Dem
Roten Meer entlang
Etwas
später als geplant– was sich später als Glück erweisen wird – starte ich meine
lange Fahrt Richtung Norden. Die Sonne ist schon um Viertel vor Fünf über den
Horizont gewandert; ohne Sonnenbrille geht nichts mehr.
Locker
fliessen die ersten hundert Kilometer dahin. Zu meiner Rechten im Sonnenlicht
glitzernd das blaue Rote Meer, mal näher, mal ferner, zu meiner Linken das
Gebirge. Auch die nächsten hundertfünzig Kilometer oder so machen Spass: doppelspurige
Strasse, teilweise neuer Belag, spärlicher Verkehr. Eine kurze Rast mit den Beinen
im Meer stärkt mich. Regelmässig verteilte weisse Punkte im Sand entpuppen sich
als neue Windmühlen – die Windfarm wird vergrössert. Ein einziger Kran ist zu
sehen… der wird lange dran sein, bis die alle aufgerichtet sind und drehen,
denke ich.
Mein GPS
hat nicht viel mehr zu tun, als mir zu sagen, dass ich weiterhin geradeaus
fahren soll. Ich schalte das Geschwätz ab und konzentriere mich auf die
inzwischen einspurige, kurvige Strasse an der Steilküste zwischen Zafarana und
Ain Sukhna. Die malerische Strecke ist ein Traum – der Verkehr schon früh
morgens ein Albtraum: Fahrer von Tankwagen, Sattelschleppern, Minibussen,
Reisecars und PWs machen sich die einspurige Fahrbahn streitig und zur
Rennstrecke. Es wird bei und im Gegenverkehr überholt, die Randfahrbahn wird
zur Fahrspur. Prompt komme ich an einem fürchterlichen Unfall vorbei: ein
völlig zerknittertes Auto steckt kopfüber in den Felsbrocken, welche das Meer von
der Strasse trennen. Foto machen geht nicht, anhalten ist zu gefährlich.
Später
erfahre ich, dass der Unfall kurz vorher geschehen war und der Fahrer im
Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen ist: übersetzte Geschwindigkeit, ohne
Sicherheitsgurt. Mein Schutzengel war bei mir.
Auf dem
Meer schwebt ein Containerschiff Port Suez zu; Schornsteine und Tanklager vom
wichtigen Umschlagplatz schimmern durch den Dunst.
Hinter der
Mautstelle von Ain Sokhna lasse ich die Abzweigung nach Suez rechts und die
Erinnerungen an meine letzte Fahrt dorthin links liegen – letzteres klappt
nicht wirklich.
Danach ist
die Autobahn wieder mehrspurig; totz vielen Sattelschleppern locker zu fahren.
GPS und
die Strassen Kairos
Ich passiere
die Mautstelle von Kairo und schalte die Stimme meines GPS wieder ein. Doch das
Ding lässt mich elend im Stich.
„Nach
dreihundert Meter rechts abbiegen“ – war ein Fehler, der mich zwei zusätzliche Stunden
in Hitze, Verkehr und Huperei gekostet hat. Ich befinde mich zwar auf der
Ringstrasse, aber in der falschen Richtung. Ich will Richtung Giza, nicht nach
Heliopolis oder zum Flughafen. Runter komme ich locker wieder, aber auf die
andere Seite – das ist ein Geheimnis, das ich noch nicht gelüftet habe. Mein
GPS auch nicht.
Es führt
mich immer wieder in Situationen wie „nach dreihundert Meter rechts abbiegen“
oder „nach 80 Meter umkehren“ oder „Autobahn verlassen“… doch, da ist nichts
zum Abbiegen, nichts zum Umkehren und auch keine Autobahnausfahrt. Dafür hat es
neben der Autobahn noch eine Autobahn oder sowas Ähnliches. Also fahre ich
weiter und biege ab, kehre um oder verlasse, wenn ich kann. Und dann
soll ich „um den Kreisverkehr fahren und die vierte Ausfahrt nehmen“, doch der
Kreisverkehr ist zugebaut und stattdessen wird der Verkehr um mehrere
Häuserblocks in Maady geleitet. Die Strassen sind voller Löcher und eigentliche
Baustellen wie meistens und ich werde im Schritttempo von Links und Rechts
überholt, tue dasselbe ebenfalls und die Huperei höre ich schon gar nicht mehr.
Irgendwann
schaff ich es doch und finde mich entgegen meinen Reiseplänen im Mittagsverkehr
auf der Ringstrasse Richtung Giza. Dort wartet ein Hotelzimmer auf mich, quasi
in der Nähe der Pyramiden. Nur, auf der Ringstrasse ist einfach nie Giza signalisiert,
sondern alle möglichen Stadtteile, die ich zwar vom Hören-Sagen-Lesen kenne,
nicht aber auswendig lokalisieren kann. Der Verkehr ist so dicht, dass ich fast
Ellbogen an Ellbogen – oder Seitenspiegel an Seitenspiegel - mit anderen
Fahrern vorwärts tuckere.
Zwischendurch halte ich am Fahrbahnrand an, um zu prüfen,
ob die vorgeschlagene Ausfahrt korrekt wäre. Nein, ist sie nicht. Also weiter. Ich
verlasse die Ringstrasse auch mal, nur um festzustellen, dass das wieder falsch
war, aber weil die Ausfahrt ein paar hundert Meter weiter wieder zu einer
Einfahrt wird, ist das Problem wieder aus der Welt. Auch nicht schlecht.
Wundersamerweise
entdecke ich ein braunes Schild mit Giza. Wow! Immerhin stehen dort die Pyramiden,
eines der sieben Weltwunder. Wie soll die ein Tourist finden? Zwischenbemerkung:
es gibt auch ägyptische Touristen und die tun sich genauso schwer, in Ägypten
etwas zu finden, bleiben bei ihrer Suche aber nicht am Strassenrand, sondern
mitten drin stehen. Zu meiner Überraschung fängt auch mein GPS wieder an, sich
in den Verkehr einzumischen. Es leitet mich korrekt in die elend lange und
ebenso verstopfte Al Haram Strasse und zu meinem vorübergehenden Ziel.
Von der
Hotel-Terrasse aus kann die Al Harm Strasse von oben beobachten: eine mehrfache
Lichtgirlande in Rot auf der rechten, in Weiss auf der linken Seite – bis in
die frühen Morgenstunden. Durch die doppelte Dreifachverglasung dringt die
Huperei nur noch schwach ins Zimmer im neunten Stock.
Von
Kairo nach Alexandria
Um dem
Verkehr auszuweichen, müsste ich eigentlich um sechs Uhr früh los. Ich bin aber
zu müde und verlasse Giza erst nach neun. Mein GPS leitet mich diesmal artig
zurück auf die Ringstrasse, was allerdings auch nicht allzu kompliziert war.
Die
Wüstenautobahn zwischen Kairo und Alexandria erinnert mich sehr an meine
zahlreichen Fahrten in Norditalien: die Beschilderung folgt einer gewissen
Logik (!), links und rechts liegen Landwirtschaftsflächen, Reis, Obstbäume,
Weinberge, Zypressen, viel grün, Bewässerungssysteme, Co-Op-Tankstellen.
Bekannte Namen huschen an mir vorbei: Wadi Food (Olivenöl und deren Produkte),
Dina Farms (meine Milch), Isis (Bio-Produkte) und andere.
Die
Autobahn ist viel besser, als in der Provinz Rotes Meer. Allerdings rennen immer
wieder Menschen unter Lebensgefahr quer über die vierspurige Fahrbahn: am Rand
stehen Toktoks, welche die Pendler von ihren Dörfern an die Wüstenautobahn und zurück
bringen. Minibusse halten auf der Autobahn an, um die Pendler mitzunehmen. Ein
Horror für jeden vernünftig denkenden Autofahrer.
Noch mehr
schockieren mich die vollverschleierten Frauen, die bei den Mautstellen
betteln. Ja, betteln! Sie strecken mir ihre schwarz behandschuhte Handfläche
entgegen, als ich im Schritt über eine Bodenwelle hüpfe.
In
Alexandria
Als ich vor
neun Jahren zum ersten Mal in diese Stadt kam, hätte ich nie gedacht, dass ich
hier mal mit meinem eigenen Auto herumkurven würde. Auch bei meinen späteren
Besuchen nicht. Umso komischer war das Gefühl, durch mir bekannte Quartiere zu
fahren. Alexandria hat gegenüber Kairo einen grossen Vorteil: die Strassen und
Quartiere sind rechteckig angelegt, zumindest im Zentrum. Zudem ist die Stadt
in die Breite gewachsen, über dreissig Kilometer dem Meer entlang. Das hilft mir,
mich zu orientieren. Mein GPS hingegen ist wieder heillos überfordert: es will
mich durch kleine Gässchen schicken, durch die höchstens ein Motorrad schlüpfen
kann. Ausserdem weiss es nichts davon, dass viele Strassen nur in einer
Richtung befahrbar sind. Dass sie von Mittag bis nach Mitternacht andauernd
verstopft sind, weiss ich selber.
So bleibt
mir nur eines: fragen, fragen und fragen. Der Taxifahrer, der mich durch das
Gewühl lotste, wollte kein Entgelt. Nachdem ich zum zweiten Mal rund um einen
Block gefahren bin (es hiess jeweils, „zweimal links“), bitte ich jemanden, mit
mir mitzufahren. Auch das geht.
Auf der
Landwirtschaftsstrasse in die Provinz-Hauptstadt
Um sieben
Uhr früh raus aus der Stadt, hinein nach Beheiyra. Die riesige Provinz ist eine
einzige Landwirtschaftsfläche zwischen Alexandria und Kairo, am Leben erhalten
durch Kanäle, die den fernen Nil anzapfen. Konsquenterweise heisst die Strasse
nach Damanhour „Landwirtschaftsstrasse“. Sie ist ein lebensgefährlicher Asphaltstreifen
mit zwei Mal drei Spuren, auf dem sich alles, was sich fortbewegt, tummelt, und
zwar jeder mit seiner eigenen Geschwindigkeit: Fussgänger, Traktoren, Bagger, Esels-Karren,
Lastwagen, Busse, Minibusse, PWs, Pick-ups, Taxis, Fahr- und Motorräder. Die
rechte und die mittlere Fahrbahn sind oft mit Toktoks, Minibussen und Lastwagen
blockiert, besonders an Stellen, wo die Strasse mitten durch Dörfer führt, oder
wo Imbissbuden wuchern. Unter- oder Überführungen gibt es nicht. Tagtäglich
überqueren Tausende von Fussgängern diese 60 km lange Horrorstrecke, um nach
Alexandria zur Arbeit, zur Schule oder sonst wohin zu gelangen. Und am Abend
dasselbe nochmals in umgekehrter Richtung.
Für den
Hinweg brauche ich genau eine Stunde – für den Rückweg um die Hälfte länger. Am
Strassenrand stehen nun junge Kerle, die Wasserfontänen in die Luft sprühen –
eine Einladung zum Autowaschen. Wertvolles Wasser wird da aus den Bewässerungskanälen
vergeudet. Ambulante Händler verkaufen Melonen, Kaktusfrüchte, Tomaten und
Feigen, aber auch Spielzeug…
Vollmond
über dem Roten Meer
Tage später
fahre ich wieder dem Roten Meer entlang. Hektik, Abgase, Lärm und akute
Lebensgefahr verschwinden im Vakuum der Erinnerungen. Bei einer Pause betrachte
ich den Sternenhimmel. Es ist still. Nur alle paar Minuten fährt ein Fahrzeug
vorbei. Der Vollmond steht über dem Roten Meer, der Silberstreifen endet
irgendwo in der Dunkelheit.
Nachfolgend einige "zahme" Eindrücke:
dem Roten Meer entlang |
Unfall am Roten Meer (Quelle: Facebook Sayed Mohamed) |
zwischen Hurghada und Kairo |
kurz vor Kairo |
Mautstelle Kairo |
Al Haram Strasse Giza |
Wüstenautobahn Kairo - Alexandria |
Taubentürme neben der Wüstenautobahn |
in Alexandria |
wieder am Roten Meer |
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