Manchmal kommt alles plötzlich und ganz anders im Leben. Das ist gut so, es bringt Abwechslung und Herausforderungen J.
Jedenfalls habe ich mein Auto zum Verkauf ausgeschrieben,
mal so zum Testen, was da für Reaktionen kommen würden. Davor habe ich mich
über den möglichen Preis schlau gemacht. Ich wurde mit Anfragen überschwemmt.
Gebrauchtwagen stehen hier hoch im Kurs oder anders gesagt, ein gebrauchtes Auto verliert hier nicht so viel an Wert wie in Europa. Trotz Beulen, von der Sonne ausgebleichtem Lack und gefahrenen Kilometern. Warum? Es kommen kaum Neuwagen ins Land herein, weil die dazu nötigen Devisen fehlen. Auf dem Schwarzmarkt wird der Euro mit 40-42 Pfund gehandelt. Nur jene, die Zugang zu Devisen haben, können da mitmischen. Folglich bleibt den willigen Käufern nur die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
So eine Nadel habe ich angeboten: Auto mit relativ tiefem
Kilometerstand, gepflegt, unfallfrei, alle Unterhaltsarbeiten von lizenzierter
Garage ausgeführt, von Europäerin gefahren, Erstbesitzerin.
Es ging schneller weg als die oft zitierten frischen
Brötchen beim Bäcker. Hingegen dauerte das amtliche Prozedere etwas länger.
Wir vereinbarten, uns um halb neun beim Notariat zu treffen.
Der Käufer und sein Bruder hätten sich informieren sollen, wo wir hinmüssen.
Jedenfalls waren wir am falschen Ort. Wir mussten zum Verkehrsamt, dort gibt es
auch ein Notariat. Ich wusste das auch nicht, ich verkaufe ja nicht jeden Tag
ein Auto.
Also dorthin. Dort kenne ich mich wenigstens aus, bin ja im
Schnitt zweimal pro Jahr dort auf Besuch. Herr Y., der für uns Ausländer
zuständig ist, hatte gute Laune. Wir mussten wieder ein Dossier kaufen,
Unterschriften beim Boss holen, zahlen, wieder zurück zu Y. kommen und warten.
Aber er bzw. der Bürodiener konnte mein Dossier (ein früheres) nicht finden, so
warteten wir. Ich denke, irgendwo müssten die so an die 30 Dossiers für mein
Auto gestapelt haben. Die habe ich auch alle bezahlt, überall sind Stempel und
Marken drauf und meine Unterschrift auch.
Da der Käufer zwanzig Jahre in Deutschland gelebt hat, haben
wir viel diskutiert. Mich interessiert immer, wie Ägypter Deutschland (oder die
Schweiz und so) wahrnehmen und zwar nach dem ersten „Land-wo-Milch-und-Honig-fliessen-Eindruck“.
Als Quintessenz wird früher oder später erwähnt: Die schlechte Laune, das
Gejammer, die Unfähigkeit, das Schöne im Leben zu sehen und dankbar zu sein.
Er hatte bei VW am Fliessband gearbeitet, zu einem Lohn, für
den ein Europäer keinen Finger krümmen würde. Seine Kollegen verdienten mehr
als das Doppelte. Aber für die war alles „Sch…e“. Jeden Tag, von Morgen bis
Abend: „Sch…e“. Jede Woche, von Montag bis Freitag: „Sch…e“. Jeden Monat, von
Januar bis Dezember: Alles Sch…e“.
Ein Buschauffeur hätte ihn mal gefragt, warum er denn immer
fröhlich und freundlich sei, warum er lache und Witze mache. Tja, warum denn
nicht? Auch wenn das Leben schwierig ist, einem viele Probleme in den Weg lege
und man nicht alles habe, das man gerne hätte – das sind doch keine Gründe,
sich selbst jeden Tag zu vermiesen?
„Wir in Ägypten haben keine Sozialversicherung. Wenn wir
nicht arbeiten können, haben wir nichts. Wir haben keine Rente, kein
Krankentaggeld, keine Pension, nichts. Wir müssen jeden Tag kämpfen. Ein Leben
lang. Ihr in Deutschland habt das alles, müsst euch keine Sorgen machen, der
Staat hilft euch immer. Und trotzdem habt ihr schlechte Laune, seid freudlos,
lustlos und niedergeschlagen.“ Seine Worte. Das sei schlimm für ihn gewesen und
unbegreiflich.
In Gedanken sah ich meine Landsleute im Bus sitzen, nicht
viel anders, als er das beschrieben hatte. Mit dem einzigen Unterschied
vielleicht: Die meisten Fahrgäste grüssen bei uns den Busfahrer und bedanken
sich beim Aussteigen. Aber einen freundlichen Blick oder gar ein Lächeln sucht
man unter den Fahrgästen meist vergeblich.
Während ich sinnierte, warum das so ist, rief Herr J., mein
Dossier sei endlich aufgetaucht. Nochmals eine Unterschrift beim Boss. Dann
gingen wir hinüber ins Notariat, welches in einem anderen Gebäude untergebracht
ist.
Dort hockte übrigens auch ein Angestellter mit schlechter
Laune. Unsympathische Erscheinung, bleiches Gesicht, die schwarzen Haare mit
Pomade festgeklebt. Er brüllte vor allen Anwesenden ins Telefon hinein –
offenbar ein Ehekrach – dann wandte er sich angriffslustig seinem nächsten Kunden zu und schnauzte den
an. Der wehrte sich lauthals, er sei hier nicht sein Schüler, sondern Kunde. Es
wurde unangenehm laut.
Wir mussten lange warten, viele Autos wechselten den
Besitzer. Zudem liess sich der Übersetzer Zeit. Als er endlich kam, begrüsste
er zuerst jeden Angestellten per Hand und schäkerte mit den Frauen.
Ein Freund in der Schweiz schrieb, das brauche aber alles
viel Zeit und Geduld. Ja, stimmt. Aber danach fragt hier kein Mensch. Es ist
einfach so und basta. Man kann sich damit arrangieren oder sich darüber aufregen
– was kostet wohl weniger Energie?
Wir wurden zum Glück von einem anderen Angestellten bedient,
der sehr nett war, aber mein Heimatland lange nicht im Computer fand. Da er die
Hauptstadt auch nicht fand, legte er meine Unterlagen wieder zur Seite und
fertigte zuerst noch andere Kunden ab. Erst dann machte er sich nochmals im
System auf die Suche. Vergeblich. Er entschied dann, die Lücke Lücke sein zu
lassen.
Der Übersetzer, der für Ausländer obligatorisch ist,
erklärte mir, was ich sowieso schon wusste und was ja Zweck unserer Handlung
war. Mein Daumenabdruck wurde elektronisch genommen, es gab hier keinen blauen
Daumen 😀.
Schliesslich wurde der Kaufvertrag ausgedruckt, mehrfach
unterschrieben, gestempelt und eingescannt. Rechtlich gesehen bin ich nicht
mehr Besitzerin meines vierrädrigen Gefährten, mit dem ich so vieles erleben
durfte.
Aber ich fahre noch ein paar Wochen, bevor die faktische Übergabe
erfolgt und ich in ein neues Abenteuer starte. Davon später mehr.
PS: Wollt ihr meine Blogeinträge regelmässig erhalten? Dann
schickt mir bitte ein Email (siehe Kontaktformular) und ich nehme euch auf die
Verteilerliste. Den automatischen Versand hat Feedburner leider eingestellt.
andere länder andere sitten - und wenn Du das zwischendurch schrottest?
AntwortenLöschenin germania hatte ich schon beim autoverkauf mal die nummernschilder mitgegeben und die wurden dann bei einem gestohlenen auto verwendet.
lächeln musste ich wg. der vielen stempel/unterschriften im amt...ja, beamte schützen ihr "einkommens-monopol".
viel erfolg El-Qamar!
Herzlichen Dank! Ich gehe davon aus, dass das Auto ganz bleibt. :)
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