Januar ist eine ideale Reisezeit hier, finde ich. Die Temperaturen sind tagsüber angenehm, es gibt keine Feiertage und folglich sind nicht so viele Touristen (Einheimische wie Fremde) unterwegs.
Also erfüllte ich
mir einen langgehegten Wunsch und fuhr nach Akhmim (Achmim) bei Sohag. Dort wurden
schon zur Zeit der Pharaonen edle Stoffe auf riesigen Webstühlen von Hand
gewoben.
Auf meinem
Wunschzettel für diese kurze Reise standen auch Abydos und Naqadah. „Kurz“
bezüglich eingeplanter Tage und berechneter Distanzen, nicht aber bezüglich der
Strassenverhältnisse. Das war leider ein Fehler. Habe also wieder was gelernt 😏.
Erster Tag: Auf
nach Sohag
Die Kilometer und Stunden durch die Red Sea Mountains dehnen sich in die Länge. Die Strasse ist zwar gut, die Landschaft manchmal eintönig, manchmal atemberaubend schön, aber die Distanzen sind wirklich nicht zu unterschätzen. Nach mehreren Stunden Fahrt liegen die Berge hinter mir, am Horizont flimmert unscharf das Sandsteingebirge des Niltals. Irgendwo auf einer Hochebene, wo sich zahlreiche Farmen befinden, nehme ich spontan einen jungen Autostöppler mit. Er wartet mit einem älteren Mann in Galabya und Turban an der Zufahrt zu einer Farm. Ich denke mir: Den nimmst du mit, tust eine gute Tat und hast Unterhaltung. Kommt ja eh weit und breit kein anderes Fahrzeug hier vorbei, vielleicht wartet er schon lange auf eine Mitfahrgelegenheit.
Einen kleinen,
verschnürten Karton und einen weissen Plastiksack verstauen wir im Kofferraum,
der ältere Mann, sein Onkel, verabschiedet sich mit Tränen in den Augen und
wünscht uns gute Fahrt.
Ahmed, der junge
Mann kommt aus Sohag und habe seinen Onkel auf der Farm besucht. Was wird denn
da angebaut? Zitronen, Melonen, ein bisschen Gemüse. Und woher kommt das Wasser
dafür? Aus der Tiefe. Mit der Solaranlage wird Strom erzeugt und damit wird
Wasser hochgepumpt. Interessant. Wir plaudern über dies und jenes, auch wenn
ich nicht alles verstehen kann.
Und in Sohag und
Akhmim kenne er sich aus. Das ist ja super, denke ich.
Als wir die
Hochebene endlich hinter uns lassen und in sanften Kurven ins grün schimmernde
Tal hinabgleiten, beschleichen mich Zweifel. Die Strassenbeschilderung ist wie üblich unklar oder unsichtbar oder untauglich. Mein Mitfahrer behauptet, es gehe hier
entlang in die Stadt hinein. Falsch. Ich drehe um. Mein GPS ist veraltet und
Internet aus. Und so verliere ich wertvolle Zeit, die ich gerne mit
Besichtigungen verbracht hätte.
Akhmim
Endlich in der
Stadt suche ich die Ausgrabungsstätte, wo die Statue von Merit-Amun steht. Inzwischen
habe ich mein Internet eingeschaltet und es erklärt mir, wo ich abbiegen soll.
Mein Begleiter widerspricht. Allmählich geht mir meine Geduld abhanden, obendrein
brauche ich dringend ein gewisses Örtchen.
Genau in dem
Moment taucht eine Kirche auf. Meine Rettung! Ich beschliesse, dort anzuhalten
um Erleichterung zu finden. Die Polizei will mich zwar zurückhalten, aber für
einmal spiele ich ganz untypisch die hilflose, verzweifelte Frau und renne
Richtung Klo.
Endlich befreit
entdecke ich zu meiner Linken das Büro eines Priesters, gehe die paar Stufen
hinab und hinein und frage höflich. Wie ich denn zu Merit-Amun komme? Er
erklärt mir freundlich denselben Weg wie Google Maps. Also gut. Dankend
verabschiede ich mich. Ich wende mich wieder dem Eingang zu, wo die Polizisten
inzwischen meinen Mitfahrer ausgefragt haben. Der habe keine Ahnung, das sei
ein Gauner, ich solle ihn laufen lassen. Sie würden mir eine Begleitperson
mitgeben.
Na gut. Ich
wünsche dem jungen Mann gute Reise und warte. Ein Polizist werde kommen. Der
kommt natürlich nicht, ich muss ihn unterwegs mitnehmen. Das mache ich. Er ist
nicht besonders höflich, überhaupt nicht gesprächig und kaut lieber an seinen
Kernen, deren Schalen er durchs offene Fenster fallen lässt. Ich getraue mich
auch nicht ihn zu bitten, sich anzuschnallen! Haha! Er würde seine Zeit wohl lieber
anders verbringen. Ehrlich gesagt hält sich meine Begeisterung auch in
Grenzen.
Immerhin führt er
mich zu der wunderschönen Statue von Merit-Amun, ein Prachtwerk aus Sandstein
von 11 Metern Höhe. Ich nehme mir Zeit, bestaune, fühle, fotografiere. Die
ganze Stadt sitzt auf pharaonischen, griechischen und römischen Tempeln und
Nekropolen, unmöglich, alles auszugraben, und war einst ein wichtiges
religiöses Zentrum, geriet in Vergessenheit und versank in Bedeutungslosigkeit.
Halt so, wie fast alles hier in diesem Land.
Gleich gegenüber
ist eines dieser Geschäfte, wo Stoffe gewoben und verkauft werden. Gleich
vorweg: Ich wäre gerne viel länger geblieben, aber wenn ich weiss, dass da
jemand auf mich wartet, macht es nur halb so viel Freude.
Handgewobene
Stoffe
Traumhafte,
handgewobene Stoffe aus Leinen, Baumwolle und sogar Seide liegen fein
aufgerollt in dem Geschäft. Tücher mit dezenten und auffälligen Mustern
begeistern mich und die jungen Damen packen immer weitere Kostbarkeiten aus.
Ein Traum! Ich denke an meine Mama, die hier bestimmt auch in Entzücken geraten
würde.
Etwas schüchtern
frage ich, wo denn die Stoffe gewoben würden. Gleich nebenan. Ob ich das sehen
dürfte? Die Damen führen mich ins Nachbarhaus in einen einfachen Raum aus Lehmziegeln.
Drei grosse Webstühle stehen hier, an einem wird gerade gewoben. Ein
kompliziertes Gewirr aus Fäden und Ballen und Gewichten und Schiffchen und
Hölzchen zwischen Holzbalken und Holzverstrebungen breitet sich vor mir aus. Das
Tageslicht dringt nur gebrochen herein, durch das Zwielicht wirkt der Ort mystisch.
Stumm stehe ich da und staune, lasse meinen Blick über die Fäden wandern, versuche
eine Logik in dieses Konstrukt zu bringen. Natürlich scheitere ich. Aber ich
erinnere mich, dass es eine ganze Woche braucht, um einen kleineren Webstuhl
als diesen hier einzurichten. Wie lange braucht es wohl für diese hier? Ich
weiss nicht mehr, ob ich gefragt habe. Aber ich erinnere mich, dass mir
irgendwann die Tränen aus den Augen kollerten. Ich war tief bewegt. Diese
Handarbeit ist ein absolutes Kunstwerk und ist in Europa unbezahlbar!
Ich erstehe ein
Tuch, mit dem ich mich in den heissen Monaten in der Nacht als Schutz vor der
Klimaanlage zudecken werde. Gerne hätte ich noch mehr gekauft, andere
Hersteller besucht, doch der Polizist wartete…
Schon ist später
Nachmittag. Für den Besuch der Stadt und anderer Webereien, für einen Abstecher
ins Museum in Sohag und einen Spaziergang am Nil reicht die Zeit leider nicht
mehr. Ich werde wohl nochmals kommen.
Ich deponiere den
Polizisten dort, wo ich ihn aufgeladen habe und fahre weiter, überquere den Nil
und suche in Sohag meine Unterkunft. Die finde ich auch sehr schnell.
Die befindet sich
im ländlichen Ägypten, obwohl mitten in der Stadt.
Zimmer mit
Frühstück auf der Dachterrasse
Ausserhalb der
Touristenzentren ist es nicht einfach, eine anständige Unterkunft zu finden.
Als ich eine Übernachtungsmöglichkeit suchte, las ich deshalb auch viele
Bewertungen. In Sohag gibt es ein besseres Hotel, eingeklemmt zwischen Nil,
Hauptstrasse und Bahnhof; für mich unmöglich dort Ruhe zu finden. Andere,
günstigere Unterkünfte liegen genauso dem Lärm ausgesetzt. Also entschied ich
mich für eine Absteige, die aber ruhig lag – man muss Prioritäten setzen 😒.
Während ich mein
Auto durch die engen Gassen, an Obstständen, wartenden Eseln, geparkten Motorrädern
und am Boden sitzenden Männern lenke, rutscht mir mein Herz sachte in die Hose.
Ich finde das sogenannte „XY Palace Hotel“, immerhin liegt es wirklich absolut
ruhig. Ich stelle mein Auto neben einem zugedeckten Fahrzeug ab, auf dem Abfall
liegt. Noch bevor ich den Motor abschalte, steht ein Mann mit Turban neben mir
und verlangt Geld für die „Garage“. Er solle bitte warten. Er wiederholt
dieselben Worte. Ich auch. So geht das ein paar Mal hin und her, während ich
den Motor abschalte, einen Schluck Wasser trinke, meine Handtasche packe und
aussteige.
Jetzt bin ich
bereit für den Angriff: Garage? Wo? Das hier ist nur ein Parkplatz. Der Turban
wiederholt stur seine Worte. Ein unsauberer Mann, in unsauberen Sandalen und
einer dicken Galabya. „Du verlangst zu viel, nur weil ich Ausländerin bin! Ich
wohne hier, schau, das ist mein Auto, eine ägyptische Autonummer.“ Hinter mir
mischt sich ein älterer Mann ein: „Sie hat Recht, sie lebt hier, du darfst
nicht mehr verlangen!“ Überrascht drehe ich mich um und grinse: Endlich gibt es
für die Menschen ein bisschen Abwechslung.
Ich lasse den
Turban stehen, gehe an die Rezeption und frage, wie viel ich da für den
Parkplatz bezahlen soll. Die Antwort entspricht dem, was ich mir gedacht habe.
Also hole ich tief Luft und gehe wieder raus. „Ich gebe dir das und wenn mein
Auto morgen früh noch da ist und du gut aufgepasst hast, gebe ich dir morgen
noch etwas.“ Der Turban murrt, der alte Mann lobt mich lachend, ich grinse und
drücke dem Turban das Geld in die Hand.
Dann gehe ich ins
Zimmer. Ich habe auf meinen Reisen aus finanziellen Gründen schon oft in Billigabsteigen übernachtet. Die hier hat
mich ganz fest an eine in Südamerika erinnert. Geputzt wird hier schlichtweg
gar nichts. Ich frage, ob denn wenigstens die Bettwäsche gewechselt werde. Ja
klar, ganz frisch! Im Bad liegen die aufgerissenen Duschbriefchen und… und den
Rest beschreibe ich lieber nicht mehr.
Ich schlafe
relativ gut, nur ein Güggel weckt mich zwischendurch. Das Sahnehäubchen ist
dann das Frühstück. Es wird tatsächlich auf der Dachterrasse serviert. Bevor ich
mich setze, bitte ich um ein sauberes Tischtuch und etwas Sauberes, worauf ich
mich setzen kann. Um die Ecke hängt Wäsche, auf der Katzen herumturnen. Das
Frühstück besteht aus Tee, einem kalten Ei, einem Eckchen Käse, Fladenbrot und
Foul. Aber nicht mal das lauwarme Foul (Bohneneintopf) ist geniessbar, zudem
friere ich elend. Ich mache, dass ich da wegkomme.
Kilometer abspulen |
hinab ins Niltal |
Merit-Amun |
verblasste Schönheit |
handgewobene Baumwolltücher |
einer der Webstühle in Arbeit |
Gewichte |
bindende Verwirrung |
hübsche Verwirrung |
etwas Überblick |
das Werk |
Akhmim - sitzt auf Tempeln |
und meine Auto neben einem Müllhaufen 😀 |
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