Eine junge
Dame aus Südafrika sitzt neben mir im Auto. Ich nehme sie mit in die Stadt und
wir quatschen über dies und das, eher ernst-philosophisch, so wie ich es mag,
aber so genau weiss ich es nicht mehr.
Was ich
jedoch nicht so schnell vergessen werde, ist die unerwartete Frage: „Und
weshalb bist du hier?“
Ich
schlucke. Ich überlege: Was soll ich sagen? Ich musste die Frage schon oft
beantworten und habe das ohne Zögern offen und ehrlich gemacht. Ich bin keine
Heuchlerin, Ehrlichkeit – selbst zu meinem Nachteil – gilt mir als Tugend,
auch nach neun Jahren in diesem Land.
Wunsch nach
Veränderung, Reiz des Neuen, Lust auf Abenteuer fern der Heimat nannte ich als
Triebfeder. Damals war das Leben hier günstig, ein (finanzielles) Scheitern
würde nicht so weh tun. Fernweh hat mich schon immer geplagt, Herausforderungen
pflastern quasi meinen Lebensweg und haben tiefe Spuren hinterlassen. Ohne sie
wäre mir das Leben etwas gar eintönig und fad. So in etwa lautete meine
Antwort.
Nach
mehreren Monaten intensiver psychologischer Arbeit ist mir jedoch bewusst, dass
meine Antwort nur das knitterfreie Bild einer Fassade widergab. Und da die
junge Dame und ich schon Obeflächlichkeiten beiseite gelegt hatten, hörte ich
mich sagen: „Es war wohl eine Flucht.“
Ihre Erwiderung
hörte sich an wie ein Satz eines Weisen: „Wir hier sind wohl alle vor etwas auf
der Flucht.“
Wenn ich an
all die Betrüger und Schatzsucher aus dem In- und Ausland denke, die sich hier
tummeln, stimme ich dieser Aussage sofort zu.
Doch da
sind auch Investoren, die es hier zu ansehnlichem Vermögen gebracht haben. Sind
sie auch geflohen? Wovor? Oder hat sie einfach der Geschäftssinn und die Liebe
zum Roten Meer hier behalten?
Und die
älteren Ehepaare? Gilt der Wunsch nach einem Lebensabend unter der nordafrikanischen
Sonne und fern des Regens auch als Flucht?
Und was ist
mit den unzähligen alleinstehenden älteren Frauen und weniger zahlreichen
alleinstehenden älteren Herren? Wovor sind sie geflohen?
Doch es
gibt auch noch jene undefinierbare Gruppe, die sich zwar in die Ferne
aufgemacht hat, aber feststellen muss, dass sie den Fluchtgrund in sich tragen.
Dazu gehören die junge Dame und die Schreiberin hier. Erst wenn wir uns diesem
Fluchtgrund stellen, schaffen wir es, uns davon zu lösen.
Dann
braucht es den Reiz des Neuen vielleicht nicht mehr.
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