In Hurghada
genauso wie in Ägypten allgemein.
Zuerst
zum Tourismus
Seit dem
Absturz der russischen Maschine Ende Oktober letzten Jahres über dem Sinai
haben Fluggesellschaften und Reiseanbieter ihre Rückkehr in die ägyptischen Feriengebiete
immer wieder hinausgeschoben. Nur noch wenige Fluggesellschaften fliegen nach
Sharm El Sheikh, Marsa Alam und Hurghada. Die Flughäfen sind gähnend leer.
Dabei sind die Sicherheitskontrollen jetzt wirklich seriös. Doch das allein
reicht nicht aus, denn es geht um Geo-Politik, die mir über den Kopf wachst,
die lass ich lieber beiseite.
Während die
top-Ferienorte Sharm und Dahab am Sinai quasi verwaist sind, sind in Hurghada
und Marsa Alam doch noch einige Hotels offen; sie schlängeln sich aber mit
einer Belegungsrate von durchschnittlich 10-20% durch. Das kann nicht mehr
lange gutgehen und viele haben dichtgemacht. Geschäfte sind geschlossen,
Restaurants und Bars dunkel. Am meisten schmerzt das Ausbleiben der russischen
Gäste.
Die von mir
ungeliebte Sheratonstrasse – die Hauptgeschäftsstrasse und Bummelmeile in
Hurghada – ist auch abends erschreckend ruhig. Ein Hotelmanager meinte neulich,
er sei schon froh, wenn er nicht jeden Monat Verlust mache; im Januar waren es
600‘000 EGP Verlust, Februar eine schwarze Null. Er hat immer wieder Seminare
in seinem Hotel – ein Glück. Andere Resorts versuchen, Europäer für € 220.00
inkl. Flug und all-inclusive anzuwerben – irgendwas bleibt da aber auf der
Strecke.
Zusatzleistungen
zum Beispiel. Ich habe grad einen lukrativen Nebenjob verloren, weil es sich
die Hotels nicht mehr leisten können. Ägyptische Animateure arbeiten z.B.
gratis – das erspart ihnen die Ausgaben für Wohnung und Nahrung.
Die Folge
ist: Viele Ausländer und Ägypter haben Hurghada verlassen. Die anderen
versuchen, ihre Habe zu Geld zu machen, verkaufen, was sie noch besitzen. Die
anderen zehren von den Reserven, schlängeln sich durch.
Ägypten
taumelt
Ebenso
schlimm sieht das Gesamtbild für das ganze Land aus. Der Doller ist in wenigen
Wochen von 7.8 auf über 10 Pfund gestiegen – auf dem Schwarzmarkt. Es kommen
keine Devisen herein und die Zentralbank hatte den Verkauf von Devisen
blockiert. Für die international tätigen Firmen ist das eine Katastrophe:
Airlines drohten, keine Tickets mehr auszustellen, dringende Ersatzteile und
Medikamente blieben im Zollager hängen, weil die Firmen die Ware nicht
auslösen, sprich: bezahlen konnten. Es ist ein Negativkreislauf: unter diesen
Umständen mag niemand investieren. Inzwischen hat die Zentralbank zwar das
Verbot für Firmen gelockert, Vertrauen in den Markt hat aber kaum jemand mehr.
Das
zweitwichtigste Standbein für Deviseneinnahmen ist der Suez-Kanal. Mit viel
Pomp wurde ein Seitenarm letztes Jahr in aller Eile ausgegraben und eingeweiht.
Doch die Einnahmen sind gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Wenn nun die
Ölpreise weiter sinken, lohnt es sich für die Containerschiffe wieder, um ganz
Afrika zu fahren anstatt die teuren Gebühren für den Suez-Kanal zu bezahlen. Es
sind aber nicht nur die Gebühren für die Benützung des Kanals, es geht auch um
die Umladung der Güter von den Containerschiffen auf kleinere Schiffe. Ach
Ägypten!
Der
umtriebige Präsident hat zudem verordnet, dass eine Auswahl von Luxusgütern
nicht mehr importiert werden dürfen (damit die Fremdwährungen im Land bleiben)
und stattdessen in Ägypten hergestellt werden sollten. Die Idee ist ja an und
für sich gut, kommt aber nicht grad im besten Moment und lässt sich auch nicht
von heute auf morgen umsetzen. Der Produktionsstandort Ägypten hätte schon vor
60 Jahren ausgebaut werden sollen – das wurde unterlassen, denn das Regime hat
immer kräftig am Import mitverdient. Die Folge ist, dass von der Zahnbürste bis
zu Autos alles Mögliche importiert wird oder zumindest Teile davon, die dann
hier zusammen gebaut werden. Und die Konsequenz: ägyptische Produkte sind
i.d.R. von lausiger Qualität – vom Service sprech ich jetzt lieber nicht.
„Schweigen
oder Verschwinden“ lautete der Titel zu meinem letzten Eintrag und ich habe
lange geschwiegen. Was aber bekannt ist, möchte ich hier erwähnen: trotz
Demonstrationsverbot hat es in den vergangenen Wochen unzählige Proteste
gegeben: gegen die unsinnige Polizeigewalt, gegen das mysteriöse Verschwinden,
gegen ausgebliebene Bonus- und Lohnzahlungen. Es brodelt im Land, obwohl die
Menschen grosse Angst haben. In den Gefängnissen schmoren 60‘000 Menschen, vom
armen Bauern, der irgend eine Schuld nicht begleichen konnte, über wahllos
festgenommene Menschen, zu angeblichen Aktivisten bis hin zu wahren Kriminellen
und gefährlichen Islamisten.
Ständig verschwinden Menschen, werden gefoltert
und zu Geständnissen von Taten gezwungen, die sie nicht begangen haben. Neulich
wurde ein 4-jähriges Kind zu lebenslanger Haft verurteilt – offenbar eine
Namensverwechslung, aber das Gericht weigerte sich, die Geburtsurkunde
einzusehen. Die Polizeigewalt ïst schlimmer als je zuvor und Zweifel tauchen
auf, ob der Präsident noch die Kontrolle über seine Ministerien hat.
Der
Nordsinai ist und bleibt ein Minenfeld, ständig erfolgen Angriffe auf
Checkpoints und Militäreinrichtungen, bei denen Armeeangehörige ihr Leben
verlieren. Darunter leidet die Bevölkerung. Da eine Nachrichtensperre über
alles, was den Nordsinai betrifft, gilt, erfährt niemand, was dort wirklich los
ist. Die Lage ist offenbar nicht unter Kontrolle.
Vor zwei
Wochen hat der Präsident eine engagierte Rede gehalten. Dabei versprach er, er
würde sich selbst zum Verkauf anbieten, um sein Land zu retten. Prompt hat ihn
ein Witzbold ein paar Tage später auf Ebay zum Verkauf ausgeschrieben.
Nachdenklicher finde ich die Aufforderung, die (wohlhabende) Bevölkerung solle
per Sms 5 Pfund an den Fond zur Rettung Ägyptens spenden. Irgendwie gehen dem
Mann die Ideen aus...
Lösung
in weiter Ferne
5 Pfund
spenden hilft nicht viel, auch nicht, wenn es ein paar Millionen Ägypter machen
würden. Die von Saudi Arabien und den Golf-Staaten geschickten Billionen US
Dollar sind versickert. Wie weiter in diesem alten Land? Fragt sich, ob es
überhaupt jemand in dem Regime weiss.
Was Ägypten
bräuchte, wäre eine Technokratenregierung aus erfahrenen Menschen, die kurz-,
mittel- und langfristige seriöse Massnahmen einleitet, damit das Land endlich
aus dem Sumpf kommt. Doch das Regime möchte ja die Kontrolle behalten...
Wie tief
kann ein Land denn noch fallen? Es brodelt bereits an allen Ecken und Enden und
hinter vorgehaltener Hand wird spekuliert, wann es zur offenen Explosion kommt.
Dabei wäre genau das fatal für das Land. Aber wenn es die Machthaber nicht
anders verstehen?
Es ist
himmeltraurig mitanzusehen, wie sich die Situation verschlimmert. Ich rede hier
vom Land, aber es geht ja um Millionen Einzelschicksale: Verlust der Arbeit,
kein Geld für Medikamente oder Operationen, kein Geld für gute Bildung, keine
Möglichkeit zu heiraten, Verlust der Wohnung... Ach Ägypten!!!
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