Dienstag, April 11, 2017

Blick ins Meer

Es war Ostwind oder vielleicht sogar Südwind. Jedenfalls jene Windverhältnisse, die in Ägypten seltener vorkommen und in Hurghada die Flugzeuge anders herum starten lassen. Und die Luftfeuchtigkeit ans Land bringt. Und noch anderes mehr.

Ich war surfen. Es hatte Quallen, wie im Frühling leider üblich. Die Schildkröte sah ich auch, die tauchte ein paar Meter vor mir ab. „Ich bin Gast hier, es ist IHR Wohnrevier,“ denke ich oft, wenn ich im oder auf dem Meer bin. Doch mit dem Ost- oder Südwind steigt nicht nur die Luftfeuchtigkeit und die Quallen lassen sich wie in Trance ans Ufer tragen. Schlimmer ist: aller Abfall, alles, was versehentlich oder vorsätzlich ins Meer fliegt, rollt, fällt und geworfen wird, kommt an Land zurück.

Grässlich. Im wunderbaren Tiefblau des Roten Meers, auf, in und zwischen den wogenden Wellen schwammen Holzplanken und Plastiksäcke, Plastikflaschen, Plastikgeschirr, Plastikbecher, zerrissene Seile, einzelne Flipflops, Fetzen von Textilien, Zigarettenstumpen, Fässer und immer wieder alle Art von Plastikteilen. Die zartlila Quallen wirkten dazwischen wie mystische Fremdkörper.


Ich war einen Moment lang schockiert. Ich ekelte mich. Nicht vor den Quallen, obwohl ich beinahe Panik vor denen habe. Nein, ich ekelte mich vor dem Abfall und schämte mich für all die Menschen rund um den Globus, die so achtlos mit unserer Natur umgehen.
Wenn ich am Strand beobachte, wie der Wind eine Plastikflasche oder eine Plastiktüte davontragen will, stehe ich reflexartig auf und renne dem Ding nach.

Lächerlich.

Abfall – ein Weltproblem
Es geht nicht nur um diese Kleinteile, die ein Badegast achtlos am Strand liegen lässt und vom Wind davongetragen werden. Es geht um all den Abfall, der bewusst oder unbewusst in der Wüste, im Wald, in der Wiese, am Strassenrand, am Fluss, hinterm Haus, vom Auto, vom Boot, von überall her überall hingeworfen wird. Damit denke ich nicht nur an Ägypten oder andere Drittweltländer, sondern auch an die sogenannten entwickelten Länder. Dort geschieht das auch, einfach etwas weniger auffällig und fein verpackt. Hinter vorgehaltener Hand, quasi.

In Drittländern wird alles gesammelt, zerteilt, repariert, wiederverwendet und wenn es dann endgültig nutzlos ist, dann wird es entsorgt. Plastik macht eine Ausnahme: es wird oft nicht mal verwendet (Plastiktüte) und schon gar nicht repariert: es landet vom Geschäft direkt auf der Strasse, in der Natur, im Meer.

In den fortschrittlichen Ländern wird der Abfall sortiert, gesammelt, zerteilt, wiederverwendet – sofern es sich wirtschaftlich lohnt. Reparieren lohnt sich meist nicht. Und vieles davon wird exportiert: Fahrzeuge, Elektronik, Möbel, Kleider, hochgiftige Stoffe bis hin zum Atommüll. Oder gleich im Fluss, im See, im Meer, im All versenkt.

Ist das nicht eine Sauerei? Ein Betrug?

Ich finde es noch schlimmer: es ist Mord. Mord an den Pflanzen und Tieren, welche die Basis unseres Lebens sind. Ohne sie können auch wir nicht leben. Wer hat schon mal diese beklemmenden Bilder von Vögeln mit Plastikteilen im Bauch gesehen? Von Wasserschildkröten, die sich in Fischnetzen oder einem Plastiksack verfangen haben? Nur der Mensch ist dumm genug, sich seine eigene Existenz zu zerstören…

Etwa 70% der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Früher oder später landet folglich jedes Teil im Wasser, egal ob es dahin gehört oder nicht.

Als ich da auf dem Surfbrett stand, überlegte ich mir, wie die Meere wohl in 30 Jahren aussehen werden. Wahrscheinlich werden sie zu einer Kloake mutiert sein, in der fast alles Leben erstickt ist. Schwimmen oder Wassersporttreiben werden wir in künstlichen Wasserbecken mit künstlichen Korallen und künstlichen Fischen und künstlichen Wellen und Winden.

Grässliche Aussichten.

Muss das sein?
Es ist ja bewundernswert, wie es immer wieder „Reinigungstage“ gibt, an denen Freiwillige mit Handschuhen und Abfallsäcken bewaffnet Inseln und Küstenabschnitte von Abfall säubern. Auch Taucher machen dasselbe unter Wasser regelmässig.

Doch diese Aktionen sind ein Tropfen auf den heissen Stein. Gemerkt haben das erst Wenige und ihnen hört man nicht – noch nicht – zu.

Ist es wirklich nötig, dass wir alles in Plastik verpacken? Ist es wirklich nötig, immer eine neue PET-Flasche zu kaufen? Ist es wirklich nötig, dass wir kaufen und wegwerfen und nichts mehr wieder-verwenden oder reparieren?

Was hat uns das Konsumzeitalter gebracht? Mehr Glück? Mehr Zeit? Mehr Freude? Mag jeder selber entscheiden. Ich bin mir jedoch sicher, dass es uns vor allem mehr Abfall, ein riesiges weltweites Abfallproblem gebracht hat und dass die Lösung dazu noch fehlt. Obwohl die Zeit drängt. Nur wegschieben, aus den Augen, aus dem Sinn, exportieren und enddeponieren sind keine Lösungen.

Bis die da sind werden noch viele Tonnen Abfall in den Meeren landen. Und irgendwann werden wir die Konsequenzen davon spüren.
Nicht nur beim Surfen bei Ost- oder Südwind am Roten Meer.


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