Wer den
Namen in eine Suchmaschine eintippt erhält als Ergebnis: Gefängnis in Wadi El
Natrun. Es ist eines jener berüchtigten Festungen, in welchem unliebsame
Politiker, Regime-Gegner und Aktivisten ein menschenunwürdiges Dasein fristen.
Aus jenen Mauern sind während des Aufstandes im Januar 2011 die Muslim Brüder
entwichen – angeblich mithilfe der palästinensischen Hamas und der Hezbollah.
Andere Vermutungen beschuldigen das Innenministeriums selbst – um Mubaraks
Prophezeiung „Nach mir das Chaos“ zu verwirklichen? Doch das Gefängnis liegt nördlich
von Kairo und hat nichts mit dem Tal zu tun, das ich besuchen möchte.
Wadi El
Natron ist eine riesige Senke mit mehreren Salzseen westlich der Wüstenautobahn
Kairo - Alexandria und liegt 23 m unter Meereshöhe. Das Salz (Natron) wurde
schon in der Antike für die Mumifizierung und zur Herstellung von Glas
verwendet. Heute ist es Landwirtschaftsgebiet und noch immer Rückzugsgebiet für
Mönche.
Übrigens
soll hier irgendwo das Flugzeug liegen, mit dem Antoine Saint Exupéry
abgestürzt ist; aus seiner Feder stammt „Der kleine Prinz.“
Im 3.
Jahrhundert n.Chr. und auch auf Flucht vor den Römern, später vor der Eroberung
durch Muslime, haben sich Mönche hierher zurückgezogen, um in der Stille und
Kargheit der Wüste als Einsiedler zu leben und zu beten. Die ersten lebten in
Höhlen. Bedrängt von Berbern und Plünderern, sahen sie sich gezwungen, sich
zusammen zu schliessen – so sind Klöster entstanden.
Anscheinend
gab es zur Blütezeit 60 Klöster (Quelle: National Geographic Traveller). Heute
sind noch vier bewohnt; von den anderen bleiben da und dort noch Ruinen.
Das
wichtigste Kloster ist der Hauptsitz des Koptisch-Orthodoxen Bischofs von
Ägypten, das Kloster Anba Bishoi, wo auch sein Sarg liegt. Ich habe dieses und
das Kloster der Syrier (al Surian) besucht und war beeindruckt.
*****
Ich verlasse
die Wüstenautobahn beim Dorf Wadi El Natroun – weiter will mein GPS nicht mehr.
Schon von der Autobahn aus habe ich im Westen die Senke gesehen: in der flimmernden
Hitze unscharf Hügelketten am Horizont, dazwischen grün-beige Landwirtschaftsflächen.
Ich bin aufgeregt: würde ich den Weg finden? An einer hohen, mit Stacheldraht
garnierten Mauer stehen Polizisten; die frage ich. „Immer gerade aus“, heisst
es höflich.
Ich fahr
auf der Staubstrasse stetit leicht abfallend gerade aus, vorbei an einfachsten
Läden, Werkstätten, Imbissbuden. Die Strasse ist zwar breit, ansonsten aber
erbärmlich, und wird von Pick-ups, Eselkarren und wie Fliegen herumschwirrenden
Toktoks befahren. Das Tempo ist gemächlich, die Szenerie erinnert mich an
Westernfilme: flirrende Hitze, Staub, armselige Buden, in denen Männer
seelenruhig ihrer Tätigkeit nachgehen.
Ich fahr
weiter hinunter in die Senke, mich wundernd und fragend. Wie weit? Wieso sehe
ich nirgends ein Schild zu diesen bekannten und wichtigen Klöstern? Soll ich
einen der Männer fragen? Frauen seh‘ ich nämlich keine. Mag ich nicht, das gibt
nur wieder einen Menschenauflauf. Im Auto bin ich anonym. Nach einer mir ewig
lang vorkommenden Weile komme ich offenbar aus diesem Kaff raus; jedenfalls ist
die Strasse plötzlich wieder asphaltiert. An einer Wegkreuzung steht schief ein
Schild: „Deir Anba Bishoi“. „Hamdulillah!“ denke ich, so falsch bin ich also
doch nicht.
*****
Ja, das
„Hamdulillah“ hat sich nach sieben Jahren hier leben eingenistet. Ich könnte
auch „Gott sei Dank“ sagen – aber es entfährt mir stattdessen „Hamdulillah“;
die Umwelt prägt auch das Denken, teilweise. Hmm…
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Die Strasse
ist perfekt, die Landschaft links und rechts zieht mich in Bann: Sand, Wüste,
aber Plantagen, Bewässerungsanlagen. Obstbäume, Weinreben, Olivenbäume… herrlich. Klar, hier
müssen ja auch Busse durchfahren, mit denen Gläubige die Klöster abklappern –
drum ist die Strasse so gut.
*****
Aus dem
Dunst erheben sich Türme und Kuppeln… Kreuze darauf – das erste Kloster. Mir
bleibt fast der Atem stehen… dieser Anblick: in dieser Einöde, geprägt von
Hitze und Wüste, in der Menschen seit Jahrtausenden der Natur Essbares
abringen, tauchen plötzlich diese sandgelben Bauten auf, majestätisch, stark,
den Widrigkeiten von Natur und Mensch trotzend.
Das Kloster
Anbar Bishoy ist von einer geschätzt 10 m hohen Mauer geschützt. Pompös
präsentiert sich die Einfahrt: zwei Türme mit Bildern aus der Bibel lassen
einen schmalen Durchgang frei. Höflichkeitshalber frage ich die
Sicherheitsleute, ob ich das Kloster besuchen darf. Ja, ich solle mein Auto
dort abstellen und dann durch einen winzigen Eingang hineingehen.
Die Anlage
ist riesig, ich sehe eine gepflegte Parkanlage mit Bäumen, Büschen und Blumen.
Drinnen dann fühl ich mich zwischen den vielen Kirchen und Menschen fast
verloren. Natürlich habe ich vergessen, dass Ferienzeit ist und folglich ganz
Ägypten auf Reisen ist.
Ich gehe
die Steinstufen hinab zu einer uralten Kirche, welche um den Sarg des
Kloster-Gründers gebaut worden ist. Ehrfürchtig und respektvoll trete ich ein,
habe mir extra einen Schal über meine Schultern gelegt. Umso entsetzter bin ich
davon, wie es an diesem Ort aus dem 7. Jahrhundert zu und hergeht. Die Kopten
wandern von Ikone zu Ikone, vom Sarg zu Kreuzen, von Mönch zu Mönch und küssen
und berühren jeden Gegenstand innig. Das ist zwar nichts Neues für mich,
trotzdem fühl ich mich irritiert. Weder Andacht noch Ehrfurcht, auch kein
Staunen über die antiken Kunstwerke.
Plötzlich sehe ich mich von einer Gruppe Erwachsener und Kinder umgeben. Alle reden auf mich ein, ein Mann in einem olivgrünen Kaftan zeigt auf sein Kind, drückt es mir auf den Arm und möchte ein Foto von mir machen. Sprachlos stimme ich zu. Ich verzieh mich in den nächsten Raum, weg von dem Sarg, in der Hoffnung, dass ich dort auf weniger Besucher stosse. Doch die kommen mit. Um die dreissig Kinder stehen plötzlich rund um mich und wollen mich nicht nur angucken, sondern fotografieren – jeder mit mir allein.
Ich fühl
mich nicht besonders wohl, wie im Zoo oder im Museum begafft und fotografiert
zu werden, und dazu noch an einer heiligen Stätte! Verdattert versuch ich auf
Arabisch rüberzubringen, dass dies doch immerhin eine Kirche sei und Respekt
geboten sei; einige Kinder gehen enttäuscht weg und zwei Männer holen die
anderen. Trotzdem werde ich auf Schritt und Schritt mit Blicken verfolgt und
heimlich abgelichtet. Es ist fast unmöglich für mich, die alten Gemäuer in
Stille zu „fühlen“. Und genau das ist meine Art, historische Stätten zu
besuchen.
Also geh
ich bald wieder. Gegenüber dem Ausgang stehen die üblichen Imbiss- und
Andenkenläden. Die Leute drängen sich da durch und kaufen den Krimskrams, bevor
sie wieder in die Busse steigen.
*****
Ich folge
der schönen Asphaltstrasse, nicht wissend, wo ich das nächste Kloster finden
werde. Ein Schwertransporter verschwindet um eine Kirche – ich folge ihm. Dann
schon tauchen die nächsten Kuppeln und Türme über der grünen Landschaft auf. Es
ist das Kloster der Heiligen Jungfrau Maria „Al Syrian“.
Ich habe
zweifach Glück: weniger Besucher und ein Mönch fragt mich, ob er mir helfen
könne. Dieses Angebot nehme ich natürlich gerne an und er führt mich durch die
Kirche aus dem 9. Jahrhundert, weist mich auf die in mehreren Schichten
übereinanderliegenden Fresken hin, erklärt mir die Bedeutung der verschiedenen
Kreuz-Zeichen in der Holztüre und führt mich durch das Gelände, Legenden
erzählend. „Legende“ nannte sie ein in Kanada lebender Ägypter, den ich um
Übersetzung einer Schrifttafel bat – der Mönch nannte sie „Begebenheit“. Zum
Beispiel jene, wonach einem Mönch befohlen wurde, ein Stück Holz täglich zu
bewässern, woraus nach drei Jahren ein Olivenbaum wuchs, wobei das Wasser der
Legende nach 12 Meilen entfernt geholt werden musste. Für Gläubige ist dies ein
Zeichen für Gehorsam.
Einmal pro Jahr kommt ein Fachmann für einen
Monat, um weitere Fresken frei zu legen. Einmal pro Jahr für einen Monat! Für
mehr reicht das Geld nicht. In Europa würde man da viel mehr Aufhebens machen.
Die Fresken im Kloster Val Müstair, Schweiz, stammen aus der gleichen Zeit und
das Kloster wurde auf die UNESCO Liste gesetzt. Einfach so zum Vergleich.
Der Mönch
macht mich auf eine Holzbrücke aufmerksam. Im Turm, zu der die Brücke führt,
hatten sich die Mönche bei Gefahr verschanzt und konnten von dort aus Angreifer
abwehren.
*****
Ich lasse
das sympathische Kloster mit den schmalen Gassen und dem vielen Grün hinter mir
und fahre weiter. Ich komme an einem weiteren Kloster vorbei. Von weitem sehe
ich, dass auf dem Parkplatz unzählige Busse stehen und belasse es damit. Lieber
fahre ich noch durch diese unglaublich reizvolle Landschaft. Ich würde gerne
südlich zur Wüstenautobahn stossen und fahre und fahre und fahre. Die Strasse
wird schmaler, der Verkehr spärlicher. Ich halte an, mache Fotos, horche in die
Stille, staune über die Weinreben und Obstplantagen. Die wenigen Autofahrer,
die vorbeifahren, müssen mich für verrückt halten. Oder zumindest für seltsam.
Sie sind alles andere als daran gewöhnt, eine „Agnabeja“ allein mit dem Auto in
dieser Einöde anzutreffen. Ist mir egal, ich geniess es. Die Strasse wird noch
schmäler und vor allem schlechter, bis es nur noch Sand und Löcher gibt. Mein
GPS zeigt schon lang nur noch eine schwarze Fläche. Ich rechne damit, dass ich
alles zurückfahren muss, hoffe aber… bis ich vor einer Schranke anhalten muss.
Da gibt es kein Hindurch mehr, obwohl grad ein Lastwagen herausfährt. Die
Strasse sei „Diplomazia“ – ich denke, der Mann macht einen Witz, erwartet etwas
Bakshish. Später sehe ich auf der Karte, dass eine unendlich lange Strasse
durch die Senke so heisst. Theoretisch führt sie zur Wüstenautobahn. Das nützt
mir aber nichts, ich muss umkehren und den ganzen Weg retour fahren. Nochmals kutschiere
ich durch diese grandiose Tiefebene, holpere durch das seltsame Dorf, das mich
an Wild-West-Filme erinnert – bis ich wieder auf die Wüstenautobahn Richtung
Kairo gelange.
*****
Ägypten
gilt als Wiege der christlichen Religion. Es wimmelt von Kirchen und Klöstern.
Doch genauso wie die römischen und griechischen Reste werden die christlichen
Stätten vernachlässigt. Ägypten birgt einen unermesslichen Schatz an
geschichtlichen Zeugnissen, atemberaubend fantastische Landschaften, zwei
Meeresküsten von mehreren Tausend Kilometern Länge, Oasen, Felsmalereien im
Wüstengebirge, das Grosse Sandmeer, die Weisse und die Schwarze Wüste, Öl, Gas,
Mineralien… und damit habe ich nicht mal alle Schätze aufgezählt!
Und das
Land ist praktisch pleite, die Menschen leben im und vom Dreck. All das geht
mir durch den Kopf, während ich auf der Autobahn Richtung Kairo fahre, mich
durch den Verkehr schlängle, mich anderntags durch die Slums von Giza zwänge
und endlich wieder der Küste des Roten Meeres entlang Richtung Hurghada fahre.
Mir ist wind und weh. Ägypten könnte ein Paradies sein, wenn…
Dorf Wadi El Natrun |
Zufahrt zum Kloster Anba Bishoy |
Kloster Anba Bishoy |
Besucher und Mönch im Kloster Anba Bishoy |
und schon das nächste Kloster |
Koptisch, Arabisch und Lateinisch |
die Kirche im "Al Surian" |
Fresken |
Die Türe mit den sechs verschiedenen Kreuzen |
im Torbogen |
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