Seit er
hier in Hurghada arbeite, das seien jetzt vier Jahre, war er erst vier oder
fünf Mal am Strand. Schwimmen könne er nicht so gut und alleine könne er nicht
an den Strand gehen.
„Mein
grösstes Problem bin ich selbst“, meint der junge Kellner. Er habe Probleme im
Kopf, mit seinen Muskeln, mit dem Herzen. Drum könne er auch nicht schwimmen
gehen.
Heute ist Ahmed
besonders gesprächig, während ich bei 40° C im Schatten meinen nachmittäglichen
Espresso trinke.
Er erzählt weiter,
manchmal auf Arabisch, das ich schwer verstehe, weil er Slang redet und das in
einem Wahnsinnstempo, manchmal auf Englisch, das ich auch nicht immer verstehe,
weil er es nicht gut kann. Er vertraue auch niemandem hier in Hurghada. Die
Leute würden sich als Freunde ausgeben und einen dann hinterrücks betrügen.
Jeder hier mache schlechte Erfahrungen, meint er und fügt lächelnd hinzu: „Das
hat auch was Gutes: beim nächsten Mal bist du gewarnt.“
Weil er
niemandem traue, rede er auch mit niemandem über seine Probleme und Sorgen. Er
rede mit dem, dem er vertrauen könne, also mit sich selbst. Am liebsten im Bad
vor dem Spiegel. Stundenlang. Sein Arbeitskollege, den er schon seit zwei
Jahren kennt, versteht das nicht. Ahmed will ihm seine Sorgen nicht
anvertrauen. Dabei ist Ragy, der Arbeitskollege, ein überaus hilfreicher,
ruhiger, netter und sozialer Typ.
Ich frag
nach Ahmeds Geburtstag, möchte ihm ein Sternzeichen zuordnen. Seine Antwort
jedoch überrascht mich: „Ich weiss es nicht.“
„Was, wie
geht das, du weisst dein Geburtsdatum nicht?“
„Nein,
wirklich nicht.“
„Aber deine
Mutter weiss es doch bestimmt?“
„Nein, sie
auch nicht. Ich habe noch sieben Geschwister,“ ergänzt er mit schiefem Grinsen.
Quasi, wie soll sich da seine Mutter an seine Geburt erinnern?
Er weiss
nur, wann seine Geburt registriert wurde; das war, als sein Vater mal wieder
von der Arbeit im Ausland nach Hause gekommen ist. Aus dem Irak, aus Saudi-Arabien,
aus Libyen, aus den Emiraten – er weiss es nicht. Er weiss auch nicht, wie alt
er damals war, als er endlich offiziell angefangen hat zu existieren.
Er fährt
fort: „Meine Mutter war schwanger, als mein Vater wegging. Und als er nach ein
paar Jahren zurückkam, fand er einen Sohn mehr in seiner Familie vor.“
Ich stelle
mir in Gedanken vor, was das für ein Leben für seine Mutter war. Sie wird
geschwängert, er geht weg, um im Ausland Geld zu verdienen. Er schickt das Geld
nach Ägypten, um seine unbekannte Familie zu ernähren. Die Mutter muss sich um
alles kümmern, wird womöglich von den männlichen Familienmitgliedern unterstützt
oder im schlimmeren Fall bevormundet. Der Vater kommt mal wieder zurück,
schwängert seine unbekannte Ehefrau, geht wieder ins Ausland. Und so fort.
„Und als
mein Vater genug hatte vom Ausland und sich in Ägypten niederlassen wollte, war
kein Geld mehr da. Dabei hat er immer Geld nach Hause geschickt.“
Wohin ist
denn das Geld geflossen? Ahmed macht eine hilflose Geste. Sein Grossvater habe
es an die Brüder seines Vaters verteilt und jetzt ist nichts mehr da. Er
erzählt das nüchterner als ein Fussballergebnis.
Ahmed geht
weg, muss den Whirlpool einschalten. Ich steh da und hänge meinen Gedanken nach.
Die Familienumstände von Ahmed sind für die ärmere Bevölkerungsschicht von
Ägypten völlig normal. Millionen von Ägyptern haben in den vergangenen
Jahrzehnten ein Auskommen in anderen arabisch-sprachigen Ländern gesucht.
Emigration,
dauerhaft oder vorübergehend, ist auch jetzt wieder ein aktuelles Thema und
nicht nur bei den ärmeren Ägyptern. Das Land bietet seiner Jugend keine
Perspektiven.
Ich lass
meine leere Espressotasse stehen und geh voller Gedanken zurück in meine
Wohnung.
Was mich wundert ist die Bereitschaft das Familienleben zu opfern für ein wenig Geld dass dann ohnehin nicht zur Verfügung steht. Hat ihn seine Frau nicht aufgeklärt was mit dem Geld passiert? Man kann in Ägypten von fast nichts leben, da man eigentlich noch nicht einmal eine echte Bleibe braucht, da es ja nie regnet und nie wirklich kalt wird. Ich könnte mir auch vorstellen in einem Campingbus dort zu existieren und von Strand zu Strand zu fahren. Das Essen selbst ist kostengünstig, die medizinischen Behandlungen für Ägypter umsonst. Solange man sich etwas zu essen besorgen kann, kann man den ganzen Tag tun wonach einem ist. Bücher lesen, sich bilden ein wenig arbeiten um sich das Essen zu verdienen.
AntwortenLöschenDer Blickwinkel des Europäers kollidiert mit der ägyptischen Realität 😕
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