wir sind 300 km vom Norden entfernt, dort, wo es Probleme gibt. Hier ist es sicher.“ Doch es kommen fast nur Israelis. Gemäss einer Vereinbarung zwischen Ägypten und Israel dürfen sie bis Sharm El Sheich und bis nach Sankt Kathrin ohne Bewilligung reisen.

„Wenn wir Probleme haben, regeln wir das selbst miteinander. Wir haben unsere Regeln und leben danach.“ Bevor Ahmed Luft in den Reifen lässt, schiebt er mit dem Finger etwas Sand an den Pneu. Am nächsten Morgen prüft er die Markierung: Der Reifen hält. Einmal hatte er zwei Platten mitten in der Wüste, das habe ihn gelehrt, vorausschauend zu denken und zu handeln. Er blickt mich stolz an und ich bin ihm für seine Hilfe dankbar.

Camp ist nicht Camp

Zuerst übernachte ich in einem Camp, das von einem Ägypter geführt wird. Die Begrüssung war nett und freundlich und Hossam ist jederzeit zu einem Schwatz bereit. Aber das Camp macht einen eher verwahrlosten Eindruck, ist unordentlich und nicht sauber. Ich habe keinen der Angestellten beim Saubermachen oder Aufräumen ertappt. Sie bewegen sich Nerv tötend träge. Am ersten Morgen bitte ich darum, dass man doch vor dem Frühstück den Tisch abwischen möge. Am zweiten Morgen tauchen die Angestellten völlig verschlafen erst nach 10 Uhr früh auf („Ist die Katz aus dem Haus…“) – bis dahin hatte manch ein Gast vergeblich versucht, sich selbst wenigstens einen Tee oder Kaffee zuzubereiten.

Dass es auch anders geht, habe ich später entdeckt. Mehrere Camps habe ich abgeklappert, um für mich eine sauberere Bleibe zu finden. Und siehe da: Überall wurde ich von Beduinen aufs herzlichste begrüsst. Höflich zeigten sie mir die Hütten, die Chalets und die sanitären Anlagen. Die Hütten heissen eigentlich „Chuscha“, ein Begriff aus dem Hebräischen, der nach dem Abzug der Israelis geblieben ist. Sie bestehen aus Schilf, sind mit Teppichen und Matratzen ausgestattet und lassen sich mit einem Vorhängeschloss abschliessen. Strom ist vorhanden, wenn er nicht grad abgestellt ist, und damit etwas Licht und ein Ventilator. Es gibt auch luxuriösere Varianten, die mit einer richtigen Bettstatt und vielleicht sogar einem Nachtkästchen oder einem Tisch möbliert sind. Moskitonetze stehen zur Verfügung.

Dutzende von Camps säumen die Küste von Nuweiba bis Taba. Doch immer wieder gibt es zum Glück auch naturbelassenes Land. Sand, Steine, ein paar Büsche, eine Akazie vielleicht. Sicher ein Schatten spendender Unterstand. Hierher kommen die Beduinen, verbringen den freien Tag, fischen, Kinder spielen.

In der Ferne leuchtet eine dieser hellen, leicht zum Meer hin abfallenden Sandflächen. Auf dem herrlichen Flecken sticht das Grün der Akazien auffallend hervor. Dort vorne, dem Meer zugewandt, der Wirklichkeit entrückt, sitzt reglos eine Gestalt. Das Weiss des Gewandes leuchtet vor dem Blau des Meeres. „Behalte das Stück Land, verkaufe es nicht,“ schiesst es mir durch den Kopf. Die Schönheit und die Ruhe dieses Plätzchens berühren mich und ich nehme unvermittelt den Fuss vom Gaspedal.

In dem Camp, für das ich mich dann entschieden habe, sind die Angestellten schon vor 7 Uhr früh auf den Beinen. Sie räumen die Spuren des Vorabends auf, rechen den Sand, bürsten die Teppiche, richten die Sitzkissen gerade und bereiten das Frühstück zu. Kein aufdringliches Gerede, keine Belästigungen, stets freundlich, höflich, aufmerksam und hilfsbereit. Beduinen. Das Volk in Hurghada könnte sich davon ein Stück abschneiden. „Wir möchten, dass sich unsere Gäste hier wohlfühlen. Manchmal weisen wir ägyptische Gruppen ab, obwohl wir Platz hätten. Wir wollen kein Rambazamba hier. Wir wollen Ruhe und Frieden,“ erklärt mir Khaled.

Stundenlang sitze ich auf der hübschen Sonnenliege aus Holz mit hellblauer Auflage und sehe den Wellen zu, wie sie unermüdlich ans Ufer schwappen, oder hinüber zur anderen Küste. Tagsüber spaziere ich dem Ufer entlang, schnorchle oder schwimme. Fernab von Lärm und Alltag erhole ich mich und tanke auf. Meine Gedanken schweifen aus.

In der Nacht

Nachts sitze ich ebenfalls auf der Liege und gucke in den Nachthimmel mit seinen leuchtenden Sternen und dem Vollmond, der grosszügig sein Licht übers Meer wirft. Wieder lausche ich den Geräuschen, welche die Wellen, die Steine und der Sand entwerfen.

Die sanft ans Ufer rollenden Wellen lullen mich in den Schlaf. Unermüdlich, zuverlässig, schubsen die Erdkräfte das Wasser an, egal, was da rund um den Globus geschieht. Ebbe. Flut. Ebbe. Flut. Die Wellen rollen klaglos, lautlos, teilnahmslos.

Doch einmal werde ich durch ein dumpfes Grollen und Krachen geweckt. In Sekundenschnelle, obwohl schlaftrunken, erfasse ich die Situation: Ein Gewitter! Aufgeregt krieche ich unter dem Moskitonetz hervor, ziehe reflexartig den Stecker des Ventilators aus der Steckdose und öffne die Türe. Am Himmel präsentiert sich mir ein herrliches Spektakel: Blitze spannen über den Horizont und entladen sich krachend im Nirgendwo. Dunkle Wolken drohen ihr Gewicht ziellos abzuladen. Es regnet grad genug, damit ich ein paar Tropfen durch das Schilfdach meiner Chuscha spüre. Schnell packe ich meinen Laptop ein und bringe ihn ins Auto in Sicherheit. Auch meine Klamotten stopfe ich in den Koffer. Während ich das nächtliche Spektakel geniesse, das Entladen der Naturgewalten so lange vermissend, überlege ich mir, was ich mache, sollte es wirklich ernsthaft regnen. Unnötige Gedanken. Nach einer Weile verziehen sich die Blitze und ich mich wieder unters Moskitonetz.

Abfall für alle

Es ist offensichtlich, dass diese riesige Halbinsel zwischen Afrika und Asien jahrzehntelang wirtschaftlich vernachlässigt wurde. Die Menschen leben sehr einfach. Kinder durchsuchen in Nuweiba den Abfall (nicht anders als in Hurghada); nur hier sind sie nicht mit dem Pickup oder dem knatternden Dreirad unterwegs, sondern mit dem Kamel. Allerdings bin ich nicht so sicher, ob die wirtschaftliche Vernachlässigung nicht doch ein Segen für die Kultur der Beduinen und die Natur dieser alten, geschichtsträchtigen Halbinsel ist.

Da und dort warnen Strassenschilder vor Kamelen. Und tatsächlich sehe ich auf meiner Rückfahrt nach Sharm eine Herde dieser Nutztiere. Seelenruhig überqueren sie die Fahrbahn und begutachten den Inhalt der am Strassenrand liegenden Abfallsäcke (welch Schande! – jagt es mir durch den Kopf). Doch sie bleiben cool. Ein Minibus hält an und die Insassen lassen sich mit einem der Kamele fotografieren. Unterdessen haben sich die anderen Kamele schon wieder auf den Rückweg gemacht, die Abfallsäcke enthalten wohl nicht das, wonach sie suchen. Als sie merken, dass einer ihrer Kameraden zurück bleibt, warten sie. Das Leitkamel dreht sich immer wieder um, um zu sehen, wo der mit den Touristen posierende Kollege bleibt.

Hoffentlich komme ich bald wieder...

Golf von Aqaba in Sichtweite

Zwischen Tag und Nacht

Nach dem Gewitter

Vollmond


sauber & gepflegt

so geht's ja auch :)

Camp ist nicht Camp, aber das Meer bleibt

Fjord bei Taba

kurz vor Taba

Einladung

Aussicht

Braucht es noch mehr?

Überblick

Was soll ich dazu erklären?

Atemberaubend - vermisse die Berge

Wenn Natur und Zivilisation aufeinander treffen



2 Kommentare:

  1. Die östliche Wüste ist interessanter als man denkt. Archäologisch ist sie interessant, da auf der Höhe von Safaga die Nilschleife den kürzesten Weg vom roten Meer zum Nil für Transporte in der Antike offenbarte, es gab ja noch keinen Suez-Kanal. Die Römer bauten edle Gesteine für ihr Reich hier ab und deren Bauten sollen gut erhalten sein, da es hier nicht den üblichen Steinraub gab. Mons Claudianus ist so ein Ort der hier sehr kenntnisreich beschrieben wird: https://de.wikisource.org/wiki/Eine_verlassene_W%C3%BCstenstadt Auch auf der Höhe von Hurghada wurde Stein abgebaut im: "Mons Porphyrites". Die Wüste ist hier spannender als man zu meinen glaubt...

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  2. @Drgan
    Das stimmt. Nur hat das nicht viel mit dem Sinai zu tun, um den es hier geht.

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