Freitag, April 03, 2020

Panik versus Nüchternheit


Natürlich hatte ich Panik. Ist dieser Virus so gefährlich? Die Angst um meine Eltern zu Hause in Europa war nicht mehr rational. Panik führt zu kopflosen Reaktionen. So bombardierte ich meinen eher unvernünftigen Papa mit eindringlichen Zeilen, er solle doch bitte zu Hause bleiben. Mit meiner Mama telefonierte ich jeden zweiten Tag.

Mittlerweile hat sich die Panik gelegt. Was tut ein Kopfmensch wie ich, um Panik in den Griff zu kriegen und wieder Herr seiner Gefühle und Gedanken zu werden? Genau: Lesen. Und diskutieren. Denken. Notizen machen. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen alles verschlungen, was ich irgendwie erfassen und zeitlich bewältigen konnte. Die weltweite Lage ist währenddessen schlimmer geworden, hingegen hat sich mein Wohlbefinden stark verbessert. Ich möchte hier nicht meine Meinung über die Berichterstattung und die Handhabung der Regierungen weltweit kundtun, aber ich möchte erzählen, was mich bewegt.

Natürlich gibt es Momente oder Stunden, in denen ich verzagen möchte. Ich mache mir Sorgen, wie ich in Zukunft überleben soll. Die Weltwirtschaft wird wohl in eine Rezession rutschen, der Tourismus hier in Hurghada wird nicht so rasch wieder mit europäischen Gästen aufgenommen werden. Vielleicht kommen Besucher aus Asien, wer weiss. Das nützt mir nicht viel, denn meine Arbeit basiert auf europäischen Touristen. Ich beschäftige mich also damit, eine Lösung für mich zu finden.

Mir ist auch wieder bewusst geworden, dass ich durch meine Arbeit halt doch eine Vorbildrolle innehabe und nicht einfach pessimistisch sein darf. Damit würde ich meine Kunden, Freunde und Nachbarn ja anstecken. Ausserdem bin ich hier allein – ich habe gar keine andere Wahl, als optimistisch zu sein und das Beste aus der Situation zu machen, bzw. mich vielleicht neu zu orientieren. Niemand fängt mich auf, wenn ich falle. Momentan stelle ich auf Online-Unterricht um, ein Wunsch, den ich schon lange habe. Wenn nur das ägyptische Internet besser wäre!!! Regelmässig ab 19 Uhr – zu Beginn der Ausgangssperre – krepiert die Verbindung und Video-Gespräche oder Radio hören wird unmöglich.

Einige meiner Bekannten meinten, mir sei nun sicher langweilig. Irrtum! Langweile kenne ich nicht. Ich habe schon zu Beginn der Katastrophe hier (als die Hotels geschlossen wurden und meine Schüler ihre Arbeit verloren) ein Stück Papier genommen und alles notiert, was ich immer gern machen wollte und doch nie Zeit dafür gefunden habe. Ihr werdet es nicht glauben: Ich habe erst ganz wenig davon umgesetzt! 😊 Meine Tage eilen im Laufschritt dahin.

Da fällt mir grad ein, vorgestern ging ich auf der Promenade marschieren. Dort ist es jetzt herrlich, denn anstelle der lästigen Bazar-Verkäufer mit ihrem eingeschnitzten Lächeln und den hupenden Taxi-Fahrern begegnet man dort allem, was man in einem Park in Europa auch fände: Blumen und blühende Bäume, Spaziergänger, Jogger, Radfahrer, Paare, die auf einem Bänkchen Backgammon spielen, Jugendliche, die auf den blank polierten Marmorplatten vor einem Hoteleingang Breakdance tanzen, Kinder, die mit Seifenwasser Luftblasen in den Himmel schicken und ihnen nachrennen, um sie einzufangen… Wunderbar! Und ich habe in all den Jahren noch nie so viele Ägypter gesehen, die joggen, marschieren oder Rad fahren!

Etwas ganz Herziges habe ich heute erlebt. Die verkehrsleeren Strassen haben mich dazu verleitet, mit meinem Rennrad mal wieder eine andere Strecke zu fahren. Stadteinwärts und dann quasi in einem weiten Bogen um den Flughafen herum (Willi, du weisst wo!). Auf der Verbindungsstrasse zur Umfahrungsstrasse hielt ein LKW an. Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters in Galabya und mit einem silbrigen Haarkranz um die gebräunte Stirnplatte, bezeichnete mir von weitem, ich solle doch anhalten. Er wartete am Strassenrand auf mich und fragte, ob ich Englisch sprechen würde. Ich antwortete, er könne mit mir Arabisch reden. Er meinte dann, es sei aber gefährlich, hier zu fahren. Ich sei ja alleine unterwegs. Da musste ich lächeln. Ich erwiderte, dass ich keine Angst hätte und dass ich schon viele Jahre hier lebte. Er meinte dann nochmals, ich sei doch alleine. Und wieder sagte, ich, nein, nein, es sei nicht gefährlich. Da lenkte er ein und bestätigte: Ägypter seien ehrlich und anständig, aber ich solle doch aufpassen. Ich bedankte mich bei ihm für seine Fürsorge – denn erst in dem Moment kapierte ich: Der Mann hatte wegen mir seinen LKW angehalten und war ausgestiegen, um mich zu warnen. Wie liebenswürdig! Mir wurde warm ums Herz.

Besser als der Depp, der mir heute „Corona – go home“ nachrief. Als ich umkehrte und ihn zur Rede stellen wollte, wich er aus, er hätte jemand anders gemeint. Feigling.

Manchmal denke ich auch an die Fische im Meer. Die wundern sich sicher, wohin all die Schiffsbäuche, Taucher und Schnorchler verschwunden sind. Die haben sicher ein riesiges "Käferfest"!

Ach ja, das hätte ich fast noch vergessen: Auf der Promenade, vorgestern, lief ich in eine riesige Hochzeitsgesellschaft 😄😄😄 - wohl die ägyptische Art, dem Virus zu begegnen. Aber irgendwie wird Ägypten auch das überstehen.




1 Kommentar:

  1. Das Gefühl, dass sie beschreiben, frisst wohl die meisten Menschen in der Welt im Moment auf. Diese furchtbare Ungewissheit, was stimmt, was nicht, wie geht's weiter, unter welchen Bedingungen, lohnt sich unser Leben dann noch? Viele kranke Menschen die gern noch reisen, wie meine Frau verlieren viel Zeit. Zeit zu reisen, zu genießen, andere Menschen kennen lernen.
    Genießen Sie Ägypten mal von einer anderen Seite, ohne dem Trubel der Touristen. Rad fahren ist etwas schönes und die Strecke um den Flughafen sehr weit. Aber ist sie nicht langweilig oder täusche ich mich da? Kenne sie nur aus der Perspektive eines Beifahrer. Die Stadt und die Berge empfinde ich toll. Darf man mit dem Rad aus der Stadt in die Berge und gibt es Kontrollen?
    Bis später

    AntwortenLöschen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.