Sonntag, Mai 07, 2023

Ausflug nach Oberägypten - 1. Tag

Januar ist eine ideale Reisezeit hier, finde ich. Die Temperaturen sind tagsüber angenehm, es gibt keine Feiertage und folglich sind nicht so viele Touristen (Einheimische wie Fremde) unterwegs.

Also erfüllte ich mir einen langgehegten Wunsch und fuhr nach Akhmim (Achmim) bei Sohag. Dort wurden schon zur Zeit der Pharaonen edle Stoffe auf riesigen Webstühlen von Hand gewoben.

Auf meinem Wunschzettel für diese kurze Reise standen auch Abydos und Naqadah. „Kurz“ bezüglich eingeplanter Tage und berechneter Distanzen, nicht aber bezüglich der Strassenverhältnisse. Das war leider ein Fehler. Habe also wieder was gelernt 😏.

Erster Tag: Auf nach Sohag

Die Kilometer und Stunden durch die Red Sea Mountains dehnen sich in die Länge. Die Strasse ist zwar gut, die Landschaft manchmal eintönig, manchmal atemberaubend schön, aber die Distanzen sind wirklich nicht zu unterschätzen. Nach mehreren Stunden Fahrt liegen die Berge hinter mir, am Horizont flimmert unscharf das Sandsteingebirge des Niltals. Irgendwo auf einer Hochebene, wo sich zahlreiche Farmen befinden, nehme ich spontan einen jungen Autostöppler mit. Er wartet mit einem älteren Mann in Galabya und Turban an der Zufahrt zu einer Farm. Ich denke mir: Den nimmst du mit, tust eine gute Tat und hast Unterhaltung. Kommt ja eh weit und breit kein anderes Fahrzeug hier vorbei, vielleicht wartet er schon lange auf eine Mitfahrgelegenheit.

Einen kleinen, verschnürten Karton und einen weissen Plastiksack verstauen wir im Kofferraum, der ältere Mann, sein Onkel, verabschiedet sich mit Tränen in den Augen und wünscht uns gute Fahrt.

Ahmed, der junge Mann kommt aus Sohag und habe seinen Onkel auf der Farm besucht. Was wird denn da angebaut? Zitronen, Melonen, ein bisschen Gemüse. Und woher kommt das Wasser dafür? Aus der Tiefe. Mit der Solaranlage wird Strom erzeugt und damit wird Wasser hochgepumpt. Interessant. Wir plaudern über dies und jenes, auch wenn ich nicht alles verstehen kann.

Und in Sohag und Akhmim kenne er sich aus. Das ist ja super, denke ich.

Als wir die Hochebene endlich hinter uns lassen und in sanften Kurven ins grün schimmernde Tal hinabgleiten, beschleichen mich Zweifel. Die Strassenbeschilderung ist wie üblich unklar oder unsichtbar oder untauglich. Mein Mitfahrer behauptet, es gehe hier entlang in die Stadt hinein. Falsch. Ich drehe um. Mein GPS ist veraltet und Internet aus. Und so verliere ich wertvolle Zeit, die ich gerne mit Besichtigungen verbracht hätte.

Akhmim

Endlich in der Stadt suche ich die Ausgrabungsstätte, wo die Statue von Merit-Amun steht. Inzwischen habe ich mein Internet eingeschaltet und es erklärt mir, wo ich abbiegen soll. Mein Begleiter widerspricht. Allmählich geht mir meine Geduld abhanden, obendrein brauche ich dringend ein gewisses Örtchen.

Genau in dem Moment taucht eine Kirche auf. Meine Rettung! Ich beschliesse, dort anzuhalten um Erleichterung zu finden. Die Polizei will mich zwar zurückhalten, aber für einmal spiele ich ganz untypisch die hilflose, verzweifelte Frau und renne Richtung Klo.

Endlich befreit entdecke ich zu meiner Linken das Büro eines Priesters, gehe die paar Stufen hinab und hinein und frage höflich. Wie ich denn zu Merit-Amun komme? Er erklärt mir freundlich denselben Weg wie Google Maps. Also gut. Dankend verabschiede ich mich. Ich wende mich wieder dem Eingang zu, wo die Polizisten inzwischen meinen Mitfahrer ausgefragt haben. Der habe keine Ahnung, das sei ein Gauner, ich solle ihn laufen lassen. Sie würden mir eine Begleitperson mitgeben.

Na gut. Ich wünsche dem jungen Mann gute Reise und warte. Ein Polizist werde kommen. Der kommt natürlich nicht, ich muss ihn unterwegs mitnehmen. Das mache ich. Er ist nicht besonders höflich, überhaupt nicht gesprächig und kaut lieber an seinen Kernen, deren Schalen er durchs offene Fenster fallen lässt. Ich getraue mich auch nicht ihn zu bitten, sich anzuschnallen! Haha! Er würde seine Zeit wohl lieber anders verbringen. Ehrlich gesagt hält sich meine Begeisterung auch in Grenzen.

Immerhin führt er mich zu der wunderschönen Statue von Merit-Amun, ein Prachtwerk aus Sandstein von 11 Metern Höhe. Ich nehme mir Zeit, bestaune, fühle, fotografiere. Die ganze Stadt sitzt auf pharaonischen, griechischen und römischen Tempeln und Nekropolen, unmöglich, alles auszugraben, und war einst ein wichtiges religiöses Zentrum, geriet in Vergessenheit und versank in Bedeutungslosigkeit. Halt so, wie fast alles hier in diesem Land.

Gleich gegenüber ist eines dieser Geschäfte, wo Stoffe gewoben und verkauft werden. Gleich vorweg: Ich wäre gerne viel länger geblieben, aber wenn ich weiss, dass da jemand auf mich wartet, macht es nur halb so viel Freude.

Handgewobene Stoffe

Traumhafte, handgewobene Stoffe aus Leinen, Baumwolle und sogar Seide liegen fein aufgerollt in dem Geschäft. Tücher mit dezenten und auffälligen Mustern begeistern mich und die jungen Damen packen immer weitere Kostbarkeiten aus. Ein Traum! Ich denke an meine Mama, die hier bestimmt auch in Entzücken geraten würde.

Etwas schüchtern frage ich, wo denn die Stoffe gewoben würden. Gleich nebenan. Ob ich das sehen dürfte? Die Damen führen mich ins Nachbarhaus in einen einfachen Raum aus Lehmziegeln. Drei grosse Webstühle stehen hier, an einem wird gerade gewoben. Ein kompliziertes Gewirr aus Fäden und Ballen und Gewichten und Schiffchen und Hölzchen zwischen Holzbalken und Holzverstrebungen breitet sich vor mir aus. Das Tageslicht dringt nur gebrochen herein, durch das Zwielicht wirkt der Ort mystisch. Stumm stehe ich da und staune, lasse meinen Blick über die Fäden wandern, versuche eine Logik in dieses Konstrukt zu bringen. Natürlich scheitere ich. Aber ich erinnere mich, dass es eine ganze Woche braucht, um einen kleineren Webstuhl als diesen hier einzurichten. Wie lange braucht es wohl für diese hier? Ich weiss nicht mehr, ob ich gefragt habe. Aber ich erinnere mich, dass mir irgendwann die Tränen aus den Augen kollerten. Ich war tief bewegt. Diese Handarbeit ist ein absolutes Kunstwerk und ist in Europa unbezahlbar!

Ich erstehe ein Tuch, mit dem ich mich in den heissen Monaten in der Nacht als Schutz vor der Klimaanlage zudecken werde. Gerne hätte ich noch mehr gekauft, andere Hersteller besucht, doch der Polizist wartete…

Schon ist später Nachmittag. Für den Besuch der Stadt und anderer Webereien, für einen Abstecher ins Museum in Sohag und einen Spaziergang am Nil reicht die Zeit leider nicht mehr. Ich werde wohl nochmals kommen.

Ich deponiere den Polizisten dort, wo ich ihn aufgeladen habe und fahre weiter, überquere den Nil und suche in Sohag meine Unterkunft. Die finde ich auch sehr schnell.

Die befindet sich im ländlichen Ägypten, obwohl mitten in der Stadt.

Zimmer mit Frühstück auf der Dachterrasse

Ausserhalb der Touristenzentren ist es nicht einfach, eine anständige Unterkunft zu finden. Als ich eine Übernachtungsmöglichkeit suchte, las ich deshalb auch viele Bewertungen. In Sohag gibt es ein besseres Hotel, eingeklemmt zwischen Nil, Hauptstrasse und Bahnhof; für mich unmöglich dort Ruhe zu finden. Andere, günstigere Unterkünfte liegen genauso dem Lärm ausgesetzt. Also entschied ich mich für eine Absteige, die aber ruhig lag – man muss Prioritäten setzen 😒.

Während ich mein Auto durch die engen Gassen, an Obstständen, wartenden Eseln, geparkten Motorrädern und am Boden sitzenden Männern lenke, rutscht mir mein Herz sachte in die Hose. Ich finde das sogenannte „XY Palace Hotel“, immerhin liegt es wirklich absolut ruhig. Ich stelle mein Auto neben einem zugedeckten Fahrzeug ab, auf dem Abfall liegt. Noch bevor ich den Motor abschalte, steht ein Mann mit Turban neben mir und verlangt Geld für die „Garage“. Er solle bitte warten. Er wiederholt dieselben Worte. Ich auch. So geht das ein paar Mal hin und her, während ich den Motor abschalte, einen Schluck Wasser trinke, meine Handtasche packe und aussteige.

Jetzt bin ich bereit für den Angriff: Garage? Wo? Das hier ist nur ein Parkplatz. Der Turban wiederholt stur seine Worte. Ein unsauberer Mann, in unsauberen Sandalen und einer dicken Galabya. „Du verlangst zu viel, nur weil ich Ausländerin bin! Ich wohne hier, schau, das ist mein Auto, eine ägyptische Autonummer.“ Hinter mir mischt sich ein älterer Mann ein: „Sie hat Recht, sie lebt hier, du darfst nicht mehr verlangen!“ Überrascht drehe ich mich um und grinse: Endlich gibt es für die Menschen ein bisschen Abwechslung.

Ich lasse den Turban stehen, gehe an die Rezeption und frage, wie viel ich da für den Parkplatz bezahlen soll. Die Antwort entspricht dem, was ich mir gedacht habe. Also hole ich tief Luft und gehe wieder raus. „Ich gebe dir das und wenn mein Auto morgen früh noch da ist und du gut aufgepasst hast, gebe ich dir morgen noch etwas.“ Der Turban murrt, der alte Mann lobt mich lachend, ich grinse und drücke dem Turban das Geld in die Hand.

Dann gehe ich ins Zimmer. Ich habe auf meinen Reisen aus finanziellen Gründen schon oft in Billigabsteigen übernachtet. Die hier hat mich ganz fest an eine in Südamerika erinnert. Geputzt wird hier schlichtweg gar nichts. Ich frage, ob denn wenigstens die Bettwäsche gewechselt werde. Ja klar, ganz frisch! Im Bad liegen die aufgerissenen Duschbriefchen und… und den Rest beschreibe ich lieber nicht mehr.

Ich schlafe relativ gut, nur ein Güggel weckt mich zwischendurch. Das Sahnehäubchen ist dann das Frühstück. Es wird tatsächlich auf der Dachterrasse serviert. Bevor ich mich setze, bitte ich um ein sauberes Tischtuch und etwas Sauberes, worauf ich mich setzen kann. Um die Ecke hängt Wäsche, auf der Katzen herumturnen. Das Frühstück besteht aus Tee, einem kalten Ei, einem Eckchen Käse, Fladenbrot und Foul. Aber nicht mal das lauwarme Foul (Bohneneintopf) ist geniessbar, zudem friere ich elend. Ich mache, dass ich da wegkomme.

Kilometer abspulen

hinab ins Niltal

Merit-Amun

verblasste Schönheit


handgewobene Baumwolltücher



einer der Webstühle in Arbeit

Gewichte

bindende Verwirrung



hübsche Verwirrung


etwas Überblick

das Werk
     

Akhmim - sitzt auf Tempeln

und meine Auto neben einem Müllhaufen 😀

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