Ich packe
das Geschenk aus: ein Buch. Auf Arabisch. Von Alaa Al Aswany „Das Jakobiner
Haus“ (Emarat Yacoubian). Ich habe das Buch vor Jahren in Englisch gelesen.
Der junge,
pausbäckige Mann sieht mich erwartungsvoll an. Wir würden es gemeinsam lesen,
meinte S., als ich sage, so gut sei mein Arabisch aber nicht. Wir reden oder
besser: radebrechen Arabisch miteinander.
Zu jener
Zeit verbessert sich mein Arabisch zusehends. Wir gehen hie und da aus. Ich
helfe ihm in Deutsch und Englisch. Er ist launisch. Depressiv. Bleibt tagelang
im Bett. Erzählt von seinen Sorgen, die sich nicht besonders von jenen anderer
Ägypter seines sozialen Umfeldes unterscheiden. Es geht um die miserablen
Arbeitsbedingungen, um Schikanen von Vorgesetzten, Mitarbeitern und Gästen
(!!!), um den Druck der Familie, um Geld.
Ärger mit russischen Touristinnen, die meinen, alle Ägypter wollen nur
Sex. Wenn er seine depressive Phase hat, hält er unsere Termine nicht ein.
Er arbeitet
als Masseur in einem Hotel. Einmal ruft er mich an, bietet mir eine Massage an.
Er habe grad Zeit. Einigermassen verdattert lehne ich dankend ab. Ich nehme
grundsätzlich nichts von meinen Studenten an. Was soll das? Meint der wirklich,
ich würde mich da privat vor ihn hinlegen?
Was mir so
ungefähr schwant, nimmt bald klare Formen an. Sein Zustand kann in einen Satz
gepackt werden: Er will weg von hier und sucht sich ein Ticket ins Paradies.
Ich bin
kein Ticket. Da er unsere Abmachungen nicht einhält, sage ich ihm, dass er
nicht mehr kommen brauche. Einmal meint er, bevor ich gehe, wolle er mich
heiraten. Einfach so, aus heiterem Himmel. Ich sehe ihn an, als ob er verrückt
wäre. Er stammelt etwas von „immer verbunden sein“, „nicht mehr vergessen“.
Blödsinn.
Da er recht
gut aussieht, rate ich ihm, sich doch eine junge Europäerin zu suchen und sie
zu heiraten. Dann könne er weg von hier.
Die Idee
gefällt ihm nicht. Zumindest versichert er mir das. Er sei nicht so, wie viele der anderen Ägypter hier in Hurghada.
Der Kontakt
flaut ab. S. schickt mir Nachrichten, ruft mich hie und da an, möchte mich
treffen, aber ich habe weder Lust noch Zeit. Einmal bin ich grad in Kairo am
Flughafen, ein andermal voll mit Terminen. Und überhaupt habe ich anderes zu
tun.
Ein
Dreiviertel Jahr später sehe ich Hochzeitsfotos auf seiner Facebook-Seite! Mir
verschlägt es einen Moment die Sprache. Die Braut ist eine sehr hübsche junge
Frau. Sie sieht glücklich aus, ziemlich verliebt. S. sieht aus, als ob er eine
Rolle spielen würde. Unecht, im falschen Film.
Er hat es
also geschafft: Er hat ein Ticket ins Paradies gewonnen. Von den Landschaftsbildern
nehme ich an, dass er in einem baltischen Land ist. Ich gratuliere nicht, mir
käme das heuchlerisch vor.
Mehrere
Monate später schreibt er mir in gutem Englisch. Er würde niemals meine Hilfe
vergessen, ich hätte ihn unterstützt, als es ihm mies ging, er würde mir immer
beistehen (was er damit wohl meint?). Er hätte ein Ziel erreicht, er hätte nun
den Aufenthalt in Europa und würde mich gerne in meinem Heimatland treffen. Er
hätte noch grössere Ziele. Möge er sie erreichen, ich wünsche es ihm. Ich
gratuliere ihm zu seinem guten Englisch.
Ich frage
nicht, ob er seine Frau liebt. Die Frage ist überflüssig. Ich frage auch nicht,
wie es ihm geht. Ich hoffe nur, dass jene Frau nie enttäuscht wird.
Das Buch
von Alaa Al Aswany liegt nun im Bücherregal. Vor langer Zeit habe ich mal
versucht, die erste Seite zu lesen. Mehr nicht. Ist auch nicht nötig. Ich kenne
die Geschichte und ich weiss, wie das Leben hier läuft. Das reicht.
Ich frage mich generell ob es möglich ist bei einem solchen Gefälle an Wohlstand und Unterschied an Kultur an wahre Liebe zu glauben, aber anscheinend ist es wohl doch so, dass wenn Liebe etwas mit Rationalität zu tun hätte niemand niemals mehr heiraten würde und die Menschheit aussterben würde.
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