Autofahren in einem Land, das eine der höchsten Raten an
tödlichen Verkehrsunfällen hat, ist eine riesige Herausforderung. Während fünf
Jahren habe ich zugeschaut: als Fahrgast im Taxi, im Minibus, als Fussgängerin
und als Rennrad-Fahrerin. Haarsträubend geht es auf den hiesigen Strassen zu
und her, gelinde gesagt. Schliesslich habe ich mich selbst hinters Lenkrad
gesetzt.
Verwahrloste Infrastruktur
In den letzten drei oder vier Jahren ist Hurghada im
wahrsten Sinne des Wortes „heruntergekommen“: nicht nur Gebäude und Plätze sind
verwahrlost und verfallen, sondern auch die Strassen sind eine einzige
Katastrophe. Seit mehr als zwei Jahren werden da und dort im Schneckentempo und mit
langen Unterbrechungen Wasser- und Gasleitungen verlegt: die Haushalte sollen
Nilwasser aus der Fern-Pipeline und Gasanschluss erhalten. Folglich wurden und
werden überall Strassen aufgerissen und wenn überhaupt, dann nur notdürftig
wieder repariert. Hauptstrassen sind i.d.R. geteert, aber trotzdem uneben. Werden
nicht bewusst Schwellen aufgebaut, um die Fahrer zum Abbremsen zu
zwingen, dann sind es Löcher, die nicht abgedeckt werden, hochragende Gulli-Deckel,
Schutt oder Bodenwellen, weil der Untergrund nachgibt. Nebenstrassen sind
vielerorts ungeteert oder der Asphalt zu zwei Dritteln zerstört. Hurghada steht auf versteinerten Korallenbänken und Sand, d.h. Naturstrassen und zugeschüttete Gräben
gleichen einer Mondlandschaft. Es gibt in Hurghada keine einzige unbeschädigte,
gefahrlos zu fahrende Strasse. So kommt es immer wieder zu schweren Unfällen
und zu Autos, die kopfüber in Löcher oder Gräben fallen.
Fahrlässigkeit oder Dummheit
Zur Unfallursache gehören aber auch: der fahrlässige
Fahrstil der Ägypter, fehlender Fahrzeugunterhalt, dumme Verkehrsplanung,
Drogenkonsum, Übermüdung der Busfahrer, übersetzte Geschwindigkeit und alles,
was man sich vorstellen kann. Es gibt keine Fahrzeugprüfung, die diesen Namen
verdient. Ebenso wenig gibt es eine solche Fahrprüfung. Es gibt wie überall
Verkehrsregeln, aber die werden nicht eingehalten. Mir stockt jedes Mal der
Atem, wenn ich sehe, wie Auto- und Busfahrer (!!!!) nicht nur telefonieren,
sondern Sms während des Fahrens schreiben, oder wenn ein Vater mit seinem Kleinkind auf dem Schoss und vor dem Lenkrad aus einer Seitenstrasse quer über die Fahrbahn rast. Oder wenn ein Omnibus (Touristenbus leer,
Angestelltenbus voll) mit 120km/h an mir vorbei rauscht.
Ein Quasi-Live-Bericht, unvollständig:
Rückwärtsgang rein, Blick nach Links und Rechts, in den Seiten- und Rückspiegel und langsam zurückrollen – huch, woher kommt DER schon wieder her?
Ägypter haben die Gabe, sich vor bzw. hinter anfahrenden Fahrzeugen vorbei zu
drücken. Vorwärtsgang rein, Blinker raus, warten, warten, nein: hinein
quetschen in den Stossverkehr, weil ja keiner anhält, um einen rein zu lassen.
Hupen, Hupen, Hupen, mag mir gelten, oder auch nicht. Jeder Fahrer macht akustisch auf
sich aufmerksam, gibt seine Fahrabsichten bekannt, grüsst, warnt, zeigt seine
Ungeduld, Taxi und Busse fordern Fahrgäste auf - woher soll ich wissen, welche
Huperei mir gehört? Ist auch egal. Ich fahr geradeaus, zweispurige Fahrbahn in
der Stadt, ein Taxi überholt rechts, muss aber gleich einem Minibus weichen,
der auf der rechten Fahrbahn Gäste ein- und aussteigen lässt, und drängt mich
ab. Hab damit gerechnet, macht nichts, ich hup mal kurz.
Es geht weiter, den Hügel hinauf. Das ist eine beliebte
Rennstrecke im Stadtinneren: jeder Rennfahrer zeigt, was in seinem Motor steckt.
Wer zu lang auf der linken Fahrbahn – das kann aber auch die rechte sein –
verweilt, wird weg gehupt (am Tag) oder weg geblinkt (in der Nacht) oder beides
(am Tag und in der Nacht). Das hat seine Tücken, denn die Fahrbahn ist zwar neu
(extra für den Besuch von Präsident El Sisi im vergangenen Januar, die angepflanzten Palmen verdörren wieder), hat aber ein paar in die
Höhe ragende Gulli-Deckel und mitten drin ein riesiges, nicht abgesichertes Loch.
Ausserdem stehen weiter oben oft parkierte Fahrzeuge und daneben in zweiter
Reihe Minibusse oder Taxis und dazwischen rennen Fussgänger quer über die Fahrbahn, das alles in einer Kurve.
Tagsüber geht das ja noch, nachtsüber wird’s heikel. Blöd ist auch der
Abfallcontainer, der ziemlich weit draussen in der Fahrbahn steht. Besser also
nicht weg hupen oder weg blinken lassen, sondern stur da fahren, wo keine
unliebsamen, „kalkulierbaren“ Überraschungen lauern. Es gibt ja noch die
unkalkulierbaren Überraschungen, nämlich, wenn sich plötzlich ein neues Loch in
der Strasse aufgetan hat, ein Mann mitten in der Kurve bei weit geöffneter Wagentüre seelenruhig telefoniert oder die Windschutzscheibe reinigt oder ein Eselskarren mitten in
der Fahrbahn gemütlich vor sich hin rollt; u.v.a.m.
Piep, Piep, Piiiiieeeep – Rückspiegel, Seitenspiegel… sehe
nichts. Halt, doch, da kommt ein Moped, das sich halsbrecherisch mit warnendem
Piep, Piep, Piiiieeep durch die fahrenden Fahrzeuge schlängelt. In
schwindelerregender Geschwindigkeit, ohne Helm, und wenn mit Helm, dann so
aufgesetzt, dass der Kieferschutz über der Stirn liegt. Wegen der Hitze, nicht
wegen dem Hirn.
Geradeaus fahren, ich such ein Geschäft, schau rechts, ups, einen
Moment zu lang: da kommt eine Schwelle, muss kräftiger als gewollt abbremsen.
Meine armen Stossdämpfer! Garantie war nur sechs Monate… wie lange halten sie
wohl? Rechts neben mir schaukelt ein Wassertank über die Schwelle und pufft
schwarze Abgase in die Hitze. Wasser rinnt aus den undichten Stellen des Tanks
und zieht eine Spur über den Asphalt. Das Taxi hinter mir hupt schon wieder.
Naja, was soll‘s, kann ja überholen, wenn er mag. Aber er mag nicht, denn die
rechte Fahrbahn ist uneben und löchrig. Plötzlich eilt es ihm nicht mehr, er schwingt
ruckartig rechts ran, drängt den Wassertank ab, denn am Strassenrand stehen
willige Kunden.
Checkpoint. Anhalten und Warten. Natürlich drängen sich
Schlaumeier immer rechts vorbei nach vorne. Ich koche vor Wut und sprech mir
beruhigend zu: „Nicht aufregen“, „ruhig“, „ist egal“, „die können nicht
anders“. Ich hupe. Ich höre Musik. Ich atme tief. Schau in den Himmel – nützt
nichts. Ich reg mich auf, weil Ägypter sich damit brüsten, wie freundlich und
hilfsbereit sie seien; hinter dem Lenkrad verwandelt sich die Mehrheit in
ruchlose Ungeheuer. Fertig Gentleman.
Weiter geht es. Rechts drückt sich ein Taxi aus einer Seitenstrasse
herein, ohne sich um den heranrollenden Verkehr zu kümmern, der Fahrer ist
intensiv damit beschäftigt, ein Sms zu schreiben. Ich weich in die Mitte aus.
Die Fahrbahn ist jetzt dreispurig, kann zur Not auch auf vier oder fünf Spuren
ausgeweitet werden. Wie das geht? Drei miteinander konkurrierende Busse
nebeneinander fahrend oder auch ein Pickup, Minibus oder Lastwagen, rechts
oder links am Strassenrand ein Eselkarren, fahrend oder auch abgestellt, weil
der Esel grad zu Fressen bekommt, macht vier. Statt des Eselkarrens kann es auch ein schwer beladenes Tuk-Tuk oder ein Wassertanker sein, der grad stinkiges Brauchwasser in die Büsche ablässt. Von hinten blinkt und hupt ein
Raser und schlängelt sich knapp zwischen Autos und Bussen
und allem, was ihm in die Quere kommt durch. Das geht. Manchmal geht es nicht,
dann knallt es und ein riesiges Theater und Gejammer geht los. Dann war das
Gott gewollt. [sic]
Alle wollen auf der mittleren Fahrbahn bleiben, weil es die
sicherste ist. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen, denn das wollen auch die
langsamen, uralten, keuchenden Wassertanker, ältere, vorsichtigere oder
ängstlichere Fahrer und die Touristen- oder Angestelltenbusse. Jeder fährt ein
anderes Tempo. Eselkarren oder Mopeds, die hinter sich drei Meter hoch mit
Karton oder Plastik beladen sind, lieben die mittlere Fahrbahn auch. Deshalb
gilt es, in den richtigen Situationen flexibel zu sein und in den anderen
(richtigen) Situation stur zu bleiben.
Blinken, blinken, bremsen und langsam über einige Löcher
rollen und warten, bis der Gegenverkehr nachlässt. Langsam über die kaputte
Fahrbahn hinüber auf die andere Seite rollen und allmählich Gas geben. Ops, da
kommt mir einer auf meiner Seite entgegen. Aufblinken, rechts fahren, ruhig
bleiben. Ist normal, denn der will auf der besseren Fahrbahn fahren oder ein
paar Hundert Meter abkürzen; das gilt auch für Kreuzungen. Tagsüber, aber auch nachts.
Im Dunkeln
Dann wird’s blöder, denn nicht alle Fahrer schalten ihre
Scheinwerfer ein. Und nicht alle Strassenlampen brennen, bzw. ich glaube, die
meisten brennen nicht. Ausser sie sind neu, davon gibt es aber nicht viele.
Zu allem, was ich oben beschrieben habe, kommt also noch die
Dunkelheit dazu: Menschen, die wie Geister im Dunkeln am Strassenrand stehen
und auf Bus oder Taxi warten oder darauf, unter kalkulierbarem Risiko die
Strasse zu überqueren. Das geht am besten dort, wo die Schwellen sind. Die nützen auch Mopeds, die plötzlich und aus dem Nichts (es ist ja dunkel) quer
über die Fahrbahn schiessen. Herzschlag setzt dann mal kurz aus. Die
Gewohnheit, wenn möglich in der Mitte zu fahren (auch wenn es nur zwei
Fahrbahnen gibt), drängt sich auf, denn am Strassenrand mag auch ein
abgestellter, unbeleuchteter, ungesicherter Lastwagen abgestellt sein, ein mit
Früchten beladener Holzanhänger warten oder ein paar Menschen um ein Motorrad
stehend palavern.
Wie geht Frau damit um?
Ich versuch mich anzupassen, meinen Blick 360° wandern zu
lassen, für mich und meine Kollegen im Strassenverkehr mitzudenken und abzuschätzen,
was als nächstes passieren könnte. Manchmal würde ich so gerne Fussgänger über
die Strasse lassen, so wie sich das gehört. Vor lauter Angst, dass mir der
Hintermann auffährt - sein Gehupe ist mir egal -, muss ich mein Vorhaben öfter mal fallen lassen. Der
ägyptische Fussgänger kapiert erst gar nicht, dass man ihm den Vortritt geben
will: sie bleiben an Ort und Stelle stehen, bis man vorbei ist.
Erfahrung hilft: wenn einer vor mir plötzlich langsam fährt, dann ist klar: er telefoniert oder schreibt Sms – dann gilt es vorbei zu fahren. Ich kenn
inzwischen auch das Verhalten von den Bussen und den Lastwagen, ebenso von den
Minibussen und Taxis, die jeden Moment ihre Richtung oder Geschwindigkeit
ändern können. Ich präg mir die Löcher und Schwellen ein; das ist aber eine
Endlosaufgabe.
Klein beigeben und ängstlich fahren ist in meinen Augen ein
Fehler, den viele Ausländer hier machen. Durch ihr zögerliches, langsames
Fahren provozieren sie die anderen Verkehrsteilnehmer und dadurch wird die Lage
nur noch schlimmer.
Jedes Mal, wenn ich wieder zu Hause bin, steige ich dankbar
aus dem Auto. Dankbar, dass ich wieder heil und ohne Zwischenfall angekommen
bin.
(hier ist ein Link zu einem weiteren Erfahrungsbericht, nur in Englisch)
(hier ist ein Link zu einem weiteren Erfahrungsbericht, nur in Englisch)
Hier sind einige Bilder, allerdings mit der Handykamera
aufgenommen, und nur ausserhalb der Stosszeiten – alles andere wäre zu
gefährlich. Sie geben weniger einen Eindruck der Fahrweise, als einen Eindruck
der Strassenqualität:
der Tanker fuhr zu schnell in die Kurve |
oben drauf liegt ein Junge |
die Strasse wurde Anfang Jahr halbseitig frisch geteert |
die gleiche Strasse, 100 m weiter |
eine Quartierstrasse |
im gleichen Quartier |
im gleichen Quartier |
die Fussgängerpromenade wurde wegen El Sisi's Besuch verlängert; alles dahinter ist kaputt |
eine Quartierstrasse |
die Rohre warten schon seit über zwei Jahren auf ihre Bestimmung unter dem Sand |
vor dem Pick-Up: Abzweigung und Schleichweg |
eine dieser elenden Schwellen |
die Warteschlange an der Tankstelle ragt mitten in die Fahrbahn hinaus; das rote Auto vor mir ist grad rechts herein gefahren und quert die gesamte Fahrbahn nach links |
der Touristenbus quert im letzten Moment von ganz links zur Ausfahrt rechts Richtung Flughafen |
Auch wenn ich deinen Ärger und deine Wut über den ägyptischen Straßenverkehr mehr als deutlich aus deinem Text herauslesen konnte, so habe ich doch sehr geschmunzelt. Du hast die Situation wirklich klasse beschrieben.
AntwortenLöschenDu lebst so lange in Aegypten, das Leben ist Dir bekannt ... mit einem Allrad getriebenen Gelaende-Wagen, den ich damals hatte, wuerde jedes Terrain gemeistert und Du brauchst Dich nicht aufregen ... auch eine Verfolgung eines wuetenden Aegypters, der mir in Maahdi, Cairo, die Meute auf mich hetzte und ich in Todesangst alles ueberfuhr, um mein Leben zu retten, dank Allrad.
AntwortenLöschenWenn dort in Aegypten alles so schlimm ist, wie Du beschreibst, besonders, wie in den letzten, Deinen Posts, warum verlaesst Du nicht das Land? ...